Eröffnungsveranstaltung

Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Sehr verehrte Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit wir uns von vornherein einig sind: Es geht nicht um Risikoausschlüsse, zumindest nicht um Risikoausschlüsse, welche solidarisch abgesichert werden müssen. Das ist nicht das Thema, sondern es geht um Fragen der Austarierung, auf die ich gleich noch zu sprechen kommen werde. Niemand von uns ist dafür, dass Risiken, die zu einer Versicherung gehören, wenn sich gleichermaßen risikobehaftete Menschen gegenseitig absichern, ausgeschlossen werden. Das würde gegen das Versicherungsprinzip und gegen die Solidarität verstoßen. Darüber sind wir uns völlig einig.

(Beifall)

Nach der Reform ist vor der Reform; wir haben es gerade gehört. Deshalb begrüßen wir Ihr Bemühen, nach neuen Lösungen zu suchen und die Beteiligten des Gesundheitswesens dabei einzubeziehen. Der Runde Tisch, bereits mehrfach genannt, ist Ausdruck dieser Dialogbereitschaft und findet in seiner Zielsetzung unsere Zustimmung. Dieser mögliche Aufbruch zum Umbau des Gesundheitswesens kann und darf allerdings nicht über derzeitige Probleme hinwegtäuschen.

Über 20 Jahre fantasielose Kostendämpfungspolitik haben wir hinter uns, mit über 200 Einzelgesetzen, die zu erheblichen Verwerfungen in der gesundheitlichen Versorgung geführt haben und vielen von uns auch den Spaß am Beruf verdorben haben.

(Beifall)

Mit wenigen Sätzen haben die fünf Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Jahresgutachten ein vernichtendes Urteil über diese Politik gefällt, die unter dem plakativen Schlagwort "Kostenexplosion" in die Irre geführt hat. Ich zitiere:

Diese Politik zielte trotz kurzfristiger Erfolge nicht auf den Kern des Problems. Kostendämpfungsmaßnahmen können regelmäßig nur kurzfristig wirksam sein ... Mittel- und langfristig kommt es aber bei starren sektoralen Budgetvorgaben zu dysfunktionalen Rationierungen und Qualitätsminderungen.

Genau das ist eingetreten.

Die Wirtschaftsweisen stellen weiter fest, dass Ausgabensteigerungen dann keine Fehlentwicklungen darstellen, wenn die Gründe dafür in veränderten Krankheitsspektren, in der demographischen Entwicklung und/oder im medizinischen Fortschritt liegen. Wir stimmen ihnen zu.

Gerade als Ärztinnen und Ärzte müssen wir auf die enorme Expansion der Kenntnisse in physiologischen, biochemischen und daraus abgeleitet pathophysiologischen Bereichen hinweisen. Wir haben einen enormen Zuwachs der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten, die wir aber unter den gegenwärtigen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen wohl kaum noch in die normale medizinische Versorgung werden einführen können. Das ist das Dilemma.

(Beifall)

Dort liegen die eigentlichen Herausforderungen der modernen Gesundheitspolitik. Die fünf Wirtschaftsweisen haben das deutlich formuliert.

Anders einige Krankenkassenökonomen und Medizinsoziologen, die statt klarer Analyse die ärztliche Apokalypse zeichnen. Ist es nun unlauter oder sind es Amnesie- oder Verdrängungserscheinungen, wenn ausgerechnet selbsternannte Gurus der Gesundheitsökonomie in der Diskussion über die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung den Einfluss der veränderten Einkommensstruktur, der Arbeitslosigkeit wie der durch die deutsche Einheit volkswirtschaftlich bedingten Entwicklung insgesamt für unser Gesundheitswesen vergessen und dann diese irre Prozentsituation - 10,4 Prozent, 10,7 Prozent des Bruttosozialproduktes - falsch interpretieren oder unkommentiert lassen? Es ist zwar populär, aber wenig wissenschaftlich, alles auf den Faktor Arzt zu reduzieren.

(Beifall)

Wen wundert denn unter diesen Umständen noch wirklich der bisherige Gang der Dinge? Ich wage gar nicht daran zu denken, wie es um die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten aussähe, wenn der medizinische Fortschritt genauso langsam voranschreiten würde wie die Entwicklung vernünftiger gesundheitspolitischer Konzepte.

(Beifall)

Alle unsere Berufsangehörigen müssten sich wohl zu Recht ziemlich bald wegen Ärztepfuschs in der Öffentlichkeit verantworten. Aber - Sie kennen den Spruch -: Quod licet iovi non licet bovi. - Jetzt sitzen sie alle an einem Tisch.

Die schon seit Jahren zu beobachtende Potenzierung der medizinischen Möglichkeiten hat zu einer Leistungsdynamik geführt, an der niemand vorbeisehen kann, der Verantwortung für das Gesundheitswesen trägt. Man muss nicht gleich die Frage stellen, was passieren würde, wenn morgen ein neues, kostspieliges Krebsmedikament auf den Markt käme. Es reicht der Hinweis auf die bestehenden Schwierigkeiten, MS-Kranke oder Alzheimerpatienten adäquat mit neuen Medikamenten zu versorgen. Hier stoßen die Ärztinnen und Ärzte aufgrund der bisher noch rigiden Budgetierung - die Sie aber fallen lassen wollen - an die Grenze dessen, was ärztlich noch zu verantworten ist.

Frau Ministerin, wir begrüßen deshalb ausdrücklich den von Ihrem Hause vorgelegten Referentenentwurf, mit dem endlich die Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden soll, ab dem Jahr 2002 die Arznei- und Heilmittelbudgets sowie die völlig unsinnige Kollektivhaftung bei Budgetüberschreitung abzuschaffen und durch arztindividuelle Orientierungsgrößen zu ersetzen.

Es bleibt nur zu hoffen, dass die Krankenkassen in ihrer Informationspolitik zum aktuellen Stand der Arzneimittelverordnungen ebenso schnell werden wie in ihrer Informationspolitik zu angeblichen Skandalen der Ärzteschaft.

