Beschlüsse zum TOP I: Gesundheits- und Sozialpolitik
 
1. Sozialpolitik am Scheideweg - Gesundheitswesen medizinisch orientieren  B 6
2. Die Zukunft der gesundheitlichen Versorgung im Vereinten Europa  B 9
3. Europäischer Ärztetag  B 10
4. Integration von ambulanter und stationärer Versorgung  B 11
5. Initiativprogramm zur Sicherstellung der Weiterbildung in Allgemein-medizin  B 15
6. "Stillegungsprämien" - Niederlassungssperren - Initiativprogramm zur Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin  B 16
7. Initiativprogramm zur Sicherstellung der allgemeinen Versorgung  B 17
8. Initiativprogramm Allgemeinmedizin - Bereitstellung fachärztlicher Stellen  B 17
9. Initiativprogramm Allgemeinmedizin - Tätigkeitsumfang fachärztlicher Gebiete  B 17
10. Chronische Massenarbeitslosigkeit  B 18
11. Bioethikkonvention  B 19
12. Gesundheitspolitische Rede Horst Seehofer am Eröffnungstag 
AIP - Ausbildung zum Arzt 
B 19
13. Neue Armut  B 20
14. Zuzahlung zu Medikamenten begrenzen  B 20
15. Wohnungslosigkeit  B 21
 

1. Sozialpolitik am Scheideweg - Gesundheitswesen medizinisch orientieren

Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache I-1) unter Berücksichtigung des Antrages von Frau Dr. Jacoby (Drucksache I-1a) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

I. Das deutsche Gesundheitssystem sichern

Das deutsche Gesundheitswesen nimmt einen hohen Stand ein, sein Leistungsniveau und seine Qualität brauchen einen internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Seine soziale Sicherheit ist nur in wenigen Ländern der Welt erreicht. Es bietet eine umfassende Versorgung mit freiem Zugang und zeitgerechter Versorgung für alle.

Die Ausgaben für die gesundheitliche Versorgung liegen bezogen auf das Volkseinkommen international im Mittelfeld. Das Gesundheitswesen gehört in unserer Gesellschaft zu den wenigen Wirtschaftsbereichen, die innovativ sind und zugleich Arbeitsplätze sichern und schaffen. Das Gesundheitswesen ist ein wichtiger Teil der sozialen Sicherheit in Deutschland und damit ein entscheidender Standortfaktor. Ärztinnen und Ärzte in Ost und West leisten dazu einen entscheidenden Beitrag.

Die vor allem aus politischen Gründen festgelegte Einnahmenbegrenzung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gefährdet jedoch zunehmend Leistungsfähigkeit, Qualität und soziale Sicherheit und bedroht die Arbeitsplätze im Gesundheitswesen. In der strengen Bindung der Krankenkassenbeiträge an die Löhne und Gehälter liegt ein Hindernis für eine differenzierte Entwicklung der GKV.

Die Einkommensstruktur der Bevölkerung ändert sich grundlegend: Verkürzte Lebensarbeitszeit, andauernd hohe Arbeitslosenzahlen sowie eine zunehmende Verlagerung des Volkseinkommens von Lohn/Gehalt auf andere Einkommensquellen sind wesentliche Ursachen für eine sinkende Lohnquote. Hinzu kommt durch eine längere Lebenserwartung eine Verschiebung der Relation der Zahl der Erwerbstätigen zu der Zahl der noch nicht oder nicht mehr Erwerbstätigen.

Leistungsfähigkeit, Qualität und soziale Sicherheit sind daher dynamische Größen. Nur das stete Bemühen um höhere Leistungen, bessere Qualität und soziale Gerechtigkeit können die hervorgehobene Position des deutschen Gesundheitssystems erhalten. Weitere Herausforderungen sind der medizinische Fortschritt und der demographische Wandel mit einer stark zunehmenden Zahl älterer Menschen sowie deren Multimorbidität und damit auch der gestiegene Bedarf an medizinischer Versorgung.

Die seit der Gründung der Gesetzlichen Krankenversicherung bewährte paritätische lohn- und gehaltsbezogene Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann diesen Veränderungen auf Dauer nicht mehr gerecht werden. Die GKV muß außerdem nach Überforderungen durch politische Leistungszuweisungen aller Art überprüft werden.

Die Finanzierungskrise im Gesundheitswesen erfordert ferner eine Überprüfung der solidarisch finanzierten Leistungen in der GKV. So gibt es für viele Leistungen des Gesundheitswesens zwar ein - oft nachvollziehbares - Bedürfnis der Patienten, dennoch gehören diese Leistungen nicht in eine solidarisch finanzierte Krankenversicherung. Sie sind entweder nicht wissenschaftlich fundiert, dienen mehr dem Wohlbefinden oder der individuellen Lebensführung als der Gesundheit. Diese Leistungen gehören deshalb in den Bereich der Eigenverantwortung und müssen privat bezahlt werden. Jedem Patienten/jeder Patientin steht unabhängig vom Zahlungsvermögen und von der Krankenversicherungsform die medizinische Versorgung zu, die medizinisch notwendig ist.

Einnahmen- und Ausgabenseite der GKV bedürfen einer strukturellen Reform, die sowohl medizinische Notwendigkeiten und den medizinischen Fortschritt in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt.

Der 101. Deutsche Ärztetag fordert deshalb:

Der Grundsatz der einnahmenorientierten Ausgabenpolitik muß den veränderten Einkommensstrukturen der Bevölkerung angepaßt werden.

Der Leistungskatalog der GKV muß auf den im Sozialgesetzbuch V (SGB V) vorgesehenen Umfang des Notwendigen, Zweckmäßigen und Ausreichenden, das zudem wirtschaftlich erbracht werden muß, zurückgeführt werden.

Den Bestimmungen im SGB V entsprechende neue Behandlungsverfahren müssen auch künftig im Rahmen der Sozialversicherung finanziert werden.

