Top III: Ärztliche Arbeit und Zusammenarbeit in Europa

Dr. Auerswald, Vizepräsidentin:

Meine Damen und Herren! Es ist mir eine besonders große Freude, nun unseren Präsidenten ankündigen zu dürfen. Ich denke, Sie kennen ihn. Ich brauche zu seinem Lebenslauf nichts weiter zu sagen. Er hat sich von seinem Referat bei der Eröffnungsveranstaltung gut erholt und hat unsere Arbeitstagung bislang glänzend geleitet.

(Beifall)

Ich freue mich auf das, was er zum Thema "Ärztliche Arbeit und Zusammenarbeit in Europa" zu sagen hat. Bitte, Jörg Hoppe.

Prof. Dr. Hoppe, Referent:

Vielen Dank, Frau Vizepräsidentin. - Lieber Herr Präsident Äärimaa! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte keine Rede im klassischen Sinne, sondern einen Vortrag halten. Vielleicht ist es auch eine Art Vorlesung. Bisher haben zwei professionelle Europäer gesprochen. Ich habe es etwas leichter, die Perspektiven der ärztlichen Zusammenarbeit in Europa aus deutscher Sicht darzustellen. Ich bedanke mich nochmals bei meinen Herren Vorrednern. Herr Äärimaa ist nach meiner Kenntnis der erste Präsident des Ständigen Ausschusses der Europäischen Ärzte, der als Nichtdeutscher vor einem Deutschen Ärztetag gesprochen hat. Insofern war es eine historische Stunde.

(Beifall)

Einen Präsidenten des Ständigen Ausschusses hat der Deutsche Ärztetag schon öfter gehört, nämlich Ernst Fromm und Karsten Vilmar, der von 1986 bis 1988 Präsident dieses Ausschusses war.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich erwähnen, dass der Ständige Ausschuss in unserer norwegischen Kollegin Grethe Aasveth eine neue hauptamtliche Generalsekretärin gefunden hat. Sie hat die Arbeit des Ständigen Ausschusses in den wenigen Monaten ihrer Arbeit bereits wesentlich vorangebracht. Sie hat dem Ausschuss neuen Mut gemacht. Die Arbeit in diesem Ausschuss kann nämlich sehr demotivierend sein, weil es sich um sehr schwierige und langwierige Probleme handelt.

Ich möchte jetzt über die Herausforderungen, die Chancen und Perspektiven, die vor uns liegen, sprechen. Dazu möchte ich drei Bereiche behandeln: das politische Umfeld, die Politik der Kommission im Bereich der Gesundheit und die Überlegungen zur Vertretung unserer ärztlichen Interessen in Brüssel.

Ich komme zunächst zum politischen Umfeld. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer haben auf ihrem Kölner Gipfel im Sommer letzten Jahres die Entwicklung einer Grundrechtscharta angekündigt. Sie bestellten einen Konvent unter Leitung des früheren deutschen Bundespräsidenten Professor Roman Herzog mit der Aufgabe, einen Vorschlag zu entwickeln.

Noch ist unklar, wie die Grundrechtscharta letztendlich aussehen soll, besonders welchen Grad an Verbindlichkeit sie haben wird. Dennoch forderte der Vorstand des Comité Permanent Anfang April, die Charta solle auch die GesundheitsVersorgung und den gleichberechtigten Zugang zur gesundheitlichen Versorgung beinhalten.

Damit hat das Comité Permanent völlig richtig das ausgesprochen, was in der europäischen Politik manchmal nur sehr schwer auszumachen ist, nämlich dass es bei Europa nicht nur um Märkte, um den Waren- und Dienstleistungsverkehr geht, sondern vor allem um Menschen.

