Eröffnungsveranstaltung

Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit:

Mein lieber Herr Oberbürgermeister! Herr Staatssekretär! Sehr geehrter Herr Hoppe! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn ich mich jetzt vielleicht wieder dem Vorwurf aussetze, ich wollte nur mit Ihnen schmusen,

(Heiterkeit)

möchte ich doch vor diesem so genannten Parlament der Ärzte zunächst einmal feststellen, dass wir eine ganze Menge Gemeinsamkeiten haben. Wir sind uns, glaube ich, einig, dass unser Gesundheitssystem gut ist. Wir sind uns einig, dass es anpassungsfähig, aber angesichts der Herausforderungen durch die demographische Entwicklung und ebenso der Herausforderungen durch Innovationen in der Medizin auch anpassungsbedürftig ist. Wir sind uns, denke ich, ebenso einig, dass jede Gesundheitsreform gründlich vorbereitet werden muss.

Ich glaube, dass unser Gesundheitswesen auf Veränderungen Antwort geben muss, denke aber auch, dass uns das nur gelingen kann, wenn es möglichst breit getragen wird. Weil das so ist und weil grundsätzliche Entscheidungen einen großen Vorlauf brauchen, habe ich im Mai zum Runden Tisch eingeladen. Mein Ziel ist, mit den wichtigsten Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern möglichst im Konsens Lösungen für die Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung zu finden.

Ich kann Ihnen hier an dieser Stelle zusichern - Sie dürfen mich beim Wort nehmen -: Es ist mir ernst damit. Es gibt in keiner Schublade Geheimpapiere, die daneben erarbeitet werden sollen, sondern das, was wir erarbeiten, kommt auf den Tisch, und zwar in den Arbeitsgruppen, auf die wir uns am Runden Tisch geeinigt haben, die sechs große Themenfelder bearbeiten werden: Wir wollen uns mit der Modernisierung der Arznei- und Heilmittelversorgung beschäftigen. Wir werden uns mit der Zukunft der Kranken in den Krankenhäusern beschäftigen. Wir werden uns mit Strategien zum Ausbau der sektorübergreifenden Versorgungsformen beschäftigen. Eine vierte Arbeitsgruppe wird sich mit der Weiterentwicklung der Qualität der Gesundheitsversorgung unter Nutzung der immer wieder angesprochenen evidenzbasierten Medizin und Pflege beschäftigen. Wir werden uns mit Konzepten zur Stärkung der Prävention auseinander setzen. Darüber hinaus werden wir dort über die Zukunft der ambulanten Versorgung sprechen.

Das Ziel ist, gemeinsam festzulegen, wie eine optimale Gesundheitsversorgung aussehen könnte. Wenn wir das wissen, dann stellt sich die Frage, ob und wie die derzeitigen Strukturen verändert werden müssen und ob die vorhandenen Finanzierungsgrundlagen ausreichen.

Ich erwähne das hier, weil es ein anderer Ansatz ist, als eine Gesundheitsreform mit dem Gedanken zu beginnen, dass man im System mehr Geld braucht. Wir müssen wissen, was wir wollen, was wir brauchen und wie wir optimale Strukturen schaffen können. Vielleicht hat ja Ihr Ärztekammerpräsident Recht, der nach dem ersten Treffen am Runden Tisch gesagt hat, dass wir dann möglicherweise feststellen, dass die derzeitige Finanzierung ausreicht. Das ist offen. Ich glaube, dass wir uns diese Offenheit erhalten sollten. Das, was hier auch heute Morgen in einigen Reden angesprochen wurde, wird Grundlage der Arbeit in den Arbeitsgruppen sein; denn es geht natürlich um die Frage der Arbeitszeit, um die Frage, wie die zukünftige Honorierung aussehen kann, um die Frage, wie die Ausbildung in Pflege und medizinischen Berufen den Qualitätsanforderungen angepasst werden muss, und um andere Dinge mehr.

