Dr. Schilling, Berlin:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich
ist in Deutschland die medizinische Versorgung der Bevölkerung
über weite Strecken beklagenswert.
Selbstverständlich ist die medizinische Versorgung von chronisch
Kranken und Schwerstkranken verbesserungswürdig. Selbstver-ständlich
ist die häusliche Versorgung der Alten und Pflegebedürftigen
durch ambulante Pflegedienste lausig.
Es ist ebenso richtig, dass wir jährlich Milliardenbeträge
an Medikamenten verordnen, die unnütz, überflüssig
sind oder nicht eingenommen werden. Ebenso richtig ist, dass wir
unsinnige, überflüssige Untersuchungen am Patienten durchführen.
Allerdings stellt sich die Frage: Wie können wir das verhindern?
Wer ist daran schuld? Wir reden immer so gern von der patientenzentrierten
Medizin und meinen eigentlich das Gegenteil dessen, was wir damit
ausdrücken wollen. Patientenzentrierte Medizin in der Bundesrepublik
Deutschland bedeutet nämlich, dass einzig und allein der Patient
darüber entscheidet, in welchem Umfang und wie oft die medizinische
Versorgung an ihm durchgeführt wird.
Patientenzentrierte Medizin bedeutet auch, dass ausschließlich
der Patient darüber entscheidet, ob er freiwillig an irgendwelchen
Programmen teilnimmt oder nicht. Die Allgemeinheit soll es dann
bezahlen. Patientenzentrierte Medizin bedeutet bei uns auch, dass
der Patient die Wahlfreiheit hat, zu welchem Arzt er geht, wie oft
er dort hingeht und zu welchem Zeitpunkt er dort hingeht.
Dies ist kontraproduktiv, extrem kostenbelastend und ist nicht uns
anzulasten. Wir können es nicht ändern. Patientenzentrierte
Medizin, wie wir sie verstehen und eigentlich auch ausdrücken
wollen, bedeutet, dass sich fachliche Kompetenz durch uns Ärzte
um das Zentrum, den Patienten, dreht und allein der Arzt darüber
entscheidet, was wie oft und wann durchgeführt werden soll.
Die Ärztetage gefallen sich immer darin, dass sie den Patienten
in den Mittelpunkt des ärztlichen Handelns stellen. Sie meinen
damit kurioserweise, dass der Patient der Anteilnahme des Arztes
bedarf - Anteilnahme falsch verstanden: im Nachgeben, im therapeutischen
Betreuen, im Aufsuchen zu Hause, in der Bereitstellung von Sozialdiensten,
wenn der Patient nicht bereit ist, den notwendigen Beitrag zu seiner
Gesundung zu leisten.
Das kann es nicht sein. Die Kosten für dieses System sind nicht
aufzubringen. Sie werden exorbitant steigen. Da helfen weder Leitlinien
noch die evidenzbasierte Medizin. An diesem System werden die beiden
Projekte vorbeigehen. Die Kosten werden dadurch in keiner Weise
minimiert. Wenn wir nicht bereit sind, die Rahmenbedingungen zu
ändern, den Patienten mit in die Verantwortung einzubeziehen
und unsere Kompetenz zu stärken, wird das Gesundheitswesen
nicht auf die Beine kommen. Wir werden Unsummen verschwenden, ohne
dass wir dem Patienten dafür irgendeinen Gefallen tun.
Anhand der drei großen Krankheiten Diabetes, Hypertonie, koronare
Herzerkrankung können Sie erkennen, dass schon durch die Tatsache,
dass die meisten Patienten übergewichtig sind, Schäden
gesetzt werden.
(Zuruf: Ist aber schön!)
- Das mag sein. Solange sie nicht krank sind, ist alles in Ordnung.
Allein durch den Mangel an Bewegung entstehen der Volkswirtschaft
Schäden in Höhe von 100 Milliarden DM. In anderen Bereichen
ist es ähnlich. Allein diese Summen sind so exorbitant, dass
sich jede weitere Diskussion darüber eigentlich erübrigt.
Ich danke Ihnen.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Schönen Dank. - Als nächster Redner Herr Dr. Eisenkeil
aus Bayern. Bitte schön.
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