Für Krankenhäuser ist eine solide und bedarfsgerechte Investitions- und Betriebsfinanzierung zu sichern. "Notopfer" sind dafür untaugliche Mittel.

II. Neue Kooperationsformen schaffen

Leistungsfähigkeit, Qualität und gleicher Zugang zum Gesundheitswesen müssen auf eine möglichst effiziente Behandlung der Patienten ausgerichtet sein. Große Fortschritte sind dabei nur durch Spezialisierung und Differenzierung der einzelnen Tätigkeitsbereiche möglich geworden. Dies erfordert jedoch gleichzeitig mehr Zusammenarbeit aller an der Versorgung der Patienten in Krankenhaus und Praxis Beteiligten. Die starre sektorale Gliederung wirkt jedoch häufig einer integrativen Versorgung entgegen.

Die überkommenen künstlichen Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung stehen einer angemessenen Patientenbehandlung häufig ebenso im Wege, wie überholte institutionalisierte Hierarchiestrukturen im Krankenhaus; sie sind Ursache mancher Fehlentwicklungen. Die sektorale Gliederung spiegelt sich im sektoralen Denken der Gesundheitspolitik wider und führt zu einer einseitigen Fokussierung gesundheitspolitischer Maßnahmen jeweils auf Teilbereiche des Gesundheitswesens und damit häufig zum Kurieren an Symptomen.

Der 101. Deutsche Ärztetag fordert deshalb:

Eine bessere Kooperation mit sektorübergreifender Versorgung für eine möglichst effiziente patientenorientierte Behandlung zu fördern.

Integrative Versorgungsstrukturen sind durch Erteilung von persönlichen Ermächtigungen entsprechend qualifizierter Krankenhausärzte und durch die verbesserte Teilnahme von Vertragsärzten an einer Tätigkeit im Krankenhaus zu fördern, um die kostenintensive Infrastruktur besser zu nutzen.

Die der Entwicklung der Medizin nicht mehr entsprechenden anachronistischen Hierarchiestrukturen im Krankenhaus müssen zugunsten eines Teamarzt-Modelles reformiert werden. Verantwortung und Kompetenz müssen wieder zusammengeführt werden.
 

III. Die Dominanz der Ökonomie muß zurückgedrängt werden

Die Dominanz der Ökonomie in der Gestaltung der Arbeitsabläufe im Gesundheitswesen führt in zunehmendem Maße zu einer Bedrohung der ärztlichen Entscheidungsfreiheit und gefährdet so eine individuelle Versorgung der Patienten. Immer tiefergehende Regulierungen schränken die Therapiefreiheit des Arztes ein. Immer häufiger wird die sachgerechte Behandlung des Patienten von Sparzwängen und verschiedenen Formen der Budgetierung bedroht.

Der Arzt muß jedoch Anwalt des Patienten sein und darf nicht zum Buchhalter der Krankenkassen gemacht werden.

Auch das berufliche Selbstverständnis des Arztes als Freier Beruf wird durch Zulassungssperren aufgrund von Verhältniszahlen oder durch Beschränkung der Niederlassungsmöglichkeiten nach dem 55. Lebensjahr sowie die zwangsläufige Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit mit Vollendung des 68. Lebensjahres nachhaltig verändert.

Der Wettbewerb der Krankenkassen bewirkt einen weiteren wirtschaftlichen Druck auf die Ärzteschaft. Der Versuch, Einkaufsmodelle zu etablieren und vorrangig ökonomisch orientierte Richtlinien für Diagnostik und Therapie einzuführen, bedroht sowohl die Handlungsmöglichkeiten der Ärzte als auch das Selbstbestimmungsrecht der Patienten.

Eine den wissenschaftlichen Erkenntnissen und technischen Möglichkeiten entsprechende zuwendungsintensive Versorgung des Patienten erfordert die Therapiefreiheit des Arztes und einen Schutz des Patient-Arzt-Verhältnisses. Dies sind keine Privilegien des Arztes, sondern fortgeleitete Patientenrechte, die es zu wahren gilt.

Der 101. Deutsche Ärztetag fordert deshalb:

Regelungen im Sozialgesetzbuch V dürfen die professionelle Entscheidungsfreiheit des Arztes nicht einschränken.

Das Patient-Arzt-Verhältnis muß bei allen einschlägigen gesetzlichen Regelungen geschützt werden.

Das Gesundheitswesen muß medizinisch orientiert werden; es darf nicht nach lediglich fiskalischen Gesichtspunkten gesteuert werden. Eine angemessene Patientenversorgung muß gegenüber einer ökonomischen Steuerung und starren rechtlichen Regelungen Vorrang haben.

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2. Die Zukunft der gesundheitlichen Versorgung im Vereinten Europa

Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache I-2) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Die Europäische Union ist eine feste Grundlage für Frieden und Prosperität in Europa. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Gemeinschaft hat viele Erfolge ermöglicht, die nicht mehr wegzudenken sind.

Die Freiheiten des Binnenmarktes gelten nunmehr auch für Patienten. Der Deutsche Ärztetag begrüßt die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Erbringung und Inanspruchnahme von Dienstleistungen auf freiwilliger Basis. Dies ergänzt die bereits seit 1975 bestehende grenzüberschreitende Niederlassungsfreiheit und Arbeitsmöglichkeit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und seit 1994 auch des Europäischen Wirtschaftsraumes.

Die Bedingungen dafür können aber nicht von den Regeln für die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes abgeleitet werden, sondern müssen den Anforderungen der sozialen Sicherung, der flächendeckenden Versorgung und der qualitätsgesicherten Erbringung der Dienstleistungen entsprechen.

Die Regelungen über den gemeinsamen Markt müssen durch Regelungen zum Schutz der Sozialsysteme unter Gewährleistung der internationalen Zusammenarbeit ergänzt werden. Die Zukunft der europäischen Gesundheitswesen liegt nicht in deren Kommerzialisierung und Unterordnung unter das Wettbewerbsrecht, sondern in deren Zusammenarbeit und Konvergenz.

