TOP II: Ausbeutung junger Ärztinnen und Ärzte

2. Tag: Mittwoch, 23. Mai 2001 Nachmittagssitzung

Brendler (als geladener Gast):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin sehr froh, auf diesem Ärztetag als Gast zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich möchte kurz meine soziale Situation und die meiner Bekannten schildern, und zwar nicht als Jammern, sondern als Information. Ich denke, das ist für die Ärzte, die keine Kinder haben, die AiPler sind, ganz interessant.

Nach dem Studienabschluss habe ich entbunden und war danach im Mutterschutz und im Erziehungsurlaub. Danach begann ich mit der Suche nach einer AiP-Stelle. Im Gegensatz zu Frau Röhl habe ich das ein bisschen defensiv gemacht. Ich bin losgegangen und habe mir die Arbeitsplätze angeschaut. Ich habe mich, obwohl ich eigentlich immer operativ tätig sein wollte, für die internistische Fachrichtung entschieden, weil mir gesagt wurde: Es gibt einen Hausdienst pro Monat, maximal zwei, und wir gehen meistens um 17 Uhr, oft auch um 16 Uhr nach Hause. Das wäre für eine Mutter mit einem kleinen Kind sehr vorteilhaft.

Ich war sehr glücklich, dass ich die Stelle, auf die ich mich beworben hatte, sofort bekommen habe. Dann hatte ich doch ein Problem, und zwar die 1 600 DM, die man im ersten AiP-Jahr bekommt. Mein Mann war im Erziehungsurlaub und hatte kein Einkommen. Wir mussten also mit dieser Summe auskommen, was nicht ganz so einfach war. Obwohl uns Wohngeld zustand, war es knapp.

Danach wurde ich wieder schwanger und habe Erziehungsurlaub genommen. Mein Mann ist derzeit mit zwei Kindern zu Hause im Erziehungsurlaub. Ich bekomme nun 300 DM mehr, also 1 900 DM pro Monat, ohne Dienste. Wir bekommen jetzt nicht nur Wohngeld, sondern auch Sozialhilfe. Wir sind quasi "aufgestiegen".

Ich habe die unangenehme Erfahrung gemacht, dass ich eine Patientin auf dem Sozialamt getroffen habe. Sie dachte, ich arbeite jetzt nicht mehr. Zwei Wochen später traf sie mich im Krankenhaus und konnte sich meine Situation gar nicht vorstellen. Ich fand es unangenehm, einer Patientin erzählen zu müssen, warum eine Ärztin, die acht, neun oder auch zehn Stunden arbeitet, so wenig Geld erhält, dass sie zusätzlich einen Anspruch auf Sozialhilfe hat.

Ich möchte noch erwähnen, dass ich in einem akademischen Lehrkrankenhaus arbeite. Dort gibt es auch PJ-Studenten, sodass dadurch eine gewisse Entlastung gegeben ist.

In meinem Freundeskreis gibt es ein Ehepaar mit einem Kind, das genauso alt ist wie meine Tochter. Beide Elternteile sind AiPler. Die Mutter ist an einer Universitätsklinik in einer chirurgischen Spezialität tätig; der Vater ist in einer Reha-Klinik in Brandenburg tätig. Er benötigt für die Fahrt zur Arbeitsstätte eine gute Stunde. Das Kind dieses Elternpaares ist morgens um 6.30 Uhr das erste Kind im Kindergarten. Abends wird es, wenn es Glück hat, schon um 17.30 Uhr abgeholt. Wenn ich oder mein Mann es abholen, kommt es ein bisschen früher nach Hause. Anderenfalls kann es auch schon mal 18.10 Uhr werden.

Der Vater hat ein Einkommen von gut 1 400 DM, die Mutter ein solches von 1 600 DM. Bei 3 000 DM Gesamteinkommen im Monat kann man sich kein Kindermädchen leisten. Dieses Kind ist von allen Kindern am längsten im Kindergarten.

Es wird auch an den Kita-Plätzen gespart. Der Kindergarten hat jetzt nur noch elf statt bisher zwölf Stunden pro Tag geöffnet. Der Kindergarten öffnet erst um 7 Uhr. Das Kind muss also für die ersten 30 Minuten in einen anderen Kindergarten.

Damit ist sowohl für diese Familie als auch für mich eine Weiterbildung kaum möglich, weil die finanzielle Belastung und die soziale Belastung zusammengenommen dies unmöglich machen.

Auch ich möchte Sie bitten, unserem Antrag II-20 zur Abschaffung des AiP, zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und zur Qualitätssicherung der Weiterbildung zuzustimmen.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident:

Vielen Dank, Frau Kollegin Brendler. - Der nächste Redner ist Herr Dr. Lindhorst aus Hessen. Bitte schön.

© 2001, Bundesärztekammer.