TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

2. Tag: Mittwoch, 29. Mai 2002 Vormittagssitzung

Bodendieck, Sachsen:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Nacht. Mir steht heute ungewollt das Recht zu, den ersten Redebeitrag zu halten. Ich möchte mich zu den Disease-Management-Programmen äußern, wie sie aus meiner Sicht von den Kassen und der Politik verstanden werden. Ich glaube, hier gibt es eine große Dissonanz im Verständnis dieser Programme zwischen den Ärzten und den Kassen. Herr Professor Hoppe, Sie sprachen gestern von dem so genannten gesunden Chroniker. Ich glaube, bei allen Einführungen von Fallpauschalenregelungen oder Leitlinien und Richtlinien unter dem Diktat des Geldes ist zu erwarten, dass das deutsche Volk, von dem ich einmal sprechen will, eines der kränkesten Völker wird, das wir weltweit kennen. Es wird sicherlich so sein, dass jede anatomische Variabilität irgendwo in ein Krankheitskonzept hineingepresst wird, um dadurch den letzten Cent aus der Kasse zu erhalten.

Ich glaube, wir Ärzte verstehen dieses unter dem Begriff des Disease-Management-Programms nicht. Ich denke, wir sollten das immer wieder betonen und der Politik stets klar machen, dass man Krankheit nicht ökonomisieren darf. Zumindest bruchstückhaft ist das Konzept für Disease-Management-Programme im Bereich Diabetes bekannt. Dieses Konzept ist allerdings, soweit es mir bekannt ist, insoweit ungenügend, als es sich völlig von derzeit üblichen und geforderten Qualitätsrichtlinien entfernt. Ich glaube, das kann nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Nur ein kleines Beispiel: Soweit mir bekannt ist, wird als Richtwert im Bereich des Diabetes und der guten Therapie ein HbA1C von 8 Prozent angestrebt. Wir wissen aber aus der letzten großen Studie im Rahmen von "evidence based medicine", dass der Richtwert nach Möglichkeit 6,5 Prozent nicht überschreiten sollte. So können wir unsere Bevölkerung nicht behandeln, so lässt sich die Altersstruktur der Bevölkerung nicht in der Richtung verbessern, dass die Patienten bei Wohlbefinden älter werden.

Des Weiteren glaube ich, dass die Durchführung dieser Disease-Management-Programme in der angestrebten Form sicher dazu führt, dass sich auf absehbare Zeit die demographische Entwicklung gerade hier in Deutschland umkehren wird. Wir werden also diesen Überhang der älteren und alten Bevölkerung auf absehbare Zeit nicht mehr haben. Das mag vielleicht ein Anliegen der Politik sein. Herr Professor Vilmar sprach vor Jahren vom "sozialverträglichen Frühableben". Ich weiß nicht, ob man diesen Begriff verwenden sollte, aber ich habe sehr stark den Verdacht, dass es in diese Richtung gehen könnte.

Wir müssen uns fragen: Wer bleibt am Ende übrig? Es gibt ja in Deutschland nur eine geringe Geburtenrate, sodass das seit Jahren immer wieder kolportierte Zitat aus einem chinesischen Lexikon des Jahres 2030 über die Deutschen Wirklichkeit werden könnte: "Deutsche: kleines zänkisches Volk an der Westgrenze Chinas".

Danke schön.

(Vereinzelt Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Schönen Dank, Herr Bodendieck.

Ich begrüße unter unseren Gästen aus dem Ausland Herrn Dr. István Szilvási, den Vizepräsidenten der Ungarischen Ärztekammer, also unserer Schwesterorganisation in Ungarn. Herzlich willkommen, Herr Kollege!

(Beifall)

Jetzt bitte Herr Kollege Zimmer aus Nordrhein.

© 2002, Bundesärztekammer.