Die Ausprägung des Sozialschutzes ist eine Frage der nationalen Entscheidung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Aus diesen Faktoren begründet sich die Vielgestalt der nationalen Gesundheitswesen. Sie sind Kernbestandteile der gesellschaftlichen Ordnung und Spiegelbilder der Kulturen. Sie dürfen nicht einem billigen Marktopportunismus geopfert werden.

Der 101. Deutsche Ärztetag

bekennt sich zur Europäischen Einigung; hierbei muß das Interesse der Menschen im Vordergrund stehen und nicht nur marktwirtschaftliche Gesichtspunkte

bejaht die soziale Funktion des Gesundheitswesens

fordert einen aktiven Bestandsschutz für die Gesundheitswesen in der Europäischen Union

begrüßt die internationale Zusammenarbeit der Sozialsysteme und der Gesundheitswesen

fordert klare Regelungen der technischen Anpassung und Zusammenarbeit der Systeme (Konvergenz) und lehnt eine Nivellierung (Harmonisierung) ab

begrüßt einen - auch grenzüberschreitenden - Wettbewerb um Qualität

fordert sozial- und öffentlich-rechtlichen Schutz für die Gesundheitssysteme auch auf europäischer Ebene, gleichwertig zu den Regelungen über den Binnenmarkt und lehnt die Kommerzialisierung der Medizin entschieden ab

bejaht das Recht auf grenzüberschreitende Erbringung und Inanspruchnahmen von ärztlichen Leistungen auf freiwilliger Basis

fordert die Beachtung des Sicherstellungsauftrages der Kassenärztlichen Vereinigungen und die Erhaltung einer ausgewogenen, allen zugänglichen ärztlichen und klinischen Versorgung sicherzustellen durch das Verbot eines Aufbaus ausländischer Versorgungsnetze durch die deutschen Krankenkassen

bejaht Regelungsmöglichkeiten für Berufsrechte und -pflichten in freiheitlicher Selbstverwaltung

fordert die rechtliche Anerkennung der Selbstverwaltungskörperschaften auf europäischer Ebene

Der 101. Deutsche Ärztetag fordert, die gesundheitliche Versorgung der Menschen in der Europäischen Union nicht allein durch Richterrecht, sondern durch eine Europäische Gesundheitscharta aktiv zu schützen, welche u.a. die Qualität der ärztlichen Behandlung im Interesse der Patienten und die verantwortungsvolle Verwendung der Mittel der solidarisch finanzierten Gesetzlichen Krankenversicherung sichert.
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3. Europäischer Ärztetag

Der Antrag von Prof.Dr. Lob (Drucksache I-21) wird zur weiteren Beratung an den Vorstand der Bundesärztekammer überwiesen:

Der 101. Deutsche Ärztetag befürwortet die Einführung eines Europäischen Ärztetages und beauftragt die Bundesärztekammer, erste organisatorische Schritte zu untersuchen.

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4. Integration von ambulanter und stationärer Versorgung

Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache I-3) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Der 101. Deutsche Ärztetag begrüßt das von der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erarbeitete „Konsenspapier der Ärzteschaft zur Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung - Sicherung der ärztlichen Berufsfreiheit in Klinik und Praxis" und fordert zur zügigen Umsetzung der aufgezeigten Integrationsansätze auf.

Konsenspapier der Ärzteschaft zur Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung

- Sicherung der ärztlichen Berufsfreiheit in Klinik und Praxis -

I. Problemaufriß

Ein am Versorgungsbedarf der Bevölkerung ausgerichtetes Gesundheitswesen muß unter dem Gebot des wirtschaftlichen Mitteleinsatzes die Versorgungsprobleme der Bevölkerung jeweils dort lösen, wo die medizinische Betreuung unter Beachtung humanitärer Bedingungen am effizientesten durchgeführt werden kann. Dies erfordert abgestufte Versorgungsebenen, die nach Versorgungsauftrag, Behandlungskapazitäten, Behandlungsintensität und Kostenaufwand definiert werden. In der Bundesrepublik ist, anders als in anderen Gesundheitssystemen, die fachärztliche Versorgung nicht am Krankenhaus konzentriert, sondern, soweit es die ambulante Versorgung betrifft, grundsätzlich niedergelassenen Fachärzten im Rahmen ihrer Kassenzulassung übertragen. Dies ermöglicht eine wohnortnahe individuelle fachärztliche Betreuung der Patienten.

Je spezialisierter und durch Geräteeinsatz kostenaufwendiger die fachärztliche Betreuung wird, desto intensiver besteht jedoch die Notwendigkeit, am Krankenhaus vorhandene Spezialeinrichtungen, die über freie Kapazitäten verfügen, auch ambulant nutzen zu können (Spezialeinrichtungen der invasiven Diagnostik und Großgeräte). Aus diesem Grunde ist es notwendig, durch neue kooperative Strukturen eine bessere Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu erreichen. Dies betrifft insbesondere Leistungen aus Bereichen der hochspezialisierten Medizin. Die Möglichkeiten für hochspezialisierte Fachärzte am Krankenhaus, eine verantwortliche Lebensstellung zu erwerben, sollen verbessert werden.

Mit steigendem Spezialisierungsgrad der Versorgung ist unter dem Gesichtspunkt der Qualitätssicherung eine Konzentration der Leistungserbringung bei entsprechend qualifizierten Fachärzten erforderlich, die aufgrund ihrer Spezialisierung und Praxisausrichtung einen Schwerpunkt in der Betreuung von Patienten haben, die einer entsprechend spezialisierten Behandlung bedürfen (hochspezialisierte Versorgungsebene). Die Erbringung entsprechend hochspezialisierter Leistungen kann für den Patienten mit medizinischen Risiken verbunden sein, zu deren Beherrschung die Infrastruktur eines Krankenhauses benötigt wird. Bei diesen Leistungen ist die ambulante Erbringung durch entsprechend qualifizierte Fachärzte, die, soweit möglich, ambulant und stationär behandeln, am Krankenhaus bzw. vor einem entsprechenden intensiv-medizinischen Hintergrund zu konzentrieren.

