Eröffnungsveranstaltung, Gürzenich der Stadt Köln

Andrea Fischer, Bundesministerin für Gesundheit:

Sehr geehrter Herr Präsident, Herr Professor Hoppe! Herr Dr. Schüller! Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mir sagen lassen, es soll Gesundheitsminister geben, deren Lieblingstermin die Eröffnung des Deutschen Ärztetages ist. Ich will nicht verhehlen, dass ich so weit noch nicht bin.

(Heiterkeit)

Aber ich bin doch, und das wird Sie vielleicht überraschen, gerne Ihrer Einladung gefolgt, heute hier meine Vorstellungen zur Gesundheitspolitik darzulegen und mich zu einigem zu äußern, was in den letzten Wochen wieder in die Debatten gekommen ist, selbstverständlich aber auch zur Gesundheitsreform des vergangenen Jahres.

Wir haben in den letzten Wochen gelernt, dass es in den Medien inzwischen offensichtlich nicht nur ein Sommerloch, sondern auch ein Osterloch gibt, das gefüllt werden muss. Ich will nur eines von den Eiern herausgreifen, die da hineingelegt worden sind, das sich als besonders unverdaulich erwiesen hat; das war das geforderte Erfolgshonorar für Ärzte. Ich will das auch deswegen herausgreifen, weil die Art und Weise, wie dieser Vorschlag gemacht worden ist, gewissermaßen symptomatisch für die Debattenkultur in der Gesundheitspolitik ist. Er wurde sozusagen so auf den Tisch gelegt, dass der einzige Effekt nur noch sein konnte, dass die Patientinnen und Patienten völlig verschreckt werden. Damit kann man sicher sein, dass man an einer solchen Stelle nicht weiterkommt.

In diesem Fall waren vor allen Dingen ältere Menschen und chronisch kranke Patientinnen und Patienten ganz erschrocken bei der Vorstellung, die erweckt worden ist, nämlich hier sei Erfolg mit Heilung gleichzusetzen, was natürlich grober Unsinn ist. Vor diesem Hintergrund hatten aber dann diejenigen, die auf die Gesundheitsleistungen besonders angewiesen sind, Sorge, hier sollte die Solidarität dieser Gesellschaft, dieser Krankenversicherung mit ihnen infrage gestellt werden.

Ich will deutlich sagen, dass ich mir an diesem Punkt mit Ihnen vollkommen einig bin: Erfolg im Sinne von Heilung kann kein Kriterium für die Vergütung ärztlicher Leistungen sein.

(Beifall)

Ich bin mir darüber hinaus aber mit Herrn Dr. Richter-Reichhelm auch einig, dass es Sinn machen würde, über Qualität als Kriterium bei der Vergütung nachzudenken und dabei nach neuen Modellen zu suchen. Ich weiß, dass das im Einzelfall nicht einfach ist. Umso bedauerlicher finde ich eine solche zugespitzte Debatte, die eine Suche nach Lösungen eher erschwert denn erleichtert. Aber ich begrüße die Diskussionen, die bei Ihnen in diesem Bereich geführt werden, und will Sie dabei gerne unterstützen.

Ich habe dieses Beispiel deswegen gewählt, weil ich glaube, dass es uns darauf verweist, dass die Frage der Debattenkultur in der Gesundheitspolitik nicht gleichgültig ist und nicht nur die handelnden Akteurinnen und Akteure betrifft. Gerade weil wir in den nächsten Jahren so schwierige Fragen zu diskutieren haben - die Qualität der Versorgung, wie die politischen Rahmenbedingungen aussehen sollen, was die Selbstverwaltung leisten kann und will, welche Vorkehrungen wir treffen müssen, um das bisherige Niveau der Qualität der Medizinischen Leistungen zu halten - und weil diese Fragen in einen sensiblen persönlichen Bereich hineinreichen, sind wir alle gut beraten, uns darum zu kümmern, auf welche Art und Weise man Vorschläge sinnvoll in die Debatte einbringt und wie man damit weiterkommt. Ich will versuchen, das, was von meiner Seite aus möglich ist, dazu beizutragen.

Wir haben mit der Gesundheitsreform 2000 Weichenstellungen für die Zukunft vorgenommen, von denen manche in der ganzen Debatte, die sich zum Schluss sehr stark auf einige wenige Punkte zugespitzt hat, nicht hinreichend beachtet worden sind. Dazu zähle ich den Wettbewerb um die Qualität, die stärkere Patientenorientierung und die bessere Verzahnung der Leistungsbereiche, womit wir dafür sorgen wollen, dass die vorhandenen Ressourcen zielgenauer eingesetzt werden.