(Beifall)

Überhaupt sollten die Krankenkassen ihr Interesse wieder mehr den Patienten zuwenden,

(Beifall)

nicht nur den Versicherten und erst recht nicht irgendwelchen Kunden.

(Beifall)

Krankenkassen sind soziale Sicherungsgemeinschaften für den Krankheitsfall und sollten es auch bleiben; sie sind keine Profitunternehmen zur Lohnkostensenkung.

(Beifall)

Krankenkassen haben treuhänderisch die Beitragsgelder zu verwalten, um jedem ihrer Versicherten im Krankheitsfall eine - so heißt es - die Not wendende Medizin zu gewährleisten. Ich betone "jedem", damit klar wird, dass Risikoselektion und Listenmedizin nicht zu dem Grundgedanken der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung gehören.

(Beifall)

Nicht der Beitragszahler, sondern der Patient muss im Mittelpunkt stehen. Auch deshalb haben wir in der Bundesärztekammer - auf Initiative unserer Vizepräsidentin Frau Dr. Auerswald - und gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, mit Patientenvertretern und Selbsthilfeorganisationen ein Patientenforum errichtet, das über den regelmäßigen Erfahrungsaustausch hinaus gemeinsames Handeln, etwa bei der Erstellung von Leitlinien, ermöglichen soll. Wir brauchen die Erfahrung der Patienten, speziell der chronisch Kranken.

Meine Damen und Herren, wir stehen zum Prinzip der Solidarität in der GKV; ich habe es eben schon gesagt. Das bedeutet jedoch nicht die einseitige Verpflichtung der Berufe im Gesundheitswesen, mangelnde Strukturen und Ressourcen durch Dauereinsatz und Engagement zu kompensieren. Es gibt Grenzen der Belastbarkeit und die sind längst erreicht. Im Bündnis Gesundheit 2000 betreiben wir in einer Dialogreihe mit den Gesundheitspolitikern der Parteien Aufklärung über Motivation und Arbeitsbedingungen der Leistungsträger im Gesundheitswesen. Am 14. Mai waren Sie freundlicherweise unser Gast, Frau Ministerin. Es gibt nichts zu beschönigen: Menschen zu helfen ist schwerer geworden.

In der niedergelassenen Praxis ringen die Kolleginnen und Kollegen immer noch mit den Budgets und subventionieren schon seit Jahren nicht nur durch den Punktwertverfall die Leistungsfähigkeit der ambulanten Medizin.

(Beifall)

Auch gibt es zehn Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands noch immer unterschiedliche Finanzierungssysteme zur Berechnung der ärztlichen Vergütung in Ost und West. Das gilt nicht nur für die gesetzliche Krankenversicherung. Eine eklatante Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes stellt auch der 14-prozentige Vergütungsabschlag Ost bei der privaten Abrechnung ärztlicher Leistungen dar. Zu Recht empfinden unsere ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen diesen Abschlag als diskriminierend, weil sie bei gleichen Sach- und Personalkosten für dieselbe Arbeit weniger Geld erhalten als ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen.

(Beifall)

Frau Ministerin, mehr als zehn Jahre nach der deutschen Einheit ist die Zeit reif für eine Normalisierung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland.

(Beifall)

Zur Normalität würde es auch gehören, dass die Bundesregierung endlich für eine aktuelle, transparente und ausgewogene Abrechnungsgrundlage der privatärztlichen Leistungen insgesamt sorgt. Herr Everz ist eben schon darauf eingegangen.

Die über 20 Jahre alten, in Inhalt und Bewertung unzulänglichen Teile der GOÄ mit obsoleten und überholten Leistungen führen zunehmend zu Fehlinterpretationen und Abrechnungsproblemen, im Einzelfall sogar zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und der BKA-Anhörung vom September vergangenen Jahres.

Die Bundesregierung trägt für diese Entwicklung eine politische Mitverantwortung; das sagen wir hier in aller Öffentlichkeit.

(Beifall)

Wir begrüßen es deshalb sehr, Frau Ministerin, dass Sie zugesagt haben, dieses Thema jetzt aufzugreifen, und erklären unsere Bereitschaft, erneut über das so genannte Vorschlagsmodell zu verhandeln.

Wichtigste politische Voraussetzung bleibt allerdings, dass die Vorschläge der Verhandlungspartner - Vertreter der Länder, der PKV-Verband und die Bundesärztekammer - zur Aktualisierung des Leistungsverzeichnisses der GOÄ, unbeschadet einer rechtlichen Prüfung - das ist klar -, inhaltlich dann auch vom Bundesrat akzeptiert werden, nicht, dass das Ganze erst gemacht und dann vom Bundesrat hinterher konterkariert wird. Diese Sicherheit müssen wir haben, sonst hat dieses Modell keinen Sinn. Ich glaube, da sind wir uns auch einig.

Meine Damen und Herren, die Belastungen in der Arbeitswelt wandeln sich. Die psychosozialen Belastungen rücken immer stärker in den Mittelpunkt. Die Gründe dafür liegen in mangelnder horizontaler und vertikaler Kommunikation und Kooperation. Das führt nicht selten zu einer erheblichen Arbeitsunzufriedenheit.

Große Sorgen bereitet uns vor allem die derzeitige Lage im stationären Sektor. Was sich heute in unseren Kliniken abspielt, lässt sich gegenüber den Patienten, aber auch dem Personal nicht mehr verantworten. Das gilt nicht nur für Ärztinnen und Ärzte.

(Beifall)

Zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung - man muss es immer wiederholen - leisten die angestellten Ärztinnen und Ärzte über 50 Millionen Überstunden pro Jahr, ohne Bezahlung oder Freizeitausgleich.

(Beifall)

Ich sage auch noch einmal: Die Arbeitsbedingungen in deutschen Krankenhäusern grenzen an paralegale Zustände. Da ist an sich der Staatsanwalt aufgerufen; dorthin müsste er sich begeben.