Die Bildung vernetzter Praxisstrukturen im Rahmen von Strukturverträgen und Modellvorhaben zwischen Krankenkassenverbänden und Kassenärztlichen Vereinigungen ist darauf gerichtet, die Konkurrenzsituation unter hausärztlich und fachärztlich tätigen Vertragsärzten durch ein arbeitsteiliges Zusammenwirken möglichst aufzuheben und dadurch entstehende Rationalisierungsmöglichkeiten in der ambulanten Versorgung zu nutzen. Dadurch sollen einerseits unnötige Krankenhauseinweisungen vermieden, andererseits aber notwendige Krankenhauseinweisungen ohne zeitliche Verzögerung eingeleitet werden. Dieses arbeitsteilige Zusammenwirken erfordert für definierte, schwerwiegende, meist chronische Erkrankungen von der Ärzteschaft entwickelte und abgestimmte Behandlungskonzepte für die kontinuierliche medizinische Betreuung auf entsprechend abgestuften Versorgungsebenen, die auch spezialisierte Krankenhausärzte persönlich im Rahmen gemeinsam abgestimmter Versorgungsabläufe (Versorgungsketten) für die stationäre Problemlösung und bei gegebenem Bedarf auch ambulant einzubinden sind (z.B. Diabetes, Onkologie, AIDS). Vor diesem Hintergrund ist die Beteiligung von Krankenhausärzten über die Einbeziehung von Krankenhäusern an Verträgen und Modellvorhaben zweckmäßig und wünschenswert.

Darüber hinaus bedarf es einer engeren Kooperation zwischen ambulanter und stationärer Versorgung in der Versorgung bei medizinischen Notfällen, um unnötige Krankenhauseinweisungen zu vermeiden. Durch eine stärkere Koordination von ambulantem Notfalldienst und Rettungsdienst sowie einer Einbeziehung von niedergelassenen Vertragsärzten in die Aufnahmeentscheidungen für Patienten in das Krankenhaus aufgrund von Notfallaufnahmen sollte diese Kooperation sichergestellt werden.

Die Einrichtung von Hauptfachabteilungen mit angestellten Krankenhausfachärzten ist wegen der hierbei erforderlichen Abteilungsgröße nicht durchgehend möglich. Insbesondere für Organfächer oder für die Berücksichtigung hochspezialisierter Leistungsbereiche am Krankenhaus bedarf es daher nach wie vor des Ausbaus eines kooperativen Belegarztsystems als ein Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer Versorgung.

Auf Wunsch des Patienten oder zur Absicherung der eigenen Entscheidung sollte dem Vertragsarzt die Möglichkeit eingeräumt werden, insbesondere vor Krankenhauseinweisungen einen weiteren Arzt zur konsiliarischen Beratung zuzuziehen (Einholung einer Zweitmeinung). Soweit der Vertragsarzt zur Absicherung seiner Entscheidung oder zur Berücksichtigung des Wunsches seines Patienten auf Einholung einer Zweitmeinung einer konsiliarischen Beratung bedarf, die durch niedergelassene Vertragsärzte nicht erfolgen kann, sollte ihm diese Möglichkeit durch Ermächtigung hierfür qualifizierter Krankenhausfachärzte mit auf konsiliarische Beratung entsprechend eingeschränktem Untersuchungsauftrag (Untersuchung, Beratung, Bericht) eröffnet werden.

7. Die sektorale Budgetierung der Krankenhausausgaben für die ambulante und stationäre Versorgung hat die in diesem Konsenspapier geforderte verbesserte Kooperation von freiberuflichen Vertragsärzten und Krankenhausärzten entscheidend behindert. Sie muß deswegen aufgegeben und durch mit den Krankenkassen vereinbarte Regelleistungsvolumen auch für die von Krankenhausärzten in der vertragsärztlichen Versorgung erbrachten Leistungen abgelöst werden.

II. Lösungsansätze

Die notwendig kostenaufwendige Infrastruktur eines Krankenhauses und die in der Bundesrepublik bewährte Struktur einer wohnortnahen fachärztlichen Versorgung durch in freier Praxis als Kassenärzte zugelassene Fachärzte steht einer Öffnung der Krankenhäuser für die fachärztliche ambulante Versorgung entgegen. Der Versorgungsauftrag des Krankenhauses ist daher nach wie vor grundsätzlich auf die Behandlung von Vertragsärzten eingewiesener und zur Krankenhausbehandlung aufgenommener Patienten sowie von Notfällen auszurichten. Dabei ist die Notwendigkeit einer Krankenhauseinweisung grundsätzlich im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung abzuklären.

Aufgrund der Problemdarstellung bedarf es jedoch in folgenden Bereichen einer Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, wobei unter den Gesichtspunkten von Qualität, Kontinuität der Behandlung und Wirtschaftlichkeit am Grundsatz der persönlichen Teilnahmeberechtigung entsprechend qualifizierter Krankenhausfachärzte festgehalten wird:

Die gemeinsame Nutzung von Großgeräten und kostenaufwendigen Spezialeinrichtungen in der ambulanten und stationären Versorgung soll soweit wie möglich gefördert werden. Dazu dienen insbesondere
Kooperationsverträge zwischen Krankenhausträgern, Krankenhausärzten und Vertragsärzten,

die Zulassung von Vertragsärzten zum Betreiben einer Kassenpraxis auch als Zweigpraxis in den Räumen eines Krankenhauses,

die Ermächtigung von Krankenhausfachärzten zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung.

