Arbeitstagungen des Plenums

1. Tag: Mittwoch, 2. Juni 1999

Diskussionsverlauf - Nachmittagssitzung

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir sind von einigen Delegierten gebeten worden, einen besseren Zugang zum Rednerpult zu schaffen oder eine Beleuchtung zu installieren. Das ist, wie uns die Messeleitung sagte, leider nicht möglich. Die Stufen sind zwar schwarz-gelb abgeklebt - das ist gegenüber gestern, als es nur schwarz abgeklebt war, schon ein Fortschritt -, aber dennoch nicht besonders gut zu erkennen. Darüber hinaus sind die Stufen unterschiedlich hoch. Wenn Sie das Podium betreten - noch schlimmer ist es, wenn Sie das Podium wieder verlassen -, besteht die Gefahr des Stolperns. Achten Sie also bitte darauf, daß nichts passiert. Eine Änderung ist leider nicht möglich; wir haben uns darum bemüht.

Ich möchte Sie über eine Pressemitteilung der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen informieren. Diese Pressemitteilung trägt die Überschrift: "Rückkehr zur sachlichen Auseinandersetzung im Sinne der Patienten notwendig". Der Text der Pressemitteilung lautet folgendermaßen:

Anläßlich des Ärztekongresses in Cottbus erklärt die gesundheitspolitische Sprecherin Katrin Göring-Eckardt:

Mit der bevorstehenden Neuwahl des Ärztepräsidenten wird hoffentlich die Rückkehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung möglich sein. Der kritische Dialog mit den Leistungserbringern auf der einen und den Kostenträgern auf der anderen Seite wird fortgesetzt werden. Niemand wird sich sachlichen Argumenten verschließen. Verunsicherungskampagnen auf Kosten der Patientinnen und Patienten und häßliche Verbalattacken sollten jedoch endlich ein Ende haben.

Bei allen Bemühungen dabei, für die Beteiligten zu annehmbaren Lösungen zu kommen, muß das Interesse der Patientinnen und Patienten zentrales Anliegen bleiben. So stehen weder die Erweiterung der Patientenrechte noch die stärkere Betonung von Gesundheitsförderung, Vorsorge und Selbsthilfe zur Disposition. Auch die Stärkung der Rolle des Hausarztes als Lotse im System und Partner der Patientinnen und Patienten muß im Interesse von mehr Selbstbestimmung und auch Eigenverantwortung gewährleistet sein.

Im übrigen kommt es darauf an, im Interesse der Versicherten und der kommenden Generation heute die Weichen dafür zu stellen, daß das System auch zukunftsfähig ist. In diesen Anliegen wissen sich Bündnis 90/Die Grünen einig mit den meisten Ärztinnen und Ärzten und anderen im Gesundheitswesen Tätigen, die ihre Arbeit am Wohl der Patienten ausrichten wollen und die mit gut informierten Patientinnen und Patienten partnerschaftlich zusammenarbeiten und nicht bevormundend agieren wollen.

Soweit diese Pressemitteilung der Grünen; nur zu Ihrer Information. Ich kann nur feststellen: Wir waren stets dialogbereit. Es scheiterte leider an der mangelnde Dialogfähigkeit auf der anderen Seite.

(Beifall)

Die Behauptung, daß nunmehr erstmals der Patient im Mittelpunkt stünde, die neulich aufgestellt wurde, habe ich schon auf dem Kassenärztetag energisch zurückgewiesen. Unsere Bemühungen haben sich stets am Patientenwohl und am Versorgungsbedarf des Patienten orientiert.

(Beifall)

Wir fahren in der Beratung über die gemeinsame Selbstverwaltung fort. Es liegen noch einige Wortmeldungen dazu vor. Als nächster Redner hat Herr Hoppe das Wort. Bitte, Herr Hoppe.

Prof. Dr. Hoppe, Vizepräsident:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Punkt betrifft natürlich besonders stark die Struktur der Ärzteschaft, was sich sekundär auf die Qualität der Patientenversorgung auswirkt. Wir sind selber der Auffassung, daß hier einiges sicher neu zu organisieren ist. Aber manches muß auch verteidigt werden.

Die Bundesregierung nimmt, wie Sie wissen, nicht nur mit Bordmitteln Einfluß auf die Gestaltung ihrer Gesetze, sondern auch durch externe Berater. Nachdem zunächst erklärt wurde, diese externe Beratung sei eigentlich gar nicht von so besonderer Bedeutung, jeder könne die Bundesregierung extern beraten - offenbar mit unterschiedlicher Intensität -, haben wir uns darum gekümmert, was die externen Berater im einzelnen vorgeschlagen haben. Zunächst gab es einen ganz klaren Zeitablauf für die Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen. Es folgte eine neue Formulierung, die in etwa so lautet, daß die Organisation, die wir jetzt Kassenärztliche Vereinigung nennen, geöffnet werden soll für Institutionen, für sogenannte integrierte Anbieter, für Netze, für Krankenhäuser und für andere im Gesundheitswesen tätige Berufsgruppen. Dann soll diese Organisation nicht mehr "Kassenärztliche Vereinigung" heißen, sondern sie soll irgendeine Einrichtung der Versorger im Gesundheitswesen sein.

Bezüglich des Sicherstellungsauftrags müsse untersucht werden, ob dieser nicht im Sinne eines ambulant/stationär übergreifenden Vertragsmodells neu definiert und - jetzt kommt das entscheidende Wort - in die Obhut einer Regulierungsbehörde übergeben werden müsse. Der Schlußsatz lautete: "Für die erste Stufe empfehlen wir keine Änderung des Sicherstellungsauftrags."

Wenn man das Revue passieren läßt, kann man sagen: Wir befinden uns erst am Anfang des ganzen Unternehmens. Das, was Frau Ministerin Fischer gestern bei der Eröffnungsveranstaltung sagte, ist nur der vorläufige Stand per 1. Januar 2000. Danach geht alles weiter.

Ich glaube, es ist schlecht, wenn wir aus unseren eigenen Reihen destruktive Vorschläge machen, was diese Organisationsstruktur angeht. Es wäre besser, wir würden gemeinsam versuchen, das, was wir ererbt haben und was wir weiterentwickeln müssen, in Richtung der selbstverwaltungskörperschaftlichen Struktur zu entwickeln und dafür konkrete Pläne anzubieten, damit wir nicht durch Mängel anderen die Argumente für solche Ratschläge an die Hand geben, die möglicherweise dann auch noch befolgt werden.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Vielen Dank, Herr Hoppe. Als nächster Redner bitte Herr Hammer, Nordrhein.

Dr. Hammer, Nordrhein:

Ich glaube, daß mein Beitrag genau zu Ihren Ausführungen paßt, Herr Professor Hoppe. Wir mußten und müssen hinnehmen, daß der Referentenentwurf weitgehend im Sinne der Krankenkassen, die ja auch Einfluß darauf genommen haben, ausgefallen ist. Ich möchte Sie darüber informieren, daß wir bezüglich der angekündigten Änderung unserer Organisationsstruktur, der Selbstverwaltung, eventuell Hilfe durch die Krankenkassen erhalten könnten. Ich habe anläßlich der jüngsten Sitzung des Länderausschusses in einem Gespräch nach der Sitzung mit Herrn Ahrens, dem Vorsitzenden des AOK-Bundesverbands, und Herrn Rebscher, dem Vorstandsvorsitzenden des Verbands der Angestellten-Krankenkassen, über die angekündigte Organisationsstruktur gesprochen. Sie haben uns Hilfe zugesagt. Ich habe gefragt: Haben Sie kein Verständnis dafür, daß die Organisationsstruktur der Ärzte überhaupt nicht mit jener der Krankenkassen zu vergleichen ist? Wollen die Krankenkassen uns gegenüber der Politik nicht helfen hinsichtlich der Erhaltung unserer Organisationsstruktur? Sowohl Herr Ahrens als auch Herr Rebscher haben Verständnis dafür gezeigt, daß wir selber Vorschläge machen wollen und nicht etwas aufs Auge gedrückt bekommen wollen.

Die Vertreterversammlung wollen wir durchaus verkleinern. Es soll aber nicht eine derartige Dezimierung der Hauptamtlichen stattfinden. Wenn nachher bei den wenigen Hauptamtlichen Herr Seyfarth und Herr Dietrich herauskommen, dann weiß ich nicht, wie die Versorgung unserer Patienten aussieht.

Die Vertreter der Krankenkassen haben versprochen - Sie können das überall weiterverwenden -, sich mit ihrem Einfluß auf die Politik, den sie zugegeben haben, dafür einzusetzen, daß man auf unsere Vorschläge wartet. Im übrigen kann ich nur sagen: Unsere Verbandsstruktur könnte der Politik doch so egal sein, da die Politik wahrscheinlich sowieso mit uns macht, was sie will.

Danke.

(Zustimmung)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke. Als nächster Redner bitte Herr Holfelder, Hessen.

Dr. Holfelder, Hessen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich der Rechtsabteilung von KBV und Bundesärztekammer dafür danken, daß sie den Gesetzentwurf für uns überhaupt erst lesbar gemacht hat. Die Synopse hat die Änderungen etwas verständlicher gemacht.

Herr Schirmer hat vorhin darauf verwiesen, daß der Begriff des Selbstverwaltungsorgans ersetzt wird durch den Verwaltungsrat als Selbstverwaltungsorgan und den Vorstand. Man will also eine Trennung vornehmen. Was bezweckt man damit? Es wird ein gewisser Etikettenschwindel sichtbar, wenn es auf der einen Seite heißt, zum Minderheitenschutz soll das Verhältniswahlrecht eingeführt werden, während andererseits in der Begründung steht: In den verkleinerten Verwaltungsräten werden nur die maßgeblichen Interessengruppen vertreten. Was sind "maßgebliche Interessengruppen"? Derzeit steht im Gesetz, daß in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung eine KV mit mindestens einem Vertreter repräsentiert sein muß. Bei 60 Vertretern in der Vertreterversammlung wird das unter der Überschrift "maßgebliche Gruppen" gar nicht mehr möglich sein.

Ich habe diese Frage auch bei Besprechungen mit der grünen Politikerin Katrin Göring-Eckardt angesprochen. Da hieß es: So genau wollen wir das mit dem Verhältniswahlrecht nicht haben. Das ist also eine Auslegungsfrage.

In der Begründung hinsichtlich der Abschaffung der außerordentlichen Mitglieder steht der merkwürdige Satz, daß für die außerordentlichen Mitglieder kein Platz mehr ist, weil die Verwaltungsräte verkleinert werden. Natürlich kann man auf dem Standpunkt stehen: Die älteren außerordentlichen Mitglieder bringen vielleicht ein bißchen Erfahrung mit, aber ansonsten sind sie unnötig. Ich stehe auf dem Standpunkt: Gerade die jüngeren außerordentlichen Mitglieder, die später in dieses System hinein sollen, sollten die Möglichkeit erhalten, ein eingehendes Mitspracherecht hinsichtlich ihrer Zukunft zu haben.

(Beifall)

Wir sollten uns bei all diesen Überlegungen immer vor Augen halten, es ist ganz wichtig, daß man, wie mir neulich jemand von einer der Regierungsparteien sagte, die Wahlprogramme und die Parteiprogramme voneinander unterscheidet. Im Parteiprogramm der Grünen steht expressis verbis, daß es eine Einheitsversicherung geben soll. Die ersten Schritte dazu sehen wir jetzt. Die Einheitsversicherung soll naturgemäß nicht nur die GKV, sondern auch die PKV enthalten. Man sollte sich überlegen, inwieweit vielleicht die GKV zu unserem Verbündeten gemacht werden kann, wenn Herr Rebscher und Herr Ahrens, die uns große Versprechungen machen, eines Tages um ihren Posten bangen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Holfelder. Als nächster Redner bitte Herr Brandstädter vom Vorstand.

Prof. Dr. Brandstädter, Vizepräsident:

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen der öffentlichen Diskussion über die Strukturreform und fortgesetzt in der heutigen Diskussion geht es in erster Linie um die Globalbudgets und die Sicherung der Arbeitsplätze; an zweiter Stelle der Tagesordnung steht die Selbstverwaltung. Ich bitte Sie, im Denken diese Reihenfolge nicht mit der Rangfolge der Probleme gleichzusetzen. Für mich steht die Erhaltung der Selbstverwaltung an allererster Stelle.

(Beifall)

Hieran darf überhaupt nicht gerüttelt werden. Mit einer starken verfaßten Ärzteschaft werden die anderen Probleme vielleicht gelöst werden. Wir dürfen an dieser Selbstverwaltung nicht knabbern lassen.

Die neuen Bundesländer haben mit dem Beitritt der DDR die Strukturen des Gesundheitswesens der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Man kann im nachhinein über dieses und jenes diskutieren - Polikliniken, Gemeinschaftspraxen -, aber über eines kann man nicht sprechen: die ärztliche Selbstverwaltung, die wir aufgebaut haben. Da gibt es keine Fusion, da gibt es keinen Mittelweg mit staatlich-dirigistisch gelenkten Ärzten. Dies ist vorbei, und dies wollen wir noch nicht einmal im Ansatz wiederhaben.

(Beifall)

Sind wir vielleicht besonders sensibel? Ich muß aus meiner Sicht einen kleinen Wermutstropfen in den Wein schütten. Wir haben in den neuen Ländern bei den Kammerwahlen eine stetig zurückgehende Wahlbeteiligung zu verzeichnen. Sie ist pro Jahr und Wahl um annähernd 10 Prozent zurückgegangen. Zu Zeiten der Wende betrug sie etwa 67 Prozent, später nur noch 57 und 42 Prozent. Wir sollten, wenn wir über eine Stärkung der Selbstverwaltung sprechen, eine Wahlbeteiligung von über 50 Prozent nachweisen können.

Wer eine pluralistisch und demokratisch verfaßte Gesellschaftsordnung wie die unsrige haben will, darf die ärztliche Selbstverwaltung überhaupt nicht in Zweifel ziehen und aushöhlen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Brandstädter, für diese klaren Worte. Als nächster Redner bitte Herr Schilling, Berlin.

Dr. Schilling, Berlin:

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieses Kapitel ist überschrieben: Stärkung der gemeinsamen Selbstverwaltung. Das bedeutet: hauptamtlicher Vorstand und hauptamtlicher Verwaltungsrat. Wer von uns wünscht sich nicht eine starke gemeinsame Selbstverwaltung? Gerade wir Vertragsärzte können nicht davon sprechen, daß die Selbstverwaltung, die unsere Interessen vertreten soll, in der Vergangenheit besonders stark gewesen ist. In der Vergangenheit hat sich die Selbstverwaltung doch wohl eher als willfähriger Erfüllungsgehilfe der staatlichen Gesundheitspolitik erwiesen.

(Widerspruch)

- Das muß man sagen dürfen. Von daher meine ich: Stärkung und Professionalität - ja. Es kann aber nicht sein, daß wir Ärzte einer Riege von hauptamtlichen Geschäftsführern und Abteilungsleitern das Feld überlassen. Diesen großzügig honorierten hauptamtlichen Abteilungsleitern und Geschäftsführern ist das Wohlergehen der Ärzteschaft so egal wie uns das Wohlergehen der rot-grünen Koalition.

(Zustimmung)

Vor diesem Hintergrund plädiere ich allerdings für eine Professionalisierung der Ärzteschaft. Darunter verstehe ich Interessenvertretung, dauerhafte und über Partikularinteressen erhabene, auf hohem geistigen Niveau stehende Interessenvertretung der Ärzteschaft. Das würde mir für eine Professionalisierung schon genügen. Dafür trete ich ein.

Ich habe die Hoffnung, daß dieser Ärztetag die letzte Chance ergreift, um dies zu vollbringen. Wenn er es nicht schafft, hat er seine letzte Chance vertan.

Ich danke.

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Schilling. Als nächster Redner bitte Herr Busch, Westfalen-Lippe.

Dr. Busch, Westfalen-Lippe:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Fischer ist angetreten, eines der Grundprinzipien unserer Ärzteschaft, nämlich die verfaßte Ärzteschaft, die Selbstverwaltung, zu zerschlagen. Man fragt sich: warum? Es wird gesagt: Die Selbstverwaltung hat Fehler gemacht. Natürlich hat sie Fehler gemacht. Ich bin der letzte, der sagen würde, alles sei hervorragend gewesen, was geleistet wurde.

Die Selbstverwaltung hat es aber geschafft, in einer Situation des Mangels das System nicht zusammenbrechen zu lassen. Sie hat sich bewährt. Natürlich gab es Fehler. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir in der Selbstverwaltung in der Lage sind, Fehler zu erkennen und Fehler auszubessern und das System dort, wo es notwendig ist, zu reformieren.

Aber ich lasse mir doch ein Grundrecht, das von den Grünen allen anderen Bevölkerungsgruppen zugestanden wird - man fordert Selbstbestimmung, Basisdemokratie, Bürgerinitiativen -, nicht nur deshalb nehmen, weil ich Arzt bin und nicht jene Politik mitmache, die man gern betreiben möchte. Frau Fischer möchte die Selbstverwaltung zerschlagen, weil sie Angst vor der Sachkompetenz der Selbstverwaltung hat. Dagegen müssen wir uns wehren.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke sehr. Als nächster Redner bitte Herr Rudat, Thüringen.

Dr. Rudat, Thüringen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich kurz Herrn Schilling antworten. Herr Schilling, die Selbstverwaltung - und genau deshalb kämpfen wir für den Erhalt der Selbstverwaltung - funktioniert über Mehrheiten. Es ist natürlich schick, immer wieder zu sagen: Die KV hat versagt. Aber kaum jemand relativiert dabei, daß die KV aus der Gesamtheit der Vertragsärzte besteht. Das Beschaffen von Mehrheiten für bestimmte Sachthemen oder berufspolitische Entwicklungen ist das eigentliche Problem.

Ich freue mich, daß Sie dann doch noch die Kurve gekriegt und gesagt haben: Die Selbstverwaltung in ihren urdemokratischen Strukturen ist erhaltenswert. Genau das muß man unterstützen.

Ich möchte auf einen Punkt zu sprechen kommen, der zu meiner Überraschung bisher noch nicht dezidiert angesprochen wurde. Wir beklagen zu Recht die Organisationsreform. Genauso gefährlich, vielleicht sogar noch gefährlicher, weil es ein schleichender Prozeß ist, denn es handelt sich nicht um einen Frontalangriff des Gesetzgebers wie bei der Organisationsreform, ist das, was der Gesetzgeber wieder einmal sehr positiv als Integrationsversorgung bezeichnet. Das ist sozusagen die schleichende Infektion. Das ist Sand im Getriebe mit dem Ergebnis, daß das Getriebe irgendwann nicht mehr funktionieren wird.

Das Problem besteht darin, daß die Integrationsversorgung und auch die Modellversuche als zunächst sinnvolle kreative Ideen angelegt sind, aber innerhalb des Budgets sind sie der Tod des Systems. Wenn man außerhalb des Budgets mit extrabudgetären Mitteln bei den Krankenkassen ausbudgetiert für neue Modellversuche, für neue kreative Ideen - Stichwort: Praxisvernetzun-
gen -, dann sind das gute und bedenkenswerte Ideen, die man unbedingt auf der Verhandlungsebene verwirklichen sollte. Aber die Integrationsversorgung innerhalb des Budgets frißt den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen, der immer nur ein gesamthafter sein kann, von innen auf, vergleichbar mit Darmparasiten, die sich ganz munter vermehren.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Vielen Dank, Herr Rudat. Als nächster Redner bitte Herr Kossow, Niedersachsen.