(Beifall)

Dass das Arbeitszeitgesetz nach wir vor in großem Stil missachtet wird, ist nämlich ein wirklicher Skandal, der den Staatsanwalt interessieren muss. - Frau Ministerin nickt; wir sind uns schon wieder einig.

(Heiterkeit - Beifall)

Wir können nur hoffen, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu den Arbeitszeiten von Ärztinnen und Ärzten jetzt zu einem Umdenken führt; das ist das Mindeste. Das EuGH-Urteil, nach dem Bereitschaftsdienst Arbeitszeit ist, muss jetzt endlich in Krankenhäusern umgesetzt werden. Die deutsche Rechtsprechung folgt ja dem Europäischen Gerichtshof. Dauereinsätze der Ärztinnen und Ärzte von 25 bis 30 Stunden müssen schnellstmöglich der Vergangenheit angehören. Sie bedeuten auch eine Gefahr für die Patienten.

(Beifall)

Die Klärung der tatsächlichen ärztlichen Arbeitszeit ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der neuen Krankenhausfinanzierung von entscheidender Bedeutung. Es darf eben nicht sein, dass bei der Kalkulation der Fallpauschalen, der Diagnosis Related Groups, nur die derzeitigen Ist-Kosten des Personaleinsatzes, also letztlich nur die bestehenden Stellenpläne, erfasst werden. Es müssen vielmehr darüber hinaus der tatsächliche ärztliche Arbeitseinsatz, der sich aus den geleisteten Überstunden unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils ergebende Mehrbedarf sowie der unglaublich vermehrte Dokumentationsaufwand insgesamt mit einbezogen werden.

(Beifall)

Dieser Dokumentationsaufwand fördert auch Berufsunzufriedenheit. Was machen Ärzte, die fünf Minuten Patienten betreuen und anschließend 20 Minuten Bögen ausfüllen müssen?

(Beifall)

Das ist demotivierend.

Gegen die DRGs haben wir unter den genannten Voraussetzungen im Prinzip nichts einzuwenden. Die starre rechtsdogmatische Einführung mit diesem Tempo - Sie haben ja eben schon zarte Andeutungen gemacht, dass darüber geredet werden kann - halten wir für eine Katastrophe, ist doch die Datenlage bisher völlig unzureichend.

Wird die schon jetzt geleistete unentgeltliche Mehrarbeit bei der Kalkulation der leistungsorientierten Pauschalentgelte für die stationäre Behandlung weiter ignoriert, potenziert dies die Problematik der unbezahlten Überstunden. Die künftigen Erlöse der DRG-Pauschalen werden dann nicht mehr ausreichen, um den notwendigen Personalbedarf zu finanzieren. Schlimme Verwerfungen in der Patientenversorgung sind dann nicht mehr zu vermeiden.

Ohnehin kann mir bis heute keiner erklären, warum wir das australische Fallgruppensystem, das ja im Ursprungsland behutsam und nur in einem Teil der Kliniken realisiert worden ist, nun mit deutscher Gründlichkeit sofort flächendeckend im ganzen Land einführen müssen.

(Beifall)

Ich halte das für ein außerordentlich gewagtes Experiment, vor dem wir nur warnen können. Ich glaube, dass wir uns überlegen müssen, ob wir das so verantworten können. Denn eines steht auch fest: Das ist ein Weg in die Monistik. Dadurch, dass wir mit den diagnosebezogenen Fallpauschalen den Patienten als Fallpauschalenmitbringer und nicht mehr als Pflegetageablieferer haben - um das einmal so auszudrücken -,

(Heiterkeit)

wird sich die Verweildauer im Krankenhaus erheblich verkürzen. Die Folge davon wird sein, dass die Zahl der Betten abschmilzt. Weil - der Herr Staatssekretär wird mir das bestätigen - die pauschalen Zuwendungen der Länder aufgrund der vorhandenen Bettenkapazität berechnet werden, werden sich aufgrund der sich durch die Verkürzung der Verweildauer ergebenden Bettenreduktionen die Zuwendungen der Länder vermindern. Auch das muss in die Fallpauschalen eingerechnet werden, weil das mittlerweile über Betriebskosten gezahlt werden muss; anders geht es ja wohl nicht. Das ist also eine sehr komplizierte Sache, die wir mit sehr großer Behutsamkeit angehen müssen.

Verschärfend kommt hinzu, dass die rein betriebswirtschaftliche Ausrichtung des DRG-Systems zu einer drastischen Reduktion ärztlicher Weiterbildung im Krankenhaus führen kann.

(Beifall)

Ärztliche Weiterbildung erfordert einen erhöhten Personalbedarf, da Weiterbilder wie weiterzubildender Arzt gemeinsam am Patienten tätig werden müssen; so die Rechtsprechung der höchsten deutschen Gerichte, die klarmacht, dass jeder Patient zu jeder Zeit Facharztstandard verlangen kann. Das DRG-System darf deshalb nicht dazu führen, dass dem ärztlichen Nachwuchs aus Kostengründen eine Weiterbildung verwehrt wird. Weil die Gefahr aber erheblich ist, muss ich warnen: Man kann nicht immer über Qualität reden, aber diese Entwicklung, die ja an Unfug grenzt, zulassen, weil sie auch die Folge hat, dass wir später keinen Nachwuchs haben, um die Stellen zu besetzen; daher die Greencard-Idee, die natürlich, wenn man sich überlegt, was in unserem Land los ist, spleenig wäre.

(Beifall)

Nochmals: Bei sachgerechter Ausgestaltung der Rahmenbedingungen könnte der Nutzen des DRG-Systems beispielsweise in der größeren Transparenz des Leistungsspektrums liegen. Bei einer zu raschen Einführung unter rein betriebswirtschaftlichen Zwängen aber drohen äußerst schädliche Übersteuerungseffekte wie der Zwang zur Orientierung am Minimalstandard, die ökonomische Strangulierung von uns Ärztinnen und Ärzten und unserer Arbeit, die Hemmung medizinischer Innovation, die ökonomische Forcierung der OP-Indikationsstellung - eine furchtbare Vorstellung -, die Risikoselektion von Patienten sowie das Phänomen der vorzeitigen - man sagt auch: englischen - Entlassung, also einer Entlassung, die nicht sicherstellt, dass die Anschlussbetreuung gut ist, weil die entsprechenden Einrichtungen fehlen.