Soweit eine gemeinsame Nutzung im Wege der Ermächtigung von Krankenhausfachärzten erfolgt, würde die Zulassung weiterer Vertragsärzte mit entsprechender Praxisausstattung den Fortbestand dieser Kooperation durch Wegfall der Ermächtigung in Frage stellen. Es sind daher dann Wege weiterer Kooperationen anzustreben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kooperation zur gemeinsamen Nutzung von den zur Zulassung anstehenden Vertragsärzten abgelehnt wird.

Die Ärzteschaft definiert einen Katalog spezialisierter Leistungen, für deren fachgerechte Erbringung zur Vermeidung unnötiger gesundheitlicher Risiken für den Patienten die Infrastruktur eines Krankenhauses oder eine entsprechende intensivmedizinische Struktur vorgehalten werden muß. Für die in diesen Katalog aufgenommenen Leistungen ist in der Regel der Bedarf für die Ermächtigung entsprechend qualifizierter Krankenhausärzte zu vermuten, wobei vorrangig eine kooperative Nutzungsregelung anzustreben ist.

Dazu gehören Leistungen der

interventionellen Kardiologie,

interventionellen Gastroenterologie,

interventionellen Radiologie,

Versorgung spezieller onkologischer Patienten,

Versorgung spezieller Formen der AIDS-Erkrankung.

Die Ärzteschaft stellt für geeignete Fälle als Unterstützung der auf freier Arztwahl und den Prinzipien der Therapiefreiheit beruhenden Patientenbetreuung in Behandlungskonzepten Entscheidungshilfen für eine qualitätsgesicherte Behandlung chronischer oder anderer schwerwiegender Erkrankungen zur Verfügung und definiert Anforderungen an ein Qualitätsmanagement, auf der jeweils adäquaten Versorgungsebene bei Bedarf unter Einbeziehung entsprechend qualifizierter Krankenhausfachärzte als Teil einer die Betreuung von Patienten gestaltenden Versorgungskette. Sofern ein solcher Bedarf gegeben ist bzw. ein entsprechender Konsens unter den beteiligten Ärzten herbeigeführt wird, ist für eine solche Kooperation eine Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zu bejahen.

Das Belegarztwesen ist - insbesondere in seiner kooperativen Ausprägung - als bewährtes Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer ärztlicher Versorgung zu fördern.

Die Ärzteschaft wird im Rahmen der Organisation des ärztlichen Notfalldienstes geeignete Maßnahmen treffen, um den Notfall-/Rettungseinsatz zu koordinieren und durch Mitwirkung geeigneter Vertragsärzte in der Notfallversorgung am Krankenhaus unnötigen Streit um die Berechtigung von Krankenhauseinweisungen und -aufnahmen zu vermeiden.

Durch hierfür auf Konsiliarleistungen eingeschränkte Ermächtigung entsprechend qualifizierter Krankenhausfachärzte soll Vertragsärzten die Möglichkeit der Einholung einer Zweitmeinung gegeben werden, soweit dies durch niedergelassene Vertragsärzte nicht erfolgen kann.

Soweit durch eine stärkere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung ein erhöhter Bedarf an ambulanter Versorgung entsteht, müssen durch die Vereinbarungen von Regelleistungsvolumen die finanziellen Voraussetzungen für die verbesserte Kooperation geschaffen werden.

III. Verbesserung der Kooperation und Kommunikation

Die Kooperation unter Vertragsärzten und Krankenhausärzten muß durch folgende Maßnahmen verbessert werden:

Gewährleistung des notwendigen Informationsaustausches unter niedergelassenen Vertragsärzten und Krankenhausärzten bei Einweisung zur und Entlassung aus der Krankenhausbehandlung.

Einführung eines elektronisch gestützten Kommunikationsnetzes zur Ermöglichung der online-Kommunikation unter Einhaltung von Sicherheitsstandards zur Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht.

Organisation gemeinsamer Qualitätszirkel, insbesondere als Bestandteil eines Qualitätsmanagements im Rahmen von „Versorgungsketten" nach Absch. II.3.

Ausbau einer Telematikplattform.

IV. Weiterentwicklung der Krankenhausstrukturen

Die Ärzteschaft spricht sich dafür aus, bei der Weiterentwicklung der Krankenhausstrukturen die Zahl unbefristeter endverantwortlicher Lebensstellungen für hochqualifizierte Fachärzte zu erhöhen und damit den Druck auf eine Niederlassung in eigener Praxis mangels entsprechender Existenzmöglichkeiten im Krankenhaus abzubauen.

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5. Initiativprogramm zur Sicherstellung der Weiterbildung in Allgemeinmedizin

Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache I-4) unter Berücksichtigung des Antrages von Dr. Holfelder (Drucksache I-4b) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Der 101. Deutsche Ärztetag begrüßt das von der Gesundheitsministerkonferenz initiierte Programm zur Sicherstellung der Weiterbildung in Allgemeinmedizin als Unterstützung der Bemühungen der Ärzteschaft, eine qualifizierte hausärztliche Versorgung durch Ärzte für Allgemeinmedizin zu gewährleisten. Das zweistufige Verfahren, d. h. ein 2-jähriges Sofortprogramm, gefolgt von Anschlußregelungen, wird für erfolgversprechend gehalten.

Der 101. Deutsche Ärztetag sieht darin einen Weg zur Realisierung des vom 99. bzw. 100. Deutschen Ärztetag beschlossenen 5-jährigen Weiterbildungsganges in Allgemeinmedizin und empfiehlt den Landesärztekammern, diesen in ihre Weiterbildungsordnungen aufzunehmen. Diese Beschlußfassung erfolgt auf der Grundlage der im Initiativprogramm enthaltenen und noch zu schaffenden gesetzgeberischen Voraussetzungen zur dauerhaften Absicherung der 5-jährigen Weiterbildung in der Allgemeinmedizin.