Ich kann heute nicht zu allen Dingen Stellung nehmen, aber doch zu einigen, die mir sehr am Herzen liegen. Basis für das, was wir in diesen Bereichen entwickeln werden, ist für mich die gesetzliche Krankenversicherung, die vom Solidarprinzip lebt. Da jeder Einzelne dieselbe Chance auf Gesundheit und dasselbe Risiko der Krankheit trägt, teilen wir in der gesetzlichen Krankenversicherung die Kosten der Krankheit und ihre Behandlung solidarisch unter allen potenziell Betroffenen auf, gestaffelt nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit.

Es war jetzt oft die Rede davon, wie denn die Politik den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmen will. Auch wenn Herr Dr. Everz mich aufgefordert hat: Ich glaube, das kann die Politik nicht so einfach. Wie soll das denn gehen? Was gehört denn in einen Leistungskatalog, wie müssen wir ihn überprüfen? Das ist selbstverständlich; aber der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung kann doch nichts Statisches sein. Er ist doch der permanenten Entwicklung unterlegen. Das heißt, das, was alle von Ihnen, vielleicht heute noch, als den Weg in der Therapie ansehen, kann morgen schon anders sein. Das, von dem wir heute noch glauben, dass es therapeutisch vielleicht nicht so wirkt und sinnvoll ist, kann sich doch morgen schon als neuer Weg in der Medizin erweisen.

Deshalb glaube ich - unabhängig davon, dass der kontinuierliche Prozess dessen, was auf der Basis der Prinzipien von evidenzbasierter Medizin entwickelt wird, immer weiter fortgesetzt werden muss -, dass die gesetzliche Krankenversicherung in der Vergangenheit bewiesen hat - und das auch in der Zukunft tun muss -, dass sie mehr ist als eine akute Notfallversorgung. Das sollte zumindest unser Ziel sein.

Jetzt komme ich zu der Frage der so genannten Grundversorgung und privaten Zusatzversicherung, weil dazu eben einige Bemerkungen aus dem Publikum kamen. Wer, meine Damen und Herren, soll denn festlegen, was eine Basisversorgung ist? Welches Risiko ist denn so bewertet, dass wir heute sagen können, dass es morgen ausgeschlossen sein soll? Wie verhält es sich denn, wenn wir zum Beispiel sagen, dass Therapien, die evidenzbasiert dazu führen, dass sie Krankheiten heilen oder den Menschen mehr Lebensqualität geben, weil sie ihre Schmerzen lindern, plötzlich in eine Zusatzversorgung gehören? Es wäre sozial ungerecht, wenn wir aufgrund des Geldes in der Gesundheitsversorgung eine Politik entwickelten, nach der es vom Geldbeutel abhängt, ob man ein Medikament oder eine Therapie bekommt oder nicht. Wir wollen am Runden Tisch zu verhindern helfen, dass sich so etwas entwickelt.

Wenn es aber nicht evidenzbasiert und therapeutisch nicht sinnvoll ist, warum geben wir so etwas dann in eine Zusatzversicherung? Lenken wir da nicht Dinge in eine falsche Richtung? Und wenn es so ist, dass es zwar Einzelnen hilft und für Einzelne eine Therapie darstellt, aber vielleicht in der Kosten-Nutzen-Relation anders aussieht, wer soll das denn dann in dieser Zusatzversicherung versichern?

Ich glaube - deshalb spreche ich das hier an, weil es mir sehr ernst ist -, wir müssen den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung immer wieder daraufhin überprüfen, was die Solidargemeinschaft aufgrund anerkannter therapeutischer Maßnahmen und auch Entwicklungen, die wir mit einbeziehen, zu tragen hat.