Es ist uns mit der Reform und diesen Maßnahmen gelungen, die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung weiterhin stabil zu halten. Auf die Bedeutung dieses Umstandes werde ich nachher noch eingehen. Viele der Instrumente, die wir mit dieser Reform in Gang gesetzt haben, müssen nun in die Praxis überführt werden. Dabei spielt insbesondere die Selbstverwaltung eine sehr große Rolle, die eine Vielzahl von Aufträgen erhalten hat und nun in der Hand hat, ob die Chancen genutzt werden, die in den gesetzlichen Vorgaben liegen sollten.

Ich will in diesem Zusammenhang sagen - auch das sollte mit meinem Beispiel deutlich werden -: Wir tragen alle gemeinsam Verantwortung für das Gesundheitswesen. Deswegen ist es nicht einfach, eine einseitige Schuldzuweisung vorzunehmen. Wir sollten versuchen, mit den plakativen Auseinandersetzungen etwas bedachtsamer Umzugehen. Damit meine ich übrigens auch, dass es keine Politisierung der Wartezimmer geben soll. Es gibt viele Orte, an denen Sie sich über die Gesundheitspolitik auseinander setzen können, an denen Sie sich mit mir streiten können, aber ich halte nicht viel davon, dass Sie das über den Umweg über Ihre Patientinnen und Patienten an diesem speziellen Ort machen.

(Widerspruch)

Ich will mich in meinem heutigen Beitrag über Fragen der Gesundheitsreform hinaus Fragen der Weiterentwicklung des solidarischen Systems der gesetzlichen Krankenversicherung widmen, aber auch - darauf möchte ich zum Schluss noch kommen - einigen der sehr komplizierten ethischen Fragen, mit denen wir konfrontiert sind und die uns weit über den Tag hinaus beschäftigen werden.

Ich möchte eingangs über eine der Fragen sprechen, die in der Gesundheitsreform ganz oben auf die Agenda gestellt worden sind: das ist die Qualität, hinsichtlich der selbst unsere Kritiker zugeben, dass wir sie mit unserem letzten Gesetzeswerk zu einem zentralen Thema in der GesundheitsVersorgung gemacht haben. Ich meine damit nicht nur die Maßnahmen, die sich mit Qualität im engeren Sinne befassen. Wir haben die verschiedenen Beteiligten im Gesundheitswesen mit einer Reihe von Regelungen auf das Qualitätsmanagement verpflichtet. Damit haben wir langjährige Debatten, die auch von Ihnen geführt worden sind, aufgegriffen. Ich bin mir sehr sicher, dass das bald ein ganz selbstverständlicher Bestandteil sowohl in den Institutionen im Gesundheitswesen als auch dort, wo Einzelpersonen im niedergelassenen Bereich arbeiten, sein wird.

Ich glaube, dass man mit dem von uns geschaffenen Instrument des Koordinierungsausschusses, der auf der Grundlage von Leitlinien für mindestens zehn Krankheiten jährlich Kriterien für eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Leistungserbringung erarbeiten soll, sehr viel weiter kommen kann. Ich denke, dass darin auch eine praktische Hilfestellung für Ärztinnen und Ärzte liegen wird.

Mit dem Ausbau der integrierten Versorgung, die ein Herzstück unserer Reform war, werden wir den Wettbewerb um die Qualität in der Versorgung vorantreiben. Das ist nur ein Punkt, an dem es möglich ist, eine Verzahnung der verschiedenen Leistungsbereiche voranzubringen. Ich denke, wenn dort interessante und qualitativ hochwertige Angebote gemacht werden, werden die Patientinnen und Patienten sie auch gerne ergreifen.

Was ebenfalls auf lange Zeit wirken wird und was ich für einen großen Schritt halte, bei dem jetzt aber auch die Aufgabe an die Selbstverwaltung übergegangen ist, ist die Einführung eines diagnosebezogenen Preissystems in den Krankenhäusern, das dort mehr Transparenz in die Vergütung bringen und damit auch den Krankenhäusern Hilfestellung in den schwerer gewordenen Zeiten geben soll.

