TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

2. Tag: Mittwoch, 29. Mai 2002 Vormittagssitzung

Zimmer, Nordrhein:

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern haben wir die Zahl von 130 000 niedergelassenen Ärzten gehört. Derzeit weist die Statistik der Bundesgesundheitsministerin 137 000 Krankenkassenangestellte aus. Die Zahl der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen ist also bereits deutlich hinter die Zahl der Krankenkassenangestellten zurückgefallen.

Wir reden so viel über die Attraktivität des Arztberufes und über den Unwillen, Arzt zu werden. Ich habe mir einmal die Abiturzeitschriften der Gymnasiasten unserer Stadt besorgt. Dort haben 300 Abiturienten ihre Berufswünsche deutlich gemacht. Sie werden erschrocken sein: Von den 300 Abiturienten hat nur einer erklärt, er möchte Arzt werden. Immerhin stammen 32 dieser Abiturienten aus einem Arzthaushalt. Wir vermitteln offensichtlich selbst nicht mehr so recht die Freude am Arztberuf. Ich glaube nach wie vor, der Arztberuf ist der schönste Beruf. Es ist der Beruf, der in jeder Form Zufriedenheit schaffen kann. Es ist nicht die Berufsausübung an sich, die negative Aspekte hervorruft, als vielmehr die Rahmenbedingungen. Das müssen wir den Menschen vermitteln, die uns eines Tages versorgen können, nämlich unseren Kindern.

Es gibt noch eine andere Schere, die wir gar nicht exakt genug beachtet haben, nämlich die Einführung des vorgezogenen Altersruhegeldes. Es ist für mich eine Lachnummer, die Grenze des 68. Lebensjahres zu öffnen. Herr Hagedorn hat hierfür jahrelang gekämpft und hat nicht Recht bekommen. Es gibt in unserem Beruf die Abstimmung mit den Füßen. Es gibt immer mehr Kolleginnen und Kollegen, die sagen: Auf jeden Fall mit 62, 63 Jahren aufhören!

Es ist Fakt, dass mittlerweile immer mehr Kolleginnen und Kollegen die zulässige Arbeitszeit gar nicht mehr ausnutzen, weil sie sich in dem System nicht mehr wohl fühlen. Sie sind keinesfalls mit dem Arztberuf unzufrieden. Es geht vielmehr um das Umfeld, in dem wir leben. Darauf möchte ich Sie ein wenig aufmerksam machen.

Herr Präsident, Ihre gestrige Rede hat mir besser gefallen als alles, was ich jemals auf einem Ärztetag gehört habe. Ich bin allerdings erst einige Jahre dabei. Ich bin begeistert darüber, dass Sie Ihre Ausführungen unter den Titel "Menschlichkeit statt Ökonomisierung" gestellt haben. Leider habe ich in diesem Zusammenhang ein Problem, den Antrag I-1 richtig zu verstehen. Meiner Ansicht nach ist die Überschrift "Das deutsche Gesundheitswesen ist auf dem Weg in die Mangelverwaltung" völlig daneben, denn wir sind nicht erst auf dem Weg in die Mangelverwaltung, sondern wir befinden uns mitten in der Mangelverwaltung.

(Beifall)

Mein Vorschlag lautet, die Überschrift vielleicht folgendermaßen zu formulieren: "Das deutsche Gesundheitswesen geht weiter den Weg der Mangelverwaltung". Das trifft meiner Ansicht nach die Sache im Kern.

Die vorletzte Zeile, in der faktisch eine Übertragung des Morbiditätsrisikos als Folge prognostiziert wird, ist ebenfalls völlig falsch. Das Morbiditätsrisiko trage ich im niedergelassenen Bereich ungefähr seit Einführung des EBM mit Punkten. Vielleicht könnten wir den Begriff "faktische Übertragung von Morbiditätsrisiken" ersetzen durch "weiter steigende Übertragung von Morbiditätsrisiken". Diesmal reicht das zufällig auch in den Krankenhausbereich hinein.

Ich warne davor, die DRGs als eine ganz harmlose Variante von Kostenumlagesystemen zu betrachten. DRGs führen zur Triage. Es wird drei Gruppen von Patienten geben in der Klassifikation WIR: "W" wie "wünschenswert", "I" wie "indifferent", weil im Budget noch zu leisten, und "R" wie "ruinös" und möglichst an der Klinikpforte abzublocken.

Das widerstrebt unserem ärztlichen Ethos in jeder Weise, in der Klinik wie in der Praxis. Ich denke, wir müssen den Menschen draußen klar machen, dass dieses System, wie es dort implementiert wird, menschenverachtend ist und dem Arztberuf völlig zuwider läuft.
Danke schön.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Herr Zimmer. Ich nehme an, dass Sie die Änderung der Überschrift als Antrag verstanden wissen wollen. Ich habe es mir notiert; wenn Sie es noch schriftlich einreichen wollen, ist es dafür auch noch früh genug. - Als nächste Rednerin bitte Frau Kollegin Schleu aus Bayern.

© 2002, Bundesärztekammer.