Ich will das einmal am Beispiel der Mutter-Kind-Kuren erläutern, von denen ich gestern gehört habe, dass sie in eine so genannte Zusatzversicherung sollen. Wer soll sich denn da zusatzversichern? - Ich nehme einmal die Männer aus, da sie nicht Mutter werden können. Dann nehme ich auch die Großeltern aus, weil sie ebenfalls keine Mutter-Kind-Kur mehr brauchen. Dann nehme ich noch ganz viele aus, die über gute Einkommen verfügen und sagen: Wenn es mir einmal schlecht geht, dann mache ich Urlaub im Robinson-Club. - Wer bleibt dann übrig? Es bleiben diejenigen übrig, von denen alle Ärztinnen und Ärzte hier im Saal sagen, dass eine Mutter-Kind-Kur zum richtigen Zeitpunkt vielleicht viele aufwendige Behandlungen der Mutter und des Kindes verhindern kann, bei denen aber auch klar ist: Wenn wir die Versicherung auf die reduzieren, die auf diese Mutter-Kind-Kuren angewiesen sind, können gerade die letztlich nicht daran teilhaben, weil sie in der Regel nicht das Geld haben, eine Zusatzversicherung abzuschließen; sie haben aber auch nicht das Geld, sich anderweitig Entlastung zu schaffen.

Darin sehe ich eine Falle, in die wir uns hineinbegeben können, wenn wir nicht sehr sorgfältig darüber sprechen, was in die Solidargemeinschaft gehört und was nicht. Ich glaube, dass das auch am Runden Tisch ein Thema sein muss.

(Beifall)

Ich will damit auch unterstreichen, dass wir, wenn das solidarische System auf Dauer funktionieren und seine Akzeptanz erhalten bleiben soll, alle gemeinsam immer wieder auch darüber reden müssen, wie wir mit den Beiträgen der Versicherten möglichst sparsam umgehen. Deshalb müssen wir die Ausgaben steuern; aber die Ausgabensteuerung muss mit den richtigen Instrumenten erfolgen. Das, was mit den starren Budgets auf den Weg gebracht wurde, kann nur eine Übergangslösung und keine Dauerlösung sein. Der Kollektivregress beim Arzneimittelbudget hat sich in der Praxis als untauglich erwiesen.

(Beifall)

Was mich besonders betroffen gemacht hat: Es hat sich am Ende auf die Patientinnen und Patienten ausgewirkt.

(Beifall)

Deshalb wird der Kollektivregress abgeschafft. Wir haben eine Alternative zur Steuerung der Ausgaben im Arznei- und getrennt davon im Heilmittelsektor entwickelt. Selbstverständlich bleibt es bei der Zielsetzung eines wirtschaftlichen Einsatzes im Arzneimittelbereich; aber das werden Sie auch gar nicht anders erwarten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen bleiben ebenso wie der einzelne Vertragsarzt in der Verantwortung für Qualität und Wirtschaftlichkeit ihrer Verordnungen. Zukünftig sollen dazu auf der Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen Arzneimittelvereinbarungen getroffen werden. Hier wird nicht nur das Ausgabenvolumen festgelegt, sondern es sollen auch Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele definiert werden.

Dabei wird es der Selbstverwaltung - worin ich den Fortschritt sehe - zukünftig möglich sein, viel flexibler als der Gesetzgeber zu agieren. Besondere Situationen, zum Beispiel eine höhere Anzahl von chronisch kranken Patienten, eine höhere Anzahl von älteren Patientinnen und Patienten oder die hohe Anzahl von Aidspatienten in Berlin, können konkret berücksichtigt werden. Wir haben vorgesehen, dass die Erfüllung von Zielvereinbarungen, die nicht nur das wirtschaftliche Ziel beinhalten, sondern auch eine Qualitätssteigerung in der Arzneimittelversorgung, zukünftig durch Bonuszahlungen honoriert werden kann. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir uns auch mit Überschreitungen der vereinbarten Ausgaben für Arzneimittel befassen müssen.

Wir wollen, dass anders als bisher eine fortlaufende Information und Beratung der Vertragsärzte stattfindet und dass hiermit auch ein Frühwarnsystem eingerichtet wird.