Strukturelle Veränderungen, welche die Weiterbildung für Allgemeinmedizin nicht fördern und z.B. das Recht der Ärztekammern auf Regelung der ärztlichen Weiterbildung beschneiden oder den Einstieg in ein Primärarztsystem ermöglichen, lehnt der Deutsche Ärztetag nach wie vor ab.

 

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6. "Stillegungsprämien" - Niederlassungssperren - Initiativprogramm zur Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin

Auf Antrag von Prof.Dr. Kunze, Prof.Dr. Lob (Drucksache I-7) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Der Deutsche Ärztetag weist die Absicht der gesetzlichen Krankenversicherung (z.B. AOK Bayern) mit aller Entschiedenheit zurück, für Vertragsärzte, die ihren Vertragsarztsitz aus Alters- oder anderen Gründen abgeben wollen, „Stillegungsprämien" zu zahlen, damit dieser Vertragsarztsitz nicht weitergeführt wird.

Zwar würden mit Stillegungsprämien Praxisinhaber ausreichend entschädigt, niedergelassene Kollegen vor unliebsamen Konkurrenten geschützt und ein Beitrag der Stützung des Punktwertes geleistet.

Demgegenüber führen Stillegungsprämien aber dazu, die Zahl der niedergelassenen Kollegen insgesamt zu reduzieren und den ärztlichen Nachwuchs von der Möglichkeit der Berufsausübung fernzuhalten, womit die gesetzlich angeordneten Zulassungsbeschränkungen, deren Abschaffung die Ärzteschaft seit Jahren fordert, verschärft würden.

Es ist schon schwer verständlich, daß man mit dem gegenwärtig diskutierten Initiativ-Notprogramm der GMK zur Förderung der allgemeinmedizinischen Versorgung auf der einen Seite

erhebliche gesetzliche und finanzielle Anstrengungen unternimmt, um künftigen Allgemeinärzten eine Weiterbildung zu sichern, auf der anderen Seite

jedoch mit derartigen Stillegungsprämien gerade deren Niederlassung verhindern will.

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7. Initiativprogramm zur Sicherstellung der allgemeinen Versorgung

Auf Antrag von Prof.Dr. Glogner (Drucksache I-13) beschließt der 101. Deutsche Ärztetag:

Anstelle der WB-Ermächtigung (Befugnis) für ärztliche Direktoren soll treten eine

„Befugnis zur Organisation der allgemeinmedizinischen Weiterbildung im Einvernehmen mit den Fachärzten, welche die Weiterbildung garantieren."

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8. Initiativprogramm Allgemeinmedizin - Bereitstellung fachärztlicher Stellen

Auf Antrag von Dr. Mitrenga (Drucksache I-27) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Der 101. Deutsche Ärztetag fordert, daß die Bereitstellung der benötigten Stellen in den Krankenhäusern auf der Grundlage der Formulierungen im Initiativprogramm zur Sicherstellung der allgemeinmedizinischen Versorgung nicht unter Akzeptanz der Mechanismen der Pflegesatzverhandlungen erfolgen sollen, sondern, daß die vereinbarten Mittel zusätzlich zu den Budgets gewährt werden müssen.

Begründung:

Nach Rücksprache mit den Vertretern der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des AOK-Bundesverbandes ist die entsprechende Stelle im Protokoll des politischen Spitzengespräches zum Initiativprogramm vom 14.05.1998 nicht konsentiert.

Bei Nichtannahme der im Antrag gestellten Forderung wird im Krankenhaus das Initiativprogramm nicht in Gang kommen, da über Pflegesatzverhandlungen eine Stellenvermehrung nicht bewirkt wird.

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9. Initiativprogramm Allgemeinmedizin - Tätigkeitsumfang fachärztlicher Gebiete

Auf Antrag von Prof.Dr. Wildmeister (Drucksache I-28) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Der 101. Deutsche Ärztetag stellt fest, daß mit der Annahme des Sofort-Initiativ-Programmes zur Umsetzung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin keine Veränderung des Tätigkeitsumfanges fachärztlicher Gebiete, ggf. einschließlich ihrer Schwerpunkte oder fakultativen Weiterbildungen, auf der Grundlage des jeweils gültigen Weiterbildungsrechtes, verbunden ist.

Insbesondere darf § 76 SGB V - freie Arztwahl - nicht tangiert werden.

Begründung:

Es ist klarzustellen, daß das Initiativ-Programm zur Förderung der Allgemeinmedizin keine Tätigkeitsausweitung der Allgemeinmedizin in fachärztliche Gebiete bedeuten kann. Es dient, insbesondere vor dem Hintergrund des Differenzierungsbeschlusses Allgemeinmedizin/Innere Medizin des 99. und 100. Deutschen Ärztetages der Realisierung der Weiterbildung Allgemeinmedizin in der Neuformulierung des Weiterbildungsganges Allgemeinmedizin i.d. Fassung des 100. Deutschen Ärztetages.

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10. Chronische Massenarbeitslosigkeit

Auf Antrag von Prof.Dr. Mausbach (Drucksache I-9) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Aufruf des Deutschen Ärztetages zu Maßnahmen gegen die chronische Massenarbeitslosigkeit

In Sorge, daß der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit, Armut und Krankheitsgefährdung weitere gesundheitliche und soziale Probleme hervorbringt, daß der Solidarcharakter der Krankenversicherung gefährdet ist und eine Gefährdung des Sozialstaatsprinzips droht, rufen wir als Ärztinnen und Ärzte alle Verantwortlichen dazu auf, Maßnahmen gegen die Massenarbeitslosigkeit zu ergreifen und die Erhaltung des Solidarprinzips in der Krankenversicherung zu gewährleisten.

Begründung:

Mit weit mehr als 4 Millionen Arbeitslosen hat Deutschland im Frühjahr 1998 eine Erwerbslosenquote, die inzwischen höher liegt, als die nicht weniger europäischer Nachbarländer, zum Beispiel Großbritanniens, der Niederlande und Österreichs. Chronische Arbeitslosigkeit hat Folgen, die uns als Ärztinnen und Ärzte bekannt sind, die wir beklagen und die wir verhüten müssen. Auch die ärztliche Arbeitslosigkeit nimmt besorgniserregende Ausmaße an.

