TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

1. Tag: Dienstag, 28. Mai 2002 Nur Nachmittagssitzung

Dr. Müller, Bayern:

Da es zwei Delegierte aus Bayern mit dem Namen "Helmut Müller" gibt, weise ich darauf hin, dass ich aus Neumarkt komme.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich stehe hier nicht als Profiredner, sondern als Redner mit einem gewissen Zorn, der sich mit zunehmender Zahl der Reformen im Laufe der Jahre gesteigert hat. Ich habe den Antrag "Wider die Regulierungswut und Überbürokratisierung" gestellt. Dieser Antrag liegt Ihnen noch nicht umgedruckt vor; es wird die Drucksache I-35. Die zunehmende Bürokratisierung, die als Ersatz für echte und vielleicht auch Geld sparende Reformen dient, droht die kurative Medizin zu ersticken und unseren ärztlichen Nachwuchs abzuschrecken. Auf gesetzgeberischem Wege oder auf dem Verordnungswege oder juristisch erzwungen müssen die im Kerngeschäft tätigen Ärzte in Kliniken und Krankenhäusern und in Praxen immer mehr Zeit von der Behandlung ihrer Patienten abziehen und für die DRGs Qualitätssicherungsmaßnahmen, Zertifizierung, Risk Management oder die Erfüllung des Arbeitszeitgesetzes einsetzen.

Die ärztliche Fortbildung wird der Betriebswirtschaft immer ähnlicher. Statt neuer diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen gibt es Kodierseminare, Ökonomiekurse, Qualitätsmanagement. Alte ärztliche Tugenden wie Dienen, Demut, Anwalt des Patienten zu sein oder medizinische Professionalität sind nicht mehr gefragt. Ärztliches Können wird immer mehr leichtfertigerweise vorausgesetzt.

Aber die Alten, die sich ausschließlich medizinische Professionalität als Ziel setzen konnten und dabei den Rücken frei hatten, wie wir heute Vormittag von Herrn Professor Lasch hören konnten, als die Verwaltungsaufgaben noch bei der Verwaltung angesiedelt waren, sterben allmählich aus. Zurück bliebe dann der Patient mit einem verhinderten Medizinökonomen, der von der Behandlung wenig versteht, aber keinen Platz in den attraktiven, lukrativen, rhetorisch gestylten und nicht regressbewehrten Nebengebieten finden konnte. Es braucht uns nicht zu verwundern, dass immer mehr junge Ärzte in diese Gebiete abwandern und in der kurativen Medizin im Westen ein akuter Ärztemangel entsteht und in den neuen Bundesländern bereits besteht.

Der Deutsche Ärztetag möge deshalb beschließen - vielleicht ist mein Antrag teilweise etwas hart formuliert -:

1. Alle Ärzte, jeder in seiner Position, sollen aufgefordert werden, der überbordenden Bürokratisierung entgegenzuwirken.

2. Teilnahme an Gremien, Kommissionen, Beratergesellschaften, deren Ergebnis eine Ausweitung bürokratischer Verfahren ohne evidente Verbesserung der Ergebnisqualität oder Ressourceneinsparung ist, muss als schädlich für die Interessen der Patienten und der Ärzteschaft eingestuft werden.

3. Private Bereicherung durch unverhältnismäßig hohe Gebühren für gesetzlich oder verordnungsmäßig vorgeschriebene Kurse, wie z. B. Codierseminare, Ökonomiekurse, Transfusionsbestimmungen, Sonographiekurse oder Qualitätsmanagement ist als verwerflich einzustufen.

Bei eklatanten Verstößen sollen berufsaufsichtliche Maßnahmen eingeleitet werden. Bei systematischen Verstößen Verlust der Approbation. (Dann soll doch der primär profit- und kaufmännisch orientierte Arzt ehrlicherweise unter der Spalte der ökonomisch ausgerichteten Berufe firmieren und nicht als Arzt.)

Ich hoffe, dass wir mit diesem Antrag, falls er angenommen wird, einen kleinen Schritt in Richtung Umkehr tun können, wenn wir Ärzte aufhören, immer mit an den Stricken zu drehen, mit denen wir hinterher selbst geknebelt werden.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. Das enthält schon ein bisschen Sprengstoff. - Als nächster Redner bitte Herr Ruebsam-Simon aus Baden-Württemberg.

© 2002, Bundesärztekammer.