Was erwarten wir von einem Europaabgeordneten oder einem Kommissionsbeamten, der feststellen muss, dass ein Kind, das mit einer Lippenspalte zur Welt kommt, in dem einen Land der Union eine Behandlung erhält, aber dann, wenn es das Pech hat, in einem anderen Land geboren zu sein, nicht behandelt wird? Erwarten wir ernsthaft, dass diese Leute da sitzen bleiben und sagen: "Das sind nationale Angelegenheiten"? - Wohl kaum! Die Zeiten, in denen Staatsgrenzen auch als Grenzen für Chancen akzeptiert wurden, sind in der Europäischen Union vorbei. Und nun geht es nicht darum zu lamentieren, sondern anpackend die gesundheitliche Versorgung in Europa mit unserer Hilfe und aus unserer Sicht zu gestalten.

Leider sieht die europäische Wirklichkeit zunächst anders aus: Immer mehr kommen die Gesundheitssysteme, wie dies Herr Schirmer aufgezeigt hat, durch Marktregelungen unter Druck. Dabei scheint es um den Sozialschutz nicht besonders gut bestellt zu sein. Zu verschieden sind die einzelnen nationalen Systeme der Gesundheits- und SozialVersorgung, als dass sie in einem globalen Markt bestehen könnten.

Wo immer Konflikte im Grenzbereich zwischen dem öffentlichen Recht oder dem Sozialrecht auf der einen Seite und dem Wettbewerbsrecht auf der anderen Seite gelöst werden müssen, sehen wir in zunehmendem Maße eine Ausrichtung auf das Wettbewerbsrecht. Der Europäische Gerichtshof hat gar nichts anderes als ein Wettbewerbsrecht, denn ein europäisches Sozialrecht - das haben wir gerade gehört - gibt es nicht.

Je mehr Teile des Gesundheitswesens nur noch nach Wettbewerbskriterien bewertet werden, desto mehr verliert sich auch der soziale Charakter unseres Gesundheitswesens. Die Gefahr, dass es so kommt, ist sehr groß. Das ist schon innerhalb eines Landes wie Deutschland eine große Gefahr. Wie viel mehr ist hier von Europa her eine Einflussnahme zu befürchten, mit der wir uns befassen müssen!

Ich denke, im Gesundheitswesen ist die Sache viel komplizierter, sieht man einmal von identischen Gütern ab, die in dem einen oder in dem anderen Land angeboten werden. Für ärztliche Leistung gibt es kaum vergleichbare Preise. Zum einen werden ärztliche Leistungen in komplexen, pauschalierten Systemen bezahlt, die in jedem Land anders zusammengesetzt sind. Eine Gebührenordnungsposition beispielsweise für eine komplexe Untersuchung ist in jedem Land anders zusammengesetzt. In manchen Ländern mit einem staatlichen Gesundheitswesen werden gar keine Preise ausgewiesen, weil die ärztliche Leistung durch ein Gehalt abgegolten wird.

Noch schwieriger wird es, wenn Sie die Verfügbarkeit von medizinischen Leistungen mit in Betracht ziehen. Stellen Sie sich dazu vor, Sie vergleichen den Preis, der in verschiedenen Ländern pro eingesetzter Endoprothese bezahlt werden muss. Natürlich ist es viel billiger, wenn Sie Endoprothesen fast ausschließlich in elektiven Operationen jüngeren Patienten einsetzen, und zwar nicht nur deshalb, weil jüngere Patienten, elektiv operiert, weniger Komplikationen verursachen, sondern auch deshalb, weil diese Operationen planbar sind und auf wenige spezialisierte Zentren verteilt werden können.

Wollen Sie hingegen auch alte Menschen beispielsweise nach Unfällen notfallmäßig mit Endoprothesen versorgen können, müssen Sie eine wesentlich höhere Vorhaltekapazität schaffen und flächendeckend diese Operation anbieten können. Das ist natürlich nicht nur in der Summe teurer, sondern auch für die einzelne Operation. Also: Auch die Menschlichkeit, die ja hierbei die wesentliche Rolle spielt, hat einen Preis in der Medizin.

Ob das wirklich so gesehen wird? Das muss man bezweifeln. An dieser Stelle hilft übrigens auch der Euro nicht weiter. Im Gegenteil, er schafft nur eine vermeintliche Transparenz, die nicht Vergleichbarkeit herstellt, aber sicher irgendwann als Druckmittel gegen uns oder Krankenhäuser eingesetzt werden wird. Davor müssen wir uns wappnen.