Prof. Dr. Kossow, Niedersachsen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es nicht angebracht, wenn eine Grundsatzdiskussion über die Selbstverwaltung im allgemeinen und über die ärztliche Selbstverwaltung im besonderen an einem Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform 2000 festgemacht wird. Die Gesundheitsreform 2000 befaßt sich mit einer Reform des SGB V und des Kassenarztrechts. Hier handelt es sich um eine Selbstverwaltung von Staats wegen, die längst staatsnah geführt wird. Denken Sie beispielsweise daran, daß die gesamte Bedarfsplanung, daß das gesamte Richtlinienwesen und andere Bereiche durch Krankenkassen und Ärzte gemeinsam durch den Bundesausschuß Ärzte/Krankenkassen organisiert werden, daß hier längst, vom Staat mit beeinflußt, das Schiedsamtwesen und ein enger gesetzlicher Rahmen vorhanden sind.

Dieser gesetzliche Rahmen ist seit Herrn Ehrenberg so eng geworden, daß die Vertretung der ärztlichen Interessen oder auch eine hinreichende Nutzung ärztlicher Erfahrungsräume in der Selbstverwaltung nach dem SGB V ohnehin schon nicht mehr möglich ist.

Ganz anders sieht es mit der Kammer aus. Hier handelt es sich um eine Selbstverwaltung, die ausschließlich ärztlich ist, ohne die Krankenkassen, im Auftrag des Landesgesetzgebers, die auch wesentlich konkreter in bezug auf die Behandlungsaufträge für die Ärzte ist.

Ich bitte Sie, dieses nicht zu vermischen. Die Selbstverwaltung kraft Landesrecht in den Ärztekammern ist, soweit ich es überblicke, nicht gefährdet, solange die Ärzte auf dem Weg über diese Selbstverwaltung bessere Regelungen finden, als der Staat es je tun könnte.

Die Weiterbildungsreform der letzten Jahre, auch der Einstieg in die fünfjährige Weiterbildung sind ein treffendes Beispiel dafür, daß die Ärztekammern rechtzeitig gesellschaftlichen Notwendigkeiten Rechnung getragen haben und nicht zuletzt dadurch den Fortbestand der ärztlichen Selbstverwaltung für die Zukunft abgesichert haben.

Ganz anders sieht es im vertragsärztlichen Sektor aus. Dort besteht gar nicht mehr die Möglichkeit, den vielfältigen und ungeordneten Erwartungen und Handlungsaufträgen aller möglichen gesellschaftlichen Kräfte, die in kurzen Zeitabständen neue Parlamente und Regierungen wählen, Rechnung zu tragen.

Es ist gerade aus diesem Grunde sehr wichtig, daß man zusätzlich zur Selbstverwaltung nach dem Sozialrecht die ärztliche Interessenvertretung verstärkt, wenn es nicht möglich ist, im Rahmen der Selbstverwaltung eine ausreichende ärztliche Interessenvertretung zu betreiben. Der Marburger Bund hat sich am 2. Kassenärztetag nicht beteiligt. Etwas in Richtung der Relativierung, die wir seit Jahrzehnten vom Marburger Bund gewohnt sind, hat sich nun im Rahmen der vertragsärztlichen Selbstverwaltung auch der BDA erlaubt.

Vielen Dank.

(Zustimmung - Vereinzelt Widerspruch)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke. Als nächster Redner bitte Herr Koch, Baden-Württemberg.

Dr. Koch, Baden-Württemberg:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbstverwaltung üben wir seit 50 Jahren aus, und zwar ohne dafür eine einzige Mark vom Staat bekommen zu haben. Das zahlen wir ausschließlich aus unserer Kasse. Dieses wollen wir uns nicht nehmen lassen. Einer meiner Vorredner sagte, es fehle an Professionalität. Das liegt an der Geschäftsführung der KVen. Ich bin in der glücklichen Lage, Mitglied einer KV zu sein, die eine exzellente Geschäftsführung hat. Wenn dann noch der Vorstand mit der Geschäftsführung in idealer Weise zusammenarbeitet, dann kann es für uns Ärzte nichts Besseres als genau dieses System geben. Das ist vom Staat nicht zu leisten. Deswegen müssen wir uns entschieden gegen diese Veränderung wehren.

Ich darf einen Blick in die Historie werfen. Ich glaube, es war in den 50er Jahren, als die deutsche Ärzteschaft vor derselben Problematik wie heute stand. Damals gab es die Blankschen Reformgesetze. Es war das historische Verdienst unter anderem von Herrn Professor Häußler, daß es gelungen ist, bei Adenauer einen Gesprächstermin zu bekommen. Man hat damals erreicht, daß die Blankschen Reformen kein Gesetz wurden.

Laßt uns Taten sehen, meine Damen und Herren! Wir müssen ähnliches erreichen, dann geht es uns auch wieder besser.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke. Damals waren auch die Kammern beteiligt. So einfach ist das heute doch nicht mehr. Trotz aller Versuche von Herrn Schorre und mir ist es noch nicht zu einem Termin beim Bundeskanzler gekommen.

Das war die letzte Wortmeldung zu diesem Komplex. Über die Anträge werden wir nachher abstimmen. Jetzt kommen wir zu der Thematik: freie Arztwahl darf nicht gefährdet werden. Herr Schirmer wird uns wieder in die Problematik einführen. Bitte, Herr Schirmer.

Schirmer, Justitiar der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter diesem Stichwort aus dem Leitantrag 2 soll wegen der systematisch-thematischen Zugehörigkeit das Problem Hausarzt/Facharzt und Bedarfsplanung angesprochen werden. Die Regelungen zu diesem Problem befinden sich im Entwurf an verschiedenen Stellen. Sie sind auch zusammen zu betrachten, weil über die Bedarfsplanung Veränderungen in der Struktur der hausärztlichen Versorgung vorgenommen werden sollen. Es geht im wesentlichen um § 73 - das ist die Grundvorschrift über die hausärztliche/fachärztliche Versorgung - und um die §§ 101 bis 103, also die Vorschriften, die im SGB V die Zulassungsbeschränkungen auf der Grundlage der Bedarfsplanung regeln. Ferner geht es um die §§ 87 und 87 a; das betrifft die Vorschriften über die Vergütung und den EBM, für den der Referentenentwurf ebenfalls Veränderungen mit Blick auf die Thematik hausärztliche/fachärztliche Versorgung vorsieht.

Die politische Intention ist in der Begründung und in der allgemeinen Zielsetzung des Entwurfs dargelegt. Es soll um eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung gehen.

Wie sieht das in den Einzelelementen aus? Was die Struktur angeht, so wird eine Umstrukturierung der hausärztlichen Versorgung durch die langfristige Monopolisierung dieser Tätigkeit bei den Fachärzten für Allgemeinmedizin vorgeschrieben. Dieses geschieht nicht von heute auf morgen, sondern durch eine langfristige Umstellung. Die Schritte dazu sind folgende. Die Internisten, die an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen oder nicht teilnehmen, haben eine einmalige Chance, sich zu entscheiden. Es wird eine planungsrechtliche Zusammenfassung der Arztgruppe der Hausärzte als Grundlage für die Bedarfs-
planung und die Bemessung von Verhältniszahlen, aus denen man eine Überversorgung ableitet, geschaffen. In den Fällen, in denen ein Planungsbereich hausärztlich überversorgt ist, kann die Nachfolge bei einem freiwerdenden Arztsitz, die auf Grund § 103 - Eigentumsschutz des Praxiswertes - möglich bleibt, vorrangig nur durch einen Facharzt für Allgemeinmedizin erfolgen. Ein Facharzt für Innere Medizin kann einen solchen Arztsitz nur dann übernehmen, wenn dafür ein Facharzt für Allgemeinmedizin nicht zu finden ist.

Hinzuweisen ist auch auf die sektorübergreifende Integrationsversorgung, bei der die unmittelbare Bedingung ist, daß daran Hausärzte teilnehmen müssen. Das würde sich auf die Verbindung zu den Krankenkassen durch Einzelverträge beziehen.

Was den Status betrifft, so kann man sagen: Der Hausarzt wird auf Grund von Vorschriften, welche die Dokumentation der Behandlungsdaten auch bei den anderen Ärzten, Fachärzten und anderen Leistungserbringern betreffen, in die Lage versetzt, alle Behandlungsdaten bei sich zu sammeln. Er wird also zu einem Dokumentationszentrum, was durchaus sachlichen Erfordernissen entspricht. Deshalb werden die Versicherten verpflichtet, Ärzten, die sie neben dem Hausarzt behandeln, ihren Hausarzt zu benennen.

Ein Wort zur Stellung des Versicherten. Die Arztwahl formal bleibt erhalten. Es gibt also keine Regelung, aus der man ableiten könnte, daß Versicherte gezwungen werden, einen Hausarzt zu wählen. Gleichwohl gibt es verschiedene Regelungen, welche die Versicherten motivieren sollen, sich zuerst in die hausärztliche Versorgung zu begeben. Da ist zum einen die Bonusregelung zu erwähnen, welche die Krankenkassen entwickeln dürfen. Das steht in § 65 b des Entwurfs. Diese Bonusregelung ermöglicht es, den Versicherten eine Vergünstigung hinsichtlich der Beiträge zu gewähren, wenn sie sich verpflichten, über einen bestimmten Zeitraum zuerst die hausärztliche Versorgung in Anspruch zu nehmen, und nur über den Hausarzt die fachärztliche Versorgung möglich sein soll.

An dieser Regelung fällt auf, daß die Krankenkassen selbst ohne Zusammenwirken beispielsweise mit der Kassenärztlichen Vereinigung sollen bestimmen können, in welchen Fällen Ausnahmen von dieser Bindung an einen Hausarzt vorgenommen werden können.

Die behandelnden Ärzte sind, wie schon erwähnt, verpflichtet, die Versicherten zu fragen, ob und welchen Hausarzt sie haben. Sie müssen dann mit Einverständnis des Patienten sämtliche Behandlungsdaten an den Hausarzt geben.

Es ist auch darauf hinzuweisen, daß eine Dokumentation der Hausarztwahl in bestimmten Fällen die Voraussetzung dafür ist, daß der Hausarzt bestimmte Leistungen abrechnen darf. Das findet man etwas versteckt in § 87 Abs. 2 a.

Was die Vergütung, auf die man bei dieser Gelegenheit eingehen muß, angeht, so sieht das Gesetz vor, daß es getrennte Gesamtvergütungsanteile für die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung ab dem Jahre 2000 geben soll. Diese Vergütungsanteile sollen grundsätzlich auf der Basis von 1996 bemessen werden. Sie können auch auf ein anderes Jahr bezogen werden, wenn dies günstiger ist. Die Gesamtvergütungen werden durch den Honorarverteilungsmaßstab getrennt verteilt, der gegenüber dem früheren Diskussionsentwurf nicht im Einvernehmen, sondern im Benehmen mit den Krankenkassen festzulegen ist. Die Krankenkassen haben das Recht, die Aufsichtsbehörde um Überprüfung der Honorarverteilungsmaßstäbe mit dem Blick darauf zu bitten, daß die Aufteilung der Vergütungsanteile sachgerecht vorgenommen wurde.

Die Vorgaben für die Kriterien, nach denen man die Gesamtvergütung für die gesamte ambulante Versorgung sachgerecht in einen Anteil für Hausärzte und einen Anteil für Fachärzte aufteilt - dies ist ja mit verschiedenen Problemen verbunden, auch hinsichtlich der Dynamik der Entwicklung -, werden auf Bundesebene durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen vereinbart. Wenn sie sich nicht einigen, legt ein Schiedsamt diese Kriterien fest.

Aus all dem ist erkennbar, daß der Gesetzgeber zumindest mit mittelbaren Einwirkungen auf eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung und eine Umstrukturierung hin zu den Fachärzten für Allgemeinmedizin zielen möchte.

Einige ergänzende Worte zur Bedarfsplanung. Vielleicht ist Ihnen erinnerlich, daß es im SGB V eine Vorschrift gibt, die der Gesetzgeber aber nicht weiter realisiert hat, daß zum 1. Januar 1999 von Gesetzes wegen strenge Verhältniszahlen für die Zulassung von Vertragsärzten festgelegt werden sollten, so daß eine weitere Verengung der Niederlassungsmöglichkeiten bewirkt wurde. Davon hat der Gesetzgeber in der vergangenen Legislaturperiode keinen Gebrauch gemacht. Der damalige Bundesminister hat dazu öffentlich mitgeteilt, daß er diese Vorschrift nicht vollzieht.

Im Referentenentwurf wird das Jahr 1999 durch das Jahr 2003 ersetzt. Es soll also ab 2003 eine gesetzlich normierte Bedarfszulassung geben, wobei sich der Bundesminister für Gesundheit eines wissenschaftlichen Instituts bedienen will, das entsprechende Datengrundlagen schafft. Das steht in § 102.

Um den Einstieg dorthin zu planieren, wird die Dynamik der jetzigen Verhältniszahlen abgeschafft. Sie wissen, daß heute die Bedarfszulassung keine absoluten Sperren enthält, sondern sie ist darauf angelegt, daß immer in einer bestimmten Weise in Deutschland Niederlassungsmöglichkeiten bestehen sollen. Das ist eine Vorschrift, die etwas versteckt in § 103 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB V zu finden ist. Im Referentenentwurf finden Sie - auch etwas versteckt - eine Streichung dieser Nr. 3. Sonst steht da nichts. Das ist die Verfestigung der jetzigen Verhältniszahlen. Es gibt also keine Möglichkeit mehr für den Bundesausschuß, daß er dann, wenn bundesweit eine Niederlassungsmöglichkeit für eine bestimmte Fachgruppe nicht mehr besteht, die Verhältniszahlen anpaßt, sondern der Entwurf sieht vor, daß die jetzigen, vom Bundesausschuß bestimmten Verhältniszahlen versteinert werden, um dann im Jahre 2003 möglicherweise noch engere Bedingungen für die Niederlassungsmöglichkeit zu schaffen.

Nicht unbedeutend, sondern eher bedeutsam für die weitere Entwicklung in diesem Felde ist auch die in § 101 Nr. 6 vorgesehene Möglichkeit, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen vorsehen können, daß im Falle der Beendigung einer Vertragsarzttätigkeit, die ja rechtlich die Möglichkeit beinhaltet, daß ein Nachfolger diese Praxis übernimmt, statt der Weiterführung der Praxis durch einen anderen Arzt, der zugelassen werden will, diese Praxis geschlossen wird, indem demjenigen Arzt, der auf seine bisherige Tätigkeit verzichtet, oder im Falle seines Todes den Erben der Verkehrswert dieser Praxis ersetzt wird. Dieser Gesetzentwurf sieht als Voraussetzung für solche Interventionen zur Schließung von Praxen und damit zum Abbau und zur Zurückdrängung der Tätigkeit in der niedergelassenen Praxis vor, daß dies in Fällen geschehen kann, in denen ein lokaler Versorgungsbedarf nicht besteht, weil im Umfeld der Praxis genügend andere Ärzte vorhanden sind, oder in Fällen, in denen der Umfang der auslaufenden Praxistätigkeit erheblich unterdurchschnittlich war. Je nach Handhabung dieses Instruments kann man darin schon eine Möglichkeit des Eingriffs in den Abbau von Niederlassungsmöglichkeiten sehen.

Es ist vorgesehen, daß sich die Krankenkassen zur Hälfte an der Entschädigung des verzichtenden Arztes oder seiner Erben beteiligen müssen.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

 Vielen Dank, Herr Schirmer. Es liegen zu diesem Komplex einige Wortmeldungen vor. Als erster Redner bitte Herr Nick, Rheinland-Pfalz.

Dr. Nick, Rheinland-Pfalz:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin seit 27 Jahren Hausarzt und als solcher der Problematik natürlich sehr verbunden. Ich bin aber auch als stellvertretender KV-Vorsitzender mit den Ängsten der niedergelassenen Fachkollegen der einzelnen Fachgebiete und auch mit den Sorgen der nachwachsenden Ärztegeneration vertraut, die hier eine gewisse Abschottung oder im Rahmen der Bedarfsplanung einen Eingriff in ihre zukünftigen Berufschancen sehen. Man muß, will man Verantwortung für alle Ärzte tragen, das Problem in allen Facetten differenzierend darstellen.

Ich sage dies vorweg, um Ihnen mein Verständnis für diese Gesetzesregelung darzulegen. Hier liegt in der Tat der klassische Fall vor, daß die staatlichen Organe dort eingreifen, wo die Selbstverwaltung dringend anstehende Regelungen nicht selbst treffen kann. Sie wissen, soweit Sie in den Kassenärztlichen Vereinigungen oder in den Vertreterversammlungen tätig sind, daß uns die Problematik Hausarzt/Facharzt schon viele Jahre beschäftigt und untereinander paralysiert hat. Sie kennen das von vielen Voten der Ärztetage. Ich bin froh, daß die Ärzteschaft auf den vorangegangenen Ärztetagen ein klares Votum ausgesprochen hat, daß diese Monopolstellung des Allgemeinarztes ihrem Willen entspricht. Auch der Berufsverband der Internisten hat sich für diese Weichenstellung ausgesprochen. Insofern vollzieht der Gesetzgeber hier nichts anderes als den Wunsch der Ärzteschaft, was diesen Punkt angeht.

Ich bin dankbar dafür, daß sich der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Vorstand des Berufsverbandes der Hausärzte vor diesem Ärztetag auf ein gemeinsames Konsenspapier haben einigen können. Dieses Papier grenzt sehr klar den Gliederungsauftrag und auch die Zuständigkeiten für bestimmte Versorgungsbereiche ab.

Leider hat es Jahre gedauert und bedurfte es des politischen Drucks von außen, um zu gemeinsamen Wegen zu kommen. Ich kann nur hoffen, daß die Ausgestaltung der Regelungen zu einer Befriedung bei allen Beteiligten führt, daß die Kompetenzen klar abgesteckt werden, damit endlich Ruhe bei den innerärztlichen Verteilungskämpfen auf diesem Sektor einkehrt. Daß dies letztlich zur Optimierung und zur Kostenersparnis beitragen wird und kann, zeigen Modelle aus anderen Ländern, zeigt der Privatversicherungstarif der Colonia usw.

Ich darf Sie um eine sehr differenzierte Betrachtung dieser Gesetzesbestimmungen bitten.

(Zustimmung)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Nick. Als nächster Redner bitte Herr Schneider, Mecklenburg-Vorpommern.

Dr. Schneider, Mecklenburg-Vorpommern:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben viel über das Budget gesprochen. Wir werden immer mit Budgets leben müssen. Unser ganzes Leben ist budgetiert. Allerdings vergessen wir das manchmal. Das müssen wir immer im Hinterkopf haben.

Die freie Arztwahl ist ein sehr hohes Ziel. Ich bin dem Herrn Bundespräsidenten sehr dankbar dafür, daß er in einer Rede darauf hingewiesen hat, daß wir sowohl die Freiheit des Patienten als auch die Freiheit des Hausarztes und des Facharztes im Konsens betrachten müssen.

