TOP II: Ausbeutung junger Ärztinnen und Ärzte

2. Tag: Mittwoch, 23. Mai 2001 Vormittagssitzung

Dr. Röhl, Referentin:

Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für die einleitenden Worte. Ich bin gebeten worden, kurz über meine Erfahrungen während meiner Zeit als Ärztin im Praktikum zu berichten. Ich begann damals - ich denke, wie meine Kolleginnen und Kollegen auch - sehr enthusiastisch und voller Ideale. Ich bemerkte aber nach kurzer Zeit, dass sich davon sehr wenig bewahrheitete. Die äußeren Bedingungen zwangen einen, unter ständigem Zeitdruck zu arbeiten. Die Situation auf der Station war wirklich unerträglich.

Ich möchte hierauf nicht so sehr eingehen, sondern eher darauf, was ich dann unternommen habe. Ich war sehr unzufrieden und hatte vor allem auch das Gefühl, dass die Qualität der Patientenversorgung sehr litt. Deshalb war ich besonders dankbar, als auf einer Einführungsveranstaltung dieses Thema vom Personalrat aufgegriffen wurde und wir etwas über das Arbeitszeitgesetz und das Tarifrecht aufgeklärt wurden. Ich empfand es als umso paradoxer, dass wohl die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben waren, dass eigentlich alles geregelt war, aber kein Arzt wirklich davon Gebrauch machte und zudem der Personalrat erzählte, dass die Klinikleitung argumentiert, Mehrarbeit und Überstunden seien an diesem Hause überhaupt kein Problem, denn es würden ja keine Überstunden zum Ausgleich eingereicht.

Da ich wusste, dass es auf den Stationen ganz anders aussieht und alle Kolleginnen und Kollegen ständig unter Überlastung litten, dachte ich für mich: Ich möchte meinen kleinen Teil zur Problemlösung dadurch beitragen, dass ich einfach einmal meine Überstunden einreiche. Das aber war gar nicht so einfach. Es begann schon damit, dass ich Probleme hatte, die offiziellen Formulare dafür zu erhalten. Man sagte mir, es sei sehr selten vorgekommen, dass diese angefordert worden seien. Es sei im Hause kein Brauch, Überstunden einzureichen.

Letztendlich bekam ich meine Zettel und begann damit, meine Überstunden aufzuschreiben und einmal wöchentlich die ausgefüllten Formulare in das Fach des Chefs zu legen. Die erste Zeit tat sich gar nichts, bis nach einiger Zeit mein Chef auf mich zukam und sagte: Frau Röhl, ich glaube, Sie haben da die falschen Zettel eingereicht. - Ich antwortete: Wieso die falschen Zettel? Ich habe mich danach erkundigt, das sollen die richtigen Zettel sein. - Darauf erhielt ich als Antwort: Wir haben hier im Hause nicht die finanziellen Möglichkeiten, Überstunden auszugleichen, auch Freizeitausgleich kommt nicht infrage, da Personalmangel besteht; Sie können Ihre Zettel zurückbekommen.

Ich erwiderte, das wundere mich sehr, denn ich sei doch nach BAT angestellt und im Tarifvertrag stehe deutlich, dass ich ein Recht darauf habe, meine Überstunden ausgeglichen zu bekommen. Daraufhin verwandelte sich der Charakter dieses Gesprächs etwas. Mein Chef wurde etwas persönlicher und erklärte, es sei auch eine Frage der Organisation, ob man seine Arbeit auf der Station schaffe oder nicht. Wenn man sehr langsam arbeite, liege es sicher daran. Außerdem würden meine Kollegen viel weniger oder gar keine Überstunden machen.

Ich fragte ihn, ob er sicher sei, dass er überhaupt davon erfahren würde, ob die Kollegen ihre Überstunden einreichen oder nicht. Er war sich sicher, dass die Kollegen dies nicht tun. Er meinte, ich sei die Einzige.

Außerdem musste ich mir die Geschichten aus seiner Vergangenheit anhören, dass er früher selber eine 30-Betten-Station hatte und jeden Tag pünktlich um 16 Uhr nach Hause gehen konnte. Es sei eben doch alles nur eine Frage der Organisation.

Er sagte, er wolle mit mir noch einmal darüber sprechen. Es folgte ein weiteres Gespräch, das ganz nett begann: Ich möchte Ihnen nichts Böses, ich meine es nur gut mit Ihnen. Sie machen Ihre Arbeit gut und gründlich und kümmern sich intensiv um die Patienten. Sie schreiben auch zügig Ihre Arztbriefe. Ich möchte Sie nicht feuern - verstehen Sie mich nicht falsch -, aber es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder bekommen Sie Ihre Überstunden ausgeglichen, wie Sie es beantragt haben, und gehen dann oder Sie geben sich mit den hiesigen Umständen zufrieden und verzichten auf den Überstundenausgleich aus der Vergangenheit und auch für die Zukunft.