Viele Kollegen fürchten, dass mit der Osterweiterung der Europäischen Union eine starke Migration von Ärztinnen und Ärzten aus unseren östlichen Nachbarländern nach Deutschland erfolgen könnte. Ich teile diese Auffassung nicht. Der Beitritt zur Union wird die Perspektiven der Kolleginnen und Kollegen in den Beitrittsländern zumindest mittelfristig, wahrscheinlich aber langfristig deutlich und schneller als bisher verbessern. Anders, als weit verbreitet angenommen wird, sehe ich den Migrationsdruck durch den Beitritt nicht wachsen, sondern eher sinken; denn für viele Kolleginnen und Kollegen in unseren Nachbarländern werden neue Chancen und Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung in ihren Heimatländern entstehen.

Wir haben Besuche in den östlichen Ländern durchgeführt und werden dies auch fortsetzen. Wir waren auch in Albanien. Selbst wenn Albanien Mitglied der Europäischen Union würde, wären unsere albanischen Kolleginnen und Kollegen froh, wenn sie ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger endlich anständig versorgen könnten. Sie würden nicht darüber nachdenken, woanders hinzugehen.

Besonders die Süderweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat alle Migrationsszenarien, die damals als bedrohlich bezeichnet wurden, Lügen gestraft. Und das Ausbleiben der befürchteten Einwanderungswelle von Ärzten aus Griechenland, Spanien und Portugal hat, wie wir viel später bei der deutschen Wiedervereinigung gelernt haben, weniger etwas mit der Sprachbarriere zu tun; es hängt vor allem damit zusammen, dass Ärztinnen und Ärzte bodenständige Leute sind. Sie wollen ihrer Mentalität entsprechend mit Menschen umgehen und bewegen sich deshalb auch nicht so leicht weg. Das ist für die Patientinnen und Patienten in den jeweiligen Ländern nur gut.

Ich komme jetzt zur Politik der Kommission. Bereits die Kohle- und Stahlunion sowie der Euratom-Vertrag gaben in den 50er-Jahren der Gemeinschaft in beschränktem Maße Kompetenzen im Gesundheitsbereich. Die beiden Stichworte sind Arbeitsmedizin und Strahlenschutz. Während die Regelungen zur Gestaltung der Gesundheitssysteme nach wie vor formell allein Sache der nationalen Gesetzgeber sind, hat die Kommission seit dem Vertrag von Maastricht 1995 und noch einmal verstärkt durch den Amsterdamer Vertrag Aufgaben im Bereich der öffentlichen Gesundheit erhalten.

Neben der Generalbestimmung, über die sie zu wachen hat, nämlich dass "bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt" wird, soll die öffentliche Gesundheit gefördert werden. Dazu hat sich die Kommission drei Aktionsbereiche vorgenommen, in denen sie verstärkt tätig sein wird: erstens die Verbesserung der Information zur Entwicklung der öffentlichen Gesundheit, zweitens die rasche Reaktion auf Gesundheitsgefahren und drittens die Berücksichtigung der für die Gesundheit entscheidenden Gesundheitsfaktoren durch Gesundheitsförderung und Prävention.

Das Programm wurde insgesamt positiv aufgenommen, auch wenn beispielsweise der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union unter Federführung unseres Hauptgeschäftsführers Professor Fuchs, der dort die deutschen freien Berufe vertritt, ein paar Defizite aufzeigte. Dem Wirtschafts- und Sozialausschuss fehlte die Erwähnung spezifisch altersbezogener Probleme bei Jugendlichen und im Alter, ihm fehlten Programme für besonders anfällige Gruppen wie wandernde Bevölkerungsteile und anders benachteiligte Bevölkerungsschichten sowie die Verknüpfung der Gesundheitspolitik mit der sozialen und wirtschaftlichen Dimension beispielsweise der Arbeitslosigkeit.

Die Kommission wird diese Bereiche sicher nicht langfristig aus dem Auge verlieren können, da sie für die Gestaltung einer Chancengleichheit aller Menschen in der Union mit ausschlaggebend sein werden.