Es gibt meines Erachtens gar keine andere Möglichkeit, als daß wir uns auf das Subsidiaritätsprinzip besinnen. Danach sollen die gesundheitlichen Leistungen dort erbracht werden, wo sie auf unterster Ebene in guter Qualität und Quantität erbracht werden können. In diesem Sinne bin ich gegen eine Steuerung des ganzen Systems durch den Patienten. Ich habe den Eindruck, daß nach dem jetzigen Referentenentwurf der Patient ärztliche Aufgaben übernehmen soll. Er soll die Ärzte sozusagen kontrollieren. Im Sinne der Subsidiarität muß er sich meines Erachtens um seine Gesundheit kümmern und seine Aufgaben erfüllen, genauso wie der Hausarzt und wie der Facharzt auf ihren jeweiligen Gebieten tätig sein müssen.

Wir haben in den neuen Bundesländern damit gute Erfahrungen gemacht. Das Hausarztsystem hat sich dort bewährt. Wir wurden nach der Wende zurückgepfiffen. Ich erinnere mich an meine Kollegen aus Schleswig-Holstein, die damals sagten: Rettet doch wenigstens das Hausarztsystem, den Facharzt für Allgemeinmedizin in das neue Deutschland hinüber!

Ich freue mich, daß uns das gelungen ist. Neben dem grünen Pfeil ist das meines Erachtens fast das einzige, das wir herübergerettet haben.

Wir dürfen darüber aber nicht die Patienten, die Heil- und Hilfsberufe, das Krankenhaus vergessen. Ich finde es gut, daß die Allgemeinmediziner jetzt eine gewisse bevorzugte Stellung erhalten. Ich wehre mich aber dagegen, daß das zu Lasten der anderen geht. Das bringt uns nichts. Wir haben ein Gesamtbudget, das für uns alle gilt. Wir müssen zusehen, wie wir damit auskommen. Ich rufe alle Allgemeinmediziner auf, weiterhin zusammenzuarbeiten. Dann können wir es schaffen.

(Zustimmung)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Vielen Dank, Herr Schneider. Als nächster Redner bitte Herr Henke, Nordrhein.

Henke, Nordrhein:

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um für Ihre Zustimmung zu einer Ablehnung von Zulassungssperren und einer Verschärfung der Bedarfszulassung zu werben. Ich habe in verschiedenen Gesprächen gehört, daß der Antrag auf Drucksache I-9, der einem Beschluß der Hauptversammlung des Marburger Bundes vom vergangenen Samstag entspricht, in der einen oder anderen Formulierung manchen daran hindern könnte, hier zuzustimmen. Deswegen kündige ich an, daß wir einen Antrag I-9 (neu) einbringen werden, der diese Ablehnung der Zulassungssperren knapper auf den Punkt bringt und einfach ausdrückt, daß wir die geplante Verschärfung der Zulassungssperren ablehnen, daß wir in der Verhängung von Zulassungssperren einen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht der freien Berufsausübung sehen. Wir fordern Bundestag und Bundesrat auf, im Rahmen der Gesundheitsreform keine Regelung zuzulassen, die weiterhin die Existenz der seit 1993 bestehenden und sich ständig verschärfenden Zulassungssperren ermöglicht. Ich denke, der neue Text wird für den einen oder anderen ein bißchen gängiger sein als der Text, den die Hauptversammlung des Marburger Bundes verabschiedet hat. Wir brauchen uns ja nicht um gewisse Formulierungen zu streiten.

Die Regelung, daß die Zulassungsinstanzen im Falle der Praxisaufgabe zunächst prüfen sollen, ob die Praxis gegen eine am Verkehrswert zu bemessende Entschädigung geschlossen wird, bedeutet, daß die Basis für die Krankenkassen, die in den Zulassungsinstanzen paritätisch vertreten sind, für eine Planbewirtschaftung in der ambulanten Versorgung verbreitert wird. Schon bei der Ermittlung der bundesweit geltenden Verhältniszahlen unter ebenfalls maßgeblicher Beteiligung der Krankenkassenverbände hat sich unseres Erachtens gezeigt, daß dabei nicht die wissenschaftliche Evaluation des tatsächlich vorhandenen Bedarfs die Grundlage war, sondern allein das Ziel der Begrenzung der Arztzahlen auf dem bestehenden Niveau. Das hat natürlich auch Folgen für den Wert von Praxen. Es hat automatisch zur Folge, daß der Ausschluß einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des ideellen Praxiswertes, der von dem bisherigen Praxisinhaber geltend gemacht wird, nicht mehr gegeben ist. Ich sehe darin auch einen unzulässigen Eingriff in die Eigentumsrechte. Auch dies ist ein Grund, den Entwurf abzulehnen.

Ich bitte Sie also sehr herzlich um Unterstützung der Kritik an den Zulassungssperren. Es darf nicht dazu kommen, daß in einer Zeit, in der alle zu Gründungsoffensiven aufrufen und man die Selbständigkeit stärken will, der gesamte ärztliche Nachwuchs mit einem totalen Berufsverbot belegt wird.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke. Hier ist ein Änderungsantrag zum Antrag I-19 von Frau Gitter eingegangen, die gleich das Wort erhält. Ich verzichte auf die Bekanntgabe der einzelnen Änderungen. Der Antrag 19 soll danach folgendermaßen lauten:

Der Deutsche Ärztetag begrüßt das im Referentenentwurf zur Reform der GKV formulierte Ziel, die hausärztliche Medizin zu fördern. Dazu muß aber auch die Zulassungsbeschränkung für Hausärzte zur vertragsärztlichen Versorgung aufgehoben werden.

Der Antrag wird derzeit noch umgedruckt.

Das Wort hat jetzt Frau Gitter, Bremen.

Dr. Gitter, Bremen:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Präsident hat es gestern schon formuliert: Viele Ziele dieses Referentenentwurfs könnten wir als Ärzteschaft locker unterschreiben. Aber der Teufel steckt im Detail. Ich meine, das ist bei der Regelung der hausärztlichen Medizin genauso. Wir sind für die Förderung der hausärztlichen Medizin. Das ist Konsens. Ich habe schon einige Befürchtungen bei dem überbordenden Bürokratismus, der hier eingeführt werden soll, daß es zu einer starken Reglementierung kommt, und zwar unter einem gedeckelten Globalbudget. Ich glaube, das kann auch nicht im Sinne der Hausärzte sein.

Ich habe deshalb einen Änderungsantrag zum Antrag 19 gestellt. Ich meine, wer es mit der Förderung der hausärztlichen Medizin ernst meint, kann nicht gleichzeitig die Möglichkeit für eine Niederlassung versperren. Deswegen muß man neben einer Förderung der hausärztlichen Medizin gleichzeitig die Erleichterung der Zulassung fordern. Es darf keine verstärkten Zulassungsbeschränkungen für Hausärzte geben. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu dem geänderten Antrag 19.

(Zustimmung)

Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke, Frau Gitter. Als nächster Redner bitte Herr Zollner, Baden-Württemberg.

Dr. Zollner, Baden-Württemberg:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, um etwas zur "Stillegungsprämie", zur "Abwrackprämie" zu sagen. In den ursprünglichen Entwürfen stand einmal der Begriff "freiwillig". Danach sollten die Praxisinhaber freiwillig auf eine Fortführung ihrer Praxis verzichten können. Dieser Begriff "freiwillig" ist im Referentenentwurf nicht mehr enthalten. Ich konnte bei einer Podiumsdiskussion mit Rudolf Dreßler feststellen, daß er immer noch der Meinung ist, die Aufgabe müßte freiwillig erfolgen. Er meinte, wir sollten darauf dringen, daß es so auch im Gesetz steht.

Ich beantrage, daß der Deutsche Ärztetag fordert, daß diese Form der Praxisstillegung nur auf freiwilliger Basis möglich ist. Das darf nicht dem Wohlwollen oder dem Votum der Kassen oder der KV überlassen bleiben, welche Praxis stillgelegt wird und welche nicht. Ich lege großen Wert darauf, daß das in das Gesetz aufgenommen wird.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Zollner. Als nächster Redner bitte Herr Schwenke, Sachsen.
 
Dr. Schwenke, Sachsen:  

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige kurze Bemerkungen aus der Sicht eines ostdeutschen Delegierten. Immer, wenn Inkompetenz die Regierenden unsicher macht angesichts eines vermeintlichen oder wirklichen Mangels, sind Gesetzesflut und Regelungsdichte die Folgen. Das bekamen wir, die wir in der DDR unseren Beruf ausübten, natürlich auch zu spüren. Dafür möchte ich Ihnen ein kleines groteskes Beispiel nennen.

Auch in der DDR hatten die Bürger natürlich die freie Arztwahl. Das war ihnen formal garantiert. Das hinderte jedoch nicht, daß örtliche Regelungen getroffen wurden, die das völlig außer Kraft setzten. Mit der Begründung, die personellen und materiellen Ressourcen besser zu nutzen, wurde Ende der 70er Jahre in Leipzig angeordnet, daß die notwendigen Wiederholungshausbesuche nach einem strengen Plan der Zuständigkeiten durchzuführen seien. Der eigentliche Anlaß war, daß die Hausbesuchswagen der staatlichen Ambulanzen und Polikliniken wegen Mangels an Ersatzteilen häufig nicht einsatzbereit waren.

Man verordnete den Ärzten aller Fachgebiete in der Stadt ein zusammenhängendes Versorgungsgebiet nach Straßen und Hausnummern. Nur die in diesen Häusern wohnenden Patienten durften von dem jeweils eingesetzten Arzt besucht werden, und das auch nur zwei Stunden in der Woche - unabhängig davon, daß die Patienten ansonsten bei ganz anderen Ärzten in Behandlung waren. Wesentlich war, daß man auf diese Weise weniger Autos vorhalten mußte, daß man so auf geringere Fahrleistungen kam und Benzin sparte, obwohl damals von 5 DM pro Liter Benzin noch nicht die Rede war.

Meine Damen und Herren, so weit sind wir heute Gott sei Dank nicht. Sie werden verstehen, daß ich bei der Vorbereitung auf diesen Ärztetag, als ich den umfangreichen Referentenentwurf las, mit zunehmender Beklemmung reagierte und ähnliche Formulierungen zu finden fürchtete. Wir wollen so etwas nicht noch einmal erleben. Deshalb lehnen wir eine Entwicklung ab, die wieder zu solchen patientenfeindlichen Regelungen führen könnte.

Im übrigen habe ich für die lobenden Worte derer, die ein auf diese Weise kostensparendes System preisen, aber nie unter einem solchen System leben mußten, keinerlei Verständnis.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)


Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke, Herr Schwenke. Als nächster Redner bitte Herr König, Hessen.
 
Dr. König, Hessen:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die freie Arztwahl steht zur Diskussion. Es ist wirklich ein Prinzip unserer ärztlichen Tätigkeit, daß die ärztliche Versorgung mit freier Arztwahl weiterhin bestehen soll. Wir sollten uns in dieser Hinsicht keine Vorschriften von der Politik machen lassen.

Der Patient ist in Deutschland auch mündig genug, sich selbst den Arzt seines Vertrauens zu suchen. Ihm muß nicht vorgeschrieben werden, wer der Arzt seines Vertrauens ist, ob es ein Facharzt oder ein Hausarzt ist.

Der Patient ist in der Lage - das sehen wir tagtäglich -, anzugeben, zu welchem Arzt er gehen möchte. Er muß nicht vorher fragen: Kann ich zu diesem oder jenem gehen? Wie soll ich zu ihm kommen, nicht nur über die Schiene des Hausarztes?

Wir sollten hier in Deutschland keine Versorgungsstrukturen aufbauen, wie es sie in England gibt, wo die Grundversorgung nur durch den Hausarzt stattfindet. Der Facharzt ist dort kaum zu erreichen. Als Beispiel nenne ich die Mammographie. Es gibt in England Gegenden, in denen alle fünf Jahre einmal der Mammographiewagen vorbeikommt.

Die Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Fachärzten vor Ort funktioniert. Es besteht im Grunde genommen kein Bedarf, hier eine Verschärfung vorzusehen.

Zur Politik, wie sie gegenwärtig abläuft und wie Herr Kossow sie betreibt, indem er fordert, die Hausärzte sollten die Basisversorger sein, sollten wir ganz klar feststellen, daß wir uns nicht vor den Karren irgendeines Politikers spannen lassen, sondern das Verhältnis zwischen Hausarzt und Facharzt, wie es im Augenblick besteht, sollte weitergeführt werden, auch wenn sich Herr Kossow sehr nach der rot-grünen Politik richtet.
 
 Vielen Dank.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr König. Als nächster Redner bitte Herr Dietz, Bayern.
 
Dr. Dietz, Bayern:  

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade mein Vorredner hat ein Beispiel dafür geliefert, daß man die Förderung der hausärztlichen Versorgung Jahr für Jahr als Lippenbekenntnis auf dem Deutschen Ärztetag fordern kann. Man ist aber bestrebt, daß es in der Praxis möglichst nicht greift. Nur so kann ich sein Plädoyer verstehen, daß er die freie Arztwahl als Gegenargument zur hausärztlichen Versorgung durch Allgemeinärzte - das ist seit ewigen Zeiten Beschlußlage auf Deutschen Ärztetagen - aufrechterhält. Das beste Mittel gegen die Diskontinuität der Patientenversorgung ist der Hausarzt, zumindest im ambulanten Bereich. Eine Förderung ist notwendig, weil der Hausarzt in vielen Bereichen - in den Ballungsräumen und zunehmend auch draußen auf dem Lande - verlorengegangen ist. Nur so können wir die Chance schaffen, einen Facharzt wirklich fachärztlich tätig sein zu lassen, daß er das tut, was er in den vielen Jahren seiner Weiterbildung gelernt hat, nämlich fachärztliche Probleme zu behandeln, nicht gewöhnliche Krankenprobleme in der Primärinanspruchnahme durch den Patienten. Anderenfalls haben wir irgendwann einmal den entspezialisierten Facharzt. Eigentlich haben wir ihn bereits. In den Zulassungsausschüssen wird gesagt: Der Klinikarzt muß ermächtigt werden, weil der Facharzt nicht mehr spezialisiert ist.

Wir haben auch das Phänomen zu verzeichnen, daß es keinen direkten Zugang zum Facharzt gibt, sondern nur noch über lange Wartelisten, weil die Fachspezialisten durch gewöhnliche Krankheitsfälle per Chipkarte zugeschüttet werden. Es ist mir vor kurzem in der Praxis passiert, daß ein Kind mit einer Bronchitis keinen Termin beim Pneumologen bekam.

Wir brauchen eine pragmatische Unterstützung der hausärztlichen Versorgung durch ein Hausarztmodell, das gefördert werden muß. Wir müssen pragmatische Lösungen finden, damit wir der Politik deutlich machen können: Mit der strukturellen Verschwendung ist es zumindest unsererseits vorbei, jetzt seid ihr am Zuge; ihr müßt das Chipkartenproblem und das Problem des ärztlichen Nachwuchses lösen! Löst das Problem der Facharztschwemme, steuert um zu einer echten, gediegenen und qualitätsgestützten hausärztlichen Versorgung!

Vielen Dank.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Dietz. Als nächster Redner bitte Herr Holfelder, Hessen.

Dr. Holfelder, Hessen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde keine Philippika gegen das Hausarztmodell halten, wie es viele erwarten. Dennoch erlauben Sie mir einige Anmerkungen zu den Details. Die Bonusregelung, auf die Herr Schirmer hingewiesen hat, wie sie in § 65 steht, beinhaltet, daß die Krankenkassen nachträglich festzustellen haben, welchen Bonus sie ausschütten. Das fordert letzten Endes den Nachweis, daß dieses Modell auch kostendämpfend wirkt. Ich glaube, das kann man gut abwarten.

Ich möchte dem Antrag I-19 von Frau Ende widersprechen. Es ist kein Wandel des Krankheitsspektrums von akut und infektiös zu chronisch und psychosozial zu verzeichnen; denn es gibt viele chronisch Kranke, die bei ihrem Facharzt durchaus in guten Händen sind, was nicht heißt, daß sie ihrem Hausarzt entfremdet werden. Das bedeutet vielmehr, daß Facharzt und Hausarzt den Patienten bei chronischen Erkrankungen gemeinsam betreuen. Die zumeist älteren Patienten sind diejenigen, die bestraft werden, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - entweder keinen Hausarzt haben oder von vornherein die ganze Zeit als chronisch Erkrankte bei ihrem zuständigen Facharzt in Behandlung sind. Sie müssen dafür büßen, daß sie dieses tun.

Die jugendlichen gesunden Versicherten, die keine Patienten sind, werden die Bonusregelung natürlich voller Freude in Anspruch nehmen. Dadurch wird eine Entsolidarisierung herbeigeführt.

Weiterhin ist zu bedenken: Wenn ein abgeschotteter Honorartopf zwischen Hausärzten und Fachärzten gebildet werden soll, wie es im Gesetz vorgesehen ist, was passiert dann mit den Internisten, die sich aus verschiedenen Gründen zur fachärztlichen Richtung auch ohne Schwerpunktbildung entscheiden? Nehmen sie ihre Honoraranteile mit oder nicht? Wenn das nicht der Fall ist und ihr Honoraranteil im jetzigen Hausarzttopf bleibt, dann wäre es Sache von Herrn Kossow, möglichst viele Internisten zu überreden, in den fachärztlichen Bereich überzuwechseln, weil dann natürlich weniger Fische im Honorartopf der Hausärzte schwimmen. Das sollte auch nicht der Fall sein.

Wir sollten uns also genau überlegen, was wir wollen. Ich möchte Frau Ende bitten, ihren Antrag I-19 insbesondere in der Begründung umzuformulieren. Anderenfalls bitte ich Sie, diesen Antrag abzulehnen.

Vielen Dank.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Holfelder. Als nächster Redner bitte Herr Kütz, Bremen.
 
Dr. Kütz, Bremen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zu den Zulassungszahlen äußern. Im Antrag I-9 wird vorgeschlagen, die Zulassungsregelung zu ändern. Was resultiert daraus für die Krankenhausärzte? Löst das deren Problem?

Ich vermisse die strukturelle Konsequenz sowohl hinsichtlich der Zulassungsregelung als auch hinsichtlich des Problems, das auf diesem Ärztetag im Hintergrund eine Rolle spielt, nämlich die Frage: Muß die Gesellschaft so etwas wie eine Betätigungsgarantie für das Gesundheitswesen abgeben? Was geschähe, wenn die Zulassungsregelung entfiele? Pro forma kann dann der Krankenhausarzt in die Niederlassung überwechseln. Ob er das de facto kann, ist noch sehr die Frage. Wir haben vorhin darüber diskutiert, daß die Zahl der niedergelassenen Ärzte von der Politik offensichtlich für zu groß gehalten wird. Es wird also die Tendenz geben, diese Zahl zu verkleinern. Ob in dem enger werdenden Raum der ambulanten Betätigung der aus dem Krankenhaus kommende neue Arzt ein Betätigungsfeld und Finanzierungsmöglichkeiten finden wird, sei dahingestellt.