Insgesamt gesehen werden wir die Selbstverwaltung mit diesem Gesetzentwurf weiter stärken, Versorgungsziele ausbauen und - was ich für besonders wichtig halte - auch die Datenbasis für die Arzneimittelversorgung verbessern. Ich will endlich wirklich wissen, was eigentlich gebraucht wird, und nicht immer nur hören, was man glaubt, was gebraucht wird. Deshalb sage ich das hier. Das scheint ja auf den ersten Blick eine Sache zu sein, die nur die Vertragsärzte oder -ärztinnen berührt. Aber das ist für alle wichtig. Ich appelliere hier auch an die Selbstverwaltung. Die Ablösung des Arzneimittelbudgets ist ein wichtiges Signal, nicht nur in der Frage der Stärkung der ambulanten Versorgung. Wenn es uns gelingt, bis zur nächsten Bundestagswahl durch das, was schon in diesem Jahr erarbeitet wird, durch das, was wir verändern wollen, klarzumachen, dass es intelligentere Steuerungsmittel gibt als die bisherigen, dann hat das Auswirkungen auf alle Bereiche im Gesundheitssektor.

Deshalb sollten wir es uns alle zur Aufgabe machen, daran mitzuwirken, dass die Steuerung im Hinblick auf eine optimale Versorgung der uns anvertrauten Patientinnen und Patienten erfolgt. Das, was wir jetzt im Bereich der Arzneimittel und der Heilmittel exemplarisch ausprobieren, wollen wir auch auf andere Bereiche der gesundheitlichen Versorgung übertragen. Wenn wir so miteinander umgehen, können wir gemeinsam Schritte nach vorn machen. Das dient den Patientinnen und Patienten, das dient Ihnen allen, aber das dient auch dieser Gesellschaft, weil die Menschen dann wieder zufriedener sind.

(Beifall)

Das, was wir im Bereich der Reformen für die Krankenhausversorgung machen, zielt in die gleiche Richtung. Wir werden noch in diesem Jahr den ordnungspolitischen Rahmen für die DRGs schaffen. Ziele sind hier auch mehr Transparenz, Leistungsorientierung und Qualitätssicherung statt Kostenorientierung und Budgetierung. Sie wissen alle, dass die Vorbereitungen für die Einführung der Fallpauschalen in den Krankenhäusern laufen. Ich weiß, auch aus den Gesprächen in meiner bisherigen Amtszeit, dass in diesem Zusammenhang nicht nur Begeisterung von Ihnen zu erwarten ist, dass mache von Ihnen Vorbehalte wegen des hohen Aufwandes haben. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass nicht die Anfertigung jedes einzelnen Röntgenbildes zukünftig kodiert werden muss, sondern entscheidend wird sein, welche Prozeduren für die Abrechnung der DRG-Fallpauschalen benötigt werden und wie wir den Aufwand für die einzelnen Fachrichtungen in Grenzen halten können.

Auch den von einigen von Ihnen geäußerten Befürchtungen bezüglich des Tempos der Einführung der DRGs wollen wir entgegenkommen. Wir wollen, dass der Zeitplan eingehalten wird, aber mein Haus - auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - glaubt, dass es richtig wäre, die budgetneutrale Phase zu verlängern, zu starten, auch wenn noch nicht alles zu 100 Prozent erfasst ist, damit wir mehr Zeit haben, in der Praxis zu überprüfen, was festgelegt wurde, sodass wir dann auf der Grundlage dieses Vorgehens die entscheidenden Schritte gehen können.