Frau Ministerin, wir müssen sehr sorgfältig überlegen, ob hier nicht Fehlanreize geschaffen werden, die den schwerkranken Patienten an den Rand der Versorgung drängen. Die konsequente Ökonomisierung des Krankenhauses darf nicht völlig über den ursprünglich humanitären Gedanken der Krankenhäuser obsiegen, die aus der Mildtätigkeit kommen.

(Beifall)

Geben Sie uns Ärztinnen und Ärzten wie auch den anderen Gesundheitsberufen die Möglichkeit, unserem Auftrag nachzugehen, Patienten zu helfen und, wann immer es geht, zu heilen. Stoppen Sie den Vormarsch kalter betriebswirtschaftlicher Rationalität und sorgen Sie bitte mit uns dafür, dass die Menschlichkeit im Krankenhaus nicht untergeht.

(Beifall)

Das gilt für die Patienten, aber auch für die Beschäftigten. Gerade unsere jungen Kolleginnen und Kollegen haben sehr unter der zunehmenden Profitorientierung der Krankenhäuser zu leiden. Immer häufiger kommt es zu Knebelverträgen, insbesondere mit jungen Ärzten, immer häufiger wird dieser schlechten Arbeitsbedingungen ausgesetzt und unwürdig behandelt.

Angst vor Repressalien, Sorge vor Abmahnungen, Furcht vor der Weigerung des Vorgesetzten, den Arbeitsvertrag zu verlängern, und Schwierigkeiten bei der Absolvierung der angestrebten Weiterbildung sind vielfach Gründe für Einschüchterung und Stillhalten und manifestieren damit ein Ausbeutungssystem, das eine ganze Ärztegeneration zu prägen, um nicht zu sagen: zu verderben droht.

(Beifall)

Es geht nicht, dass manche für diese Entwicklung Mitverantwortliche diese Zustände euphemistisch darstellen, indem sie auf das Berufsethos hinweisen. Stattdessen sollten sie intelligenten Arbeitseinsätzen das Wort reden, mit denen sowohl eine Kontinuität der Patientenversorgung als auch eine physiologische Arbeitsbelastung von Ärztinnen und Ärzten zu erreichen ist - bei entsprechender Personalausstattung.

Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die den Mut gefunden haben, sich gegen unverantwortliche Missstände zu wenden und sie auch öffentlich anzuprangern, und die die Bereitschaft gezeigt haben, auch die Gerichte anzurufen. Sie verdienen unsere Achtung und sie können auf die volle Unterstützung der Ärztekammern und der Bundesärztekammer zählen.

(Beifall)

Wir haben die Ausbeutung der Arbeitskraft und die Überlastung junger Ärztinnen und Ärzte in diesem Jahr zu einem eigenen Tagesordnungspunkt des Deutschen Ärztetages gemacht, um die Gefahren für die Patientenversorgung aufzuzeigen und um aus diesen Missständen endlich eine öffentliche Angelegenheit zu machen. Das ist gelungen. Ich darf dem Kollegen Frank Ulrich Montgomery bereits an dieser Stelle für sein Engagement bei der Vorbereitung dieses Themas danken.

(Beifall)

Mein Dank gilt gleichermaßen dem Kollegen Hans Hellmut Koch, der die dringend notwendige Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung mit Beharrlichkeit und in einer Vielzahl von Gesprächen mit allen Beteiligen vorantreibt. Wir brauchen diese Novelle, denn die Weiterbildungsordnung muss regelmäßig dem medizinischen Fortschritt mit all seinen Ausdifferenzierungen und Spezialitäten angepasst werden. Die letzte Novelle im Jahre 1992 war wesentlich von der Zusammenführung der Facharztordnung der DDR und der Weiterbildungsordnung der alten Bundesrepublik Deutschland geprägt. Das charakterisiert sie heute noch. Inzwischen sind wir aber in diesem Punkt zusammengewachsen und es besteht nach über zehn Jahren Handlungsbedarf. Wir wollen das jetzt angehen.

Die Eckpunkte der Novelle hat der Deutsche Ärztetag bereits im vorigen Jahr verabschiedet. Im Kern lautet die Richtung, die Grenzen der Gebiete eindeutig zu definieren und Hochspezialisierungen und Innovationen klar zuzuordnen. Die Weiterbildungsgremien der Bundesärztekammer haben diese Vorgaben inzwischen in Zusammenarbeit mit den Landesärztekammern in Paragraphen gefasst. Dieses Rahmenwerk steht bei diesem Ärztetag zur Diskussion.

Die inhaltliche Ausgestaltung der einzelnen Weiterbildungsgänge allerdings wird erst beim nächsten oder übernächsten Ärztetag zur Beratung anstehen können. Auch dem werden wieder ausführliche Gespräche mit wissenschaftlichen Fachgesellschaften, den Berufsverbänden und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vorangehen.

Meine Damen und Herren, die Anerkennung zur Führung von Arztbezeichnungen und damit das Weiterbildungsrecht sind ein Kernstück der ärztlichen Selbstverwaltung. Es ist noch wichtiger geworden durch das Gesundheitsstrukturgesetz 1993, mit dem de facto die Pflicht zur Weiterbildung eingeführt worden ist. Eine eigenverantwortliche ärztliche Tätigkeit im Rahmen unseres GKV-Systems ist ohne abgeschlossene Facharztweiterbildung - ich sage mit manchem anderen: leider; aber es ist nun mal so - gar nicht mehr möglich.

