Anhang A
Beschlüsse und Entschließungen

TOP II: Ausbeutung junger Ärztinnen und Ärzte

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG II - 1

ÄNDERUNGSANTRAG ZUM ENTSCHLIESSUNGSANTRAG II - 1a

ÄNDERUNGSANTRAG ZUM ENTSCHLIESSUNGSANTRAG II - 1b

ÄNDERUNGSANTRAG ZUM ENTSCHLIESSUNGSANTRAG II - 1d

ÄNDERUNGSANTRAG ZUM ENTSCHLIESSUNGSANTRAG II - 1e

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG II - 22

Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache II-1) unter Berücksichtigung der Anträge von Herrn Risk-Plotzki (Drucksache II-1a und II-1b), Frau Dr. Gitter (Drucksache II-1d), Dr. Schaaf, Frau Dr. Lux, Dr. Emminger, Prof. Dr. Kunze (Drucksache II-1e) sowie von Herrn Schröder (Drucksache II-22) fasst der 104. Deutsche Ärztetag einstimmig folgende Entschließung:

Die Situation junger Ärztinnen und Ärzte in den deutschen Krankenhäusern ist bedrückend und nicht länger hinnehmbar. Leistungsverdichtung bei verkürzten Liegezeiten und bei Reduzierung der Planstellen im ärztlichen Dienst wegen Steigerung des Kostendrucks infolge der rigiden Budgetierung führen bei den jungen Ärztinnen und Ärzten zu einer unerträglichen Arbeitsbelastung. In Verbindung mit willkürlich befristeten Arbeitsverträgen und wegen zahlloser unbezahlter Überstunden kommt dies einer Ausbeutung der Arbeitskraft und Ideale einer jungen Ärztegeneration gleich. Die Verantwortung für die ärztliche Betreuung der Patienten ist wegen dieser drastischen Überlastung für viele der jungen Ärztinnen und Ärzte nahezu untragbar geworden. Hierdurch wird die Qualität der Patientenversorgung erheblich beeinträchtigt.

Auf Grund der Angst vor dem Verlust des Arbeits- und Weiterbildungsplatzes oder vor gravierenden Nachteilen für die berufliche Zukunft lehnen sich betroffene Ärztinnen und Ärzte kaum gegen diese Ausbeutung auf. Klaglos wird hingenommen, dass eine Unzahl von Überstunden vielfach weder bezahlt noch durch Freizeit ausgeglichen wird. Als Folge der Angst vor Repressalien werden oft sechzig bis siebzig Arbeitsstunden in der Woche stillschweigend geduldet. Muss jeder LKW-Fahrer vor Antritt einer Fahrt eine Tachoscheibe einlegen und mit Bestrafung rechnen, wenn vorgeschriebene Lenkzeiten und Ruhepausen nicht eingehalten werden, werden von den Verantwortlichen im Krankenhaus arbeitszeitrechtliche Vorschriften gerade dort mit Füßen getreten, wo durch Stress und Müdigkeit die Versorgung und Betreuung der Patienten gefährdet werden können - nämlich bei den jungen Krankenhausärztinnen und -ärzten. So hat eine Studie ergeben, dass das Reaktionsvermögen eines Arztes nach ununterbrochener Arbeitszeit von 24 Stunden dem eines Autofahrers mit einem Blutalkohol-Spiegel von einem Promille entspricht. Wer aber möchte sich schon von einem "Angetrunkenen" operieren lassen?

Erschreckend ist allerdings auch, mit welcher Einschüchterung und Verschwiegenheit ein Großteil der betroffenen Ärztinnen und Ärzte auf diese z. T. unhaltbaren Zustände reagiert. Angst vor Repressalien, Sorge vor Abmahnungen, Furcht vor der Weigerung des Vorgesetzen, den Arbeitsvertrag zu verlängern, Schwierigkeiten bei Absolvierung der angestrebten Weiterbildung sind hierfür vielfach die Gründe. Eine qualitativ hochstehende Weiterbildung junger Ärztinnen und Ärzte ist so nicht zu gewährleisten. Durch dieses Ausbeutungssystem wird eine junge Ärztegeneration geprägt, die ihre besten Chancen auf eine vielversprechende Karriere darin sieht, sich stromlinienförmig durch die Jahre als Arzt im Praktikum und als Assistenzarzt zu "dienen". Derjenige kommt am schnellsten voran, der Anordnungen von oben stillschweigend hinnimmt, auch wenn sie gegen arbeitsrechtliche Vorschriften verstoßen. Derjenige hat die besten Aussichten, der das Skalpell ansetzt, obwohl er kaum noch aus seinen übermüdeten Augen schauen kann.

Nahezu unerträglich ist die Vorstellung, dass in unseren Krankenhäusern Ärztinnen und Ärzte im Praktikum sowie junge, in Weiterbildung befindliche Ärztinnen und Ärzte, die mit großem Einsatz und großer Begeisterung ihre Arbeit leisten, auf Grund der anfallenden Arbeit dazu gezwungen werden, Überstunden abzuleisten und dann auch noch um die ihnen rechtmäßig zustehende Vergütung für diese übermäßige Leistung in Form von Freizeit oder zusätzlichem Einkommen betrogen werden.

Mit umso höherer Achtung ist festzustellen, dass immer mehr Ärztinnen und Ärzte dessen ungeachtet ihre Pflicht darin sehen, auf Missstände, die eine fachlich einwandfreie ärztliche Arbeit verhindern, öffentlich hinzuweisen. Die Patienten setzen ihr volles Vertrauen auf die Kompetenz und Leistungsfähigkeit ihrer sie behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Diesem Vertrauen kann nicht bei Überlastung, Übermüdung und Überforderung entsprochen werden.

