Dr. Müller, Bayern:
Da es zwei Delegierte aus Bayern mit dem Namen "Helmut Müller"
gibt, weise ich darauf hin, dass ich aus Neumarkt komme.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Ich stehe hier nicht als Profiredner, sondern als Redner mit einem
gewissen Zorn, der sich mit zunehmender Zahl der Reformen im Laufe
der Jahre gesteigert hat. Ich habe den Antrag "Wider die Regulierungswut
und Überbürokratisierung" gestellt. Dieser Antrag
liegt Ihnen noch nicht umgedruckt vor; es wird die Drucksache I-35.
Die zunehmende Bürokratisierung, die als Ersatz für echte
und vielleicht auch Geld sparende Reformen dient, droht die kurative
Medizin zu ersticken und unseren ärztlichen Nachwuchs abzuschrecken.
Auf gesetzgeberischem Wege oder auf dem Verordnungswege oder juristisch
erzwungen müssen die im Kerngeschäft tätigen Ärzte
in Kliniken und Krankenhäusern und in Praxen immer mehr Zeit
von der Behandlung ihrer Patienten abziehen und für die DRGs
Qualitätssicherungsmaßnahmen, Zertifizierung, Risk Management
oder die Erfüllung des Arbeitszeitgesetzes einsetzen.
Die ärztliche Fortbildung wird der Betriebswirtschaft immer
ähnlicher. Statt neuer diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen
gibt es Kodierseminare, Ökonomiekurse, Qualitätsmanagement.
Alte ärztliche Tugenden wie Dienen, Demut, Anwalt des Patienten
zu sein oder medizinische Professionalität sind nicht mehr
gefragt. Ärztliches Können wird immer mehr leichtfertigerweise
vorausgesetzt.
Aber die Alten, die sich ausschließlich medizinische Professionalität
als Ziel setzen konnten und dabei den Rücken frei hatten, wie
wir heute Vormittag von Herrn Professor Lasch hören konnten,
als die Verwaltungsaufgaben noch bei der Verwaltung angesiedelt
waren, sterben allmählich aus. Zurück bliebe dann der
Patient mit einem verhinderten Medizinökonomen, der von der
Behandlung wenig versteht, aber keinen Platz in den attraktiven,
lukrativen, rhetorisch gestylten und nicht regressbewehrten Nebengebieten
finden konnte. Es braucht uns nicht zu verwundern, dass immer mehr
junge Ärzte in diese Gebiete abwandern und in der kurativen
Medizin im Westen ein akuter Ärztemangel entsteht und in den
neuen Bundesländern bereits besteht.
Der Deutsche Ärztetag möge deshalb beschließen -
vielleicht ist mein Antrag teilweise etwas hart formuliert -:
1. Alle Ärzte, jeder in seiner Position,
sollen aufgefordert werden, der überbordenden Bürokratisierung
entgegenzuwirken.
2. Teilnahme an Gremien, Kommissionen, Beratergesellschaften,
deren Ergebnis eine Ausweitung bürokratischer Verfahren ohne
evidente Verbesserung der Ergebnisqualität oder Ressourceneinsparung
ist, muss als schädlich für die Interessen der Patienten
und der Ärzteschaft eingestuft werden.
3. Private Bereicherung durch unverhältnismäßig
hohe Gebühren für gesetzlich oder verordnungsmäßig
vorgeschriebene Kurse, wie z. B. Codierseminare, Ökonomiekurse,
Transfusionsbestimmungen, Sonographiekurse oder Qualitätsmanagement
ist als verwerflich einzustufen.
Bei eklatanten Verstößen sollen berufsaufsichtliche
Maßnahmen eingeleitet werden. Bei systematischen Verstößen
Verlust der Approbation. (Dann soll doch der primär profit-
und kaufmännisch orientierte Arzt ehrlicherweise unter der
Spalte der ökonomisch ausgerichteten Berufe firmieren und
nicht als Arzt.)
Ich hoffe, dass wir mit diesem Antrag, falls er angenommen wird,
einen kleinen Schritt in Richtung Umkehr tun können, wenn wir
Ärzte aufhören, immer mit an den Stricken zu drehen, mit
denen wir hinterher selbst geknebelt werden.
Vielen Dank.
(Vereinzelt Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Herr Kollege Müller. Das enthält schon ein
bisschen Sprengstoff. - Als nächster Redner bitte Herr Ruebsam-Simon
aus Baden-Württemberg.
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