Die Ärztekammern nehmen die ihnen dadurch zugewachsene Verantwortung - die Aushändigung des Facharztzeugnisses hat eine andere Bedeutung bekommen - sehr ernst und werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass die Weiterbildung inhaltlich auf eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung zugeschnitten ist. Daran wollen wir auch auf diesem Ärztetag arbeiten.

(Beifall)

Frau Ministerin, Hoffnung haben wir nach Jahrzehnten nun endlich hinsichtlich der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten. Dem Bundesrat liegt seit geraumer Zeit der Entwurf einer Novellierung der Approbationsordnung für Ärzte vor. Dieser Entwurf enthält wichtige Elemente für eine grundlegende Reform, zum Beispiel eine Verstärkung der allgemeinmedizinischen Kompetenzen, die Verzahnung des vorklinischen und des klinischen Studiums, die Evaluation der Lehre, die fächerübergreifende Unterrichtsgestaltung sowie die grundlegende Verbesserung des Prüfungssystems.

Zu den herausragenden Werten der Ausbildung soll auch wieder - das halte ich für besonders wichtig - die soziale Kompetenz, wie man das heute modernerweise nennt, gehören, die man ja nicht durch das stumpfsinnige Auswendiglernen für praxisferne Fragebögen erwirbt.

Wegen der Auswirkungen auf das Kapazitätsrecht haben die Kultusminister eine Reform über Jahre hinweg blockiert. Um die Sache voranzubringen, werden wir - Sie haben es gerade gesagt - am 2. Juli in Berlin zusammentreffen und versuchen, das Thema intensiv zu puschen. Wir sind Ihnen und natürlich auch dem Herrn Bundeskanzler dankbar, dass Sie das nicht nur unterstützen, sondern auch so vorantreiben.

(Beifall)

Doch das Gesundheitswesen braucht weitere und vor allen Dingen nachhaltige Reformen, die Bestand haben. Sie müssen den Anforderungen einer angemessenen Patientenversorgung und den Notwendigkeiten einer modernen Medizin entsprechen. Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass der Beruf wieder Spaß machen kann.

Wir müssen unser Gesundheitswesen fit machen für die Zukunft - und können dabei sicher aus der Diskussion um die Rentenversicherung lernen.

Wie bei der Alterssicherung haben sich auch für die Gesundheitsversorgung die volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen grundlegend geändert; wir haben darüber gesprochen. Altersentwicklung, Leistungsfähigkeit der Medizin, Veränderung der Einkommensstrukturen, aber auch das entwickelte Anspruchsdenken der Versicherten machen ein unvoreingenommenes Nachdenken über die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung notwendig.

Grundlage soll der Solidargedanke bleiben. Allerdings muss - das ist unser Thema - das Verhältnis von Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung neu austariert werden. Solidarität bedeutet, einen Beitrag nach Leistungsfähigkeit zu geben, die Gemeinschaft aber nur nach Bedarf zu belasten. - Wenn Horst Bourmer hier wäre, würde er sagen: Unser System wird solidarisch finanziert, unsolidarisch ausgebeutet und politisch missbraucht. Das stimmt nach wie vor. Hier muss Reparatur erfolgen.

(Beifall)

Dementsprechend müsste die unsolidarische Entwicklung der Beiträge korrigiert werden. Die ausschließliche Anbindung der Krankenversicherungsbeiträge an die Lohneinkommen ist nicht mehr gerecht, Frau Ministerin.

(Beifall)

Denn in der Relation zu anderen Einkommen ist der Anteil des Lohneinkommens in den letzten Jahren stark gesunken. Hinzu kommt die enorme Belastung der GKV durch aus unserer Sicht versicherungsfremde Leistungen, die eigentlich entweder in die Steuerfinanzierung gehören - das müssten wir definieren -, wenn sie allgemeinen gesellschaftlichen Zielen dienen, oder aber in die Eigenverantwortung, wenn sie lediglich persönliche Präferenzen verfolgen.

Deshalb ist die Diskussion über den Leistungsumfang der GKV dringend notwendig. Längst sind die Menschen erwachsen genug, mitzubestimmen, wie weit und wie intensiv der Versicherungsschutz über das Notwendige hinausgehen soll. So werden wir es auf dem Ärztetag diskutieren und, da bin ich sicher, auch beschließen.

Eröffnen Sie unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Möglichkeit zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Trauen Sie den Menschen, die ihre Altersversorgung sichern müssen, auch den verantwortlichen Umgang mit ihrer Gesundheit zu.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, Freiheit und Verantwortung in der modernen Medizin, das heißt für uns vor allen Dingen Freiheit in Verantwortung. Diese ethische Selbstverpflichtung ist der entscheidende Unterschied zur Beliebigkeit. Bei keinem anderen Thema offenbart sich diese Differenz so gravierend wie bei der Diskussion um die von Ihnen schon angesprochene Sterbehilfe.

Die Entscheidung des niederländischen Parlaments, das Tötungsverbot in bestimmten Fällen aufzuheben und ärztlich gestützte Euthanasie zuzulassen, rührt an den Grundfesten einer humanen Gesellschaft.

(Beifall)

Es ist zu befürchten, dass nunmehr auch in anderen europäischen Ländern diejenigen Auftrieb bekommen werden, die einer Legalisierung der Euthanasie das Wort reden.

Für uns aber ist eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen sollen, mit den Prinzipien des Arztberufes nach wie vor unvereinbar.

(Beifall)

Dies hat auch der Weltärztebund wiederholt festgestellt, zuletzt gerade am 5. Mai mit nur einer einzigen Gegenstimme - und die kam aus den Niederlanden.

Ethische Werte sind keine Modeerscheinungen der Postmoderne, ethische Werte sind Prinzipien des Humanismus, ihrem Wesen nach unverbrüchlich, vielleicht sogar naturgegeben. Wie schnell allerdings solche Werte durch Ignoranz, Ideologie oder schlicht durch eine Gebrauchsethik ersetzt werden können, zeigt schon ein kurzer Blick zurück in unsere Vergangenheit.