Ich bin davon überzeugt, dass mit den DRGs Anstrengungen des Krankenhauses hinsichtlich Effizienz und Qualitätssicherung belohnt werden. Herr Montgomery, der als der schönste Arzt des Ärztetages bezeichnet wurde

(Heiterkeit - Beifall)

- ich will Ihnen hier ganz im Vertrauen sagen, dass er mich gebeten hat, das mindestens einmal laut zu sagen -,

(Heiterkeit - Beifall)

und alle Mitstreiterinnen und Mitstreiter, für mich gehört zur Effizienz und Qualitätssteigerung auch eine Arbeitszeitgestaltung für Ärztinnen und Ärzte, die die Qualität der Patientenversorgung nicht infrage stellt.

(Beifall)

Wir sehen es so, dass das Arbeitszeitgesetz seit fünf Jahren eine Grundlage bietet, die Arbeitszeit in den Krankenhäusern zum Wohle der Beschäftigten und der Patienten zu regeln. Bei dem Besuch einer Reihe von Krankenhäusern habe ich mich davon überzeugen können, dass es eine ganze Menge Krankenhäuser gibt, die durch innovative Arbeitszeitregelungen zur Zufriedenheit ihrer Beschäftigten beigetragen haben und durch flexible Arbeitszeit und Arbeitszeitkonten oder auch durch die Festlegung, dass der Arbeitstag nicht mehr als acht Stunden dauern darf, ebenso Qualitätsgesichtspunkten Rechnung tragen.

Leider - das wissen auch Sie - gibt es einen viel zu großen Anteil an Krankenhäusern, die die geltenden Bestimmungen ignorieren und ihren Ärztinnen und Ärzten überlange Dienstzeiten zumuten.

(Beifall)

Um dieses Problem anzugehen, bietet das, was wir im Krankenhausbereich auf den Weg bringen, ebenfalls neue Möglichkeiten. Ob und in welchem Umfang das auf einem spanischen Sachverhalt beruhende Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Deutschland Rechtsänderungen erforderlich macht, darüber gibt es noch unterschiedliche Auffassungen. Bereits nach Beginn der Gespräche in Brüssel, die am 11. Mai begonnen wurden, ist klar, dass sich die rechtliche Bewertung weitaus schwieriger gestaltet, als es sich manchmal öffentlich anhört. Deshalb nützt es auch nichts, wenn ich dem Arbeitsminister auf die Füße trete. Ich bin zuversichtlich, dass wir in dieser Frage zu einer Lösung kommen werden, die allen Beteiligten gerecht wird. Wir haben vereinbart, dass wir dazu in engem Kontakt bleiben und darüber sprechen werden. Ich bin auch mit dem Arbeitsministerium einig, dass wir das so zügig wie möglich auswerten, damit wir die entsprechenden Schritte einleiten können.

(Beifall)

Der effiziente Einsatz der Mittel alleine reicht jedoch nicht aus, um die solidarische Versicherung zu erhalten. Voraussetzung dafür ist auch eine faire Grundlage für den Wettbewerb der Kassen untereinander. Auch hier wollen wir Änderungen auf den Weg bringen. Ab dem kommenden Jahr soll der Wettbewerb unter den Krankenkassen wieder stärker auf eine Verbesserung der Versorgungsqualität ausgerichtet werden. Kassen, die sich um die Versorgung chronisch Kranker bemühen, sollen im Risikostrukturausgleich deutlich besser gestellt werden.

Der Aufbau solcher Programme, die man neudeutsch Disease-Management-Programme nennt, soll auch für kleinere Kassen durch einen Solidarbeitrag gesichert werden. Mittelfristig soll ab 2003 für besonders teure Risiken ein Risikopool eingeführt werden. Spätestens ab 2007 gilt ein vollständiger morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich. Ich bin sicher, dass wir uns im Bundestag darauf einigen werden.