Wie Sie alle wissen, sind weiter gehende Ansätze in dieser Reform nicht möglich gewesen, vor allen Dingen was die Verlagerung der Ressourcen zwischen den Sektoren anbelangt. Ich will hier, obwohl mich die Antwort, die Sie darauf geben werden, nicht überraschen wird, die Frage stellen, ob es klug war, auch im Sinne des gesamten Gesundheitssystems, so vehement gegen die Globalsteuerung zu kämpfen. Sie haben sie bekämpft als ein Instrument der Ausgabenbegrenzung. Aber es ging dabei eigentlich um ein von allen Beteiligten im Gesundheitswesen seit langem geteiltes Ziel, nämlich die Überwindung der sektoralen Grenzen in der GesundheitsVersorgung, damit Fehlallokationen abgebaut werden können und das Geld der Leistung folgen kann.

(Vereinzelt Widerspruch)

Es ist unbestritten, auch meinerseits, dass sektorale Budgets keine Ideallösung sind. Aber solange nicht andere, bessere, mehr Flexibilität erlaubende Steuerungsinstrumente gefunden worden sind, bleiben sie notwendig. Sie dürfen jedoch bei der Suche nach besseren Steuerungsinstrumenten auf meine Gesprächsbereitschaft setzen.

In diesem Zusammenhang würde ich gerne ein Wort zur Opposition sagen, die im letzten Jahr eine Globalverweigerung betrieben hat, was dazu geführt hat, dass einige sehr wichtige Bestimmungen, die durchaus sehr viel Positives bewirkt hätten, nicht umgesetzt werden konnten. Im Moment sieht es so aus, als müssten wir noch immer befürchten, dass sich die Opposition, weil sie sich auch untereinander uneins ist, was sie denn eigentlich will, in diesem Jahr ebenfalls widersetzt. Wenn aber stimmt, was auch von der Opposition behauptet wird, dass wir es hier mit drängenden Fragen zu tun haben, die die Zukunft des Gesundheitswesens betreffen, dann ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass man sich solchen Gesprächen und Erörterungen nicht verweigert.

Ich glaube, es ist unbestritten, dass wir uns in einem Bereich, in dem die Leistungsanbieter einen wesentlichen Einfluss auf die Nachfrage haben, immer mit der Frage der Steuerung auseinander setzen müssen. Unbestritten, zumindest als grundsätzliche Aussage, ist auch, dass wir in unserem Gesundheitswesen sowohl ÜberVersorgung als auch UnterVersorgung und FehlVersorgung feststellen können. Unser Problem ist - das macht unsere Debatten nicht leichter -, dass es uns an einer vernünftigen Datengrundlage fehlt, um ein sinnvolles Maß an gesundheitlicher Versorgung bestimmen zu können, und das heißt eventuell auch, um über die Grenzen diskutieren zu können. Damit wir da eine gemeinsame Grundlage finden, haben wir den Sachverständigenrat beauftragt, ein Gutachten zu diesen Fragen zu erstellen, von dem wir uns erwarten, dass es eine vernünftige Basis für die bedarfsgerechte Versorgung bilden kann. Ich erhoffe mir davon eine rationale Grundlage für die Diskussion. Ich sehe in diesem Zusammenhang mit Interesse der von Ihnen geplanten Morbiditätsstudie entgegen, von der ich mir erwarte, dass sie sich nicht in einer Fortschreibung des Status quo erschöpft. Aber Sie haben dazu gestern schon das Entsprechende gesagt, Herr Dr. Richter-Reichhelm.

In diese Erörterung werden wir auch Äußerungen mit einbeziehen, wie sie von Herrn Professor Dr. Hoppe gemacht wurden, wonach - das ist seine Aussage - ein Drittel der Ärztinnen und Ärzte zu viel seien. Ich will mich gar nicht dazu äußern, was die Größenordnung anbelangt. Ich glaube nur, dass uns diese Auffassung, die ja nicht nur von Professor Hoppe und nicht erst seit gestern vertreten wird, zumindest darauf verweist, dass offenbar nicht die einzige Erklärung und nicht der einzige Parameter für schwierige Fragen in der Gesundheitspolitik ist, wie viel Geld in diesem System steckt.