Ich vermisse die innerärztliche Konsequenz, die aufarbeitet: Wie werden sich voraussichtlich die Verschiebungen vom Studium ins Krankenhaus, vom Krankenhaus in die Niederlassung in den nächsten Jahren entwickeln? Man muß den Studenten, den AiPlern und den Krankenhausärzten früh genug Hinweise geben, sich eventuell andere, bislang noch kaum entwickelte Betätigungsfelder für Mediziner zu erarbeiten. Es gibt bislang nur eine Untersuchung des Zentralinstituts der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die für den Zeitraum der nächsten zehn Jahre abzuschätzen versucht, wie groß der Ersatzbedarf bei der niedergelassenen Ärzteschaft ist. Dieser Bedarf liegt zwischen 4000 und 6000 Ärzten pro Jahr.

Der Neuzugang in die Krankenhäuser, gemessen an den erteilten Approbationen, liegt bei 8000 Studenten pro Jahr. Da man wohl zu Recht davon ausgehen darf, daß in den nächsten Jahren die Zahl der Krankenhausärzte nicht ansteigen wird, ist unschwer festzustellen, daß ein Teil dieser Studenten wahrscheinlich überhaupt keine Berufspraxis erwerben kann, weder im Krankenhaus noch in der Niederlassung. Es wäre daher die primäre Aufgabe der Ärzteschaft, sich zu überlegen, wie sie dieses strukturelle Problem löst. Für die Krankenhausärzte ist es möglicherweise gleichgültig, ob die Zulassungssperre bestehen bleibt oder ob sie fällt. Damit ist noch nicht geklärt, ob man faktisch aus dem Krankenhaus herauskommen kann.
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke. Als nächster Redner bitte Herr Kunze, Bayern.
 
Prof. Dr. Kunze, Bayern:  

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute morgen haben viele Redner, auch die Herren Dietrich und Seyfarth, betont, daß es in der Debatte immer um das Geld der Versicherten geht, mit dem man sorgfältig umgehen muß. Dieser Grundsatz ist sicherlich auch zu bedenken, wenn man sich die Regelung des Gesetzgebers anschaut, Stillegungsprämien zu bezahlen, um Kassenarztsitze abzuwracken. Auch dabei geht es um das Geld der Versicherten. Ich frage mich schon, ob das Geld der Versicherten dafür gedacht ist.

(Zustimmung)

Ob nun die Stillegung von den Krankenkassen oder von den KVen beantragt wird, in jedem Fall werden die Kosten hälftig verteilt. Ich meine, die Krankenkassenbeiträge sind nicht dazu da, Stillegungsprämien für Arztpraxen zu bezahlen.

Wenn es um die Gelder der Versicherten geht, muß man auch berücksichtigen: In demselben Atemzug wird die fünfjährige Weiterbildung zum Allgemeinarzt gefördert, ebenfalls mit dem Geld der Versicherten. Im Jahre 2003 ist derjenige, der heute mit der Weiterbildung beginnt, fertig. Bis dahin sind die Arztpraxen, in denen er sich hätte niederlassen können, abgewrackt. Dann gibt es einen arbeitslosen Allgemeinmediziner mehr, der mit dem Geld der Versicherten gefördert wurde. Das kann meiner Ansicht nach so nicht gehen.

(Zustimmung)


Wenn man das Problem der Überversorgung ernst nimmt, müßte zumindest
§ 101 geändert werden, so daß der über fünf Jahre geförderte Allgemeinmediziner die Möglichkeit hat, sich niederzulassen. Das ist meiner Ansicht nach die logische Konsequenz. Anderenfalls wird meiner Auffassung nach mit dem Geld der Versicherten sehr verschwenderisch umgegangen. Die Versichertengelder sind auch nicht dazu da, die Fehler der Politik, welche die Begrenzung der Arztzahlen nicht sorgfältig genug beobachtet hat, zu beseitigen.

Ich bitte Sie also sehr herzlich, den Antrag 9 (neu) zu unterstützen, der sich gegen die verschärfte Bedarfsplanung ausspricht.

Vielen Dank.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Kunze. Als nächster Redner bitte Herr Kühn, Baden-Württemberg.
 
Dr. Kühn, Baden-Württemberg:  

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die im Referentenentwurf festgelegten Bestimmungen über den Hausarzt, der ein Allgemeinarzt sein soll - § 73 und andere Bestimmungen -, enthalten Sprengstoff und werden, wie wir ganz klar sehen müssen, für Auseinandersetzungen sorgen. Die Förderung der Hausärzte liegt uns allen am Herzen. Sie erfolgt durch die Vorschläge nur scheinbar, weil der Hausarzt pro Patient sehr viel mehr Arbeit bekommt, aber mit Sicherheit nicht mehr Geld, solange Budgetbeschränkungen herrschen.

Ich bitte Sie, § 73 Abs. 1 b durchzulesen, wozu der Hausarzt ermächtigt wird. Es ist im Prinzip richtig, alle Informationen einzuholen. Da die Rede von "Leistungserbringern" ist, handelt es sich keineswegs nur um Ärzte, sondern auch um Sozialstationen, Krankengymnasten und Psychologische Psychotherapeuten.

Zur Lachnummer wird das, wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen bei Hausarzt-Hoppern - diese gibt es - feststellen müssen, welchem Hausarzt in einem Quartal die versprochene Pauschale zusteht. Die Ärzte und auch alle anderen werden sich streiten.

Der Vorschlag, die Zahl der Arztpraxen zu reduzieren, kommt auch von gewissen Stellen der niedergelassenen Ärzteschaft. Das dürfen wir nicht vergessen. Darin steckt auch Zynismus. Ich kenne nur niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die mehr arbeiten, als sie an sich verkraften können. Wenn Praxen stillgelegt werden, müßten sie noch mehr arbeiten oder ihre Leistungen pro Versicherten reduzieren. Das ist der Zynismus in der Gesetzgebung: Wir sollen - drastisch ausgedrückt - in die Dreiminutenmedizin zurückgebombt werden! Kolleginnen und Kollegen, das kann nicht unser Wille sein.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Kühn. Als nächster Redner bitte Herr Kossow, Niedersachsen.
 
Prof. Dr. Kossow, Niedersachsen:  

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Vorstand der Bundesärztekammer dafür danken, daß er sich gestern noch einmal ausdrücklich zur Förderung der hausärztlichen Versorgung bekannt hat. Ich berufe mich dabei auf das Referat des Herrn Präsidenten. Ich finde, daß das, was dazu im Detail in Ergänzung des "Blauen Papiers" im Klausurpapier des Vorstands der Bundesärztekammer zum Eckpunktepapier der Koalition ausgeführt wird, ausdrücklich unterstützt werden sollte.

Deswegen sind auch alle Stellungnahmen wie beispielsweise die von Herrn König, die davon ausgehen, hier würde die freie Arztwahl eingeschränkt, in die Irre führend; denn das, was beabsichtigt ist, ist mit der freien Arztwahl voll kompatibel. Kein Versicherter wird gezwungen, über den Hausarzt zum Facharzt zu gehen oder gar seine Facharztwahl einzuschränken, wenn er dies nicht freiwillig tun will.

Es wird ihm allerdings angeboten: Wenn er regelhaft einen Hausarzt in Anspruch nimmt, kann er die daraus möglichen Einsparungen in Form einer Beitragssatzsenkung oder in anderer Form - Stichwort: Bonus - in Empfang nehmen.

Im übrigen handelt es sich hier nicht um eine Aktion der rot-grünen Koalition, jedenfalls nicht im Ursprung, sondern um einen Gesetzestext aus dem Hause Blüm. Ich verweise auf § 73 SGB V. Diese Bestimmung ist seit mehr als acht Jahren in Kraft. Dieser Gliederungsauftrag ist von Herrn Seehofer mehrmals schriftlich zwecks Erledigung bei der Selbstverwaltung angemahnt worden, ohne daß sie dies vermocht hätte.

Die Ergänzung des Gesetzes, die jetzt vorliegt, ist im Grunde genommen eine Konsequenz dieser nicht in der Selbstverwaltung ermöglichten Regelung, die der Gesetzgeber seit mehr als acht Jahren will. Man muß hier also die Historie betrachten, damit auch die Position des BDA in Sachen Protest gegen dieses Gesetz verständlich wird. Wir können als Hausärzte nicht vorbehaltlos gegen ein Gesetz protestieren, das genau die Regelung beinhaltet, für die wir seit mehr als acht Jahren eintreten. Das schließt nicht aus, daß man andere Elemente dieses Gesetzes sehr wohl kritisch in Frage stellt, wie wir das auch getan haben.

Ich bitte darum, ebenso differenziert an diese Problematik heranzugehen, wie wir dies tun. Im übrigen handelt es sich inhaltlich um eine überfällige Regelung, die zur Qualitätssicherung der Versorgung nötig ist und die mit den Existenzsicherungsfragen, die hier von Herrn Kunze angesprochen wurden, genausowenig zu tun hat wie mit der Existenzsicherung der derzeit amtierenden Hausärztegeneration.

Vielen Dank.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Kossow. Als nächster Redner bitte Herr von Knoblauch, Hessen.
 
Dr. von Knoblauch zu Hatzbach, Hessen:

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier über Planwirtschaft. Diese gibt es in unserer Republik eigentlich nur in zwei lebenswichtigen Bereichen: bei der Gesundheit, die angeblich das höchste Gut ist, die aber nichts kosten darf, und bei der Landwirtschaft, also der Ernährung der Menschen. Sonst findet sich dies bei keinen Berufsgruppen. Häufig wird als Begründung für die Verteuerung der Gesundheitsversorgung als Argumentationshülse der Chipkartentourismus angeführt. Wenn wir bei den Krankenkassen nachfragen, erfahren wir, daß das überhaupt keine wesentliche Rolle spielt.

Im Grunde genommen wäre es sehr einfach, wenn wir von einer unklaren pauschalen Regelung der Bezahlung, wie sie derzeit existiert, zu einem Erstattungsprinzip übergingen. Meines Erachtens ergäbe sich so eine wesentliche Transparenz, welche die Patientenströme klar erkennen läßt. Dazu gehört natürlich, daß wir bereit sind, Informationen auszutauschen und dabei die wichtigsten Informationen, die für die Versorgung der Patienten notwendig sind, auf der Chipkarte dokumentieren lassen, die dem Arzt, der aufgesucht wird, zur Verfügung steht. Dann wird erkennbar, ob es Doppeluntersuchungen gab. Mit der gegenwärtigen Datentechnik kann die Rechnung vom Patienten beim Verlassen der Praxis sofort gegengezeichnet werden. Dann können die Kassen erkennen, ob Doppeluntersuchungen vorgenommen wurden und unnötige Behandlungen erfolgten. Diese gehen dann nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen.

Vielen Dank.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke sehr. Als nächster Redner bitte Herr Schilling, Berlin.
 
Dr. Schilling, Berlin:  

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Konflikt zwischen Fachärzten und Hausärzten ist in erster Linie ein Konflikt der Funktionäre. Die Vertragsärzte selbst tragen diesen Konflikt untereinander eigentlich nie aus.

(Zustimmung)

Ferner ist dieser Konflikt nur deshalb ein Konflikt, weil bei eingeschränkten finanziellen Mitteln in der ambulanten Versorgung unendlich viel Leistungen verlangt werden. Deshalb entwickelt sich dieser Konflikt in der ärztlichen Versorgung.

Wir brauchen statt eines Konflikts zwischen Hausärzten und Fachärzten die Regelung, daß die Krankenkassen wieder das Risiko einer Krankenversicherung übernehmen, also das Morbiditätsrisiko, die Leistungszunahme durch die Erweiterung von Diagnostik und Therapie, das Risiko der Alterspyramide und das Risiko einer zunehmenden sozialen Vereinsamung.

Dies alles ist ein Risiko, das die Vertragsärzte zunehmend zu übernehmen haben, ob sie nun Hausarzt oder Facharzt sind. Ich wiederhole: Die Vergütung in der ambulanten Versorgung spielt in dieser Diskussion die integrale Rolle. Bei einer angemessenen Vergütung, wie sie vom Gesetz zu fordern ist, wäre dies für uns kein Diskussionspunkt.
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke sehr. Als nächster Redner bitte Herr Schmolke, Hamburg.
 
Dr. Schmolke, Hamburg:  

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich wundere mich, daß sich so wenige Rednerinnen und Redner zu dem hier zur Diskussion stehenden Thema zu Wort gemeldet haben. Unser System steht wirklich auf dem Prüfstand und ist gefährdet. Bisher konnte der Patient, ob arm oder reich, schwarz oder weiß, zu jedem Arzt gehen, den er sich ausgesucht hat. Er konnte auch bei ihm bleiben. Was jetzt kommt, sieht anders aus: Der Patient wird Verlockungen ausgesetzt. Ihm wird ein Bonussystem versprochen. Es wird ihm Geld versprochen, wenn er dorthin oder dorthin geht.

Wird diese Medizin billiger? Das bezweifle ich. Herr Kossow, ich weiß nicht, ob Sie nicht etwas versprechen, was man nicht halten kann. Ich glaube, die Jacke,

die Sie sich hier anziehen, ist etwas zu groß.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke. Das war die letzte Wortmeldung zu diesem Komplex. Wir kommen damit zum nächsten Komplex: Integration von ambulanter und stationärer Versorgung als Reformschritt für den Patienten. Bitte, Herr Schirmer, wenn Sie uns zunächst wieder in das Thema einführen.
 
Schirmer, Justitiar der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung:  

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überschrift stammt aus dem Antrag 2 und bezieht sich in ihrer positiven Wendung auf eine Entschließung des Deutschen Ärztetages aus dem vergangenen Jahr, auf dem ein sogenanntes Integrationsmodell mit Blick auf die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung in gemeinsamer Übereinstimmung von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung beschlossen wurde.

Dieses Stichwort "Integration" ist zu unterscheiden von der sogenannten Integrationsversorgung, die zuvor beschrieben wurde und die eine andere Art von Versorgungsfunktion in der Ausschließlichkeit der Beziehungen der Krankenkassen zu individuellen Leistungserbringern gestalten soll.

Hier geht es um die Frage, in welcher Weise Krankenhäuser oder Krankenhausärzte an der ambulanten Versorgung beteiligt werden sollen. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auf die Seiten 71 bis 74 der Synopse verweisen, auf denen Sie die §§ 115 a, 115 b und 116 a finden. Die bedeutendste Vorschrift ist § 116 a. Diese Vorschrift soll ermöglichen, daß künftig Krankenhäuser institutionell, also nicht vermittels einer persönlichen Ermächtigung dort tätiger Ärzte, an der ambulanten Versorgung im Bereich der Erbringung sogenannter hochspezialisierter Leistungen und bei Krankheitsbildern mit kompliziertem Verlauf teilnehmen. Der Umfang dieser institutionellen Ermächtigung soll in einem Katalog geregelt werden, den die Vertragspartner auf Bundesebene - KBV, DKG und die Spitzenverbände - in einem dreiseitigen Vertrag vereinbaren sollen.

Die Systematik sieht vor, daß der Krankenhausträger der Kassenärztlichen Vereinigung mitteilt, daß er davon ausgeht, nunmehr ermächtigt zu sein. Die Kassenärztliche Vereinigung hat die Möglichkeit, dieser Tätigkeit des Krankenhauses zu widersprechen, wenn die regionale fachspezifische Versorgung durch niedergelassene Ärzte sichergestellt ist. Der Zulassungsausschuß muß über diesen Widerspruch entscheiden. Bei Stimmengleichheit - das Gremium ist so zusammengesetzt, daß dies geschehen kann; es handelt sich um zwei Stimmen der Krankenkassen, zwei Stimmen der KV - gilt der Widerspruch der Kassenärztlichen Vereinigung als abgelehnt. Das ist tendenziell eine Stärkung der Teilnahmemöglichkeit der Krankenhäuser als Institutionen.

Das Gesetz regelt natürlich nicht im einzelnen, weil es sich um Sozialrecht handelt, welche arbeitsrechtlichen und dienstvertraglichen Komplikationen hierbei mit Blick auf die Krankenhausärzte entstehen können, die, wenn das Krankenhaus diese Ermächtigung ausschöpft, auch diese Leistungen erbringen müßten.

Das zweite Feld betrifft die vor- und nachstationäre Versorgung. Bisher ist es so geregelt, daß während einer bestimmten Frist vor und nach der stationären Aufnahme des Patienten vom Krankenhaus die ambulante Versorgung erbracht werden darf. Der Referentenentwurf gestattet nun den Vertragspartnern Krankenkassen und Krankenhausträger, diese Fristen in eigener Einschätzung auszudehnen. Auch dies wäre eine Ausdehnung zu Lasten der vertragsärztlichen ambulanten Versorgung.

Bei den ambulanten Operationen - das steht in § 115 b - ist auf die Erfindung des Referentenentwurfs mit dem Begriff "stationsersetzende Eingriffe" hinzuweisen. Was darunter im einzelnen zu verstehen ist, läßt das Gesetz offen. Dies zu bestimmen wäre wahrscheinlich eine Aufgabe der Beteiligten. Dies stellt eine Erweiterung des Feldes der ambulanten Operationen, die auch im Krankenhaus nach geltendem Recht ausgeführt werden können, dar.

Ich darf darauf verweisen, daß insbesondere zur Frage ambulanter Leistungen durch das Krankenhaus sich der Deutsche Ärztetag bereits beim letzten Mal eine Meinung gebildet hat, die in der Vorlage I-2 erwähnt ist.

Soviel zum Hintergrund der gesetzlichen Regelungen.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Vielen Dank, Herr Schirmer. Auch zu diesem Komplex gibt es eine Reihe von Wortmeldungen. Als erster hat das Wort Herr Ruffert aus Thüringen.
 
PD Dr. Ruffert, Thüringen:  

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ambulant tätiger Onkologe berührt mich dieser Teil der Diskussion besonders. Wir sprechen ja schon viele Jahre über eine Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung. Für die Patienten mit Tumorerkrankungen ist es besonders wichtig, daß sie einen verläßlichen stationären und ambulanten Partner haben, der ihnen in ihrer schwierigen Situation zur Seite steht. Insofern hat der Gesetzentwurf einen positiven Aspekt und ist in gewisser Weise konstruktiv.

Wir warnen als niedergelassene Onkologen davor, die Krankenhäuser institutionell für diese Behandlung zu öffnen, denn dann wäre die Sachkompetenz des niedergelassenen Onkologen in der Betreuung absolut nicht mehr gefragt. Der Patient entscheidet mit den Füßen, wie wir sagen, aber im Krankenhaus sind nun einmal ganz andere Potenzen vorhanden. Die einzelnen Ärzte können von ihrem Chef in unterschiedlicher Art und Weise in diese Versorgung integriert werden. Wir sollten also darauf abheben, daß dafür, wenn überhaupt, nur Einzelermächtigungen ausgesprochen werden, daß derjenige, der in der Klinik die Qualifikation als onkologisch verantwortlicher Arzt hat, diese Betreuung persönlich übernehmen muß.

Sicherlich wichtig für die punktuelle Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung ist der lokale Versorgungsbedarf, der natürlich immer mit berücksichtigt werden muß, denn nur dann, wenn lokal ein wirklicher Bedarf besteht, sollte man eine solche Erweiterung vornehmen.

