Prof. Dr. Eckel, Referent:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Vertrauen des Patienten gegenüber seinem Arzt gründet sich wesentlich auch darauf, daß sich die medizinische Betreuung an aktuellem Fachwissen und Können orientiert. Infolgedessen hat jeder Arzt seine fachliche Kompetenz durch berufsbegleitendes Weiterlernen - durch Fortbildung - kontinuierlich zu aktualisieren und zu festigen.

Die grundsätzliche Verpflichtung zur Fortbildung ist in der ärztlichen Berufsordnung seit langem festgelegt, nicht jedoch die Form des Wissenserwerbs. Die individuell unterschiedlichen Formen des Lernverhaltens erfordern diese Entscheidungsfreiheit.

Die deutschsprachigen Ärzteschaften verfügen über klar strukturierte und gut organisierte Instrumentarien der ärztlichen Fortbildung. Die außerordentliche Fülle der Fortbildungsveranstaltungen zeigt, daß sich die Ärztinnen und Ärzte ihrer Verpflichtung zur Fortbildung durchaus bewußt sind.

Erfolg und Akzeptanz ärztlicher Fortbildungsmaßnahmen hängen heute mehr denn je von deren Qualität ab. Um ärztliche Kompetenz angesichts sprunghafter Fortschritte in der Medizin auch weiterhin wahren zu können, müssen Fortbildung und Evaluation der Fortbildung kontinuierliche Prozesse sein.

Dies setzt allerdings eine auf Dauer angelegte Beobachtung, Reflexion, Analyse und das Festlegen neuer Standards voraus. Evaluation, meine Damen und Herren, ist kein unverbindliches und beliebiges Instrument, sondern ein sehr sensibles Handwerkszeug, von dem die berufliche Zukunft von Kolleginnen und Kollegen abhängen kann.

Seit Jahren wird in Deutschland kontrovers diskutiert, ob Evaluation der ärztlichen Fortbildung notwendig sei oder nicht. Gegenüber Prüfungen wird oft ins Feld geführt, daß der Einfluß von Fortbildungsmaßnahmen auf ärztliches Handeln und auf die Qualität der Patientenversorgung nicht faßbar und schon gar nicht qualifizierbar sei.

Evaluation wird hierbei weniger als Mittel zur Selbstkontrolle des Fortbildungserfolgs, sondern vielmehr als Instrument zur externen Kontrolle bzw. Überwachung verstanden. Dabei wird oft verkannt, daß Lernen ohne Überprüfung des Lernerfolgs nur unvollständiges Lernen ist.

Kernproblem, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Frage nach der Wirksamkeit von Fortbildungsmaßnahmen: Welche Wirkung hat Fortbildung? Mit Hilfe welcher Kriterien läßt sich der Erfolg von Fortbildung charakterisieren bzw. messen? Sind mittel- oder langfristige Erfolge der ärztlichen Fortbildung überhaupt zu quantifizieren?

Bei der Auswahl einer Evaluationsmethode muß beachtet werden, daß sie eine praktische Bedeutung vor allem für Lehrende, Lernende, Organisatoren von Fortbildungen und Zertifizierungseinrichtungen hat. Das bedeutet u. a., daß die Resultate eines Tests problemorientiert, verständlich und zeitgerecht an Lernende und Lehrende vermittelt werden. Nur so werden sie Einfluß auf das Verhalten der Examinierten und ihrer Lehrer haben können. Die Notwendigkeit von Evaluation wird nicht einsichtig, wenn die bei einem Test erhobenen Daten in Datenfriedhöfen auf Nimmerwiedersehen beerdigt werden.

Die Gefahr hierzu besteht immer dann, wenn Evaluation im Namen der Fortbildung nur als Alibi oder zum Zweck einer Zertifizierung erfolgt, nicht aber mit dem Ziel, durch Rückkopplung eine Beeinflussung des Verhaltens zu bewirken.

Effizientes Lernen sollte durch eine sinnvolle Evaluationsmethode unterstützt werden. Sie sollte dem Arzt helfen, seinen Lernbedarf problemorientiert einzuschätzen. Ein solches Instrument läßt dem Fortbildungswilligen die Wahlfreiheit der Fortbildungsmethode.

Mit dem Fortbildungsnachweis wird die Möglichkeit geschaffen, auf freiwilliger Basis die Teilnahme an anerkannten Fortbildungsmaßnahmen zu dokumentieren. Daneben soll auch gegenüber Dritten dokumentiert werden, in welchem Umfang allein dieser "zertifizierbare" Teil der ärztlichen Fortbildung in Anspruch genommen worden ist.

Die besten Erfolge von ärztlichen Fortbildungsmaßnahmen sind dann zu erwarten, wenn sie praxisrelevant sind, die persönlichen Bedürfnisse und Erfahrungen des Lernenden berücksichtigen und interaktiv sind sowie den Lernenden befähigen, eigene Entscheidungen zu fällen, und wenn sie zu weiterem Studium führen.

Geeignete Fortbildungsmethoden sind das Selbststudium, interaktive Fortbildungsveranstaltungen - kontinuierliche berufsbegleitende Gruppen (Fortbildungs-, Qualitätszirkel, patientenzentrierte Selbsterfahrungsgruppen) und themenbezogene Gruppen (Übungskurse/Praktika, Seminare/Kolloquien, Demonstrationen/Visiten/Hospitationen, Vorlesungen) -, regelmäßige regionale Konferenzen der Ärzte aus Klinik und Praxis zum Erfahrungsaustausch über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und zur kritischen Diskussion gemeinsamer Patientenbehandlung sowie Kongresse, Fortbildungsveranstaltungen der Ärztekammern, Berufsverbände, wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Ärztevereine.