Das Euthanasie-Programm der Nazis, die Vernichtung so genannten lebensunwerten Lebens, nahm seinen Anfang in der Diskreditierung des Verbots aktiver Sterbehilfe. Erst als Tötung auf Verlangen gesellschaftlich akzeptiert erschien und das unbedingte Lebensrecht des Menschen an sich schon nichts mehr galt, begannen die Nazis mit der Massentötung behinderter Menschen. Der Bevölkerung wurde dann eingeredet, man täte den "armseligen Kreaturen" nur einen Gefallen und gewähre ihnen deshalb den "Gnadentod".

Ohne die Gleichgültigkeit bzw. schweigende Zustimmung in der Bevölkerung hätten diese Mordtaten an psychisch Kranken, geistig und körperlich Behinderten so nie geschehen können.

(Beifall)

Warum dieser kleine Exkurs in unsere Geschichte? Ich glaube, dass ethische Werte verteidigt werden müssen, wenn sie bewahrt werden sollen, dass man für die Werte des Humanismus kämpfen muss und dass Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber den Schwächeren der Anfang vom Ende sind.

(Beifall)

Auch dürfen wir uns keinesfalls gefälligen Argumentationen des Zeitgeistes hingeben und uns allzu sehr von Meinungsumfragen beeindrucken lassen, zumal wenn sie lapidar formuliert sind wie etwa: "Sollte aktive Sterbehilfe erlaubt werden?" Wer denkt da nicht sofort an das Selbstbestimmungsrecht des mündigen Menschen?

Wie würde das Ergebnis einer solchen Umfrage aussehen, wenn die Frage lautete: "Sollte ihr Arzt Patienten im finalen Stadium töten dürfen?"

Wir müssen uns mit aller Macht dagegen wehren, dass ein gesellschaftliches Klima entsteht, das Sterbehilfe zum Mittel der Wahl bei schwerstkranken und lebensmüden Menschen erklärt. Schon eine Relativierung würde unweigerlich auf eine schiefe Ebene führen. Denn dadurch würde auch der Druck auf diejenigen Patientinnen und Patienten, welche den Tod nicht wünschen, sondern, auch bei schwerer Krankheit, bis zum letzten Atemzug hoffen, unerträglich steigen.

(Beifall)

Jan Roß hat Recht, wenn er sagt:

Wer meint, dass getötet werden darf, wer getötet werden will, wird leicht zu dem Schluss kommen, dass nur der nicht getötet werden darf, der nicht getötet werden will.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall)

Es ist deshalb nicht nur Verpflichtung der Ärzte, sondern aller Menschen in diesem Land, die Unverfügbarkeit menschlichen Lebens anzuerkennen und zu bewahren. Deshalb plädieren wir mit Nachdruck für einen Ausbau des Hospizwesens und der palliativmedizinischen Versorgung und wenden uns mit aller Macht gegen jeden Versuch, Ärztinnen und Ärzte zu staatlich legitimierten Euthanatikern zu machen.

(Beifall)

Wie am Ende des menschlichen Lebens, so müssen wir uns auch an dessen Beginn immer wieder darauf besinnen, was originäre Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten ist. Darüber haben wir in der Ärzteschaft gerade bei der Präimplantationsdiagnostik eine intensive Diskussion geführt. Ich bin dem Chefredakteur des Deutschen Ärzteblattes, Herrn Norbert Jachertz, außerordentlich dankbar, dass er die verschiedenen Meinungsbeiträge in einer umfangreichen Dokumentation für uns zusammengefasst hat.

Unser grundlegendes Problem in der Bewertung neuester Medizintechniken liegt in ihrem offensichtlichen Wertewiderspruch. Einerseits versprechen sie bisher unheilbare Krankheiten zu heilen oder zu verhindern, andererseits aber drohen wir in die Selektion oder die Verwertung menschlichen Lebens zu geraten.

Auch der Gesetzgeber kann längst nicht mehr mit dem medizinischen Fortschritt Schritt halten. So regelt das Embryonenschutzgesetz von 1990 zwar den Umgang mit befruchteten Eizellen und Embryonen bis zur Einnistung. Inwieweit aber die Präimplantationsdiagnostik, abgekürzt: PID, mit diesem Gesetz vereinbar ist, ist nach wie vor umstritten.

Mit dem "Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik" vom Februar vergangenen Jahres, in dem die Zulassungskriterien äußerst restriktiv gefasst sind, haben wir den öffentlichen Diskurs zu diesem Thema gefordert, ja regelrecht provoziert. Wir wollten das Problembewusstsein schärfen und es sollte niemand mehr sagen können, er habe nicht gewusst, um was es geht. Dafür sind wir auch gescholten worden; das müssen wir aushalten.

Aber es bleibt bei dem, was auch Bundespräsident Johannes Rau in seiner jüngsten, bemerkenswerten Berliner Rede angemerkt hat:

Nachdenken kann man nur, wenn zwischen Entdeckung und Anwendung Zeit bleibt, wenn wir die möglichen Folgen bedenken können, bevor sie eingetreten sind.

Ich darf noch einmal daran erinnern: Durch die rasante Entwicklung im Bereich der Fortpflanzungsmedizin ist es in den vergangenen Jahren möglich geworden, einen Embryo außerhalb des Mutterleibes zu erzeugen und bereits in den ersten Tagen nach der Befruchtung auf bestimmte genetische Belastungen oder Chromosomenstörungen zu untersuchen. Nach einer solchen Präimplantationsdiagnostik kann entschieden werden, ob eine Einnistung erfolgen oder ob der Embryo dem Absterben anheim gegeben werden soll.

PID ermöglicht es erblich schwer belasteten Paaren mit Kinderwunsch, auf eine so genannte "Schwangerschaft auf Probe", also auf Postnidationsdiagnostik beziehungsweise Pränataldiagnostik mit der möglichen Konsequenz eines Schwangerschaftsabbruchs, zu verzichten. In elf Ländern der Europäischen Union ist die PID erlaubt, in drei Ländern ausdrücklich verboten, in Deutschland bisher umstritten - und das zu Recht.