Ich erwähne das hier nicht nur, weil die Kranken, die zu Ihnen kommen, oft Mitglieder der großen Kassen sind, sondern weil wir mit dieser Reform des Risikostrukturausgleiches einen Wandel einleiten, und zwar in der Hinsicht, dass die Versorgung chronisch kranker Menschen für die Krankenkassen, die diese Versorgung anbieten, erstmals zu einer lohnenden Angelegenheit wird und nicht mehr eine Strafangelegenheit sein wird, wie es heute der Fall ist, und somit der Wettbewerb um die bessere Versorgung der Kranken geführt werden kann. Deshalb bitte ich Sie dort, wo Sie tätig sind, um Unterstützung, damit wir die Zustimmung nicht nur des Deutschen Bundestages, sondern auch der Bundesländer bekommen. Denn ich glaube, sich um eine hohe Qualität im Gesundheitswesen und einen Wettbewerb um die optimale Versorgung chronisch kranker Menschen zu bemühen, das gehört zu den Grundlagen, auf denen wir die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung auf Dauer sichern können. Ich bitte Sie dabei um Mitarbeit.

Mit den neuen Programmen für chronisch kranke Menschen im Zuge der Reform des Risikostrukturausgleichs wollen wir an die Weichenstellungen anknüpfen, die mit der Gesundheitsreform 2000 unter dem Stichwort "Integrierte Versorgung" geschaffen wurden. Ich muss Ihnen nicht erzählen, welche Vorteile eine solche Versorgung mit sich bringt: Ambulanter und stationärer Bereich, ärztliche und nicht ärztliche Berufe arbeiten zusammen. Damit lassen sich auch Schnittstellenprobleme beim Übergang der Patientinnen und Patienten vom Krankenhaus nach Hause lösen, wenn die Pflegedienste oder der niedergelassene Arzt von vornherein mit einbezogen werden. Dies ist notwendig hinsichtlich der Qualitätssicherung und der Einführung der Fallpauschalen in den Krankenhäusern, die wir angesichts der Schnittstellenproblematik brauchen.

In diesem Sinne glaube ich, dass es einer besseren Versorgung von kranken Menschen dient, wenn ein Arzt oder eine Ärztin sie als Hausarzt oder Hausärztin begleiten. Deshalb wollen wir an dem festhalten, was mit der Gesundheitsreform 2000 auf den Weg gebracht wurde: dass wir die Position der Hausärztinnen und Hausärzte im Gesundheitswesen stärken. Der Hausarzt als Lotse, das kann auch der Lotse sein, der eine gesündere Lebensweise unterstützt. Er kann den Menschen helfen, einen Lebensstil zu finden, der ihrer Gesundheit nützt und ihnen Wohlbefinden und mehr Lebensqualität verschafft, und er kann ihnen manchmal auch Hilfestellung bei Alltagsproblemen aufgrund besonderer Konstellationen und familiärer Bedingungen geben.

Ich glaube, es ist unbestritten, dass gerade im Bereich der Prävention sehr viel mehr getan werden kann, als wir heute tun. Nach wie vor gibt es in diesem Bereich in Deutschland im internationalen Vergleich Defizite. Ich bin fest entschlossen, hier anzusetzen und auf die Verhältnisse und das Verhalten einzuwirken, auch auf das Verhalten des Einzelnen; denn jeder ist zuerst für sich und seine eigene Gesundheit verantwortlich. Das sollten wir nach außen tragen.

(Beifall)

Rückenschulen, Sturzprophylaxe für ältere Menschen, Aidsprävention - es gibt viele Beispiele, die ich hier nicht alle anführen kann, durch die aber auf der einen Seite die Lebensqualität der betroffenen Menschen gesteigert und auf der anderen Seite Geld gespart werden kann. Dieser Bereich, bei dem ich jede einzelne Patientin und jeden einzelnen Patienten in die Verantwortung nehme, ist der Compliancebereich. Ich glaube, dass jeder Mensch eine Verantwortung gegenüber dem Solidarwesen hat, das für ihn einsteht, wenn er Hilfe braucht. Aber er selber muss alles dafür tun, dass dieses Solidarsystem nicht über Gebühr in Anspruch genommen wird. Dazu gehört, dass man ein bisschen das tun muss, was der Arzt oder die Ärztin einem sagt, wenn es um die Heilung geht.