Auch die Fortbildung, meine Damen und Herren, bedarf einer ständigen Qualitätssicherung durch Berücksichtigung folgender Kriterien:

Bedeutung der Fortbildungsinhalte: Die Lehrinhalte einer Fortbildungsmaßnahme müssen mit dem allgemein akzeptierten Stand der Wissenschaft übereinstimmen.

Qualität der Fortbildungsmethode: Die Form der Durchführung einer Fortbildungsmaßnahme muß dem allgemeinen Stand bezüglich Didaktik und Organisation entsprechen.

Überprüfbarkeit des Fortbildungserfolgs: Die Kontrolle des Fortbildungserfolgs muß möglich sein im Sinne einer Selbstkontrolle.

Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen.

Angesichts deutlicher Signale aus der Politik - u. a. durch die Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Medizinalbeamten des Bundes und der Länder -, die ärztliche Fortbildung neu zu strukturieren und zu qualifizieren, steht die Selbstverwaltung unter Handlungszwang: Gelingt es ihr, mit eigenen Mitteln und Instrumenten - vor allem unter Einbeziehung des ärztlichen Sachverstands - die zweifelsohne bestehenden Defizite in diesem Bereich selbst zu beheben, oder nimmt die Politik eigene Regelungskompetenzen in Richtung Qualitätskontrolle wahr?

Fortbildung wird zwar vorgehalten; der Output von Fortbildungsinhalten - insbesondere in der Realisierung - ist bislang nur in einigen Fällen meß- und objektivierbar.

Aber auch eine Bewertung der Fortbildungsinhalte und vor allem der Qualität der Fortbilder selbst wird gefordert.

Erlauben Sie mir jetzt, meine Damen und Herren, zur allgemeinen Orientierung einen Blick zu unseren europäischen Nachbarn. In Frankreich und in den Niederlanden werden fachärztliche Qualifikationen in regelmäßigen Abständen rezertifiziert. Dies gilt für die Schweiz ab dem Jahr 2000. Grundlage für die Zertifizierung sind in der Regel Fortbildungsnachweise. In Polen und Tschechien können alternativ Kolloquien abgehalten werden, wobei in diesen Ländern auch Tätigkeitsnachweise verlangt werden.

Bei der Verstaatlichung des Gesundheitswesens in Norwegen wurden den Kolleginnen und Kollegen jährlich großzügige Mittel für Fortbildungsmaßnahmen eingeräumt. Die Summen wurden jedoch in der Zwischenzeit radikal gekürzt.

In Belgien erhalten niedergelassene Ärzte, die im zweijährigen Rhythmus Fortbildung in einem definierten Umfang nachweisen, auf Grund vertraglicher Vereinbarungen bessere Vergütungen durch die Krankenkasse.

Österreich hat sich für ein Fortbildungsdiplom entschieden, das als Nachweis der Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen in den Praxisräumen ausgehängt werden darf.

In Großbritannien haben die Colleges, also die Fachgesellschaften, Rezertifizierungsmaßnahmen eingeführt. Allerdings sind in Großbritannien fachärztliche Titel nicht geschützt. Als Qualitätsmerkmal gilt die Mitgliedschaft bei den Colleges bzw. aus gesetzlicher Sicht die Eintragung in das Fach-
arztregister beim General Medical Council. Bei letzterem gibt es allerdings keine Rezertifizierungsmaßnahmen.

Auch bei uns, meine Damen und Herren, haben sich einige Ärztekammern für die Durchführung von Modellprojekten zur Einführung einer freiwilligen Zertifizierung von Fortbildungsaktivitäten ausgesprochen:

Die Landesärztekammer Thüringen hat anläßlich der Ärztewoche Thüringen in diesem Jahr das erste Fortbildungsdiplom ausgehändigt. Vorausgegangen war der Nachweis über den Besuch von 100 Fortbildungsstunden in einem Zeitraum von drei Jahren.

Die bayerische Landesärztekammer hat in diesem Jahr ein "Modellprojekt Fortbildungszertifikat" über einen Zeitraum von zwei Jahren gestartet.

Die Landesärztekammern Niedersachsen und Sachsen-Anhalt folgen in diesem Jahr mit ähnlichen Modellprojekten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach den Vorstellungen des Deutschen Senats für ärztliche Fortbildung sollen diese Maßnahmen begleitet und ausgewertet werden. Die daraus gewonnenen Erfahrungen bilden eine sachgerechte, problemorientierte Entscheidungsgrundlage für allgemeinverbindliche, weiterreichende Zertifizierungsmaßnahmen, wobei Sinn und Zweck der Zertifikate fortlaufend reflektiert werden sollten.

Auch wenn berufsbegleitende Fortbildung für die Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland einen selbstverständlichen Bestandteil ihrer beruflichen Tätigkeit darstellt, werden wir die immer dringender werdende Forderung nach zertifizierter Fortbildung auf Dauer nicht zurückweisen können.

Die eigenständige Gestaltung einer modernen Fortbildung durch die verfaßte Ärzteschaft bietet die beste Gewähr für die Abwehr gesetzlicher und administrativer Reglementierung.

 

Vielen Dank.

(Beifall)