Denn allein schon aufgrund von Gesetzgebung und Rechtsprechung ist der Mensch bei uns in seiner Entwicklung vom befruchteten Ei bis zum Greis unterschiedlich geschützt: Der Keim, also das in Teilung befindliche befruchtete Ei im Reagenzglas, ist de jure und zugleich de facto geschützt. Der Embryo im Mutterleib ist zwar de jure geschützt, de facto aber nicht; denn vor der Nidation durch die Spirale oder die Pille danach als Mittel der Einnistungsverhütung, das heißt ohne konkrete Konfliktsituation Mutter/Kind, nach der Nidation wegen der Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs wegen eines Konfliktes Mutter/Kind bis zur zwölften Schwangerschaftswoche und während der gesamten Schwangerschaftsdauer bei so genannter medizinischer Indikation - nach Pränataldiagnostik - bis zum Geburtsbeginn ist er nicht geschützt;. Der Sonderfall: Ein Kind, das den Schwangerschaftsabbruch überlebt hat, ist de jure und de facto geschützt - trotz des Konfliktes Mutter/Kind.

Schlussfolgerung: Wir haben eine völlig inkonsistente Rechtslage, die auch der Verfassung nicht entsprechen kann - so meine ich wenigstens als Nichtjurist -,

(Beifall)

aber auch eine unerträgliche Situation für unsere Kolleginnen und Kollegen Gynäkologen und die Perinatalärztinnen und Perinatalärzte. Das sollten wir hier einmal öffentlich plakatieren.

(Beifall)

Darüber hinaus sind weitere wichtige Fragen ungeklärt: Wie lässt sich gewährleisten, dass der Embryo nur auf die genetischen Belastungen oder Chromosomenstörungen der Eltern untersucht wird? - Das ist eine berechtigte Frage. - Ist es sicher auszuschließen, dass die Entnahme einer Zelle zur Diagnostik wirklich keine Schädigung des Embryos zur Folge hat? Darf ein künstlich gezeugter Embryo im Reagenzglas nicht untersucht werden, während ein Embryo im Mutterleib jederzeit untersucht werden darf? Und schließlich: Lässt sich die Möglichkeit eines Spätschwangerschaftsabbruchs nach Pränataldiagnostik mit einem Verbot der PID widerspruchsfrei vereinbaren?

Wie wird denn schon jetzt im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation-Behandlung mit Embryonen verfahren, die als schadhaft gelten oder infiziert sind? - Man lässt sie sterben.

Ich persönlich sehe die Präimplantationsdiagnostik von ihrer Intention her genauso wie die Pränataldiagnostik primär nicht als Selektionsmethode, sondern als eine Möglichkeit, erbbelasteten Eltern zu einem gesunden Kind zu verhelfen. Man kann das ablehnen und Paaren mit einer schweren erblichen Belastung empfehlen, auf Kinder zu verzichten. Das wäre uneingeschränkt auch meine Präferenz. Ich stimme dem Herrn Bundespräsidenten uneingeschränkt zu in seiner Feststellung:

Wenn es die Möglichkeit gibt, Kinder künstlich zu erzeugen oder die genetischen Anlagen eines Embryos zu testen - entsteht dann nicht leicht eine Haltung, dass jede und jeder, der eigene Kinder bekommen will, auch das Recht dazu habe, und zwar sogar ein Recht auf gesunde Kinder? Wo bisher unerfüllbare Wünsche erfüllbar werden oder erfüllbar erscheinen, da entsteht daraus schnell ein Anschein von Recht. Wir wissen aber doch, dass es ein solches Recht nicht gibt.

Aber, meine Damen und Herren, ist diese Auffassung in der Bevölkerung heute noch mehrheitsfähig? Diese Frage wird zu spät oder sehr spät gestellt. Es würde viel Aufwand bedeuten, hier eine Meinungsänderung herbeizuführen. Denn seitdem die In-vitro-Fertilisation zugelassen ist und Pränataldiagnostik mit dem Ziel durchgeführt wird, intrauterin mögliche Erbschädigungen bei Kindern festzustellen und diese Kinder dann abzutreiben, hat sich in der Bevölkerung eine Bewusstseinsänderung vollzogen. Wir hätten und haben viel Arbeit. Denn ich meine, durch ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik allein ist die Welt nicht in Ordnung zu bringen. Die Problematik ist viel komplexer und sollte deshalb auch nicht simplifiziert diskutiert werden.

Ich mahne aber zugleich, dass wir im Falle einer rechtlichen Zulässigkeit die PID unter strikter Kontrolle halten müssten, damit nicht Antworten auf Fragen gesucht werden, die wir nicht stellen wollen. Dann nämlich wäre PID tatsächlich der erste Schritt in Richtung Selektion.

(Beifall)

Bedingt durch die derzeit ungeklärte Rechtslage in Deutschland sehen sich Ärztinnen und Ärzte häufig dazu gedrängt, Rat suchende Paare mit erblichen Belastungen in einer Konfliktsituation auf eine Behandlung im Ausland hinzuweisen und sich dadurch möglicherweise strafbar zu machen. Dies ist für die Ärzteschaft eine untragbare Situation. Deshalb appellieren wir dringend an den Gesetzgeber, eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen und für den Fall einer Zulassung der PID weitere Kriterien einer restriktiven Handhabung mitzugestalten.

Diese ganze Diskussion wäre im Übrigen überflüssig, wenn wir in unserer Gesellschaft Behinderte ohne Wenn und Aber akzeptieren würden, was wir aber leider nicht tun.

(Beifall)

Umso wichtiger ist es, dass wir Ärztinnen und Ärzte immer wieder klarstellen, dass Menschen selbst im frühesten Stadium ihrer Entwicklung, also von der Verschmelzung der Gameten an, nicht für andere Menschen verfügbar gemacht werden dürfen. Es darf niemals so sein, dass Menschen für den Heilungsprozess anderer ausgenutzt werden. Verbrauchende Embryonenforschung lehnen wir deshalb strikt ab.

