TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
2. Tag: Mittwoch, 23. Mai 2001 Vormittagssitzung

Dr. Kentner, Thüringen:

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man über die Präimplantationsdiagnostik spricht, muss man den Bezug zur Basis haben. Ich möchte an einer Kasuistik deutlich machen, um welche Probleme es geht.

Ich habe Anfang des Jahres eine 30-jährige Schwangere betreut, die vor zehn und acht Jahren zwei gesunde Kinder auf natürlichem Wege geboren hat. Es bestand eine erneute Schwangerschaft, die durch IVF entstanden ist, mit einem Überstimulationssyndrom. Es fanden sich in der zehnten oder elften Schwangerschaftswoche sonographische Hinweise auf eine Störung, sodass eine genetische Diagnostik durchgeführt wurde. Dabei wurde bei dem einen Fötus in der dann 17. Schwangerschaftswoche eine Trisomie 21 festgestellt; der andere Fötus war gesund.

Nach ausführlicher Diskussion in einem Zentrum hat sich die Patientin - das ist ihr gutes Recht, da können wir ihr keine Vorschriften machen; das Gesetz erlaubt ihr die eigene Entscheidung - für einen Fetozid entschieden.

Wie dies vor sich geht, möchte ich kurz darlegen. Nachdem das Ergebnis vorlag, wurde in der 19. Schwangerschaftswoche dem Trisomie-Kind intrakardial nach entsprechender Sedierung mit Diazepam Kaliumchlorid gespritzt. Das ist meiner Meinung nach intrauterine Euthanasie.

Versetzen Sie sich bitte in die Situation der Patientin, die das bei vollem Bewusstsein miterlebt hat, und versetzen Sie sich bitte auch in die Situation des Kollegen, der dieses durchführt.

Nach vier Tagen kam es zu einem Amnioninfektionssyndrom, am sechsten Tag kam es unter dem Vorzeichen einer vorzeitigen Plazentalösung zu einem Spätabort. Es wurden zwei Föten abortiert. Der eine war 400 Gramm schwer und äußerlich gesund, der andere Fötus war der sieben Tage zuvor abgetriebene Trisomie-Fötus.

Das war der Ausgang der Schwangerschaft. Ich habe die Patientin weiter betreut. Es besteht nach wie vor dringender Kinderwunsch. Aufgrund einer vorausgegangenen Salpingektomie im Rahmen eines Tubaraborts ist die eine Tube weg, die andere Tube ist verschlossen. Diese Patientin kann nur durch eine IVF wieder schwanger werden.

Sie hat sich nun an mich gewandt, auch unter dem Gesichtspunkt, dass ich zum Deutschen Ärztetag fahre. Sie ist sehr belesen und hat im Internet nachgeschaut, worüber wir hier diskutieren wollen. Sie hat gefragt, ob ich ihr in der zukünftigen Schwangerschaft diese Prozedur ersparen kann, ob es in Deutschland ein Zentrum gibt, an dem die Präimplantationsdiagnostik betrieben wird. Diese Frau ist die klassische Patientin, für die diese Diagnostik infrage kommt. Oder wir müssten ihr erneut, wenn die In-vitro-Fertilisation überhaupt erfolgreich ist, was nur in einem Drittel der Fälle zutrifft, zu einer genetischen Diagnostik raten, obwohl sie das 35. Lebensjahr noch nicht erreicht hat, weil sie bereits ein Trisomie-Kind geboren hat.

Ich bitte Sie, bei Ihrer Entscheidung Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. Etablieren wir doch ein Zentrum in Deutschland, an dem für diese ausgewählten Fälle unter Einbeziehung von Gynäkologen, Humangenetikern und Ethikern dieser Patientin perspektivisch geholfen werden kann.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Danke schön, Herr Kentner. - Als nächster Redner bitte Herr Adam aus Bayern.

© 2001, Bundesärztekammer.