TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

1. Tag: Dienstag, 28. Mai 2002 Nur Nachmittagssitzung

Dr. Montgomery, Vorstand der Bundesärztekammer:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns eine ganze Zeit mit dem Tagesgeschäft der Gesundheitspolitik beschäftigt, mit den Dingen, die dringlich zur Lösung anstehen. Ich möchte Ihr Augenmerk auf den Antrag I-2 des Vorstands der Bundesärztekammer lenken, der sich mit langfristigen Strukturproblemen beschäftigt. Ich möchte Ihnen kurz begründen, warum ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir einmal darüber nachdenken, wie sich unsere Krankenversicherung in den Jahren 2020, 2030 darstellt und wie wir uns heute darauf vorbereiten können, dass sie dann noch funktioniert.

Im Jahr 2040 wird sich das Verhältnis der unter 65-Jährigen zu den über
65-Jährigen von heute 3 : 1 auf etwa 1 : 1 verändern. Während heute drei Personen in der Sozialversicherung für einen anderen aufkommen, wird sich im Jahre 2040 jeder seinen privaten Bezahler suchen müssen, der ihn in der Renten- oder in der Krankenversicherung finanziert.
Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass im Jahr 2040 nicht mehr wie heute 42 Millionen Menschen arbeiten und damit Geld für die Sozialversicherungssysteme verdienen, sondern nur noch 24 Millionen. Das heißt, nur noch etwa die Hälfte der Menschen wird in einem arbeitsfähigen Alter sein. Das heißt in unserem heutigen System: Nur die Hälfte der Menschen wird Geld für die Sozialversicherungssysteme generieren.

Gleichzeitig wissen wir, dass die Kosten in der Krankenversicherung vom Alter der Versicherten abhängen. Je älter die Menschen werden, desto mehr kosten sie. Die Tatsache, dass wir sie heute älter werden lassen können, bedeutet, dass der Kostenanstieg zwar erst später erfolgt, bedeutet aber auch, dass der Kostenanstieg durchaus noch stärker ausfallen kann. Das heißt, wir brauchen mehr Geld für diese Menschen, um sie später behandeln zu können.

Das alles kann man einfach unter der Feststellung subsumieren, dass sich der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn wir ihn weiter so erheben wie heute, bis zum Jahre 2040 von etwa 12, 13 oder 14 Prozent auf - nach konservativen Berechnungen - 24 Prozent bzw. auf über 30 Prozent - nach anderen Berechnungen - erhöhen wird. Das heißt auf Deutsch, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir müssen uns die Frage stellen, ob unsere Kinder noch bereit sind, für unsere Krankenversorgung 30 Prozent ihres Einkommens aufzubringen, damit wir im Alter gesund leben können. Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Kinder das nicht tun werden.

Ein letztes Argument: Alle Prognosen, die sich mit der Arbeitslosigkeit beschäftigen, zeigen uns, dass die Arbeitslosigkeit substanziell nicht sinken wird. Wir werden bei einem Arbeitslosigkeitslevel von etwa 11 bis 15 Prozent bleiben. Daher glaube ich: Wir müssen uns mit einer grundsätzlich anderen Krankenversicherung beschäftigen. Wir müssen uns weitblickend fragen: Wie kann die Krankenversicherung zukunftsstabil, demographieresistent und wirtschaftselastisch werden? Dazu brauchen wir eine Versicherungspflicht für alle von Geburt an, eine Abkoppelung vom Arbeitseinkommen, eine Beitrags- statt einer Umlagefinanzierung, Kapitaldeckung für die Altersabsicherung und den Solidarausgleich vom Staat steuerfinanziert.

Das ist der Inhalt der Alternative B im Antrag I-2, die wir mit Ihnen weiterhin intensiv diskutieren wollen. Deshalb bitte ich Sie herzlich, über den Antrag I-2 positiv zu diskutieren und ihm anschließend Ihre Zustimmung zu geben.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Schönen Dank, Herr Montgomery. - Als nächste Rednerin bitte Frau Haus.

© 2002, Bundesärztekammer.