(Beifall)

Eine ethisch vertretbare Alternative ist die Forschung mit adulten Stammzellen oder Stammzellen aus Nabelschnurblut. Diese müssen wir fördern, wie es auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in ihrer vorletzten - vorletzten! - Stellungnahme noch empfohlen hat.

Mit wissenschaftlichen Stellungnahmen ist das ja manchmal so eine Sache. Nicht immer zeichnen sie sich ausschließlich durch Stringenz aus.

Obwohl der überwiegende Teil des Gutachtens des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen Begrüßenswertes enthält, wie zum Beispiel die Infragestellung der langjährigen Kostendämpfungspolitik, die Priorisierung der Versorgungsbedürfnisse und die Warnung vor Fehlern bei der Einführung der DRGs - an die Öffentlichkeit gelangte ein regelrechtes Zerrbild des deutschen Gesundheitswesens. Es wurde suggeriert, das deutsche Gesundheitswesen nehme im internationalen Vergleich hinsichtlich der Kosten eine Spitzenstellung ein, die Leistungen seien aber nur mittelmäßig und das liege zu einem guten Teil an den mangelnden Fortbildungsanstrengungen der Ärzteschaft.

Von einem wissenschaftlichen Gutachten hätten wir uns etwas mehr Differenzierungsvermögen und konstruktive Kritik erwartet.

(Beifall)

Wir haben den Sachverständigen, der in einem Interview von "minderwertigen und bruchstückhaften" ärztlichen Behandlungen gesprochen hat, sofort eingeladen, sich vor Ort kundig zu machen oder wenigstens kundig machen zu lassen.

Denn wie ist es um die ärztliche Fortbildung in Deutschland wirklich bestellt? Der weitaus größte Teil der Ärztinnen und Ärzte kommt seiner Verpflichtung nach, und zwar engagiert und regelmäßig. So finden allein in Nordrhein-Westfalen alljährlich nahezu 4 000 Fortbildungsveranstaltungen statt und diese sind sehr gut besucht, zumeist ausgebucht. Das Engagement unter den Kolleginnen und Kollegen ist riesengroß und das lassen wir uns auch nicht kaputtreden.

(Beifall)

Im Übrigen, meine Damen und Herren, darf Fortbildung keinesfalls auf die Teilnahme an Veranstaltungen reduziert werden. Das Studium der Fachliteratur, der Benutzung von neuen Medien oder die Konsultation von Kolleginnen und Kollegen zu speziellen Problemen sind gleichwertige, vielleicht sogar noch bessere Methoden der Fortbildung.

(Beifall)

Es muss dabei bleiben, dass jeder Arzt und jede Ärztin ganz individuell die Art und Weise der Fortbildung wählen kann. Das gehört zu unserem Verständnis vom Arztberuf als freiem Beruf. Dieser Ansatz funktioniert sehr gut, wie wir in der Praxis erleben. Jede Zwangsregulierung der ärztlichen Fortbildung, die das Engagement der Kolleginnen und Kollegen zugunsten von Formalismus und Bürokratismus ersticken würde, lehnen wir entschieden ab.

(Beifall)

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen liegt einfach daneben, wenn er eine "Rezertifizierung von allen Ärzten nach angelsächsischem Vorbild", das heißt mit regelmäßigen Nachweisen und Prüfungen, verlangt. Weder hat England eine solche Rezertifizierung, noch ist diese geplant. Da zeigt der Sachverständigenrat den Mut zur Wissenslücke, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Die ganze Diskussion um den so genannten Ärzte-TÜV ist wenig qualitätsgesichert. Die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland leisten hervorragende Arbeit und halten jedem internationalen Vergleich stand. Das wird vor allem an der hohen Zufriedenheit der Patienten deutlich. Trotz schwierigster Bedingungen unter rein ökonomisch ausgerichteten Budgets bewegt sich die ärztliche Versorgung in Deutschland auf einem hohen Niveau.

Wir sollten nicht zulassen, dass dieses Niveau zerredet wird. Ich finde es deshalb bemerkenswert, wie Sie, Frau Ministerin, in Ihrer Regierungserklärung vom 17. Mai Qualität und Engagement von Ärzten, Pflegekräften und all den anderen Gesundheitsberufen hervorgehoben haben. Dafür danke ich Ihnen herzlich.

(Beifall)

Der Dialog ist aufgenommen und wir haben einen, so möchte ich mal sagen, Kammerton gefunden, der eine Verständigung ermöglicht. Inwieweit der Runde Tisch nun allerdings auch eine runde Sache wird, hängt maßgeblich davon ab, ob wir einen Konsens darüber finden, was wir als notwendig betrachten - Kernpunkt - und wie wir mit den Möglichkeiten der modernen Medizin umgehen wollen.

Den medizinischen Fortschritt auch zukünftig in einem solidarischen Gesundheitswesen zu sichern, das ist doch die wirklich große Herausforderung, die wir gemeinsam bewältigen wollen. Die politischen Konzepte von gestern nutzen dabei ebenso wenig wie die polemischen Schwarze-Peter-Spiele mit dem "Halbgott in Weiß".

(Beifall)

Wir brauchen Ideen, die unserer älter werdenden Gesellschaft - der Gesellschaft des langen Lebens, sagen die Japaner - wie auch den kommenden Generationen gerecht werden. Wir brauchen Fantasie und müssen den Menschen endlich mehr Möglichkeiten eröffnen, eigenverantwortlich zu handeln. Freiheit und Verantwortung sollten gleichermaßen die tragenden Prinzipien zukunftsweisender Gesundheitspolitik werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und erkläre den 104. Deutschen Ärztetag für eröffnet.

(Anhaltender Beifall - Die Anwesenden erheben sich und singen die Nationalhymne)

© 2001, Bundesärztekammer.