Wir niedergelassenen Onkologen scheuen uns nicht vor einem Vergleich mit den Krankenhäusern. Wir unterstützen auch die Forderungen nach mehr Qualitätssicherung, denn dies ist absolut notwendig, wenn dieses ohne übermäßigen bürokratischen Aufwand durchgeführt werden kann.

Vielen Dank.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke. Als nächster Redner bitte Herr Hammer, Nordrhein.
 
Dr. Hammer, Nordrhein:  

Es ist doch wohl völlig unstrittig, daß es ein Reformschritt für unsere Patienten wäre, wenn eine durchdachte Integration zwischen ambulanter und stationärer Versorgung erfolgte. Wenn man den Referentenentwurf liest, stellt man fest, daß völlig unklar ist, wie das Geld unter einem Globalbudget für diese Integration sinnvoll verteilt werden kann. Das kann überhaupt nicht funktionieren. Die Krankenkassenverbände sind für das sektorale Budget zuständig, die einzelne Krankenkasse kann ein Globalbudget mit einem kombinierten Budget für eine integrative Versorgung zur Verfügung stellen. Welchen Sicherstellungsauftrag soll die KV dann noch haben, wenn die Rosinenpickerei über Bonusverträge und eine integrative Versorgung stattfindet? Damit meine ich nicht die Ermächtigung, die bereits jetzt funktioniert. Als KV brauchen wir eine Ermächtigung; das ist nicht strittig. Eine wirkliche Integration zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, die über Modellversuche möglich ist, wäre zu begrüßen. Herr Professor Vilmar hat bereits gesagt: "im Benehmen" bedeutet, daß ein Brief geschrieben wird. Wie soll die KV noch einen Sicherstellungsauftrag haben, wenn es ein sektorales Budget der Krankenkassenverbände und ein abgezweigtes Budget für die integrative Versorgung gibt? Das Krankenhaus kann sich vor dem Jahr 2003 nicht an einem kombinierten Budget beteiligen. Wer dazu Fragen hat, möge sich an Herrn Hess oder Herrn Schirmer wenden.

Von dem Restauftrag hinsichtlich der ambulanten Versorgung durch Hausärzte und Fachärzte - beide sitzen in einem Boot - wird die im Referentenentwurf stehende integrative Versorgung genommen. Es bleibt ein Flickenteppich als Sicherstellungsauftrag übrig. Das ist kein Reformschritt, sondern ein Nachteil für unsere Patienten.

Danke.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Hammer. Als nächster Redner bitte Herr Kunze, Bayern.
 
Prof. Dr. Kunze, Bayern:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche zum Antrag 12, den ich zusammen mit Herrn Professor Lob gestellt habe. Herr Professor Lob ist nicht als Antragsteller aufgeführt; ich bitte um entsprechende Korrektur.

Eine besondere Zielrichtung des Gesetzentwurfs ist die verbesserte Integration von ambulanter und stationärer Behandlung. Das ist eine Zielrichtung, die in jedem Fall zu begrüßen ist. § 116 a bedeutet in der Umsetzung gleichzeitig eine Systemveränderung. Darauf möchte ich Sie ganz deutlich hinweisen. Diese Systemveränderung können wir so nicht zulassen.

Es geht darum - Herr Schirmer hat es bereits ausgeführt -, daß die Krankenhäuser per Gesetz zur ambulanten Versorgung zugelassen werden. Sie brauchen es nur anzukündigen. Dann können die KVen widersprechen. Aber bei Stimmengleichheit wird der Widerspruch abgelehnt. Das heißt im Klartext: Die Krankenkassen entscheiden, welche ambulante Versorgung an den Krankenhäusern stattfindet. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Krankenkassen werden Verbündete sein, denn die Krankenkassen werden generell den Widerspruch der KVen ablehnen. Die Krankenhäuser brauchen es also nur anzuzeigen und sind dann zur ambulanten Behandlung zugelassen.

An anderer Stelle ist zwar etwas über einen Katalog ausgeführt, aber in § 116 a steht, daß sie auch zur Behandlung schwerer Krankheitsbilder zugelassen sind. Diesbezüglich sind sie nicht eingeschränkt, sondern sie können die gesamte Behandlung schwerer Krankheitsbilder durchführen.

Man muß sich vor Augen führen, daß hier ein Tor geöffnet wird; Stichwort: Öffnung der Krankenhäuser. Deshalb ist aus meiner Sicht dringend zu fordern, daß wir die vorgesehene Institutsermächtigung unter keinen Umständen zulassen dürfen.

(Beifall)
 
Es muß dem Urteil des Bundessozialgerichts Rechnung getragen werden, das schon 1995 festgestellt hat:

Eine Ermächtigung zur kassenärztlichen Versorgung setzt eine hohe Spezialisierung und eine umfassende persönliche Erfahrung des zu ermächtigenden Arztes voraus. Dem kann im Rahmen einer Institutsermächtigung nicht angemessen Rechnung getragen werden, weil nicht gewährleistet ist, daß der Arzt, der tatsächlich die Behandlung durchführt, über hinreichende Kenntnisse und Erfahrungen verfügt.

An anderer Stelle wird festgestellt, daß eine persönliche Ermächtigung, wenn der Antrag gestellt wird, gegenüber einer Institutsermächtigung vorrangig ist.

Im Gesetzentwurf ist keine Konfliktlösung eingebaut. Was geschieht denn, wenn ein zugelassenes Krankenhaus eine ambulante Behandlung durchführt und gleichzeitig ein an diesem Krankenhaus tätiger Arzt eine persönliche Ermächtigung beantragt? Die persönliche Ermächtigung ist nach der Rechtsprechung vorrangig, wie ich ausführte. Über diesen Antrag müßten die Krankenkassen befinden. Sie kennen die Qualität des zu ermächtigenden Arztes und können entscheiden, ob sie ihn ermächtigen oder eine Institutsermächtigung haben wollen. In aller Regel werden sie sich für die Institutsermächtigung entscheiden.

Ich bitte Sie sehr herzlich, dem Antrag I-12 zuzustimmen.

Danke.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Kunze. Als nächster Redner bitte Herr Schneider, Mecklenburg-Vorpommern.
 
Dr. Schneider, Mecklenburg-Vorpommern:  

Ich möchte zunächst einmal dem Antrag von Herrn Ottmann aus Bayern zustimmen, der erklärt: Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, hier etwas zu ändern. Die Ermächtigungen sind in der Regel ausreichend. Wenn sie von einzelnen nicht genügend genutzt werden oder wenn die Voraussetzungen und die örtlichen Bedingungen vor dem Zulassungsausschuß nicht genügend dargelegt werden, sind die Antragsteller zum Teil selbst daran schuld.

Der Antrag 18 ist in der geänderte Form wesentlich besser. Aber die Begründung hat mich etwas aufgeregt. Dort steht, daß durch die Übernahme des stationären Arztes Informationsverluste vermieden werden. Das bedeutet praktisch: Wenn ein Patient, der lange bei seinem ambulant tätigen Arzt in Behandlung ist, ins Krankenhaus kommt, dann werden Informationsverluste vermieden. Das implementiert, daß der Patient vorher keinen Arzt hatte. In der Regel ist es so, daß der Patient schon lange in Behandlung war. Beim Wechsel von der ambulanten zur stationären Behandlung erfolgt ein entscheidender Arztwechsel. Es ist eigentlich nur recht und billig, daß der Patient zu seinem Hausarzt zurückkommt, der entsprechend wohnortnah zur Verfügung steht.

In der Begründung steht, die häufigen Arztwechsel würden verhindert. Dazu meine ich: Die Arztwechsel sind bei der ambulanten Versorgung wesentlich seltener als im Krankenhaus, vor allen Dingen in der Universitätsklinik. Unsere Patienten klagen immer wieder darüber, daß sie in Spezialsprechstunden der Universitätsklinik jedesmal ein anderes Gesicht sehen und jedesmal erneut gefragt wird: Was ist eigentlich los?

Lassen wir es bei der wohnortnahen Betreuung durch ambulant tätige Ärzte! Der Grundsatz lautet: ambulant vor stationär. Das gilt auch hier. Wenn es Lücken in der ambulanten Versorgung gibt, dann müssen über den Zulassungsausschuß diese Lücken gefüllt werden.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Schneider. Als nächster Redner bitte Herr Everz vom Vorstand.
 
Dr. Everz, Vorstand der Bundesärztekammer:  

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung ist ärztlich gewollt und ist sinnvoll. Sie wird befürwortet. Ich denke, sie wird in vielen KV-Bereichen heute eindeutig praktiziert. Ich spreche aus meiner Erfahrung in über zehnjähriger Tätigkeit im Vorstand der KV Trier. Ein Großteil der Oberärzte sind zu entsprechenden Leistungen ermächtigt. Dies ist eine bereits praktizierte Verzahnung, auch wenn ich zugeben muß, daß dies sicherlich noch ausbaufähig ist.

Das Gesetz ist aus meiner Sicht abzulehnen, da es unpräzise und schlampig ist. Nehmen Sie als Beispiel die Krebserkrankungen. Auch ein Basaliom ist eine Krebserkrankung. Dürfen denn in Zukunft alle Patienten mit einem Basaliom oder einer ähnlichen Krebserkrankung stets und für immer mit allen ihren Erkrankungen den stationären Bereich aufsuchen? Dies ist meiner Meinung nach aus dem Gesetz herauszulesen. Ich denke, daß dies auch nicht im Sinne der stationären Versorgungsbereiche ist, denn das Krankenhaus würde an diesem Versorgungsauftrag sicherlich ersticken.

Es muß die Aufgabe eines entsprechenden Gesetzes sein, eine exakte Beschreibung des Versorgungsauftrags zu liefern. Daraus ergibt sich zwingend, daß letztendlich auch dieser Versorgungsbereich entsprechend finanziell bewertet werden kann; denn er soll ja in Zukunft sowohl aus dem stationären als auch aus dem ambulanten Topf finanziert werden.

Ich denke ferner, daß vorhandene Strukturen beachtet werden müssen. Der wichtigste Punkt jedoch ist: Die Unterstellung dieser integrativen Versorgungsformen muß im Bereich der ärztlichen Selbstverwaltung erfolgen. Dies darf keinesfalls unter den alleinigen Einfluß der Krankenkassen geraten.
 
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Everz. Als nächster Redner bitte Herr Crusius, Mecklenburg-Vorpommern.
 
Dr. Crusius, Mecklenburg-Vorpommern:  

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich bin dafür, daß es nicht in den Krankenkassenbereich gelangt. Dennoch brauchen wir eine Integration. Wir reden in der deutschen Ärzteschaft seit 1978 von einer Integration. Allein: Bis heute ist sie nicht mit Leben erfüllt worden. Das ist ein Vorwurf, den wir uns machen lassen müssen.

Aber das Ministerium macht folgenden Fehler: Einer solchen Integration muß eine Analyse vorausgehen. Die Ärzteschaft hat diese Analyse vorgenommen. Herr Jonitz hat auf dem Kongreß "Evidence Based Medicine" im vergangenen Jahr in Berlin hervorragende Fachvertreter versammelt. Allein in dieser Beziehung muß ich Herrn Dietrich zustimmen. Dort wurde über Herzkatheter, Mammakarzinome und Nachsorge gesprochen. Dort haben wir innerärztlich tatsächlich Defizite, weil bestimmte Tätigkeiten vollbracht werden, obwohl sie ärztlich nicht sinnvoll sind.

Diesen Vorwurf kann uns die Politik machen. Das müssen wir innerärztlich klären. Deswegen müssen wir auch über Strukturen diskutieren. Herr Schneider hat eben gesagt: Es ist keine Änderung nötig. Lieber Ingo, wir müssen innerärztlich bestimmte Änderungen vollziehen, sonst sind wir in der Öffentlichkeit nicht mehr glaubwürdig.

Die wenigen Reserven, die wir noch haben, liegen in der Integration. Herr Schilling hat vorhin über die Professionalisierung der KVen gesprochen. Ich denke, die KVen arbeiten professionell. Aus meiner Kenntnis heraus müßte man zu einer gerechteren Verteilung der Honorare kommen, um der Verteilungsgerechtigkeit Genüge zu tun.

Ich möchte bei der Integration nicht die Kassen an führender Stelle haben, denn für mich sind die Kassenvertreter an dieser Stelle Zyniker. Um mit Oscar Wilde zu sprechen: Der Zyniker kennt von jeder Sache den Preis, jedoch nicht den Wert bzw. den Inhalt.

Herzlichen Dank.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Crusius. Als nächster Redner bitte Herr Müller, Westfalen-Lippe.
 
Dr. Müller, Westfalen-Lippe:  

Die Vorredner haben wie auch der Deutsche Ärztetag in der Vergangenheit eine Verbesserung der Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung befürwortet, haben aber sämtlich die Ausweitung der persönlichen Ermächtigung als das gelungene Rezept dargestellt, um in diesem Bereich Verbesserungen zu erreichen. Als angestellter Krankenhausarzt habe ich dazu möglicherweise naturgemäß eine andere Meinung. Ich möchte dies an zwei Punkten deutlich machen.

Eben wurde beklagt, in der Begründung meines Antrags 18 werde der mangelnde Informationsfluß beklagt, aber dieser Mangel sei im Krankenhaus viel größer als in der Praxis. Das ist möglicherweise mißverständlich formuliert. Ich denke, wir haben tatsächlich einen nicht unerheblichen Informationsverlust, und zwar zum einen bei der Einweisung des Patienten, zum anderen aber auch gerade bei Schwerkranken und chronisch Kranken bei der Entlassung aus dem Krankenhaus.

Nehmen wir das Beispiel der onkologischen Nachsorge. Sicherlich ist die Information dort, wo Diagnostik, Operation und Primärtherapie durchgeführt wurden, besser vorhanden und kann der Patient kompetenter in einer Nachsorge übernommen werden, als wenn der Patient zu einem niedergelassenen Kollegen geht, der ihn vorher nie gesehen hat. Das schmälert nicht die Qualität der ambulanten Versorgung. Aber ich denke, daß hier eine Informationsbündelung für den Patienten sinnvoll und hilfreich sein kann.

Ich finde, es gibt einen Widerspruch zwischen den Anträgen I-2 und I-5. Zum einen wird als Rezept für die verbesserte Verzahnung gefordert, die persönlichen Ermächtigungen auszubauen. Zum anderen wird auf das Krankenhaus eingegangen. Auch hier taucht wieder eine alte Ärztetagsforderung auf, nämlich die Abkehr von vertikalen Hierarchien im Krankenhaus und die Hinwendung zu kooperativen Leitungsmodellen. Das kennt man unter dem Schlagwort Teamarztmodell.

Es ist doch eine Tatsache, daß heutzutage bei der immer diffizileren Medizin, bei der immer höheren Spezialisierung sich die Kompetenzen nicht nur in einer Person über Jahre hinweg bündeln und aufbauen, sondern die Spezialisierung setzt längst während der Facharztausbildung ein. Heute gibt es in größeren Abteilungen zum Teil Assistenten, die bestimmte Partialfertigkeiten und
-fähigkeiten haben, bei denen sie ihre Vorgesetzten übertreffen, auch wenn das ungern gehört wird. Vor diesem Hintergrund, daß auch die Krankenhausstrukturen verändert werden sollen, halte ich die Eröffnung von Instituts-ambulanzen für einen sinnvollen und folgerichtigen Weg. Daher möchte ich die Delegierten, insbesondere die angestellten Ärzte, bitten, zu überdenken, ob eine Institutsambulanz nicht auch die Rolle des Krankenhauses in diesem sicherlich schwieriger werdenden Markt stärken kann. Die Krankenhäuser haben mit dem Bettenabbau zu kämpfen, mit Budgetbegrenzungen. Hier sehe ich eine Möglichkeit, das Krankenhaus als Arbeitsplatz attraktiv zu halten und für die Patienten unter der Informationsbündelung einen Ansprechpartner zu erhalten.
 
Danke schön.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke sehr. Als nächste Rednerin bitte Frau Hasselblatt-Diedrich, Hessen.
 
Dr. Hasselblatt-Diedrich, Hessen:  

Herr Präsident Vilmar! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir leid, daß ich die Schlußfolgerungen des jungen Kollegen gar nicht teilen kann. Ich sehe in § 116 a die größte Gefährdung für die Strukturen der medizinischen Versorgung in unserem Land nach dem Jahr 2000. Das erstaunt mich aber nicht, weil das in den Parteiprogrammen der SPD und der Grünen nachzulesen ist. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, wahrlich nicht immer der Freund der Krankenhausärzte, sieht jetzt endlich die Stunde gekommen für eine Forderung, die wir schon seit 1976 diskutieren und ablehnen, nämlich die institutionelle Öffnung der Krankenhäuser. Diese ist nicht notwendig. Sie dient nicht dem Patienten, sie dient nicht der Qualität der Versorgung. Sie schadet den Krankenhausärzten, und zwar nicht nur den Leitenden Krankenhausärzten und den Oberärzten, sondern allen Mitarbeitern. Ich bin der Überzeugung: Wir brauchen eine flächendeckende fachärztliche Versorgung im Krankenhaus und in der Praxis. Hier müssen Kooperation und Integration stattfinden. Dazu haben wir Vorschläge entwickelt, beispielsweise im "Blauen Papier", hinter dem wir alle stehen.

Es gibt vielfältige Strukturen am Krankenhaus, beispielsweise fachärztliche Praxen mit für den Patienten risikoreichen Therapien und Diagnostiken. Alle diese Kooperationsformen sollten wir ausbauen. Das sollten wir aus eigener Kraft schaffen. Wir brauchen dazu weder die Krankenkassen noch die Politik. Wir benötigen dazu allerdings die Unterstützung der Krankenhausgesellschaft und der Träger.

Wir müssen beweisen, daß eine individuelle, persönliche, patientenorientierte Behandlung durch die Ärzte, die dazu ermächtigt werden und die persönlich dafür geradestehen müssen, die die Behandlung erbringen und sie vertreten müssen, der richtige Weg ins Jahr 2000 ist, der richtige Weg für eine sinnvolle Verzahnung und Integration von ambulanter und stationärer Versorgung. Ich denke, das steht im Mittelpunkt der neuen Strukturen, die wir erarbeiten müssen.

Hier hat Frau Fischer wirklich bewiesen, daß Ideologie vor Sachverstand geht. Hier ist es besonders schädlich, daß keine substantiellen Gespräche geführt wurden. Wenn solche Gespräche stattfinden, sollte die eben angesprochene Problematik mit im Zentrum stehen; denn es geht um den wichtigen Punkt der fachärztlichen Versorgung im nächsten Jahrtausend.

Deswegen bitte ich Sie, die Anträge von Herrn Ottmann und Herrn Kunze zu unterstützen und den Antrag 18 abzulehnen. Die Begründung habe ich soeben dargelegt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Frau Hasselblatt. Als nächster Redner bitte Herr Ottmann, Bayern.
 
Dr. Ottmann, Bayern:  

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit den Ausführungen von Herrn Müller. Er hat gesagt: Ein Patient wird im Krankenhaus operiert, dann geht er zur Betreuung zurück zum Vertragsarzt, aber der hat ihn noch nie im Leben gesehen. Herr Müller, ich weiß nicht, ob Sie das Prozedere kennen. Mindestens 80 Prozent aller Tumorerkrankungen werden zunächst ambulant diagnostiziert. Anschließend gehen die Patienten ins Krankenhaus. Die ambulant tätigen Kollegen kennen also den Patienten. Insofern ist Ihr Argument hohl.