Bei den von Arbeitslosigkeit Betroffenen finden sich bestimmte psychosoziale Befindlichkeitsstörungen und eine deutlich höhere Gefährdung durch Suchterkrankungen. Auch bestimmte somatische Erkrankungen finden sich bei den von Dauerarbeitslosigkeit und sozialer Not Betroffenen häufiger.
Die Sozialkassen werden durch die Arbeitslosigkeit ruiniert. Das Kostenproblem in der Krankenversicherung ist nicht allein ein Ausgaben-, sondern vor allem ein Einnahmenproblem. Immer weniger Beschäftigte mit zunehmend geringer wachsendem Einkommen können auf die Dauer nicht die notwendigen Kosten im Gesundheitswesen aufbringen. Immer mehr Zuzahlungen gefährden das Solidarprinzip. Milliardenausfälle in den Sozialkassen werden auf Dauer die Stabilität der sozialen Krankenversicherung untergraben. Schließlich wären auch die ärztlichen Arbeits- und Existenzbedingungen, die eng mit der sozialen Krankenversicherung verknüpft sind, gefährdet.

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11. Bioethikkonvention

Der Antrag von Dr. Drexler (Drucksache I-10) wird zur weiteren Beratung an den Vorstand der Bundesärztekammer überwiesen:

Bezugnehmend auf die Entschließung des 100. Deutschen Ärztetages in Eisenach stellt der 101. Deutsche Ärztetag fest, daß auch nach einem Jahr weiterer Diskussion die Bedenken gegen den Artikel 6, 12, 13, 14, 17 und 18 der Konvention in vollem Umfang aufrecht erhalten werden müssen.

Angesichts der Unvereinbarkeit dieser Artikel mit dem Geist des GG (I-III) und mit anderen innerdeutschen Rechtsvorschriften (z.B. Embryonenschutzgesetz) gibt es kein relevantes Argument für eine Unterzeichnung oder der Ratifizierung der Konvention durch die Bundesregierung.

Hinweise darauf, daß der § 27 der Konvention einen höheren deutschen Schutzstandard zuließe, sind demgegenüber irrelevant. Es ist darüberhinaus davon auszugehen, daß ein solcher deutscher „Sonderweg" einen externen und internen Dauerdruck zur europäischen „Rechtsangleichung" und damit zur Abschwächung inländischer Schutzvorschriften ausgesetzt wäre.

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12. Gesundheitspolitische Rede Horst Seehofer am Eröffnungstag
AIP - Ausbildung zum Arzt

Auf Antrag von Dr. Theurich (Drucksache I-11) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Der Deutsche Ärztetag empfiehlt die Abschaffung des AIP.

Begründung:

In der Praxis werden AIP’ler fast überall mit der Funktion eines Stationsarztes betraut ohne hinreichend betreut und weitergebildet zu werden.

Sie stellen somit einzig und allein eine „Leichtlohngruppe" unter den Assistenzärzten in der Weiterbildung dar. Dies entspricht nicht der Intention des Gesetzgebers und nicht der Berufsordnung.

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13. Neue Armut

Auf Antrag von Prof.Dr. Mausbach (Drucksache I-12) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Gesundheit, Krankheit und neue Armut

In der Sorge, daß durch die Zunahme einer in den letzten Jahren neu entstandenen Armut Krankheitsverteilung und Krankheitsspektrum in ungünstigerem Sinne beeinflußt werden könnten, rufen wir als Ärztinnen und Ärzte alle Verantwortlichen für politische Entscheidungen dazu auf, dazu beizutragen, daß die Kluft zwischen arm und reich nicht noch größer wird, vielmehr verringert wird. Sozial Schwache, Kranke und Behinderte brauchen den besonderen Schutz der Gesellschaft. Die Solidargemeinschaft muß gewährleisten, daß die ärztliche Versorgung der sozial Benachteiligten auch unter sozialen Krisenerscheinungen erhalten bleibt.

Begründung:

Eine neue Armut ist entstanden, darunter mehr als 5 Millionen Sozialhilfeempfänger, ein breiter Armutsgürtel, der sich in den alten und neuen Bundesländern durch das Land zieht. Die Kluft zwischen arm und reich vergrößert sich. Über den Zusammenhang von Krankheit und sozialer Lage gibt es gesicherte Erkenntnisse. Sehr viele Erkrankungen mit hohen Fallzahlen folgen Polarisierung von arm und reich. Die betroffenen Menschen müssen durch Maßnahmen gegen die Armut geschützt werden. Einschnitte in das bewährte System der Krankenversicherung und ausufernde Selbstbeteiligung lassen Elemente einer Klassenmedizin wieder aufleben. Eine humane Gesundheits- und Sozialpolitik muß gerade in Zeiten zunehmender Armut das Solidarprinzip befestigen.

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14. Zuzahlung zu Medikamenten begrenzen

Auf Antrag von Dr. Huttel (Drucksache I-17) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Der Deutsche Ärztetag empfiehlt der neuen Bundesregierung dringend eine Überprüfung der festen Kopplung von Zuzahlungen zu Medikamenten an Beitragssatzerhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Begründung:

Schon jetzt äußerten 39 % der Patienten, wegen der Zuzahlungen nicht mehr jedes Rezept einlösen zu wollen, wie eine repräsentative Umfrage im Auftrage der pharmazeutischen Industrie ergab. In schwedischen Stichproben - bei im wesentlichen sogar geringerer Zuzahlung zu verordneten Medikamenten, ergaben sich ca. 30 % nicht mehr eingelöste Rezepte.

Bei Fortsetzung dieses Trends läuft unser Bemühen um eine hochqualifizierte Diagnostik therapeutisch zunehmend ins Leere.

