Top I: Gesundheits- und Sozialpolitik

Dr. Lipp, Sachsen:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist es unfassbar: Vor zehn Jahren ist mit der DDR ein System zugrunde gegangen, das sich durch eine Staatswirtschaft, den Umgang mit imaginären Planziffern und eine Staatsmedizin auszeichnete. Dieses System ist vorrangig aufgrund der daraus resultierenden Mangelwirtschaft untergegangen, nicht wegen politischer Unzufriedenheit.

Trotzdem gab es damals deutlich weniger Reglementierungen bei der ärztlichen Tätigkeit als heute. Es gab nicht diese ätzende Impertinenz durch inkompetentes Hineinschwatzen in unsere Gebiete. Das DDR-System hat ausschließlich wegen des Ethos und des Engagements der Ärzte einigermaßen funktioniert.

Die Spannung zwischen dem, was möglich gewesen wäre, und dem, was in der DDR war, hat viele Ärzte, Schwestern und andere - heute "Leistungserbringer" genannt - dazu bewogen, die DDR zu verlassen. Unter Frau Fischer muss man sich die Frage stellen, wohin man denn abhauen soll, denn jetzt haben wir fast das Gleiche wie damals.

(Vereinzelt Beifall)

Es ist einfach unbegreiflich, meine Damen und Herren: Da bricht ein Viertel der Welt an Staatswirtschaft, an Planwirtschaft zusammen und Frau Fischer zeichnet sich durch das aus, was heute Vormittag mit dem Begriff "Faktenresistenz" belegt wurde. Daran wird die Gültigkeit des Ausspruchs deutlich, dass die Winzigkeit eines Bürokratenhirns seiner Schädlichkeit nicht im Wege steht.

(Vereinzelt Beifall)

Es ist für mich auch unbegreiflich, wie eine Ministerin und eine Partei, die es gerade einmal schafft, 5 Prozent Wählerstimmen zu bekommen, den ideologisch motivierten Umbau des Gesundheitswesens betreiben können, von dem 95 Prozent der Bevölkerung betroffen sind, die diese Partei gar nicht gewählt haben.

(Beifall)

Aus diesem Grunde ist es unsere Pflicht, die Sprechzimmer zu politisieren, damit diese politische Konstellation nicht wieder eintritt.

(Vereinzelt Beifall)

Das Einnahmenproblem ist im Prinzip deshalb ein Problem, weil wir mehr oder weniger unfähige Politiker haben, die die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff bekommen. Wir haben nicht nur deshalb zu wenig Geld im System, weil zu wenig eingezahlt wird, sondern weil durch politische Unfähigkeit Gelder abgezogen werden - Stichwort: Verschiebebahnhof -, wodurch es uns nicht möglich ist, die eigentlich zur Verfügung stehenden Gelder zu nutzen. Auch das ist ein Fehler der Politik.

Ebenfalls ein politischer Fehler ist die Tatsache, dass versicherungsfremde Leistungen finanziert werden. Die Politiker trauen sich eben nicht, ihre Wahlversprechungen rückgängig zu machen.

Die Rationierung führt beispielsweise dazu, dass die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen im Osten wahrscheinlich 18 000 DM als Arzneimittelregress bezahlen müssen. Sie müssen für die Fehler der Politiker bluten. Deswegen kann ich nur jeden auffordern, mit den Patienten zu sprechen, die Sprechzimmer zu politisieren. Die Patienten sind für unsere Probleme viel zugänglicher, als wir es annehmen.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Schönen Dank. - Als nächster Redner bitte Herr Massing, Westfalen-Lippe.


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