TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
1. Tag: Dienstag, 22. Mai 2001 Nur Nachmittagssitzung

Ruebsam-Simon, Baden-Württemberg:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahre 2003 wird die große Gesundheitsreform von Rot-Grün veranstaltet werden. Ich befürchte, wenn wir nicht schnellstens reagieren, wird diese Reform weitgehend ohne uns stattfinden. Die scheinbare Heiterkeit der momentanen gesundheitspolitischen Landschaft sollte uns nicht davon abhalten, konkrete Forderungen an die Politik zu stellen, welche die Veränderung des Gesundheitswesens insgesamt thematisieren. Bisher sind Politik und Kassen nur an mittelfristigen Lösungen interessiert. Ironischerweise bezahlen die Leistungserbringer zunehmend ihre eigenen Dienstleistungen. In der niedergelassenen Praxis sind wir froh, wenn wir den eigenen Arbeitsplatz finanzieren, in der Klinik kreditieren die angestellten Gesundheitsarbeiter die Krankenhausträger mit ihren unbezahlten Überstunden.

Ursache dieser Schwäche ist meines Erachtens der Mangel an einem konkreten politischen Gegenentwurf, der von der Mehrheit der Ärzte getragen werden kann und der in den Ärztekammern solidarisch diskutiert wird. Das "Gesundheitspolitische Programm der deutschen Ärzteschaft" von 1994 reicht meines Erachtens nicht mehr aus.

Grundlagen einer solchen zentralen gemeinsamen Position sind hier längst diskutiert worden; man muss sie nur in einem Eckpunktepapier zusammenfassen. Dieser Gegenentwurf sollte folgende Essentials enthalten:

Erstens. Liberalisierung des Gesundheitswesens: statt Zentralisierung und Reglementierung massive Deregulierungen.

Zweitens. Die entscheidende Zentralforderung lautet: Privatisierung der Krankenkassen, die nur so verantwortlich und wirtschaftlich agieren werden. Die Vereinte Krankenversicherung hat kürzlich ein funktionierendes Modell dieses Transformationsprozesses vorgelegt, mit dem in 15 Jahren ein solcher Systemwechsel vollzogen werden kann. Eine Krankheitskostenversicherung für jeden Bürger statt Umlage hat den Reiz von Transparenz und Einfachheit.

Drittens. Kostenerstattung statt Sachleistungen. Dazu einige Erläuterungen. Trotz der temperamentvollen Worte der Ministerin heute Morgen muss geklärt werden, was in der GKV bezahlt wird. Kernleistungen, welche die zur Absicherung der großen Risiken notwendige medizinische Versorgung beinhalten, müssen von ärztlichen Vertretern definiert und von Politikern gesetzlich verankert werden. Alles, was darüber hinausgeht, sind Zusatzwahlleistungen; sie sind privat abzusichern. Selbstbehalte fördern das Kostenbewusstsein.

Selbstbehandlung und Selbstdispens bei Trivialerkrankungen sind auch eine Selbstverständlichkeit.

Als weitere Punkte nenne ich: Stärkung von Verhaltensprävention und Krankheitsprävention; Halbierung der Mehrwertsteuer auf Medikamente; Abbau von Risikostrukturausgleich und Fremdkassenausgleich, wobei eine enge Begleitung durch die Aufsichtsbehörden erforderlich ist. Das bedeutet auch mehr Wettbewerb für uns.

Weitere Punkte sind die Ankoppelung der Vergütungen an das Bruttoinlandsprodukt und die Abkoppelung von der Lohnquote - Beitragsbemessungsgrenze ist das steuerpflichtige Gesamteinkommen - und die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen.

Meine Damen und Herren, das ist die Vision. Wenn wir dieses Minimalkonzept in allen Ärztekammern diskutieren und als die Meinung der deutschen Ärzteschaft verabschieden würden, wäre für die Zukunft schon einiges gewonnen. Wir sollten vielleicht eine gesundheitspolitische Kommission bilden, der aus jeder Ärztekammer ein Mitglied angehört, die für den nächsten Ärztetag ein solches Gegenmodell entwickeln könnte.

Danke.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Vielen Dank, Herr Kollege Ruebsam-Simon. Wir werden das "Gesundheitspolitische Programm der deutschen Ärzteschaft" von 1994, das "Blaue Papier", sicher auf einem der nächsten Deutschen Ärztetage auf den Prüfstand stellen und neu konzipieren müssen, vielleicht auch einzelne Teile modernisieren müssen, weil wir es mit einer neuen Gesundheitspolitik und neuen Herausforderungen zu tun haben. In diesem Programm stehen einige Dinge, die überholt sind.

Der nächste Redner ist Herr Kollege Thomas.

© 2001, Bundesärztekammer.