(Beifall)

Ein anderer Punkt, der hier angesprochen wurde. Es ist nichts Neues, dass die ärztliche Ausbildung diesen Gesichtspunkten Rechnung tragen muss; darin sind wir uns einig. Ich kann Ihnen sagen: Wir wollen einen neuen Anlauf starten.

(Vereinzelt Beifall)

Ich gebe zu, dass ich selber sehr überrascht war, als ich hörte, wie lange die Approbationsordnung schon im Bundesrat schlummert. Ich habe für morgen ein Gespräch mit der Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz vereinbart, um noch einmal darüber zu reden, wie wir jetzt gemeinsam vorankommen können. Wir werden gemeinsam mit der Bundesärztekammer am 2. Juli eine Auftaktveranstaltung zu dieser Frage in Berlin veranstalten und laden Sie alle dazu ein. Der Bundeskanzler selber hat seine Teilnahme zugesagt und unterstreicht damit den Stellenwert für die Bundesregierung. Wir wollen die Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte den neuen Erfordernissen in der Medizin anpassen. Ich glaube, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen werden. Das Land Rheinland-Pfalz unterstützt uns ja ohnehin dabei.

(Beifall)

Der Bundeskanzler und die Bundesregierung messen auch der Biomedizin und den gentechnischen Entwicklungen einen hohen Stellenwert bei. Das zeigt die Einrichtung des Nationalen Ethikrates, in dem auch Ihre Vertreterinnen und Vertreter mit beraten werden. Wir können es uns nicht so einfach machen, zu sagen: freie Fahrt der Forschung. Wir können aber auch nicht an den Anfang einer neuen Entwicklung Verbote stellen, sondern es gilt, in einer sachlichen Debatte Chancen und Risiken auszuloten und einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu entwickeln, welche Entscheidungen letztendlich die Politik verantwortlich zu treffen hat.

Ich weiß, dass Herr Professor Hoppe hierauf noch näher eingehen wird; aber lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie sich als deutsche Ärzteschaft bereits seit langem an der gesellschaftlichen Diskussion über diese Fragen beteiligen. Ihre besonnenen Positionen, nicht nur zur Biomedizin, sondern auch zur Sterbehilfe, sind sehr wichtig. Ich möchte Sie auffordern, diesen Weg fortzusetzen und mit uns gemeinsam die Diskussion zu führen.

Auch für diese Frage gilt, dass wir sie im europäischen Kontext sehen müssen. Wir können uns in Deutschland keine Insellösungen leisten; denn sie hätten in der Europäischen Union keinen Bestand. Maxime muss für uns ein hoher Gesundheitsschutz für alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sein. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir die Pluralität und die Vielfalt der nationalen Gesundheitssysteme erhalten müssen. Gerade wenn wir das wollen, müssen wir auf europäische Entwicklungen Einfluss nehmen, ob es um gemeinsame Standards im Bereich der Telematik, die Prävention von Infektionskrankheiten oder ein hohes Niveau der Arzneimittelsicherheit geht. Auf all diesen Feldern brauchen wir die europäische Zusammenarbeit. Letztendlich müssen die Probleme jedoch auf der nationalen Ebene gelöst werden.

Meine Damen und Herren, Krankheit gehört leider zum Leben und wir können sie nur begrenzt beeinflussen. Gerade deswegen ist die Gestaltung der Zukunft des Gesundheitswesens eine Aufgabe, die alle Menschen betrifft und die alle Menschen interessiert. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, unser leistungsfähiges, effizientes Gesundheitswesen auch in Zukunft zu sichern, zum Wohle all der Menschen, die krank werden oder es bereits sind und die Ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Darauf, dass das auch in Zukunft so ist, müssen die Bürgerinnen und Bürger vertrauen können. Dieses Vertrauen zu erhalten ist Ihre und meine Aufgabe.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall)

© 2001, Bundesärztekammer.