Zweifellos werden wir uns in den nächsten Jahren sehr stark mit Fragen des demographischen Wandels beschäftigen müssen. Es ist unbestritten, dass der demographische Wandel Auswirkungen auf das Gesundheitswesen und auf die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen haben wird. Was allerdings - ich darf Ihnen wirklich versichern: Ich habe mir die einschlägig bekannten empirischen Studien genau angesehen - definitiv noch uneinheitlich ist, ist das Bild zu der Frage, ob der veränderte Altersaufbau der Gesellschaft zwangsläufig zu exponentiell steigenden Kosten im Gesundheitswesen führen muss. Diese Untersuchungen gehen teilweise davon aus, zum Teil verweisen sie darauf, dass die alternde Gesellschaft auch eine sein wird, in der ältere Menschen länger gesund sein werden.

Uns wird noch sehr zu beschäftigen haben, was das bedeutet. Ich habe eben schon auf die beiden Studien verwiesen, die von Ihrer Seite und vom Sachverständigenrat erstellt werden. Wir werden uns mit diesen Zukunftsfragen beschäftigen; ich stelle mich dieser Frage. Aber die intellektuelle Redlichkeit gebietet es einfach, zu sagen, dass die empirische Lage da zurzeit noch uneindeutig ist.

Was mir aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt ganz eindeutig festzustehen scheint, ist die qualitative Herausforderung des Gesundheitswesens, die im demographischen Wandel besteht. Denn für uns wird die Frage des Umgangs mit chronischen Erkrankungen und mit Mehrfacherkrankungen dadurch immer wichtiger. Das bedeutet, dass die verstärkte Zusammenarbeit aller Leistungsanbieter, einschließlich der Pflege, immer wichtiger werden wird. Ich gehe davon aus, dass das auch dazu führen wird, dass es zu einer Verlagerung der Ressourcen im System kommen muss. Ebenso werden sich uns neue Aufgaben im Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung angesichts älterer Menschen stellen, die bislang noch relativ wenig als Zielgruppe solcher Bemühungen gelten.

Das heißt, es geht nicht nur um die Frage, ob alte Menschen zu hohe Kosten im Gesundheitswesen verursachen - diese Frage kann meines Erachtens heute nicht eindeutig entschieden werden -, sondern auch um die Frage: Wie müssen wir unsere GesundheitsVersorgung umgestalten, damit man im Alter möglichst gesund bleibt?

Für diese Herausforderung, aber auch für andere ist eine gute Aus- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten unabdingbar. Das ist ein ganz entscheidender Parameter für die Qualität der Versorgung. Es war hier eben schon die Rede davon, die neue Approbationsordnung solle dieses Ziel erreichen. Das ist ein gemeinsames Ziel, das Sie, ich und die Gesundheitsminister der Länder haben. Ich glaube, dass gerade diese sehr viel stärkere praktische Orientierung, die mit der Approbationsordnung angestrebt wird, ein sehr wesentliches Element für eine bessere Qualität in der Ausbildung ist.

Um es vorsichtig zu sagen: Ich bedaure es, dass wir, weil unterschiedliche Perspektiven der verschiedenen Seiten einander gegenüberstehen, in diesem Punkt seit geraumer Zeit blockiert sind. Die Frau Staatssekretärin hat eben darauf verwiesen, dass ich einen weiteren Versuch zur Konsensfindung unternehme. Das muss für alle Seiten gelten. Es wird nur eine Brücke geben, wenn beide Seiten bereit sind, Abstriche zu machen. Das ist das Wesen eines Kompromisses. Aber ich glaube, dass das Ziel einer neuen Approbationsordnung mit einer verbesserten, moderneren Ausbildung es lohnen würde, einige Seiten endlich über ihren Schatten springen zu lassen.

Ich versichere Ihnen: Ich werde mich sehr dafür einsetzen, dass wir in diesem Punkt vorankommen.

(Beifall)

Eine der neuen Herausforderungen an das Gesundheitswesen ergibt sich aus einem sich verändernden Verhältnis zwischen Arzt und Patient, weil Patientinnen und Patienten sich heute in anderer Form mit ihrer Gesundheit beschäftigen, sich selber auf allen möglichen Wegen stärker informieren, mehr Mitsprache verlangen und stärker über Alternativen und andere Fragen nachdenken. Ich plädiere dafür, die Chancen, die in diesem Prozess liegen, zu nutzen; denn der richtig informierte Patient wird auch eher einer sein, der keine unnötigen Leistungen einfordert und sich besser am Therapieprozess beteiligen wird, was gerade bei den chronischen Erkrankungen von großer Bedeutung ist. - Ich habe hier von richtig informierten Patientinnen und Patienten gesprochen. - Das heißt, die Gesundheitspolitik, alle ihre Akteurinnen und Akteure - das schließt uns als die politisch Handelnden natürlich ein -, sind gefordert, dazu beizutragen, dass in diesem sehr unübersichtlichen Dschungel von Informationen das Qualitätsprinzip Einzug hält.

Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen, dass ich ausdrücklich begrüße, was Sie wohl auch auf diesem Ärztetag verabschieden werden und wollen, nämlich eine Lockerung des Werbeverbots für Ärztinnen und Ärzte. Ich finde das deswegen einen wichtigen Vorstoß, weil das bedeutet, dass Sie, wenn Sie die Patientinnen und Patienten zum Beispiel über die Beteiligung an einem Praxisnetz, zusätzliche Leistungen und Qualifikationen informieren, damit einerseits den Wettbewerb befördern und andererseits den Patientinnen und Patienten dabei helfen, den richtigen Ansprechpartner zu finden. Im Übrigen - auch das begrüße ich - ergreifen Sie damit eine Initiative, damit Ihnen nicht andere, vielleicht mit nicht ganz so hohen qualitativen Bedingungen, die Patienten aus der Hand nehmen. Deswegen hoffe ich, dass Sie diesen Beschluss nur als Ihren ersten Schritt ansehen und auf dem Wege weitergehen, dass Sie selber Patientinnen und Patienten über die Qualität ärztlicher Leistungen informieren.

(Vereinzelt Beifall)

Ich habe Ihnen gesagt, dass wir sehr schwierige Fragen zu diskutieren haben, die weit in die Zukunft hineinreichen und viel damit zu tun haben, dass sich unsere Gesellschaft verändert, was natürlich auch Auswirkungen auf das Gesundheitswesen hat. Wir haben zurzeit - das kann man, glaube ich, wirklich sagen - einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass wir an einem solidarischen System der Krankenversicherung festhalten wollen. Aber ein solcher Konsens ist nicht selbstverständlich, sondern muss immer wieder neu hergestellt werden. Das heißt, auch für dieses solidarische System müssen wir werben. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass es einen unschätzbaren Wert bedeutet, dass wir eine gesetzliche Krankenversicherung haben, die dafür sorgt, dass in unserer Gesellschaft die Kosten, die eine Krankheit verursacht, von der Solidargemeinschaft getragen werden und die Krankheit damit nicht zu einem Armutsrisiko wird, und dass dieses hohe Ziel verlangt, dass sich alle daran beteiligen.

Im Zusammenhang mit der Zustimmung zu einem solchen solidarischen System macht auch der Grundsatz der Beitragssatzstabilität, dem sich die Bundesregierung verpflichtet fühlt, Sinn. Denn ich glaube, dass wir mindestens Gefahr laufen, die Bereitschaft zur Solidarität zu erschüttern, wenn wir die Versicherten finanziell überfordern. Im Übrigen - lassen Sie mich das hier noch einmal sagen - ist das bei höheren Beiträgen nicht anders. Letztendlich sind die Mittel immer begrenzt, das heißt, der Konflikt, dass man mit begrenzten Ressourcen möglichst gut umgehen muss, bleibt uns in keinem solidarischen System erspart.

Die Akzeptanz eines solchen Solidarsystems verlangt nicht nur, dass es keine Überforderung gibt, sondern sie verlangt auch, dass wir mit den eingezahlten Mitteln der Versicherten sparsam und sinnvoll umgehen. Dafür sind alle Seiten gemeinsam verantwortlich, Ärzteschaft, Kassen, Patientinnen und Patienten und natürlich genauso die Politik. Auch wenn Sie am Ende in Ihrer täglichen Arbeit immer noch einzelne Entscheidungen im Kontakt mit dem Patienten treffen werden, bestimmen das Klima dafür doch alle miteinander.

Ich bekenne mich ausdrücklich zu dieser politischen Verantwortung, wozu auch gehört, dass ich gegenüber Patientinnen und Patienten immer wieder deutlich machen werde, dass ein solidarisches Krankenversicherungssystem nicht alles finanzieren kann, was einen Beitrag zum persönlichen Wohlbefinden des Einzelnen leistet.