Ich komme jetzt zu den Fragen der Weiterbildung, der Fortbildung, der Ausbildung, der Evaluation des "Beratenden Ausschusses für die ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung" bei der Europäischen Kommission. Dieses Kapitel war anfangs, wie man sagen muss, leuchtend, endete aber traurig. Dieser Beratende Ausschuss besteht seit den 60er-Jahren. Er traf 1975 die Vorbereitungen dafür, dass Richtlinien erlassen werden konnten, die die Wanderungsfähigkeit aller europäischen Ärztinnen und Ärzte in den Mitgliedsländern der Europäischen Union begründeten, und zwar durch Anerkennung der erteilten Diplome über die Ausbildung, die Weiterbildung und die Facharztanerkennung.

Der Ausschuss war zunächst so zusammengesetzt, dass je ein Mitglied aus der praktizierenden Medizin kam, ein Mitglied aus den Behörden und ein Mitglied aus dem Hochschulbereich. Jedes Mitgliedsland entsandte entsprechende Vertreter.

Das sind die berühmten "Wanderungsrichtlinien" aus dem Jahre 1975, die uns so weit nach vorne gebracht haben, wie Herr Äärimaa und Herr Schirmer es vorhin geSchildert haben.

Es kam 1986 die berühmte Richtlinie 457 hinzu, die die spezifische Ausbildung in der Allgemeinmedizin betrifft. Damit war nicht das Weiterbildungsrecht angesprochen, sondern eine besondere ergänzende Ausbildung als Vorbereitung für die Tätigkeit in den sozialen Sicherungssystemen im Hinblick auf die GrundVersorgung.

Diese Richtlinien sind 1993 neu kodifiziert worden. Das gilt derzeit als Richtlinie 16 aus dem Jahre 1993.

Ich bin als Nachfolger von Herrn Professor Sewering und Herrn Dr. Bechtoldt Mitglied dieses Ausschusses. Wir haben zuletzt den Auftrag erhalten, in Fragen der Ausbildung, der Weiterbildung und der Fortbildung sowie bezüglich der Qualitätssicherung Programme zu erstellen und Modernisierungen vorzuschlagen. Wir sind weniger hinsichtlich der Ausbildung als vielmehr bezüglich der Weiterbildung zu derart innovativen Ergebnissen gekommen, dass sich die Europäische Kommission dadurch offensichtlich erschreckt fühlte, sodass sie die Bedeutung der Arbeit dieses ACMT sukzessive zurückgedrängt hat. Wir haben nämlich festgestellt, dass es in Europa mittlerweile über 250 Bezeichnungen gibt, die längst nicht alle kodifiziert sind, mit denen man arbeiten muss, um festzustellen, bei welchen Bezeichnungen es sich um solche handelt, die den Inhaber oder die Inhaberin migrationsfähig macht.

Außerdem haben wir Grundforderungen an das Weiterbildungswesen gestellt, beispielsweise hinsichtlich der Qualität der Weiterbildungsstätte, der Qualifikation der Weiterbilder, der Überprüfung des Weiterbildungswesens und der Logbuchführung bei der Absolvierung der Weiterbildung.

Wir haben das in einem Papier niedergelegt, das der Europäischen Kommission übermittelt wurde. Mit diesen Forderungen und Vorschlägen bezüglich einer einheitlichen und höheren Qualitätsanforderung im Hinblick auf die Weiterbildung wurde der Beratende Ausschuss offenbar lästig. Immer öfter fielen in den 90er-Jahren wegen angeblich fehlender Mittel Sitzungen des Beratenden Ausschusses aus, bis letztlich die Kommission beschloss, dem Rat vorzuschlagen, den Beratenden Ausschuss in der jetzigen Form aufzulösen und einen auf ein Drittel reduzierten Ausschuss der Kommission nach deren Gutdünken und Beauftragung zuarbeiten zu lassen. Dieser neue Ausschuss soll sich ab dem nächsten Jahr nicht mehr mit Fragen der Qualität in der medizinischen Bildung beschäftigen, sondern quasi nur noch notariell mit Fragen der formellen Gleichwertigkeit der Ausbildung und der Weiterbildung. Die Hoffnung auf eine Harmonisierung der ärztlichen Bildung innerhalb der EU ist damit zunächst einmal weit in den Hintergrund gerückt, was ich sehr bedaure.