(Zustimmung)
 
Die Regierung hat sehr wohl die generelle Öffnung der Krankenhäuser vor. Sie gibt es nur nicht zu. Teilweise stand es in den Parteiprogrammen. Durch subtile kleine Änderungen in den Paragraphen wird in der Summation die generelle Öffnung erreicht. Beginnen wir mit der prä- und poststationären Behandlung. Nach der derzeitigen Regelung gibt es fünf Tage prästationäre Behandlung und 14 Tage poststationäre Behandlung. Bei der poststationären Behandlung konnte man bisher schon jederzeit abweichen, wenn das Krankenhaus in Abstimmung mit dem einweisenden Arzt dies für notwendig erachtete. Das war eine hervorragende Methode, die allerdings nicht oft angewandt wurde.

Können Sie mir sagen, weshalb die prästationäre Behandlung für die ambulante Diagnostik noch ausgedehnt werden soll? Das ist die subtile Form einer verkappten ambulanten Behandlung. Bei diesen Verträgen ist die KV gar nicht beteiligt. Diese Verträge werden ausschließlich zwischen der Krankenhausgesellschaft und den Krankenkassen abgeschlossen. Mit der KV ist das Benehmen herzustellen. Was dies bedeutet, wissen Sie alle.

Ich komme zu dem Katalog der ambulanten Operationen und zu den "stationsersetzenden Leistungen". Auch in diesem Paragraphen steht Nonsens. Es steht dort, daß man die Genehmigung einholen muß, wenn man einen solchen Patienten ambulant operieren will. Das ist Bürokratie pur. Man stellt fest, daß etwas getan werden muß, und dann telefoniert man mit dem Schalterbeamten oder dem Medizinischen Dienst, ob die Hammerzehe bei dem Einödbauern ambulant behandelt werden darf oder nicht. Das ist Unsinn und nicht praktikabel. Im entscheidenden Moment wird man den entsprechenden Sachbearbeiter gar nicht finden. Viel besser wäre die Regelung einer Begründung, warum derartige Leistungen stationär erbracht werden. Das reicht der Kasse aus. Wenn das aus irgendeiner lokalen Besonderheit heraus ausartet, kann man korrigierend eingreifen. Man darf aber keine Genehmigungspflicht einführen.

Die schlimmste Vorschrift findet sich in § 116 a. Darauf haben mehrere Vorredner bereits hingewiesen. Die KV kann Widerspruch einlegen, allerdings ohne Erfolg, wenn die regionalen Strukturen für eine ambulante Versorgung zwar vorhanden sind, aber das Krankenhaus dennoch den Antrag stellt. Was sind denn komplizierte Erkrankungen oder komplizierte Verläufe? Diesen Katalog möchte ich wirklich nicht erarbeiten müssen. Was soll das sein? Eine normale Erkrankung kann in einen solchen Katalog nicht aufgenommen werden. Es ist medizinisch fast nicht möglich, einen solchen Katalog zu erstellen. Das bedeutet die institutionelle Öffnung der Krankenhäuser.

Nebenbei werden auch noch die Reha-Kliniken für die ambulante Behandlung geöffnet. Das steht in § 125 a. Das wird zwar nicht aus dem vertragsärztlichen Pool bezahlt, aber es ist eine ambulante Tätigkeit. Vielleicht haben wir vergessen, daß es inzwischen niedergelassene Fachärzte für Rehabilitative Medizin gibt. Das ist genau deren Terrain.

Durch minutiöse kleine Änderungen im Gesetzestext findet eine Öffnung der Krankenhäuser statt. Ich weiß, daß die Krankenhausärzte gar nicht in der Lage sind, das zu machen, aber der Träger wird schon kommen und die Daumenschrauben anziehen. Hier handelt es sich um eine existentielle Bedrohung aller Vertragsärzte, auch der Hausärzte. Denken Sie nur an die chronischen Krankheiten.

Stimmen Sie dem Antrag I-37 zu. Die generelle Öffnung der Krankenhäuser ist für uns indiskutabel.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Ottmann. Als nächster Redner bitte Herr Möhrle vom Vorstand.
 
Dr. Möhrle, Vorstand der Bundesärztekammer:  

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mir fast alles ersparen, was ich sagen wollte, denn Herr Ottmann und zuvor Herr Kunze haben das meiste gesagt. Ich will es nicht wiederholen.

Herr Kollege Müller, ich möchte zu Ihnen einen ergänzenden Satz sagen. Wenn Sie meinen, daß die Nachbehandlung im Krankenhaus besser stattfinden könne als beim niedergelassenen Kollegen - Sie haben den Onkologen erwähnt -, dann denken Sie bitte daran: Dieser Kollege war vielleicht vor zwei Jahren noch Ihr Kollege im Krankenhaus oder gar Ihr Oberarzt. Zumindest für einige Jahre wird er in der Lage sein, den Patienten draußen mindestens genausogut zu behandeln wie Sie. Wenn er es nicht kann, dann liegt es meistens an pekuniären Hemmnissen wie beispielsweise der Budgetierung, die hier vorgesehen ist. Wenn er es nach einigen Jahren nicht mehr kann, ist das unser Thema von morgen, nämlich ein Thema der Fortbildung.

Es geht wirklich nicht um die Notwendigkeit einer Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung. Wir sind uns darüber einig, daß diese gefördert werden muß. Es geht um die perfiden Einzellösungen. Eine hat Herr Ottmann gerade erwähnt, nämlich die Widerspruchslösung für die Ermächtigung des Krankenhauses und den Katalog schwerer Erkrankungen und komplizierter Verläufe. Was ist das? Ist jeder Patient, der vier Wochen lang Rückenschmerzen hat, ein schwerer Fall? Sind die angeblich sechs Millionen chronisch Schmerzkranken, die es in Deutschland gibt, alles komplizierte Verläufe? Dann kann man es gleich ganz freigeben. So geht es nicht.

Stellen Sie sich vor, wie die Situation in einigen Jahren aussehen könnte. Wir haben dann eine fachärztliche Versorgung nur noch am Krankenhaus. Das Feld der ambulanten Medizin gehört den Hausärzten, die selbstverständlich nur noch mit Stethoskop und durch Auflegen der Hand arbeiten können. Alles andere ist im Krankenhaus konzentriert. Das mag ein System sein, über das man reden kann, wenn man die Fachärzte wieder mehr ins Krankenhaus bringt oder sie gleich dort beläßt. Aber es bedarf zwei oder drei Generationen von Ärzten, um zu diesem Zustand zu gelangen. Das kann man nicht mit einem Gesetz oder mit einem Federstrich von heute auf morgen erreichen.

Ich möchte hier die Solidarität aller Ärzte einfordern, auch die der Hausärzte. Es betrifft sie genauso. Ebenso wie die Hausärzte die Solidarität der niedergelassenen Gebietsärzte einfordern für die Stärkung der hausärztlichen Funktionen, so möchte ich die Hausärzte bitten, dafür zu sorgen, daß auch die niedergelassenen Gebietsärzte zumindest in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch ihre Daseinsberechtigung haben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke. Als nächster Redner bitte Herr Wildmeister, Nordrhein.
 
Prof. Dr. Wildmeister, Nordrhein:  

Herr Möhrle, genau das wollte auch ich ausführen. Die Öffnung der Krankenhäuser durch Institutsformen ist die größte Gefahr für unsere jungen Leute. Das muß man ihnen ganz klar sagen. Der Absprung aus dem Krankenhaus in die niedergelassene Praxis wird dadurch weiter erschwert. Das Institut wird auf diesem sehr seltsamen Weg ausgesprochen. Die KV hat keine Macht mehr, einen Regelmechanismus einzubauen. Auch das Honorarsystem des EBM ist dort außer Kraft. Die Bundespflegesatzverordnung wird im Vordergrund stehen.

Es wird zu folgender Situation kommen: Durch Rosinenpickerei wird die Kasse dafür sorgen, daß in einigen Krankenhäusern, nämlich dort, wo ein Spezialist tätig ist, ein Teil der Versorgung der Patienten im Wege eines Instituts erfolgt. Aber was geschieht, wenn dieser Spezialist aus dem Krankenhaus ausscheidet? Diese Institutsleistung wird noch lange bestehen, obwohl kein kompetenter spezialisierter Arzt mehr vorhanden ist. So wird nach und nach der Gebietsarzt, der draußen um seine Existenz kämpft und für die Versorgung unserer Patienten da ist, ausgetrocknet. Das ist eine pure Hollandisierung.

Die grüne Gesundheitssenatorin in Bremen - auch Herr Schulte-Sasse sympathisierte früher mit den Grünen - hat es auf den Punkt gebracht: Es sollen in Deutschland ambulant nur noch Hausärzte tätig sein, stationär oder im Bereich der ambulant-stationären Verzahnung Gebietsärzte. Gleichzeitig wird im Krankenhaus die Bettenreduzierung vorangetrieben, ebenso die Reduzierung der Zahl der Kliniken. Unsere jungen Leute müssen sich fragen, wo sie eine Perspektive finden können. Eine Realisierung ihrer Träume in der wunderbar schönen Medizin ist unmöglich.

Die Belastungen im Krankenhaus durch eine solche Funktionseinrichtung spiegeln sich im übrigen auch in den Verträgen wider, wonach eine Umwidmung in der Inneren Medizin bis maximal drei Jahre zur Weiterbildung in der Allgemeinmedizin erfolgen muß. Sie wissen, daß der Marburger Bund und der Berufsverband der Deutschen Internisten dies ablehnen. Additiv kann jeder in der Inneren Medizin Weiterbildung betreiben. Dort sind Plätze und Kapazitäten frei. Aber eine Umwidmung der Existenzen unserer jungen Assistenten, die in der Klinik arbeiten, die Bereitschaftsdienst und Rettungswesen absolvieren, kann nicht erfolgen. Dies sei in diesem Zusammenhang auch noch erwähnt.

Herzlichen Dank.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Wildmeister. Als nächster Redner bitte Herr Sudeck, Hamburg.
 
Dr. Sudeck, Hamburg:  

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Krankenhausarzt in einer kleinen, sehr spezialisierten Institution in Hamburg. Ich fand das, was der Kollege Müller gesagt hat, nicht schlecht. Ich stelle fest, daß auf der einen Seite hier zu verschiedenen Themen immer Horrorszenarien ausgemalt werden, nämlich dann, wenn es um die Öffnung der Krankenhäuser für spezialistische Fachprobleme geht, wenn es um besondere Techniken geht. Von den Vorrednern wurde zum Teil so getan, als würden die Krankenhäuser die Internisten und die niedergelassenen Fachärzte demnächst ablösen. Das ist in meinen Augen Polemik. Ich glaube, genau das ist es, was den Ärzten in der Öffentlichkeit so schadet: daß aus einer im Grunde genommen fachspezifischen Diskussion, nämlich der Frage, wo Krankenhäuser Leistung erbringen können, die im niedergelassenen Bereich nicht ausreichend qualifiziert erbracht werden können, ein berufspolitisches Schlachtfeld

entsteht, obwohl die Diskussion einer solchen Frage einer Verbesserung der Qualität der Medizin insgesamt dienen könnte. Das ist schlecht.

(Zustimmung)

Ich meine, das dürfen wir uns auf einer Veranstaltung wie dieser hier nicht leisten.

Wir haben uns seitens unseres Instituts sehr um eine Institutsermächtigung bemüht. Das haben wir getan, weil es für kleine Abteilungen - spezialisierte Abteilungen werden oft klein sein - unrealistisch ist, daß ein einzelner Ermächtigter immer persönlich diese Leistungen erbringt. Er wird sich vertreten lassen müssen oder er wird sich einen Patienten nur vorstellen lassen und seine Spezialistenmeinung dazu äußern. Er wird seine Fachkenntnisse kurz einbringen. Er wird nicht immer abkömmlich sein. Er wird vor allem Kollegen, die in anderen Subspezialitäten oder Bereichen qualifiziert sind, hinzuziehen müssen. Diese sind aber nicht immer ermächtigt.

Wenn Sie eine Frage wie die der Einzelermächtigung oder wie die der Institutsermächtigung dazu benutzen, das Konzept der spezialistischen Versorgung am Krankenhaus auszuhebeln, dann finde ich das fatal. Ich kann Ihnen für mein Fachgebiet sagen: Wenn wir zum niedergelassenen Kollegen zurücküberweisen und erklären, daß diese oder jene Behandlung durchgeführt werden muß, für die wir nicht ermächtigt sind, dann ruft eine Stunde später der Apotheker an und erklärt, von dem Kollegen XY ist ein Medikament verordnet worden, das ich gar nicht kenne. Wie bekomme ich das?

Es gibt Nischen für die spezialisierte Versorgung, die zum Teil von Klinikabteilungen wahrgenommen werden können. Ich finde, dies darf man nicht durch ein berufspolitisches Niedermachen einzelner Fragen verbauen.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Sudeck. Als nächster Redner bitte Herr Reitinger, Baden-Württemberg.
 
Dr. Reitinger, Baden-Württemberg:  

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie werden sich erinnern, daß im letzten Jahr bei der Behandlung dieser Konsensusfragen bezüglich der besonders spezialisierten medizinischen Zusammenhänge in der Klinik und im ambulanten Bereich besonders störend war, daß damals die Gesundheitszentren ins Gespräch gebracht wurden, daß also die institutionelle Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung schon von der Krankenhausgesellschaft vorgegeben war. Bei der Behandlung dieser Themen am 10./11./12. Mai in Berlin durch die verschiedenen interessierten Kreise - Regierung, Krankenkassen, Krankenhausträger - war deutlich zu erkennen, daß es durch Versäumnisse auch unsererseits zu diesem Eklat kommen mußte, den wir im letzten Jahr hatten. Wenn in diesem Jahr nur 0,9 Prozent Krankenhausärzte zusätzlich in den Krankenhäusern tätig sind, dann ist sicher nicht anzunehmen, daß sich in der Realität mehr Ermächtigte dieser speziellen Dinge annehmen.

Was kommt von seiten der Politik auf uns zu? Es werden neue Entgeltsysteme diskutiert, also die diagnosebezogenen Fallpauschalen, die mit bestimmten Dingen aufgefüttert werden. Dort ist von einem selbständigen ärztlichen Bereich nicht mehr die Rede. Es sind Dienstleistungsmaßnahmen, die das Krankenhaus zu erbringen hat. Die Rosinen - Transplantationsmedizin, Herzchirurgie - werden hin und hergeschoben. Jeder holt sich das Beste heraus. Die beteiligten Ärzte, die ihre Arbeit mit hoher Fertigkeit verrichten, schieben Überstunden über Überstunden vor sich her. Sie sind die am meisten im Stich Gelassenen.

Das Teamarztmodell wäre viel weiter vorangekommen, wenn wir mehr Ermächtigte in diesem speziellen Bereich gehabt hätten.

Wir können in diesem Entwurf die Fortsetzung dessen erkennen, was Herr Neubauer beschrieben hat: die Umstellung des sozial-ethischen Gesichtspunkts auf einen rein sozial-ökonomischen Aspekt im Krankenhaus.

Deshalb bitte ich Sie dringend, den Antrag von Herrn Kunze zu unterstützen. Es ist höchste Zeit, daß wir hier etwas auf den Weg bringen.

Vielen Dank.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke sehr. Als nächster Redner bitte Herr Hoppe.
 
Prof. Dr. Hoppe, Vizepräsident:  

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir krank werden, legen wir allergrößten Wert darauf, daß wir uns die Ärztin oder den Arzt aussuchen, die bzw. den wir wollen und der bzw. dem wir vertrauen. Ich meine, dieses Privileg sollten wir allen in Deutschland gewähren, daß sie in möglichst vielen Fällen ihren Arzt selbst aussuchen, ob auf Hausarzt- oder Facharztebene, ob im ambulanten oder im stationären Sektor. Daß darüber hinaus Spezialisten bei Diagnostik oder Therapie hinzugezogen werden müssen, steht auf einem anderen Blatt. Auch das kann man so organisieren, daß dabei das Vertrauen zwischen Arzt und Patient eine große Rolle spielt.

In der im März publizierten Delphi-Studie zur Zukunft des Gesundheitswesens auf der Basis der Arbeiten von Herrn Professor Wasem und des Emnid-Instituts, publiziert von der Firma Janssen-Cilag, finden Sie, daß die freie Arztwahl und das persönliche Arzt-Patient-Verhältnis für die Bürger unseres Landes eine ganz hochrangige Rolle spielen. Die Politik fördert mit ihrem Gesetzentwurf eine Art der Arzt-Patient-Beziehung, die immer mehr den Erfüllungsgehilfenstatus einer Institution zum Inhalt hat. Das muß uns mit Sorge erfüllen, wenn sich das so entwickeln sollte, weil wir dann nämlich immer mehr in die Situation geraten, auch im ambulanten Sektor, daß wir als von den Krankenkassen Gegängelte die Erfüllungsgehilfenfunktion ausüben, statt daß die freie Arzt-Patient-Beziehung gefördert wird.

Wenn wir also auf dieses Gesetz einwirken wollen, können wir uns auf die Bevölkerung berufen und können die Wünsche der Bevölkerung mitteilen, die zugleich unsere Wünsche sind. Wir können es ablehnen, in einen gegängelten Status geschoben zu werden. Wir können es befürworten, in vielen Fällen die persönliche Patient-Arzt-Beziehung in den Vordergrund zu stellen. Die Lösung muß dann ganz anders aussehen als eine Institutionalisierung der ärztlichen Versorgung.

Schönen Dank.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Hoppe. Als nächster Redner bitte Herr Holfelder, Hessen.
 
Dr. Holfelder, Hessen:  

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Sudeck hat mit seinen Ausführungen bewiesen, daß er den Unterschied zwischen institutioneller und persönlicher Ermächtigung gar nicht versteht. Das, was er beklagt, nämlich daß der persönlich ermächtigte Klinikarzt manchmal abwesend ist oder etwas Besseres zu tun hat, geht uns niedergelassenen Ärzten doch genauso. Wir müssen sehen, daß wir es selber machen. Genauso muß es der Klinikarzt machen. Er kann es nicht einfach delegieren. Das ist dann eine institutionelle Ermächtigung, und die wollen wir nicht; denn dann gibt es keine Chancengleichheit mehr.

Man sollte auch nicht vergessen, daß in dem Gesetz etwas Gutes steht, auch wenn es wiederum einen Pferdefuß gibt. In § 115 b ist die Rede davon, daß für das ambulante Operieren einheitliche Vergütungen festzusetzen sind. Merkwürdigerweise ist die einheitliche Vergütung - hier kommt gleich wieder der Pferdefuß - für das Krankenhaus und für den niedergelassenen Arzt. Vom Arzt im Krankenhaus ist dort schon keine Rede mehr. Herr Ottmann hat vorhin bereits darauf hingewiesen, welche Problematik entsteht, wenn die Krankenkasse in jedem einzelnen Fall zu entscheiden hat, ob eine ambulant durchführbare Operation nach dem Katalog stationär durchgeführt werden muß. Herr Ottmann hat das Bäuerlein aus Niederbayern erwähnt. Es gibt viele Situationen, in denen auch aus psychosozialen Gründen eine ambulante Operation im Krankenhaus als stationäre Leistung durchgeführt werden muß.

