TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
2. Tag: Mittwoch, 23. Mai 2001 Vormittagssitzung

Dr. Hirschmann, Bayern:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf daran erinnern: Wir haben 1973 auf dem Deutschen Ärztetag in München schon einmal eine Stellungnahme gegen den Schwangerschaftsabbruch abgegeben. Nur zwei Delegierte - das waren Herr Bialas und ich - haben die Meinung des Ärztetages abgelehnt. 20 Jahre später hat der Deutsche Ärztetag mit großer Mehrheit eine modifizierte Abtreibungslösung befürwortet, die der Fristenlösung nahe kam.

Ich behaupte von uns allen hier im Saal, dass wir nicht in der Lage sind, hier kompetent über rein wissenschaftlich-fachliche Dinge zu diskutieren. Es ist klar, dass wir uns alle kundig machen. Schauen Sie sich die Entwicklung an: Als es um die Stammzellen ging, war die Situation klar; plötzlich tauchte die Meinung auf, es gehe auch mit adulten Stammzellen, ich nickte und meinte, das sei hervorragend, bis ich erfahren habe, dass auf diese Weise geschaffene Organe nur eine begrenzte Lebensdauer haben. Also habe ich innerhalb von Wochen meine Meinung revidiert.

So ist es bei vielen Entwicklungen. Wir können keine Entscheidungen treffen, wenn wir nicht über das entsprechende Wissen verfügen. Herr Montgomery, auch ich muss mich von Ihnen distanzieren. Wenn wir die Aussagen von Herrn Rau und Herrn Schröder zitieren, dann müssen wir auch die Auseinandersetzung innerhalb der CDU/CSU berücksichtigen. Diesbezüglich verweise ich auf die Berichterstattung in der heutigen "Süddeutschen Zeitung". Herr Schäuble, sicherlich ein kompetenter Vertreter der CDU, bringt klar zum Ausdruck, den Beginn des menschlichen Lebens könne man nicht ohne Verbindung zum Mutterleib definieren. Das ist eine Position, die sich wesentlich von derjenigen des Herrn Glück, des CSU-Fraktionsvorsitzenden in München, unterscheidet.

Sie sehen, wie groß die Meinungsvielfalt in allen Parteien ist. Insofern meine ich, wir sollten solche Meinungen nicht als Kronzeugen in der einen oder in der anderen Richtung verwenden. Ich warne davor, in ein ähnliches Fahrwasser zu geraten wie Ende des 19. Jahrhunderts die katholische Kirche, als Papst Pius IX. bestimmte, dass jeder Priester schwören musste, sich der modernen Wissenschaft zu widersetzen und sie mit allen Mitteln zu verhindern.

Ich meine, für uns Ärzte gilt auch heute noch, um Max Weber zu zitieren, die Verantwortungsethik und nicht die Gesinnungsethik in den Mittelpunkt zu stellen. Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag I-14 von Herrn Lob zuzustimmen und eine grundsätzliche Debatte zu vertagen.

Danke schön.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Schönen Dank, Herr Hirschmann. - Jetzt Herr Josten aus Nordrhein.

© 2001, Bundesärztekammer.