Die Demontage dieses Beratenden Ausschusses schafft ein Vakuum, das gefüllt werden muss. An dieser Stelle sind die Europäischen Ärzteverbände gefordert, und zwar zuallererst der Ständige Ausschuss der Europäischen Ärzte, dessen Präsidenten wir heute unter uns haben. Markku Äärimaa hat in seinem einführenden Referat den Ständigen Ausschuss der Europäischen Ärzte ausgezeichnet beschrieben; ich brauche das nicht weiter auszudehnen. Das Comité Permanent ist als Dachorganisation der nationalen Ärzteverbände die einzige Organisation, die ernsthaft eine Vertretung der Gesamtärzteschaft für sich in Anspruch nehmen kann.

Daneben bestehen aber zahlreiche andere europäische Dachverbände ärztlicher Organisationen, von denen ich hier vier nennen möchte: den Dachverband der fachärztlichen Berufsverbände (UEMS), den Dachverband der Allgemeinärzte und Praktischen Ärzte (UEMO), die Dachorganisation der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte (DFMS), deren wichtigstes Mitglied in Deutschland der Marburger Bund ist, sowie die Ständige Arbeitsgruppe der Jungen Krankenhausärzte (PWG).

In allen diesen Organisationen gehen viele Kolleginnen und Kollegen mit guten Ideen zu Werke. Da sie sich mit ihren Partikularinteressen im Ständigen Ausschuss nicht immer durchsetzen können, müssen sie natürlich bei der Kommission antichambrieren, scheinbar von der gesamtärztlichen Vertretung im Stich gelassen. In der derzeitigen Situation haben sie damit Recht.

Dieses Vorgehen hat in Brüssel natürlich denselben Effekt wie seinerzeit in Bonn oder jetzt in Berlin. Wir werden von der Politik auseinander dividiert, gegeneinander ausgespielt und gegenseitig vorgeführt. Am Ende sind wir möglicherweise eher geschwächt als gestärkt. Das ist in doppelter Weise bedauernswert: nicht nur, weil wir gegenüber der Politik als Ärzte keinen besonders starken Eindruck hinterlassen, sondern auch, weil nicht alle, aber viele der Ideen, die aus diesen Gruppen kommen, sehr vernünftig sind. Nur lassen sie sich eben nicht mit der Brechstange durchsetzen, besonders dann nicht, wenn - wie häufig der Fall - diese Ideen mit nationalem Recht nicht kompatibel sind.

Nur wenn die einzelnen nationalen Verbände, die teilweise gleichzeitig auch Mitglieder der anderen Dachverbände sind, sich eindeutig zum Ständigen Ausschuss als der Vertretung der Gesamtärzteschaft Europas bekennen, wird sich dieses Verhältnis verbessern lassen können.

In der Diskussion um unser "Blaues Papier" kam die Idee auf, den Ständigen Ausschuss um einen Europäischen Ärztetag zu erweitern und damit seine demokratische Legitimation und seine Sichtbarkeit zu verbessern. In diesem Sinne interpretierte der Vorstand der Bundesärztekammer auch eine von Herrn Professor Lob auf dem 101. Deutschen Ärztetag eingebrachte Forderung, einen Europäischen Ärztetag zu gründen. Und auch unsere Kollegen in der Pfalz sind mit einer entsprechenden Idee an uns herangetreten. Der Vorschlag, einen Europäischen Ärztetag zu veranstalten, ist, so klar und einfach er sich auch anhört, bei weitem nicht so einfach durchzusetzen, zumindest dann nicht, wenn wir die Chance für ein wirklich demokratisches Organ nicht zugunsten eines kurzfristigen Publicity-Gags opfern wollen.