Ein Wort zu § 116 a. In der Begründung ist die Rede von sogenannten schweren Krankheitsbildern. Dort heißt es z. B. Aids, Rheuma. Nach den Veröffentlichungen der Deutschen Rheuma-Liga schwankt die Zahl der Rheumakranken in Deutschland zwischen einer Million und 20 Millionen. Der frühere Ministerialrat Steinebach hat einmal gesagt: 20 Millionen sind keine schützenswerte Minderheit mehr.

Man kann mit allen möglichen Begriffen operieren, was alles Rheuma sein soll. Wenn alle diese Fälle in die Krankenhäuser verlegt werden sollen, können die niedergelassenen Fachärzte, gleich welcher Güte, sofort zumachen.

Vielen Dank.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Holfelder. Als nächster Redner bitte Herr Ludwig, Nordrhein.
 
PD Dr. Ludwig, Nordrhein:  

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit § 116 a muß klargestellt werden, daß die ambulante Behandlung nicht durch die Institution des Krankenhauses, sondern durch die Krankenhausärztinnen und Krankenhausärzte mit abgeschlossener Weiterbildung persönlich erbracht werden muß. Das dient sowohl dem Facharzt als auch dem Patienten. Es kann nicht angehen, daß der Facharzt einen Patienten zum ambulanten Zielauftrag in eine Klinik schickt und der Patient dort, wie es immer häufiger beobachtet wird, vom AiPler angeschaut wird oder von einem Arzt, der gerade in der Weiterbildung ist. Der Patient geht mit dem Vertrauen in die Klinik, daß er qualitätsgesichert behandelt wird. Wenn er von einem AiPler oder einem Arzt in der Weiterbildung behandelt wird, kann man das sicher nicht als qualitätsgesicherte Behandlung bezeichnen.

Wenn § 116 a vorschreibt, daß die Qualitätssicherung durch das Krankenhaus erfolgen muß, dann frage ich mich, wie das lege artis erfolgen soll. Hier werden dem Betrug Tür und Tor geöffnet.

Die Ermächtigung muß dem Krankenhausarzt in der Weiterbildung persönlich zugeordnet werden. Auf der anderen Seite muß man sehen, daß durch die persönliche Ermächtigung von Krankenhausärzten eine gewisse Kostentransparenz herbeigeführt werden kann, und zwar dahin gehend, daß die Klinikärzte sehen, was die Leistung kostet, wieviel der Leistung auf Sachkosten und beispielsweise Personal entfallen. Bedenken Sie bitte darüber hinaus: Es ist gerade in der heutigen Zeit wichtig, daß Krankenhausärztinnen und -ärzte wieder motiviert werden. Wenn eine Institutsermächtigung erteilt wird, dann hat dies mit der Motivation von Krankenhausärztinnen und -ärzten sicher nichts zu tun.

Vielen Dank.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:

Danke sehr. Als nächster Redner bitte Herr Kunze, Bayern.

Prof. Dr. Kunze, Bayern:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich nach der Wortmeldung von Herrn Sudeck und Herrn Müller zum Antrag 18 erneut Stellung nehmen sollte. Bei der Formulierung des Antrags 18 handelt es sich um eine generelle Befürwortung der gesamten Vorschriften der Integration zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, die im Referentenentwurf stehen. Ich bitte Sie herzlich, dieser generellen Befürwortung eine deutliche Absage zu erteilen.

(Beifall)
 
Ich verweise nochmals auf die gestrige Rede unseres Präsidenten. So einfach ist dienstrechtlich gesehen die Umsetzung natürlich nicht, daß die Krankenhausträger dienstrechtlich anordnen, daß eine ambulante Behandlung stattzufinden hat. Das würde im Klartext bedeuten, daß der Dienstherr bei Kenntnis der unentgeltlich abgeleisteten Überstunden weitere Überstunden anordnet. Das geht nicht so einfach. Das ginge höchstens mit zusätzlichen Stellen. Aber gerade das Gegenteil ist beabsichtigt. Wir würden zusätzliche Stellen für diese Tätigkeiten befürworten, wenn dies realistisch wäre. Nur: Diese Stellen gibt es nicht.

Ich verweise auf meine bereits gemachte Bemerkung: Das Ganze bedeutet in der Umsetzung eine Systemveränderung. Herr Rebscher hat bei Sabine Christiansen am letzten Sonntag auf die Frage, ob denn unbedingt mit einem Abbau von Stellen zu rechnen sei, geantwortet, er sei der Auffassung, daß es keinen Abbau von Stellen in den Krankenhäusern geben müsse, aber eine Umstrukturierung von Stellen. Was er mit "Umstrukturierung von Stellen" meint, ist allen Eingeweihten klar: Hier geht es um den Abbau der fachärztlichen ambulanten Behandlung in der Praxis und um die Verlagerung ins Krankenhaus.

Dem können wir nicht zustimmen. Deswegen bitte ich Sie herzlich, dem eine klare Absage zu erteilen.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke sehr. Als nächste Rednerin bitte Frau Gitter, Bremen.
 
Dr. Gitter, Bremen:  

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Fischer hat von uns Ärzten gefordert, daß wir Alternativen zu ihrem Referentenentwurf diskutieren sollen. Bezüglich der Integration von stationärer und ambulanter Versorgung liegen seit Jahren die Alternativen der Ärzteschaft vor. Wir haben im "Blauen Papier" Konzepte vorgelegt, zuletzt auch 1998 in Köln. Wir haben uns für eine persönliche Ermächtigung der Krankenhausärzte für die ambulante Versorgung in bestimmten Fällen ausgesprochen. Dies war Konsens.

Deswegen habe ich zum Antrag 18 den Änderungsantrag 18 a eingebracht, der klarstellen soll, daß wir die Konzeption des Referentenentwurfs nicht gutheißen, daß wir gleichwohl einer Integration von ambulanter und stationärer Versorgung zustimmen, aber auf der Grundlage der von uns, der verfaßten Ärzteschaft, entwickelten Konzepte.

Wenn ich als Krankenhausärztin die Verantwortung für die Arbeit in meiner ambulanten Tätigkeit übernehmen soll, dann möchte ich persönlich dazu ermächtigt sein und nicht über die Institution des Krankenhauses. Dann möchte ich gern diese freiheitliche Form der Versorgung haben.

Vielen Dank.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Vielen Dank, Frau Gitter. Als nächster Redner bitte Herr Schimanke, Mecklenburg-Vorpommern.
 
Dr. Schimanke, Mecklenburg-Vorpommern:  

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zugegeben: Es hat schon seinen Reiz für einen Krankenhausarzt, seinen Patienten von der Stellung der Indikation über die Operation bis zur gesamten Nachsorge aus einer Hand zu betreuen. So gesehen wäre es für einen stationär tätigen Chirurgen durchaus interessant, wenn dieses Institut eröffnet wäre und man den Patienten von Anfang bis Ende behandeln könnte.

Ich sehe aber einige ganz große Risiken, weshalb ich dieser Regelung heftig widersprechen muß. Zum einen ist zu fragen: Wer erbringt die Leistung in diesem institutionell geöffneten Krankenhaus? Es gibt mittlerweile nur noch wenige hochqualifizierte Fachärzte, die mit der stationären Tätigkeit nicht nur ausgelastet, sondern weitgehend überlastet sind. Die Weiterbildungsassistenten werden in der Regel durch AiPler ersetzt, weil diese kostengünstiger sind.

Für die Verwaltung eines Krankenhauses hat es einen ökonomischen Reiz, so zu verfahren. Sie wird auf diesem Weg eine zusätzliche Einnahmequelle sehen. Dieses Einkommen wird zusätzlich und ohne Gegenleistung an diejenigen, die es erwirtschaften müssen, zur Verfügung gestellt. Es fließt aus dem vertragsärztlichen Topf in den Krankenhaustopf, ohne daß dafür eine leistungsgerechte Vergütung erfolgt.

Der andere Gesichtspunkt ist: Hat im Zusammenhang mit dem ambulanten Operieren - das taucht in dem gesamten Referentenentwurf nicht ein einziges Mal auf - jemand nach dem Willen des Patienten gefragt? Nirgendwo ist vorgesehen, daß der Patient auch dann stationär operiert werden kann, selbst wenn diese Operation als ambulante Leistung im Katalog steht, wenn er dies will. Ich kenne zahlreiche Patienten, die ambulant operiert werden könnten, und zwar von einem niedergelassenen Kollegen. Ich habe sie nur deshalb operiert, weil sie dies wollten. Sie wollten eben im Krankenhaus operiert werden. Ich meine, im Referentenentwurf ist der Wille des Patienten vollkommen unberücksichtigt geblieben. Die Regelungen der §§ 115 und 116 sind nur vordergründig nützlich. Für die Patienten und die Leistungserbringer im Krankenhaus sind sie sicherlich nicht günstig.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Schimanke. Als nächster Redner bitte Herr Blandfort, Saarland.
 
San.-Rat Dr. Blandfort, Saarland:  

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht um die ambulante Öffnung der Krankenhäuser, also um § 116 a. Ich möchte Ihnen nicht die Arbeit aus dem Jahre 1996 vorenthalten, die einen Vergleich der saarländischen Krankenhäuser mit den Krankenhäusern in anderen Bundesländern enthält. Die Arbeit wurde vom Leiter des Verbands der VdAK verfaßt, der gleichzeitig stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD ist. Als Ergebnis kam unter Punkt 7 die Feststellung heraus, daß eine ambulante Öffnung der Krankenhäuser kontraproduktiv ist. Als ich das Herrn Lang vorwarf und erklärte, daß seine Partei das Gegenteil erklärt, erwiderte er mir, er werde seinen Genossen diese Broschüre zuleiten, so daß darüber diskutiert werden könne. Ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört.
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke sehr, Herr Blandfort. Als nächste Rednerin bitte Frau Hasselblatt-Diedrich.
 
Dr. Hasselblatt-Diedrich, Hessen:  

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch eine Bemerkung zum ambulanten Operieren machen. Ich bin ja selber Chirurgin. Mich stört, daß mit dem Sachverstand von Krankenkassen, Krankenhausträgern und Kassenärztlichen Vereinigungen ein Katalog für das ambulante Operieren aufgestellt wird. Nun kann es ja sein, daß in den Kassenärztlichen Vereinigungen der Sachverstand hinzugezogen wird. Das will ich unterstellen. Ich halte es aber für notwendig, daß Vertreter der wissenschaftlichen Gesellschaften der betroffenen Gebiete von HNO bis zur Gynäkologie über die Chirurgie und die Orthopädie und die Kinderchirurgie ganz klar sagen: Dies kann unter diesen und jenen Bedingungen ambulant durchgeführt werden, sonst nicht.

Ich bin nicht bereit, meinen Kopf dafür hinzuhalten, daß aus ökonomischen Gründen das Risiko für den Patienten eventuell höher ist, als das Risiko der Operation an sich ist. Jede Operation ist ein Risiko. Der harmloseste Karpaltunnel kann kreislaufmäßig und sonstwie Probleme bereiten.

Ich bin der Meinung, wir sollten uns dafür einsetzen, daß der Sachverstand der wissenschaftlichen Gesellschaften hier mit einbezogen werden muß. Anderenfalls können die Operateure, die gern ambulant operieren, das Risiko nicht tragen.

Danke schön.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Frau Hasselblatt. Nunmehr liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Komplex vor. Bevor wir uns dem nächsten Komplex zuwenden, hat Herr Dr. Schorre, der Erste Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, als geladener Gast ums Wort gebeten, das ich ihm gemäß § 3 der Geschäftsordnung der Deutschen Ärztetage erteile. Bitte, Herr Kollege Schorre.
 
Dr. Schorre (geladener Gast): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich meinen Dank dafür aussprechen, daß Sie mir die Gelegenheit bieten, hier eine kurze Erklärung abzugeben, die sich mit dem Angebot von Frau Bundesgesundheitsministerin Fischer von gestern beschäftigt, mit der KBV ein politisches Gespräch zu führen. Bevor Sie in den nächsten Diskussionsblock eintreten, erlaube ich mir, folgende Information zu geben, ehe die Nachricht möglicherweise verfälscht an Sie gelangt.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß die Ministerin gestern dieses Angebot gemacht hat. Wenn man es richtig gehört hat, kommt man zu dem Ergebnis, daß es das Angebot einer Ministerin an die Spitze der KBV zu einem politischen Gespräch gewesen ist, um die zweifellos vorhandenen atmosphärischen Störungen aus der Welt zu schaffen.

Es gibt seit einigen Tagen einen Anhörungstermin im Gesundheitsministerium, nämlich den 7. Juni, wo über 100 Verbände angehört werden. In dieser Anhörung sollten gemäß der Planung gesetzestechnische Fragen besprochen werden, wie das in solchen Fällen immer geschieht.

Nun erreicht uns heute eine Einladung von Herrn Staatssekretär Jordan aus dem BMG zu einer Besprechung im BMG mit der KBV, und zwar des Inhalts, daß das Bundesgesundheitsministerium mit uns besprechen will, daß wir angeblich nicht zutreffende Informationen im Rahmen unserer Informationskampagne über die Medien ausgestrahlt haben. Diese Einladung, die heute bei uns eingegangen ist, ist, wenn man im System bleibt, ein Beratungsgespräch im Zusammenhang mit aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, wenn eine Körperschaft aus der Sicht der Aufsichtsbehörde sich nicht korrekt verhält.

Ich möchte Sie gerne darüber informieren - es handelt sich ja um sehr spannende und aufregende Diskussionen und Positionskämpfe -, daß diese Einladung zu einem Beanstandungsgespräch von uns nicht als die Einladung zu einem politischen Gespräch zwischen der Ministerin und der KBV verstanden werden kann.

Ich bedanke mich.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Vielen Dank, Herr Schorre, für diese Erklärung und dafür, daß wir so frühzeitig darüber informiert werden.

Wir kommen nun zum nächsten Komplex, nämlich der Qualitätssicherung. Auch das ist ein hochinteressantes Gebiet. Es wird sehr formalistisch gehandhabt, mit dem Ergebnis, daß die Qualität wahrscheinlich nicht verbessert wird.

Bitte, Herr Schirmer.
 
Schirmer, Justitiar der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung:  

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie den Zielsetzungen des Entwurfs entnehmen können, ist neben dem Globalbudget und der Integrationsversorgung der Bereich Qualität eine der Hauptsäulen der Regelungsabsichten des Gesetzgebers. Wie bei der Globalbudgetierung und der Sektoralbudgetierung und wie bei der Integrationsversorgung, wo man es mit Sprengbomben mit Langzeitzündern zu tun hat, die das System betreffen, ist dieser Bereich eine sehr komplexe Materie. Man könnte sagen: ein zielgenauer Treffer mit erheblichen Kollateralschäden, um eine neue Ausdrucksweise zu benutzen.

Zunächst ist § 70 die bemerkenswerteste Vorschrift. Dort steht nämlich - man fragt sich, ob es das bisher nicht gegeben hat -, daß die Versorgung in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden muß. Es ist ja Standard des Behandlungsvertrags des Arztes mit dem Patienten und des Krankenhauses mit dem Patienten, daß der Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst, also nach dem Fachstandard, handelt. Auch das Krankenhaus ist dem Facharztstandard unterworfen.

Man könnte meinen, das sei eine Art Qualitätsverfügung per Dekret, und zwar geboren aus der Selbstberuhigung eines Gesetzgebers, der in das Budgetverlies steigt und aus Angst vor den Rationierungsfallen, die dort unten ausgelegt sind, das Lied der fachlich gebotenen Qualität pfeift, der vielleicht auch den Keller mit dem Schild versieht: Dies ist die erste Etage.

Das ist eine Art normativer Symbolismus, der hier zum Ausdruck kommt, also eine Bestätigung: Es kann sich nichts ändern, denn wir haben in das Gesetz geschrieben, daß die Versorgung der fachlich gebotenen Qualität folgt.

Nun zu den Einzelheiten. Es gibt eine Fülle von Vorschriften, deren Kern Sie in den §§ 136, 136 a, 137 a und 137 b finden, aber auch in den §§ 275 und 275 a sowie in den Vorschriften über den Datenaustausch. Dies alles wirkt in einem Regelungsgebilde zusammen. Es ist Ausfluß eines einheitlichen Konzepts, entfaltet aber ein sehr detailliertes Regelungsgebilde.

Das Qualitätsmanagement wird als Verpflichtung eingeführt; das findet sich in § 136 Abs. 2. Dort finden Sie ferner eine Bindung des Arztes, auch des Krankenhausträgers, also aller Leistungserbringer, an Leitlinien. Nach Leitlinien ist zu diagnostizieren und zu behandeln. Diese Leitlinien werden unter die Zielsetzung gestellt, eine wirtschaftlich sinnvolle Diagnostik und Behandlung zu ermöglichen. Man muß einmal im Detail darüber nachdenken, was dies eigentlich bedeuten soll.

Das System der Qualitätsregelungen ist in die Hände verschiedener Gremien gelegt, die darüber bestimmen und deren Zuständigkeiten nur schwer voneinander abzugrenzen sind. Man muß genau im Detail untersuchen, wer wofür zuständig ist, um zu erkennen, daß es sich um eine sehr kumulative Entscheidungsform handelt. Nach meiner Zählung sind mindestens zehn Entscheidungszentren für die Frage zuständig, nach welchen Maßstäben die Qualitätssicherung durchzuführen ist, wer von welchen Normen betroffen ist. Da gibt es zum einen den Bundesausschuß für den ambulanten Bereich, einen Ausschuß für die stationäre Versorgung, die Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung in der Medizin auf Bundesebene, die Spitzenverbände der Krankenkassen und die DKG. Darüber hinaus gibt es Vereinbarungen auf Landesebene und auf Bundesebene. Auch die Bundesärztekammer ist einbezogen, teilweise auch nur in der Form des Benehmens. Man muß im einzelnen feststellen, wer was wann und wie regeln darf. Man kommt möglicherweise zu dem Schluß, daß sich die Beteiligten schließlich gegenseitig "zerregeln", ohne daß das vernünftige Ziel einer Qualitätssicherung, wie es bisher in dem Gesetz angelegt war, erreicht wird.

Heute haben wir im Grunde genommen die Dominanz der berufsrechtlichen Kompetenz zur Regelung der Qualitätssicherung. Diese wird - das ist der vierte Gedankenstrich - im Grunde genommen durch dieses Gesetz der Definitionsmacht der Ärzte, die letztlich dafür entscheidend sind, entzogen und in die Krankenkassengremien verlagert, zumindest in die Gemeinsamkeit mit den Krankenkassen, teilweise auch in die Hände der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Krankenkassen, ohne daß beispielsweise die Bundesärztekammer eine maßgebliche Mitwirkungspflicht hat.

Das können Sie an der einfachen Regelung erkennen, daß beispielsweise die Richtlinienkompetenz der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für Qualitätssicherung einfach aus dem Gesetz gestrichen wird.

Das alles ist natürlich mit dem Gedanken verbunden, daß alles dokumentiert werden muß. Sie finden in § 136 a Abs. 1 Nr. 3 die Aufgabe für den Bundesausschuß, die im einzelnen zu erstellenden Dokumentationen und Berichte vorzusehen.