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15. Wohnungslosigkeit

Auf Antrag von Prof.Dr. Mausbach (Drucksache I-20) faßt der 101. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Wohnungslosigkeit und Gefährdung durch Krankheit

In Fortführung und praktischer Umsetzung der auf dem 99. Deutschen Ärztetag 1996 in Köln verabschiedeten Entschließung („Als Ärztinnen und Ärzte kann es uns nicht unbeteiligt lassen, daß in den letzten Jahren in Deutschland neue soziale Not und neue Armut entstanden sind. Mehr als 5 Millionen Sozialhilfeempfänger. Hohe Dauerarbeitslosigkeit und steigende Obdachlosigkeit. Über den Zusammenhang von Krankheit und sozialer Lage gibt es gesicherte Erkenntnisse. Kranke, Behinderte und sozial Schwache brauchen besonders den Schutz der Sozialversicherung. Weitere Einschnitte in das bewährte System der Krankenversicherung, ausufernde Selbstbeteiligung und weiteren Sozialabbau in anderen Bereichen lehnen wir deshalb ab.") tritt der diesjährige Ärztetag für konkrete medizinische Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation wohnungsloser Menschen ein. Wohnungslose Menschen benötigen ihre besondere Situation berücksichtigende Hilfsangebote. Diese speziellen Hilfsangebote stellen allerdings keinen Ersatz für die medizinische Normalversorgung dar. Der Anspruch der Reintegration ins medizinische „Normalversorgungssystem" ist wesentlicher Bestandteil dieses zusätzlichen Hilfsangebots.

Folgende Maßnahmen sind hierbei von Bedeutung:

Akute medizinische Versorgungsmöglichkeiten „vor Ort", d.h. an den Treffpunkten und institutionellen Einrichtungen, an denen sich Wohnungslose in der Regel aufhalten, eingebettet in ein interdisziplinär angelegtes Versorgungskonzept (Zusammenarbeit von Medizin und sozialer Arbeit) unter Einbeziehung sozialpsychiatrischer Dienste.
Konkret bedeutet dies:
Aufbau und landesweites Angebot niederschwellig angelegter medizinischer Sprechstunden für Wohnungslose, in enger Zusammenarbeit mit Vertretern der örtlichen Wohnungslosenhilfe.

Ausbau und finanzielle sowie sozialadministrative Unterstützung bestehender medizinischer und pflegerischer Hilfsangebote durch die öffentliche Hand.

Aufbau und Förderung mobiler Sanitätsstationen (fahrende Ambulanzen), in denen eine aufsuchende medizinische Tätigkeit praktiziert wird („medical street work").

Die ärztliche Versorgung alleinstehender Wohnungsloser muß im Rahmen des Sicherstellungsauftrags gewährleistet und durch Mittel der öffentlichen Hand unterstützt werden.

Förderung spezieller Pflegeeinrichtungen in Wohnheimen für Wohnungslose, besonders für schwerstpflegebedürftige Wohnungslose, wenn nötig auch spezielle Krankenwohnungen.

Zusammenarbeit mit und Aufklärung von regional ansässigen institutionellen Gesundheitversorgungseinrichtungen, z. B. Krankenhäusern, Gesundheitsämtern, Beratungsstellen und Arztpraxen. Hierbei sollte die intensive Kooperation insbesondere durch die Gesundheitsämter koordiniert werden.

Aufbau dieser Versorgungstruktur mit dem ausdrücklichen Ziel der Integration bzw. Reintegration der medizinischen Betreuung und Versorgung alleinstehender Wohnungsloser in das allgemein zugängige Gesundheitssystem.

Begründung:

Wohnungslosigkeit und Armut nehmen weiter zu, wie die jüngsten Statistiken der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG) ergeben. Gleichzeitig hat der Deutsche Mieterbund festgestellt, daß etwa 2,5 Millionen Wohnungen fehlen, 15% der Haushalte auf dem freien Wohnungsmarkt keine freie Wohnung finden oder bezahlen können und mindestens 5 Millionen Sozialwohnungen benötigt werden.

Nach neuen wissenschaftlichen Untersuchungen leben ca. 13% der Bevölkerung in Armut. Als Extremform von Armut muß die Lebenssituation alleinstehender wohnungsloser Menschen angesehen werden. In einer gemeinsamen Erklärung der katholischen und evangelischen Kirche wird der Verlust der eigenen Wohnung als eine der schlimmsten Auswirkungen von Armut bezeichnet. Im Jahre 1997 lebten ca. 860.000 Menschen ohne Wohnung in Deutschland. 200.000 dieser Betroffenen werden zu den alleinstehenden Wohnungslosen (Landstreicher, Nichtseßhafte, Berber) gezählt. Der Frauenanteil liegt bei ca. 20% und steigt an. Ebenso steigt der Anteil Jugendlicher und Kinder sowie wohnungsloser Menschen in den neuen Bundesländern. Ca. 40.000 bis 50.000 Menschen leben ständig auf der Straße ohne jegliche Unterkunft.

Die neuesten wissenschaftlichen Studien zur Gesundheitssituation wohnungsloser Menschen bestätigen einen hohen Krankenstand (90% sind dringend behandlungsbedürftig) und eine unzureichende medizinische Versorgung.

Diese veränderte soziale Situation mit Zunahme von Armut und Wohnungslosigkeit in Deutschland verlangt eine sachbezogene Modifikation der medizinischen Versorgung. Nach Untersuchung von Fachleuten, die in diesem Bereich arbeiten, und nach wissenschaftlichen Untersuchungen, muß derzeit von einer Inkompatibilität zwischen Patientenbedürfnissen und bisher vorhandenen medizinischen Hilfsangeboten gesprochen werden. Eine Neuorientierung und Ergänzung der vorhandenen Versorgungsstruktur in Richtung auf eine adäquate medizinische Versorgung der betroffenden Menschen ist dringend notwendig.

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