Wo liegen die Probleme? Zum einen ist da eine gehörige Heterogenität in der Zusammensetzung des Comité Permanent: Die nationalen Ärzteschaften werden zum Teil durch freie Verbände vertreten, beispielsweise unsere skandinavischen Kollegen durch Gewerkschaften, Belgien, Luxemburg und andere durch Kammern. Die einzelnen Verbände haben in ihrem Land einen unterschiedlichen Organisationsgrad. Nicht überall gibt es eine Pflichtmitgliedschaft. Sie haben eine unterschiedliche Legitimation und sie haben unterschiedliche Aufgaben.

Zum anderen sehen die verschiedenen nationalen Verbände offenbar die Notwendigkeit einer starken europäischen Vertretung der Ärzteschaft sehr unterschiedlich: Während wir und einige andere nationalen Ärzteorganisationen überzeugt sind, dass die europäische Politik bereits einen entscheidenden Einfluss auf die Gesundheitspolitik hat, ist für andere Brüssel schlicht "weit weg". Dass dem nicht so ist, hat, glaube ich, Herr Schirmer klargelegt.

Ich komme zu den Schlussfolgerungen. In der Mitte Europas gelegen, sind wir vital daran interessiert, dass sich die Union weiterentwickelt - qualitativ nach innen und in ihrer Ausdehnung nach Mittel- und OstEuropa.

Wir richten deshalb an die Union unsere Forderung, der Gemeinschaft ein soziales Fundament zu geben und mehr noch als bisher bei der Entwicklung der Union darauf zu achten, dass der gemeinsame Markt den Menschen dienen muss und nicht umgekehrt.

Wenn es eine Charta der Grundrechte geben wird, dann sollte sie auch eine frei zugängliche und qualitativ hochwertige GesundheitsVersorgung für alle Menschen in der Union einschließen.

In einem freien Europa müssen natürlich die Patienten das Recht haben, die notwendige medizinische Versorgung auch in einem anderen Mitgliedsland zu erhalten, insbesondere dann, wenn sie im eigenen Land nicht geleistet werden kann. Dabei muss allerdings bedacht werden, dass unsere Sozialsysteme natürlich nur dann funktionieren können, wenn ihre Leistungsfähigkeit und ihre Daseinsfürsorge und -vorsorge zum Beispiel in Form einer flächendeckenden Versorgung bewahrt und geschützt werden. Und natürlich darf es nicht sein, dass Patienten von den Krankenkassen zur Erzielung von Kosteneinsparungen ins Ausland gedrängt werden.

Damit wir Ärztinnen und Ärzte eine gemeinsame europäische Stimme haben, ist es notwendig, dass alle Kolleginnen und Kollegen, die auf europäischer Ebene tätig sind, die Zusammenarbeit unter dem Dach des Ständigen Ausschusses suchen. Nur so können wir gegenüber der Union eine starke Vertretung der Ärzte sein.

Gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den anderen Mitgliedsländern der Union wollen wir im Ständigen Ausschuss der Europäischen Ärzte an der Einrichtung eines Europäischen Ärztetags arbeiten, und zwar sukzessive und gut vorbereitet. Die Zeit dafür ist reif!

Ich bedanke mich und füge hinzu, dass dies ein Referat war, das in Kooperation mit Herrn Dr. Kloiber, dem Leiter unserer Auslandsabteilung, entstanden ist. Wenn Sie überhaupt Beifall spenden wollen, dann lenken Sie ihn bitte mindestens zu 50 Prozent auf ihn.

Schönen Dank.

(Beifall)

Dr. Auerswald, Vizepräsidentin:

Vielen Dank, Jörg Hoppe, vielen Dank, Herr Kloiber, für dieses Referat. Ich glaube, es wird eine spannende Zeit: Europa kommt und ist nicht aufzuhalten. Es wird sicherlich schwierig sein, eine Gemeinsamkeit innerhalb der Europäischen Ärzteschaft herbeizuführen, wenn man bedenkt, welche Schwierigkeiten bereits in der Ärzteschaft eines Landes bestehen.

Wir treten nun in die Diskussion ein. Als erster Redner bitte Herr Dr. Brunn aus Schleswig-Holstein.


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