Die Delegierten des Deutschen Ärztetages danken daher denjenigen Ärztinnen und Ärzten in unseren Krankenhäusern, die den Mut gefunden haben, die bekannten, aber bislang weit gehend erduldeten Missstände auch im Interesse der Patienten deutlich zu machen und öffentlich anzuprangern. Bundesärztekammer und Landesärztekammern werden sie und alle anderen betroffenen Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern darin unterstützen, gerade auch in Anbetracht des EuGH-Urteils zur Arbeitszeit von Krankenhausärzten ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern und dem auf sie ausgeübten Druck von Krankenhausträgern und deren Beauftragten zu widerstehen.

Der Deutsche Ärztetag - und mit ihm die deutsche Ärzteschaft - fordert daher mit allem Nachdruck die Verantwortlichen auf Bundesebene wie in den Bundesländern, insbesondere aber auch die Krankenkassen und Krankenhausträger auf, für verantwortbare Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern Sorge zu tragen und eine den geltenden Gesetzen entsprechende Arbeitsbelastung der Krankenhausärztinnen und -ärzte sicherzustellen. Hierzu erhebt der Deutsche Ärztetag insbesondere folgende Forderungen:

1. Die Krankenhäuser als Arbeitgeber werden aufgerufen, das Gesetz über die Befristung von Arbeitsverträgen mit Ärzten in der Weiterbildung seinem Ziel entsprechend so anzuwenden, dass für die jungen Ärztinnen und Ärzte die erforderliche Arbeitsplatzsicherheit für die gesamte Dauer ihrer Weiterbildung garantiert ist. Die leitenden, zur Weiterbildung befugten Ärztinnen und Ärzte müssen sicherstellen, dass der Intention des Gesetzgebers entsprechend die Befristung der Arbeitsverträge die Zeitdauer ihrer Weiterbildungsbefugnis nicht unterschreitet.

2. Der Deutsche Ärztetag fordert den Gesetzgeber und die politisch Verantwortlichen auf, das Weiterbildungsbefristungsgesetz dahingehend zu ändern, dass die Mindestdauer befristeter Weiterbildungsverträge nicht mehr allein von der Dauer der Weiterbildungsermächtigungen des jeweiligen Chefarztes/ Chefärztin abhängig ist, sondern von der Dauer der gesamten Weiterbildungsbefugnis aller Chefärzte des jeweiligen Fachgebietes im jeweiligen Krankenhausbetrieb.

3. Der Gesetzgeber und die Tarifvertragsparteien werden aufgefordert, das Arbeitszeit-Urteil des EuGH in verbindliches deutsches Recht und Tarifrecht umzusetzen.

4. Die Krankenhausträger werden aufgefordert, vermehrt auch Möglichkeiten für Teilzeitarbeit im ärztlichen Dienst der Krankenhäuser entsprechend dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge vom 1.1.2001 vorzusehen.

5. Alle in Verantwortung stehenden Ärztinnen und Ärzte werden aufgefordert, keine untertariflichen oder gar unbezahlten - und damit berufsrechtswidrigen - Arbeitsverhältnisse zu gewähren oder einzugehen. Die Ärztekammern verfolgen und ahnden konsequent ein nicht mit dem Berufsrecht zu vereinbarendes Handeln.

6. Die Krankenhausträger werden aufgefordert, ärztliche Planstellen nicht durch unbezahlte Gastärzte und Hospitanten zu ersetzen.

7. Ärztinnen und Ärzte, die Repressalien ihrer Arbeitgeber deswegen ausgesetzt sind, weil sie unverantwortliche Missstände in ihren Krankenhäusern aufzeigen, erhalten die uneingeschränkte Unterstützung ihrer Ärztekammer. Der Deutsche Ärztetag appelliert daher eindringlich an die Ärztekammern, eine Ombudsfrau oder einen Ombudsmann zu benennen, welche(r) in den einzelnen Kammerbereichen die Funktion als Berater/-in und Vertrauensperson für diejenigen Ärztinnen und Ärzte übernimmt, die den Mut aufbringen, öffentlich gegen derartige Missstände ihre Stimme zu erheben. Die Benennung einer solchen Vertrauensperson in der Ärztekammer, an die sich alle Betroffenen jederzeit wenden können, soll ein Schritt sein, um den Ärztinnen und Ärzten praktische Hilfestellung und moralische Unterstützung zu geben.

8. Die Landesärztekammern werden gebeten, dem nächsten Deutschen Ärztetag über Ergebnisse und Erfahrungen im Zusammenhang mit der Arbeit dieser Ombudsfrauen und Ombudsmänner zu berichten.

9. Der Deutsche Ärztetag fordert alle Chefärzte und Chefärztinnen auf, ihrer Verantwortung für ihre Mitarbeiter gerecht zu werden und dafür Sorge zu tragen, dass jegliche Überstunden dokumentiert und bezahlt werden bzw. durch Freizeit ausgeglichen werden.

Sämtliche beteiligten Ärztinnen und Ärzte sind an den Erlösen aus der Privatliquidation angemessen zu beteiligen.

10. Alle geleisteten Überstunden müssen entweder vollständig entsprechend der Tarifvereinbarungen vergütet werden oder vollständig in Freizeit ausgeglichen werden.

11. "Die schwierige Situation eines Arztes im Praktikum entsteht sowohl durch den Status des AiP, als auch durch die bedrückend niedrige Vergütung. Die Tarifpartner werden aufgefordert, die Vergütung der AiP-Zeit bis zu der Abschaffung des AiP deutlich und überproportional anzuheben. Hierbei sind insbesondere junge Familien wesentlich besser zu stellen."

© 2001, Bundesärztekammer.