Um bei dem Thema zu bleiben, dass ein solches solidarisches System auf die Zustimmung seiner Mitglieder angewiesen ist und dass diese heute nicht mehr so selbstverständlich ist wie vor Jahr und Tag, als Institutionen nicht infrage gestellt wurden: Es ist auch eine wichtige Voraussetzung, dass alle Mitglieder von der sozialen Gerechtigkeit dieses Systems überzeugt sind. Aus diesem Grund bin ich der Auffassung, dass wir uns auf mittlere und längere Frist mit der Einnahmeseite dieses Systems beschäftigen müssen. Nur, wenn wir belegen können, dass es sich um ein sozial gerechtes System handelt, das auch ökonomisch sinnvolle Formen der Beitragserhebung aufweist, werden wir die Mitglieder dieses Systems auf Dauer überzeugen können, sich an dem solidarischen Kraftakt zu beteiligen.

Es geht aber leider nicht, dass man sich von dem, was ich sage, immer nur das heraussucht, was einem besonders gut in den Kram passt. Als ich mich mit Fragen der Einnahmeseite beschäftigt habe, hieß es nicht, dass mehr Geld ins System fließen soll. Diese Hoffnung muss ich enttäuschen. Ich habe eben schon darauf verwiesen: Bevor wir über solche Fragen als Gesellschaft diskutieren, brauchen wir eine gemeinsame Geschäftsgrundlage, was die empirische Kenntnis des Versorgungsbedarfs in unserem Land anbelangt.

Meine Vorstöße bezogen sich auf zwei Aspekte: zum einen auf die Frage, ob die jetzige Form der Beitragspflicht und Beitragsbefreiung noch in unsere Zeit mit ihren deutlich veränderten Lebensformen und Solidaritätsvorstellungen passt, und zum anderen auf die Frage, wie wir verhindern, dass durch Veränderungen in den ökonomischen Flüssen in unserer Gesellschaft die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung in Zukunft erodiert, weil sich die Gewichte zwischen den Einkunftsarten verschieben. Diese Vorschläge habe ich, wie Sie alle wissen, nicht erfunden, sondern aufgegriffen aus der fachpolitischen Debatte, die seit Jahren darüber geführt wird. Alle Beteiligten wissen, wie schwierig es sein wird, das praktisch umzusetzen. Trotzdem bin ich wirklich der festen Überzeugung, dass es nicht nur lohnend, sondern auch notwendig ist, hierüber intensiver zu diskutieren, wenn wir uns dem demographischen Wandel und den veränderten Solidaritätsvorstellungen unserer Gesellschaft stellen wollen.

Das ist für mich auch deswegen eine wichtige Frage, weil ich glaube, dass wir uns dieses System auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit anschauen müssen. Ich will, dass in Zukunft weiterhin gilt, dass der hauptsächliche Umverteilungsmechanismus der gesetzlichen Krankenversicherung der zwischen Jung und Alt ist, und dass die Jungen dazu bereit sind. Aber dann gehört auch dazu, dass man sie finanziell damit nicht überfordert. Aus diesem Grund gehört es auch in diesem Sinne zu den Zukunftsdiskussionen.

Dass ich hier nicht nur über Dinge spreche, die man vielleicht als abstrakt und nur in meiner Wahrnehmung bedeutsam bezeichnen könnte, möchte ich an der von uns allen festgestellten Abwanderung von jungen, gesunden Versicherten zu den preiswerten Krankenkassen festmachen. Das ist zumindest ein Symptom, das uns alle sehr nachdenklich machen sollte. Ich will in diesem Zusammenhang ganz kurz einen Exkurs machen; denn ich weiß, dass das auch von Ihrer Seite mit großer Besorgnis gesehen wird. Ich teile diese Besorgnis. Ich glaube aber, dass wir nicht gut beraten sind, hier das Kind mit dem Bade auszuschütten, indem wir sagen, den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen sollten wir wieder einschränken. Das kann auch nicht in Ihrem Sinne sein, weil dieser Wettbewerb ebenfalls dazu dienen soll, die Krankenkassen unter Druck zu setzen, was ihre Kosten für den eigenen Apparat anbelangt; sie sollen sich in den Wettbewerb begeben und nach besseren Möglichkeiten suchen.

Aber ich glaube auch, dass es falsch wäre, jetzt zu versuchen, mit einer Schnellmaßnahme etwas einzudämmen. Angesichts der Komplexität des Risikostrukturausgleichs halte ich die Gefahr, dass man durch einen schnellen Eingriff ein Problem an einer Stelle vermeintlich löst und es dann an einer anderen Stelle wieder bekommt, für zu groß. Ich weiß, dass die Ungeduld groß ist, aber es ist außerordentlich schwierig, und das Gutachten war selbst bei noch so viel Druck auf die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht früher zu haben. Ich versichere Ihnen aber, dass wir die Zeit, bis dieses Gutachten vorliegt, dazu nutzen werden, um mit allen Beteiligten diese Debatte vorzubereiten, damit wir keine Zeit verlieren, gegebenenfalls notwendige Veränderungen vorzunehmen.