Es kam noch ein kleiner Zusatz, der mich ebenfalls etwas irritierte. Er sagte mir, ich solle mich zügig entscheiden, denn meine Probezeit laufe ab. Er müsse insofern demnächst der Klinikleitung mitteilen, ob ich übernommen werde.

Ich war nun etwas in der Zwickmühle. Ich wusste: Wenn ich das durchziehe, bin ich hier in zwei Wochen weg. Damit kann ich auch nicht das erreichen, was ich will.

Ich habe mich anschließend mit den Überstunden etwas zurückgehalten. Als meine Probezeit vorüber war und ich dort noch tätig war, begann ich erneut, meine Überstunden einzureichen. Daraufhin folgte ein weiteres Gespräch. Mein Chef zeigte sich besorgt darüber, dass er mich abends noch so spät auf der Station sehe. Wahrscheinlich handele es sich tatsächlich um ein Problem der Organisation. Er werde mir nun eine schriftliche Dienstanweisung zukommen lassen, dass ich keine Überstunden mehr machen darf und täglich pünktlich um 16.30 Uhr nach Hause gehen solle.

Damit war für ihn das Problem erledigt. Für ihn war klar: Jetzt konnte ich keine Überstunden mehr einreichen. Für mich allerdings war das Problem gar nicht gelöst. Ich hatte immer noch dasselbe Pensum zu erledigen. Würde ich dem Vorschlag folgen, würde ich meine Kollegen zusätzlich belasten, die dann meine Arbeit mit übernehmen müssten.

Die Zustände verschärften sich noch ein bisschen. Das Vertrauen war einfach weg. Mir hat, wie man sich vorstellen kann, die Arbeit überhaupt keinen Spaß mehr gemacht. Ich habe die Konsequenz gezogen und dort gekündigt. Die Auseinandersetzung bezüglich der Überstunden ging auf der Ebene der Krankenhausleitung noch etwas weiter. Die Krankenhausleitung tat das ganze Problem mit Formalismen ab. Zusammen mit der Kündigung reichte ich erneut den Antrag auf Ausgleich meiner Überstunden ein. Daraufhin wurde mir als Erstes mitgeteilt, dass das formal nicht richtig gelaufen sei, dass mein Chef nicht unterschrieben habe, dass diese Überstunden nicht angeordnet gewesen seien und auch nicht nachträglich genehmigt worden seien. Es handele sich also im tarifrechtlichen Sinne gar nicht um Überstunden. Im Gegenteil sei es sogar so, da es sich nicht um einen Ausnahmefall, sondern um regelmäßige Überstunden handelte, dass das im Voraus von meinem Chef hätte angeordnet werden müssen.

Ich habe damals eine Rechtsanwältin eingeschaltet, die sich ein bisschen darum gekümmert hat. Sie legte dar, dass es sich ja um notwendige Überstunden gehandelt habe. Daraufhin wurde erklärt, dass es mir als einer nachgeordneten Angestellten in der Funktion einer Ärztin im Praktikum ja wohl kaum überlassen werden könne, zu beurteilen, ob Überstunden notwendig sind oder nicht. Das wunderte mich sehr, denn jeder weiß, dass man als Ärztin im Praktikum teilweise vom ersten Tag an dieselben Aufgaben hat wie der Assistenzarzt. Manche Ärzte im Praktikum ersetzen den Assistenzarzt voll. Man hat sehr viel Verantwortung und muss den ganzen Stationsalltag schmeißen. Aber man kann anscheinend nicht entscheiden, ob man eine Notaufnahme um 16.30 Uhr noch erledigen soll oder nicht.

Letztendlich wurde mir noch vorgeworfen, dass ich genau seit der Zeit, nachdem ich die Dienstanweisung erhalten hatte, keine Überstunden mehr zu machen, auch keine Überstunden eingereicht hätte. Das sei der Beweis dafür, dass es wohl an meiner Arbeitsweise gelegen habe, denn Überstunden seien später nicht mehr angefallen.

Das Ganze drehte sich etwas im Kreise. Die Klinikleitung konnte wieder erzählen: Bei uns im Hause gibt es keine Überstunden, insofern haben wir das Problem nicht.

Ich denke, solange wir auf der einen Seite noch darüber diskutieren müssen, ob es überhaupt Überstunden gibt, sind wir noch weit davon entfernt, dieses Problem zu lösen. Nicht zuletzt sind sicherlich die Ärzte selbst durch ihr passives Verhalten und häufig auch sehr unsolidarisches Verhalten mit daran schuld.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Vielen Dank, Frau Röhl. Sie merken: Das wollen wir heute ändern. - Jetzt kommt Herr Priesack aus Kiel. Bitte schön, Herr Kollege Priesack.

© 2001, Bundesärztekammer.