Anhang A
Beschlüsse und Entschließungen

TOP V: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer - DRG-Fallpauschalensystem

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG V - 41neu

Auf Antrag von Dr. Jonitz (Drucksache V-41neu) fasst der 104. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:

Präambel

Mit dem am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen GKV-Reformgesetz bestimmt der Gesetzgeber in § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz die Einführung eines durchgängigen, leistungsorientierten und pauschalierenden Entgeltsystems auf der Basis von Diagnosis Related Groups (DRGs) ab dem 1. Januar 2003. Für den Wechsel des Vergütungssystems durch den Gesetzgeber sind wegen der politischen Maxime der Beitragsstabilität die postulierten Kosteneinsparungen ausschlaggebend, die einer Vergütung über Fallpauschalen aufgrund ihres ökonomischen Anreizes zur Verkürzung von Verweildauern im allgemeinen zugeschrieben werden.

Durch die Einführung des neuen DRG-basierten Entgeltsystems ist eine begrüßenswerte Verbesserung der Leistungs- und Kostentransparenz in der stationären Versorgung zu erwarten. Gleichwohl bestehen erhebliche Risiken für die Aufrechterhaltung eines allen Teilen der Bevölkerung zugänglichen hochqualitativen und flächendeckenden stationären Versorgungsangebotes unter anderem für den Fall, sollte das von der Grundlage der Australian Refined-DRGs auf deutsche Verhältnisse anzupassende Fallpauschalensystems auf der Basis einer nur unzureichenden Datengrundlage und weiterer bislang fehlenden wichtigen Grundvoraussetzungen umgesetzt werden.

Der Deutsche Ärztetag lehnt die Einführung des in der Planung befindlichen DRG-Systems als Vergütungsinstrument in der jetzigen Form ab. Er fordert den Gesetzgeber auf:

1. Ein Moratorium abzuhalten:

Die Einführung der DRGs sollte solange ausgesetzt werden, bis die Voraussetzungen erfüllt sind (Daten, Klassifikationen, Vergleich mit anderen Entgeltsystemen, Folgenabschätzung).

2. Die Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige und humane Patientenversorgung zu schaffen und den ärztlichen Dienst von berufsfremder Tätigkeit zu entlasten.

3. Bei der Kalkulation der Kosten sämtliche ärztliche Leistungen mitzuerfassen und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Arbeitszeit zu berücksichtigen.

4. Ein differenziertes, international vergleichbares Klassifizierungssystem zu schaffen, das die Realität der Patientenversorgung abbildet.

5. Ein Verfahren zur Erkennung und Abwehr von Fehlsteuerungen durch DRGs einzuführen.

6. Eine wissenschaftliche Begleitforschung zu schaffen, welche die qualitativen, finanziellen und strukturellen Auswirkungen eines DRG-Systems analysiert.

7. Die Grundlagen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen herzustellen.

Trotz der positiven Charakteristika von DRG-Systemen sieht der Deutsche Ärztetag der geplanten Einführung eines flächendeckenden DRG-Systems in deutschen Krankenhäusern mit großer Sorge entgegen.

Durch ein isoliert eingeführtes DRG-System entsteht ein Versorgungsrisiko für die Patienten. Ein solches prospektives Vergütungssystem verlagert das wirtschaftliche Risiko auf die Leistungserbringer. Damit hängt der wirtschaftliche Erfolg respektive das wirtschaftliche Überleben von dem Umfang ab, in dem Leistungen oder Kosten reduziert werden. Dies führt zur Risikoselektion, implizierter Rationierung und Qualitätsverlusten durch Unter- und Fehlversorgung ("quicker and sicker"). Der einzelne Patient ist diesem Mechanismus hilflos ausgesetzt. Instrumente der Qualitätssicherung existieren oder funktionieren derzeit nicht.

Auch der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat in seinem aktuellen Gutachten 2000/2001 auf die qualitätsmindernden Effekte der DRGs hingewiesen und von Beginn an flankierende Qualitätssicherungsmaßnahmen gefordert.

Die Erwartungen von Politik und Krankenkassen, durch die Einführung von DRGs Geld zu sparen, werden nicht erfüllt werden. Sämtliche internationale Erfahrungen sprechen dagegen. Es werden im Gegenteil die Kosten steigen.

Die Arbeit der Krankenhausärztinnen und -ärzte wird durch Bürokratie und Dokumentation geprägt sein. Schon heute nimmt die Dokumentation ärztlicher Leistungen mehr Zeit in Anspruch als die ärztliche Leistung selbst. Dies stellt eine Perversion ärztlicher Arbeit dar. Die Betreuung der Patienten leidet zwangsläufig. Die Humanität der Patientenversorgung wird weiter abnehmen.

Durch die zu erwartende Spezialisierung stationärer Leistungen wird die Möglichkeit zur ärztlichen Weiterbildung weiter eingeschränkt. Ein Facharztmangel wird die Folge sein.

Die zu erwartenden Verschiebungen medizinischer Leistungen in den ambulanten und Reha-Bereich müssen kompensiert werden.

Das geplante DRG-System selbst ist ungenügend. Die gegenwärtigen Klassifikationssysteme sind mangelhaft und bilden die Realität schlecht, gar nicht oder uneinheitlich ab. Derzeit existieren z. B. drei verschiedene Versionen des Diagnoseschlüssels ICD 10.

Die Kalkulation der Ist-Kosten lässt den flächendeckenden Bruch des Arbeitszeitgesetzes und die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Arbeitszeit außer acht. Millionen unbezahlter ärztlicher Überstunden werden bei der Kalkulation nicht berücksichtigt. Dieser Rechtsbruch wird durch die Einführung des vorgesehenen DRG-Systems zementiert.

Die Vorkalkulation der DRGs ist mangelhaft und in den vorgesehenen Fristen nicht zu absolvieren. Die Kodierregeln sind fragwürdig. Dennoch sollen die Ergebnisse dieser Kalkulation in die Relativgewichte umgerechnet werden. Die Fristen zur Einführung des DRG-Systems sind zu kurz. Widerstände und grundlegende Fehler sind programmiert.

Das geplante DRG-System wird entweder eine Mengenbegrenzung zur Folge haben oder ein reines Budgetverteilungsinstrument mit absehbar fallenden Punktwerten werden. Beide Verfahren haben keinen Bezug zur medizinischen Notwendigkeit. Die drastische Rationierung von Gesundheitsleistungen ist daher vorbestimmt.

Die Einführung eines flächendeckenden DRG-Systems entspricht damit einem Experiment mit fragwürdigem Ausgang.

Der Deutsche Ärztetag befürchtet mit der Einführung dieses DRG-Systems eine deutliche Verschlechterung der Patientenversorgung durch einen Verlust an Qualität und Humanität. Eine Industrialisierung der Patientenversorgung in deutschen Krankenhäusern ist absehbar. Das Festhalten an dem derzeitigen

Einführungsverfahren führt zum Abbau der stationären Versorgung in Deutschland ohne Rücksicht auf medizinische Kriterien, Qualität und Humanität der Patientenversorgung, volkswirtschaftliche Ergebnisse und verfassungsrechtliche Gebote. Im Ergebnis führt das vorgesehene Verfahren zu einem erschwerten Zugang für Patienten zu notwendiger Behandlung. Statt dessen führt es zu Anreizen für wohldotierte, aber fraglich indizierte Maßnahmen und damit zu schlechterer Medizin bei insgesamt höheren Kosten.

© 2001, Bundesärztekammer.