Die Veränderungen unserer Gesellschaft, die gewachsene Vielfalt von Lebenslagen haben auch zu einem unterschiedlichen Umgang mit den Leistungen des Gesundheitswesens geführt. Auch wenn es hier nicht so gern gehört wird: Ich bin hinsichtlich der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht zuletzt mit Blick auf im Ausland gemachte Erfahrungen, sehr skeptisch, ob sich eine Ausdifferenzierung des Leistungsangebots, wie sie häufig diskutiert wird, mit einem solchen solidarischen System verträgt. Ich bin zu dieser Debatte bereit, aber, wie gesagt, der Blick auf die Erfahrungen im Ausland macht mich da außerordentlich skeptisch.

Was wir schon heute sehen und durchaus auch befördern sollten, ist, dass die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen auch jenseits des solidarischen Systems wächst und dass in diesem Bereich wirklich ein großes Wachstumspotenzial liegt, das wir fördern sollten.

Alles, was ich angesprochen habe, bedeutet schwierige Diskussionen, die wir miteinander zu führen haben und die nicht morgen in Gesetzesvorhaben münden werden. Aber wenn wir nicht heute anfangen, diese Fragen zu diskutieren, werden uns morgen die Antworten darauf fehlen. Deswegen meine ich, dass wir uns diesem ganzen Komplex, der nur sehr unzulänglich mit dem Oberbegriff "Demographischer Wandel und seine Herausforderungen" beschrieben ist, stellen müssen. Ich bin dazu bereit.

Gestatten Sie mir, dass ich abschließend über etwas spreche, was nicht mit Geld zu tun hat. Manchmal hat es auch mit Geld zu tun, aber bei diesen Fragestellungen sind wir gut beraten, uns den Konflikten zu stellen, ohne diese Verknüpfung herzustellen. Ich meine die Konflikte, die der medizinische Fortschritt in sich birgt, also die Frage: Wollen wir alles, was wir tun können, auch wirklich tun? Ich glaube, dass diese Fragen auch völlig unabhängig von den finanziellen Ressourcen des Systems aufgeworfen werden. Plakativ begegnen sie uns zum Beispiel dann, wenn es um neue Verfahren geht, wie in der Fortpflanzungsmedizin oder der Diagnostik. Aber natürlich geht es schon ganz lange um die alltäglichen Unsicherheiten im Grenzbereich von Leben und Tod. Mir haben gerade diejenigen, die in der Intensivmedizin arbeiten, immer wieder sehr eindrücklich davon berichtet, welche Konflikte sie täglich auszuhalten haben und vor welch existenziellen Fragen sie stehen, wobei sie sich oft genug alleine gelassen fühlen.

Es wird ganz schwierig für uns sein, einen vernünftigen Weg im Umgang mit diesen technischen Möglichkeiten zu finden, zwischen Horrorgemälden über leblosen technischen Fortschritt einerseits und blindem Fortschrittsglauben andererseits. Wahrscheinlich hilft es, wenn wir zugeben, dass uns diese Debatte in bestimmten Punkten überfordert, weil sich da in den letzten Jahren so viel entwickelt hat, dass zumindest eine gesellschaftliche Debatte dem nicht wirklich hinterhergekommen ist. Ich glaube, dass uns diese Debatte in den nächsten Jahren noch stärker beschäftigen wird, weil wir noch einige Quantensprünge vor uns haben.

Lassen Sie mich ganz kurz meine persönliche Auffassung, dass wir uns nämlich nicht aller Möglichkeiten bedienen sollten, die uns die moderne Medizin bietet, dass wir Grenzen setzen müssen, am Beispiel Ihrer Debatte, die Sie über die Präimplantationsdiagnostik führen wollen, erläutern. Ich will hier nicht weiter darauf eingehen, dass wir eine juristische Differenz bezüglich dessen, was heute schon möglich ist, haben. Das ist nicht der entscheidende Punkt; denn wenn man will, kann man Gesetze ändern.

