TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
2. Tag: Mittwoch, 23. Mai 2001 Vormittagssitzung

Dr. Schilling, Berlin:

Meine Damen und Herren! Meine Vorrednerin hat gerade ausgeführt: Es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind. Ich halte dagegen: Es gibt kein Recht, überhaupt ein Kind zu bekommen. Es zeigt sich einmal mehr, wie der Deutsche Ärztetag eine Scheindiskussion führt. Wir brauchen heute doch nicht über die PID zu diskutieren, wenn die In-vitro-Fertilisation als fester Bestandteil der Familienplanung auch unter den Medizinern akzeptiert wird. Die In-vitro-Fertilisation ebnet doch den Weg für die Präimplantationsdiagnostik. Wer für die In-vitro-Fertilisation eintritt, braucht doch nicht mehr über die Präimplantationsdiagnostik zu diskutieren!

Man muss einmal schauen, wie großzügig wir Mediziner mit der In-vitro-Fertilisation umgehen. Der Kollege hat es vorhin deutlich gemacht: Eine gesunde Frau, die zwei gesunden Kindern das Leben geschenkt hat, will aus irgendwelchen Gründen nach acht Jahren noch einmal schwanger werden, aber sie wird es nicht. Aber wir entblöden uns nicht und machen eine In-vitro-Fertilisation!

(Lebhafter Beifall)

Das ist mit meinen ethischen Grundsätzen nicht vereinbar. Ich würde es noch nicht einmal akzeptieren, wenn eine Frau noch keine gesunden Kinder hat, weil ich genau weiß, in welche fatale Zwickmühle ich komme. Genau diese Diskussion führen wir heute.

Die Weichen sind mit der In-vitro-Fertilisation gestellt. Die Präimplantationsdiagnostik wird kommen; wir werden sie hier oder woanders ausführen. Wir werden auch die Stammzellen- und die Embryonenforschung betreiben. Das ist uns doch allen klar. Wir können nur einen entsprechenden Auftrag an die Politik und an die Gesellschaft geben. Wenn wir schon so tun, als gäbe es ein Recht auf ein behindertes Kind und als könnte man das als gesellschaftliche Leistung akzeptieren, müsste unsere Forderung an die Politik eigentlich lauten: Schafft Voraussetzungen dafür, dass Behinderte vernünftig und menschenwürdig behandelt werden, und akzeptiert nicht, dass die Frauen mit ihren behinderten Kindern extrem benachteiligt sind und alle anderen glücklich sind, dass sie gesunde Kinder haben! Das ist das eigentliche Problem: Behinderte in dieser Gesellschaft sind ausgegrenzt und bleiben ausgegrenzt, gleichgültig wie unsere Diskussion verläuft. Leider ist es eine Scheindiskussion. Sie führt uns nicht weiter. Wenn wir diese Diskussion zurückstellen, wird es nicht besser werden.

Danke, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Vielen Dank, Herr Schilling. - Als nächster Redner Herr Zimmer aus Nordrhein.

© 2001, Bundesärztekammer.