Top I: Gesundheits- und Sozialpolitik

Theurich, Nordrhein:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Qualitätsdiskussion ist eine sehr alte. Aber nach den hier gehörten Ausführungen kann ich es mir nicht verkneifen, zu diesem Thema noch etwas zu sagen. Ich habe das Gefühl: Wenn über Qualität diskutiert wird, ist das eher eine Art Aufstoßen - ich will nicht sagen: Rülpsen - zwischen Effekthascherei und Gekränktheiten. Nicht derjenige, der über Qualität nachdenkt und spricht, meint, die deutschen Ärzte seien schlecht, sondern ich bin vielmehr der Ansicht, dass man aufpassen muss, dass uns Ärzte der wirtschaftliche Druck nicht schlecht werden lässt.

Ich möchte Ihnen ganz spontan ein Beispiel aus meinem Bekanntenkreis Schildern. Eine junge kerngesunde Frau geht zum Gynäkologen und möchte gern eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt haben. Dieser erklärt ihr: Das kann ich nicht tun, das ist in meinem Budget nicht enthalten, aber ich habe mir angewöhnt, alle Frauen, die einen solchen Wunsch haben, zu einem Spezialisten zu einer U 3 zu schicken. Dann fällt es nicht in mein Budget.

Wenn wir das als Qualität bezeichneten, hielte ich das für sehr gefährlich, denn die U 3 sollte den Risikoschwangeren vorbehalten sein. Der Hausarzt soll zukünftig der Lotse sein. Das ist eine unglaubliche Neuigkeit! Ich denke, ein guter Hausarzt war bisher schon immer der Lotse im Gesundheitssystem. Dieser Lotse darf ab 2001 im EBM keine großen Leistungen mehr erbringen, er soll seine Diagnose möglichst ohne EKG und sonstige finanzielle Aufwendungen stellen. Ist er ein Qualitätsbewusster Lotse, wird er, wenn das Schiff zu trudeln beginnt, natürlich dazu neigen, den Patienten zum teilgebietsbezeichneten Hafenmeister zu schicken, damit das Schiff nicht gegen den Fels prallt. So werden Kosten in doppelter Höhe produziert. Das ist nicht die Kostenreduzierung, die wir uns so sehr wünschen.

Herr Hoppe hat heute Vormittag über das Bild des Arztes in der Öffentlichkeit referiert. Ich halte es für ausgesprochen wichtig, dass wir dieses Bild korrigieren. Ich las vor kurzem eine Umfrage, wonach die Patienten erklären: Wir trauen unserem Arzt überhaupt nicht zu, sich bei wichtigen Entscheidungen für uns genügend Zeit zu nehmen. Was bedeutet diese Zeit? - Sie bedeutet Qualität durch Nachdenken, meine Damen und Herren. In den USA ist es zurzeit üblich, dass man "medical call-center" in Anspruch nimmt, wenn der Arzt keine Zeit mehr hat. Dort zahlt man manchmal sogar eine Monatsgebühr, und gelegentlich wurden diese Institutionen von den Krankenkassen geschaffen. Der Patient ruft dort an, um die erste, zweite oder dritte Meinung hinsichtlich seines Problems einzuholen, weil der ihn betreuende Arzt keine Zeit hat. Dann hat der Patient seine drei Meinungen. Ich glaube, er wird sich für diejenige entscheiden, die ihm am meisten gibt: Medikamente, Untersuchungen. In Wirklichkeit benötigt er die richtige Entscheidung. Ich glaube, wir müssen die Qualitätsdiskussion auf völlig neue Füße stellen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Schönen Dank, Herr Theurich. - Der nächste Redner ist Herr Schilling aus Berlin.


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