Ich spreche mich dagegen aus, weil ich glaube, dass wir weder Medizinern noch potenziellen Eltern das Recht zubilligen sollten, über lebens- oder nicht lebenswertes Leben zu entscheiden. Ich habe die Befürchtung, dass man von den Einzelfällen rasch zu einer Verallgemeinerung kommen wird und wir damit auf eine gefährliche Bahn geraten könnten, die unseren Blick auf Krankheit, Gesundheit und Behinderung dramatisch verändern würde. Aus diesem Grund meine ich, dass hier eine Grenze erreicht ist, die wir nicht überschreiten sollten. Denn ich möchte, dass wir auch in Zukunft die Unvollkommenheit als zum Leben dazugehörig begreifen.

(Beifall)

Aber ich will nicht verhehlen, dass ich, auch rückblickend auf die Geschichte des medizinischen Fortschritts, durchaus skeptisch bin, ob eine solche Position der Selbstbeschränkung in unserer Gesellschaft mehrheitsfähig ist und - das wird Sie auch sehr beschäftigen - ob sie überhaupt mehrheitsfähig sein sollte. Sie muten sich hier eine sehr schwierige und schmerzhafte Debatte zu, bei der ich sicher bin, dass sie über den Einzelfall des neuen Verfahrens hinausreichen wird. Natürlich muss eine solche Debatte immer mit großer Fachkenntnis geführt werden. Deswegen ist es gut, dass Sie sich ihrer annehmen. Aber ich glaube, das Entscheidende ist, dass sie über die Fachkreise hinausreicht und alle mit einbezogen werden. Denn wir sollten uns alle miteinander bewusst werden, was wir wollen und was wir gegebenenfalls nicht mehr wollen. Das mag Ihnen dann auch für die schwierigen Situationen, vor denen Sie im Einzelfall stehen, eine hilfreiche Rahmenbedingung geben.

In diesem Sinne wollte ich meine Ausführungen verstanden wissen, auch als eine Selbstverpflichtung, dass ich an dieser Debatte in der Form teilhaben werde, dass ich mich bemühen will, einen Rahmen zu geben - wie wir das in drei Wochen bei der Fortpflanzungsmedizin machen -, in dem die unterschiedlichen Positionen erörtert werden können und in dem wir sie in die Gesellschaft hineintragen, damit Sie das nicht ganz alleine auf Ihre Kappe nehmen müssen, und dass wir uns dieser Fragen, die Sie alltäglich berühren, alle gemeinsam annehmen.

Ich würde gerne abschließend noch einmal zu der Frage kommen, ob es eigentlich eine Gemeinsamkeit zwischen Politik und Ärzteschaft geben kann. Keine Sorge, wir werden uns sicherlich weiterhin zu streiten haben und ich bin dazu bereit. Vielleicht gibt es ja noch mehr Gemeinsamkeit als die, den Forderungen von Professor Vilmar nachzukommen, dass die Politik möglichst die Finger davon lassen sollte, was sich im Einzelfall immer als schwierig erweisen wird. Ich glaube, dass wir eine hinreichende Gemeinsamkeit in der Überzeugung haben, dass es lohnt, für die auftretenden Probleme im Gesundheitssystem immer nach neuen Lösungen zu suchen und das System weiterzuentwickeln, dass wir im Grunde voneinander wissen, dass in diesem System der GesundheitsVersorgung sehr unterschiedliche Interessen aufeinander treffen, und dass meine Rolle unter anderem darin besteht, zu versuchen, diese miteinander zu verbinden.

Aber ich denke, wir alle wissen, wie viel wir an diesem solidarischen System der Krankenversicherung haben. Das lehrt uns jeder Blick über die Grenzen. Wir alle wissen, dass es ein großer Wert ist - auch das lehrt ein Blick über die Grenzen -, dass dieses System zu weiten Teilen durch die Selbstverwaltung gesteuert ist. Wir alle haben auch aus der Erfahrung vieler Gesundheitsreformen lernen können, dass es in Sachen Finanzierung keinen Königsweg für die Gesundheitspolitik gibt, schon gar nicht einen Königsweg, der nicht heftig umstritten wäre.

Wenn man sich immer wieder klarmacht, dass wir diese gemeinsamen Grundlagen und in dem Sinne auch ein gemeinsames Interesse haben, dann sollte es möglich sein, dass wir die Differenzen zwischen meiner Politik und dem, was Sie wollen, in der gebotenen Schärfe, aber auch mit Respekt voreinander austragen.

In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)


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