In § 136 a Abs. 2 sind die Qualitätsprüfungen erwähnt. Es sind danach Berichte an die Krankenkassen zu geben. Diese Berichte landen beim Medizinischen Dienst. Dieser Medizinische Dienst, der bisher weitestgehend Begutachtungs- und Prüfungsaufgaben für die Leistungsentscheidungen der Krankenkassen hat, wird mit neuen Kompetenzen versehen, die auch die Prüfung der Qualität der Versorgung umfassen. Ich erwähne beispielsweise die Vorschrift des § 275 a. Dort steht der Katalog der Aufgaben. § 301 b bezieht sich auf die Stichprobe durch Angehörige des Medizinischen Dienstes im Krankenhaus mit Blick auf die Versorgung im Krankenhaus, mit Rückmeldungen an die Krankenkassen. Das korreliert mit dem weiteren Komplex des Datenschutzes, mit der Datenkonzentration bei den Krankenkassen.

Hier werden in umfänglichster Weise Daten an die Krankenkassen übermittelt. Es sollen die Rechtsgrundlagen dafür geschaffen werden, daß die Krankenkassen diese Daten erheben dürfen. Es werden Arbeitsgemeinschaften gebildet, die gleichsam Datensammelstellen sind und diese Daten auswerten.

Ein Beispiel für eine solche Vorschrift ist § 303 a (neu), aus dem Sie ersehen können, daß diese Daten ausgewertet werden sollen und beispielsweise für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei den niedergelassenen Ärzten verwendet werden. Diese Arbeitsgemeinschaft macht sogar Prüfungsvorschläge für die Prüfungsgremien.

Mit anderen Worten: Aus der Fülle dieser Einzelregelungen ergibt sich ein Mosaik, das im Grunde genommen eine Art Krankenkassen-Qualitätssicherung abbildet, jedenfalls mit großem Einfluß und erheblichem Einfluß von seiten der Krankenkassen.

Ich möchte auch erwähnen, weil die Überschrift "Gesundheitspolizei" lautet, daß eine Prüfungseuphorie ausgebrochen ist. Der Gesetzgeber meint, er müsse nun Zusätzliches prüfen, und zwar interessanterweise in dem System der klassischen vertragsärztlichen Versorgung, während die Integrationsversorgung dadurch mittelbar attraktiv gemacht wird, daß sie von solchen Regelungen verschont bleibt, jedenfalls obligatorisch.

Der neue § 106 sieht eine erweiterte Wirtschaftlichkeitsprüfung vor. Durch Stichproben sollen Prüfungen vorgenommen werden, die nach vernünftiger Betrachtung in Ermangelung der Möglichkeiten dafür und auch der vorhandenen wissenschaftlichen Kriterien gar nicht durchgeführt werden können. Das steht auf Seite 61. Danach sollen geprüft werden: die medizinische Notwendigkeit der Leistungen (Indikation), die Eignung der Leistungen zur Erreichung des therapeutischen oder diagnostischen Ziels (Effektivität), die Übereinstimmung der Leistungen mit den anerkannten Kriterien für ihre fachgerechte Erbringung (Qualität). Es sind auch die Leistungen einzubeziehen, die veranlaßt wurden. Das bedeutet einen Prüfungsaufwand sondergleichen, der kaum zu realisieren ist.

Zu erwähnen sind auch Tagesprofile für Vertragsärzte; das steht in § 106 a.

Ich denke, daß ich Ihnen mit diesem Überblick einen Eindruck von diesen Vorschriften geben konnte. Es ist hier nicht der Raum, diese Vorschriften im einzelnen zu erörtern und in die Systematik und die Detailliertheit einzusteigen. Ich denke, daß man sich mit diesem Überblick einen Eindruck von der Regelung als solcher machen kann.

Vielen Dank.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Vielen Dank, Herr Schirmer, für diese Darlegungen. Wir kommen jetzt zur Diskussion. Als erster hat Herr Kolkmann, Baden-Württemberg, das Wort.
 
Prof. Dr. Kolkmann, Baden-Württemberg:  

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will es kurz machen. Man könnte auf den ersten Blick einen positiven Eindruck von diesem Kapitel Qualitätssicherung gewinnen, da das Thema Qualitätssicherung in diesem Entwurf einen deutlich höheren Stellenwert einnimmt, als das früher der Fall war. Es ist allerdings ein furchtbarer Stellenwert, wie man hinzufügen muß.

§ 137 a ist uns gewissermaßen als Bonbon erhalten geblieben. Wir sind selbstverständlich für die Qualitätssicherung und für eine Stärkung der Qualitätssicherung. Diesbezüglich besteht überhaupt kein Dissens mit den Verfassern des Entwurfs.

Wenn man die Bestimmungen des Entwurfs im Detail betrachtet, wird klar, daß auch bei der Qualitätssicherung in diesem Entwurf das Prinzip Bürokratisierung, Kontrolle, Sanktion, Entmachtung der verfaßten Ärzteschaft, Prüfungsorgien vertieft wird. Man kann Herrn Hoppe nur zustimmen: Die Qualitätssicherung wird ein Folterinstrument. Sie ist offenbar auch so gedacht.

(Beifall)
 
Praktisch keine der zehn Thesen, die wir seinerzeit auf dem Ärztetag in Dresden beschlossen und die wir im vergangenen Jahr in Köln ganz bewußt noch einmal bekräftigt haben, wurde berücksichtigt. Wie der gesamte Referentenentwurf, so ist auch das Kapitel Qualitätssicherung entschieden abzulehnen und zurückzuweisen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand.

Das Konzept der Qualitätssicherung, das der Gesetzgeber in diesem Entwurf zu erkennen gibt, ist steinzeitlich. Es kehrt die Zielsetzung, nämlich die Verbesserung der Patientenversorgung und Hilfestellung für die Ärztinnen und Ärzte bei ihrer Berufsausübung, ins Gegenteil um. Es wird eine Art Polizei eingerichtet; auch das wurde bereits ausgeführt. Es sollen die "Big Apples" gefunden und bestraft werden.

Nicht der Patient, sondern die Ökonomie steht im Mittelpunkt dieser Regelungen. Das Prinzip der Kontrolle in der Qualitätssicherung, das international seit mehr als 30 Jahren gilt, wird verlassen, weil es sich angeblich nicht bewährt hat. Herr Schulte-Sasse, angeblich einer der maßgeblichen Verfasser dieses Kapitels, der gern im Internet surft, hätte sich diese wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis leicht aus dem Internet abrufen können.

Ich nenne Ihnen zwei weitere Beispiele - neben vielen anderen - aus dem Absurdistan der Qualitätssicherung. Die Vorstellung, daß alle sogenannten Leistungserbringer von der Fußpflegepraxis bis zur Uniklinik einen jährlichen Qualitätsbericht vorlegen müssen, ist wirklich absurd.

(Beifall)
 
Die Bedeutung und die Zielsetzung von Leitlinien werden genau in ihr Gegenteil verkehrt. Sie werden damit als Instrumente der Qualitätssicherung entwertet.

Ich empfinde es nachgerade als Skandal, meine Damen und Herren, daß dieses von Herrn Lauterbach kommt, den wir als Ärzteschaft gefördert haben!

(Zustimmung)

Wir haben gerade in den vergangenen anderthalb Jahren gezeigt, daß die Ärzteschaft in der Lage ist, zusammen mit anderen, beispielsweise auch Kassen und Krankenhausträgern, eine vernünftige, sachgerechte und patientenorientierte Qualitätssicherung im Konsens zu organisieren und durchzuführen. Wir haben aufgezeigt, daß eine Qualitätssicherung ohne die Ärzteschaft scheitern muß. Das haben einige Partner bei den Krankenkassen und den Krankenhausträgern endlich auch zur Kenntnis genommen, leider nicht die Verantwortlichen aus dem Bundesgesundheitsministerium.

Mir macht die meisten Sorgen, daß die Ansätze eines gemeinsam getragenen und patientenorientierten vernünftigen Qualitätssicherungskonzepts, bei dem die Ärzteschaft eine gleichberechtigte Partnerrolle spielt und für dessen Entwicklung wir fast zehn Jahre gebraucht haben, durch die neue Regelung zurückgedreht, wenn nicht zerstört werden. An einer Qualitätssicherung, wie sie im Referentenentwurf vorgesehen ist, die mit unseren Vorstellungen völlig inkompatibel ist, kann sich die Ärzteschaft nicht beteiligen. Sie muß vielmehr Verhinderungs- und Gegenstrategien entwickeln.

Vielen Dank.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke, Herr Kolkmann. Als nächster Redner bitte Herr Schmutterer, Bayern.
 
Dr. Schmutterer, Bayern:  

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mich hier noch einmal zu Wort melde, dann nicht deshalb, weil ich etwas ganz Neues zu sagen habe. Herr Schirmer hat deutliche Erläuterungen gegeben. Herr Präsident, Sie haben gestern in Ihrer Rede darauf hingewiesen, daß hier mit Gesetzesregelungen ein Orwellscher Popanz aufgebaut werden soll mit einer laufenden Datenmeldung und Datenspeicherung, mit personenbezogener Einsichtnahme in Patientenunterlagen. All dieses ist geprägt von dem Mißtrauen gegenüber der Ärzteschaft und dem Machtanspruch der Krankenkassen. Das nützt den Patienten überhaupt nichts.

Eines ist doch klar: Die Schweigepflicht des Arztes besteht nicht deshalb, um uns Ärzte zu schützen, sondern zum Schutze unserer Patienten.

Wenn ich hier noch einmal Stellung nehme, so deshalb, weil auch hier ebenso wie heute morgen bei der Frage der Budgetregelung deutlich wird, daß sich im Bereich der Psychotherapie die Probleme sehr viel stärker fokussieren auf dieses Arzt-Patient-Verhältnis. Diese Maßnahmen gerade im Bereich der Psychotherapie behindern den Beginn einer notwendigen Psychotherapie. Für psychisch kranke Menschen ist es ein besonderes Hindernis, fast schon eine persönliche Niederlage, wenn sie sich eingestehen müssen, daß sie therapeutische Hilfe brauchen.

Wenn sie nun auch noch erfahren, daß dieses Sich-Öffnen gegenüber einem Therapeuten unter Umständen in einen Meldezirkus gerät, wird dieser Schritt nur erschwert.

Darüber hinaus wird natürlich auch die therapeutische Beziehung zwischen Patient und Arzt gefährdet, wenn im Hintergrund sozusagen immer das Wissen mitschwingt: Alles, was ich jetzt erzähle, landet vielleicht irgendwo, wo ich keinerlei Einfluß mehr habe. Die Patienten leiden häufig unter Ängsten oder paranoiden Phantasien. Diese paranoiden Phantasien werden durch diese Maßnahmen noch verstärkt.

Wir Psychotherapeuten haben bereits seit über 20 Jahren ein Gutachterverfahren, das bisher sehr gut und ausreichend die Qualität kontrolliert hat. Wir brauchen nicht diesen Wust an Datenerfassung, genausowenig wie dies die übrige Ärzteschaft benötigt.

Stimmen Sie deshalb bitte dem Entschließungsantrag von Frau Kielhorn und mir zu. Ich denke, es müßte ein Selbstläufer sein. Ich bitte um eine ganz eindeutige Meinungsäußerung.

(Beifall)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke sehr. Als nächste Rednerin bitte Frau Drexler-Gormann, Hessen.
 
Dr. Drexler-Gormann, Hessen:  

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Vilmar, Sie haben gestern in Ihrem Referat bei der Eröffnungsveranstaltung den Begriff "Qualitätssicherung" als Modewort bezeichnet und Qualitätsmanagement als völlig unvernünftig und bürokratisch-formalistisch meiner Ansicht nach qualifiziert. Dies steht für mich in einem gewissen Gegensatz zu den eben zitierten Bemühungen, die bezüglich der Qualitätssicherung in den letzten anderthalb Jahren unternommen wurden. Sie haben in Ihrem Referat auch das Hohelied der Therapiefreiheit gesungen. Ich habe mich schnell gefragt, welche Therapiefreiheit Sie eigentlich meinen. Meinen Sie das Verordnen nicht wirksamer Medikamente? Oder meinen Sie die Tatsache, daß es immer noch Ärztinnen und Ärzte gibt, die Patienten mit unsinnigen diagnostischen und therapeutischen Prozeduren überhäufen und diese möglicherweise falsch anwenden?

Ich bin seit 13 Jahren niedergelassen. Meiner Meinung nach sind noch keine ausreichenden Leitlinien für diagnostische und therapeutische Verfahren entwickelt worden. Das belegen viele Studien, beispielsweise hinsichtlich der Diabetes-Versorgung.

Es wurden in der Vergangenheit falsche ökonomische Anreize gegeben. Die mangelnde Transparenz führt dazu, daß das Fehlen der Leitlinien sich kostentreibend und kontraproduktiv für eine optimale gesundheitliche Versorgung auswirkt. Der schnell wachsende medizinische Fortschritt erfordert meiner Ansicht nach bei abnehmenden finanziellen Ressourcen schnelles und neues Handeln. Qualitätssicherung ist kein Modewort, Herr Vilmar, sondern eine sinnvolle Steuerung, um sowohl eine Überversorgung als auch eine Unterversorgung zu vermeiden.

Heute wurden mehrfach die Begriffe Rationierung und Rationalisierung vielleicht doch etwas mißverständlich interpretiert. Rationierung bedeutet eine Beschränkung der Leistungen, so daß nicht jeder Patient das haben kann, was er braucht. Eine sinnvolle Rationalisierung bedeutet, alle Ressourcen so einzusetzen, daß eine optimale gesundheitliche Versorgung möglich ist. Das geht nur mit medizinischen Standards, die im Ausland längst üblich sind.

Eng verknüpft mit der Frage der medizinischen Standards ist meiner Ansicht nach die Frage der Vergütung im ambulanten Bereich. Ich denke, wir müssen endgültig von der Einzelleistungsvergütung Abschied nehmen. Bitte steinigen Sie mich nicht; es ist nicht so schlimm. Ich habe durch die ersten Ansätze der pauschalierten Vergütung im Hausärztesektor erfahren, wie wichtig es ist, daß wir von dem Hamsterrad wegkommen. Es gibt nichts Demütigenderes und nichts Schrecklicheres und dem Patienten nicht gerecht Werdendes als dieses ständige Laufen im Hamsterrad. Das schlimmste ist, daß der Patient unter der Vernachlässigung der Arzt-Patient-Beziehung, weil man einfach keine Zeit mehr hat, sich um ihn ausreichend zu kümmern, leidet. Die ethische Verantwortung, die wir bei der Behandlung unserer Patienten alle tragen, wird zurückgedrängt. Die Erfordernisse sind zum Teil so hart, zumindest im niedergelassenen Bereich, daß man sich fragt, wie man das schaffen soll.

Alle strukturellen Reformen müssen von der Antwort auf die Frage begleitet werden: Wie kann ich ärztliche Leistungen von kommerziellen Interessen abkoppeln? In diesem Sinne bitte ich Sie um Unterstützung meiner Anträge I-14 und I-17.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke. Sie haben das Wort "Qualitätssicherung" aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe gesagt: Die Ärzteschaft hat sich schon lange, bevor die Qualitätssicherung gleichsam zum Modewort geworden ist, um Qualitätssicherung bemüht, auch als dies noch nicht so hieß.

(Beifall)

Wir sollten jetzt nicht selber den Eindruck erwecken, als müßten wir von anderen zur Qualitätssicherung gedrängt werden. Das stimmt doch einfach nicht!

(Beifall)
 
Es reden unendlich viele von Qualitätssicherung, die davon - jedenfalls in der Medizin - nichts verstehen, die sich an ISO-Normen orientieren, an Kundenzufriedenheit und ähnlichem mehr davon. Darum ging es.

(Zustimmung)
 
Auch die Therapiefreiheit muß erhalten werden. Man darf sie nicht mit Beliebigkeit verwechseln und schon gar nicht mit Narrenfreiheit.

(Zustimmung)
 
Als nächste Rednerin bitte Frau Krause-Girth, Hessen.
 
Prof. Dr. Krause-Girth, Hessen:  

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte den Zusammenhang zwischen Qualitätssicherung, Qualitätsverbesserung und Patientenrechten ansprechen.Ich möchte mich dafür aussprechen, daß hier sehr sachlich und differenziert darüber gesprochen werden sollte, was unter Qualitätssicherung zu verstehen ist. Auch bei der Diskussion über den Referenenentwurf darf nicht pauschal abqualifiziert werden, sondern muß differenziert argumentiert werden. Es gefällt mir überhaupt nicht, daß hier soviel Polemik in die Diskussion kommt. Ich hoffe, daß es im Interesse der Patientinnen und Patienten, die diese Debatte interessiert verfolgen, möglich ist, zu mehr Sachlichkeit zurückzukehren.

(Zustimmung)

Ich habe mir die Mühe gemacht, Patienten- und Patientinnenorganisationen und -verbände anzuschreiben und die Frage zu stellen: Was verstehen Sie unter "patientengerecht"? Welches sind Ihre Forderungen und Wünsche an den Deutschen Ärztetag? Ich war sehr erstaunt, feststellen zu müssen, daß in diesem Entwurf eine ganze Reihe von Patienten- und Patientinnenforderungen enthalten sind. Es ist der erste Entwurf, die erste Strukturreform, wo explizit die Stärkung der Patientenrechte und des Patientenschutzes in den Mittelpunkt gestellt wird.

Deswegen fand ich es um so bedauerlicher, Herr Präsident, daß Sie in Ihrer Antwort als Untertitel den Begriff "vom mündigen Bürger zum entmündigten Patienten" gewählt haben. Ich glaube, das ist eine absolut überflüssige Polemik; denn mit der Stärkung der Patientenrechte und der Forderung nach unabhängigen Patientenberatungsstellen sind langjährige Forderungen von Patientinnen- und Patientenseite aufgenommen worden. Ich finde es sehr wichtig, daß wir sie hier unterstützen und erklären, daß auch wir das für sinnvoll halten, weil auch dies einer wirtschaftlichen und effizienten Medizin dienlich ist. Ein aufgeklärter Patient, der sich an der Therapieentscheidung und der Behandlungsentwicklung beteiligt, ist ein viel rationeller und rationaler behandelbarer Patient. Er benötigt keine überflüssige Diagnostik, er beteiligt sich eigenverantwortlich und selbstbestimmt. Das führt sehr wohl zur Wirtschaftlichkeit von Behandlungsmaßnahmen.

Ich bitte Sie deshalb, den Antrag I-21 zu unterstützen.

Danke schön.

(Zustimmung)
 
Prof. Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, Präsident:  

Danke sehr. Wir haben den für heute vorgesehenen Sitzungsschluß, nämlich 17.30 Uhr, bereits überschritten. Es gibt heute abend einige Veranstaltungen, die ein pünktliches Erscheinen erfordern. Wir sollten deshalb jetzt Schluß machen und die Sitzung morgen früh fortsetzen. In Anbetracht der noch vorliegenden rund 20 Wortmeldungen und der Erläuterungen zu den anderen Punkten besteht überhaupt keine Chance, daß wir heute fertig werden, auch dann nicht, wenn wir die Sitzungszeit um eine halbe Stunde oder eine Stunde verlängern.

Wir beginnen morgen früh pünktlich um 9 Uhr mit den Beratungen. Ich schließe die heutige Arbeitsitzung und wünsche allen einen schönen Abend.


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