Prof. Dr. Dr. Hoffmann (als geladener
Gast):
Vielen Dank für den Nachruf, Herr Präsident. - Sehr verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass ich mit weniger als vier
Minuten Redezeit auskomme. Ich kann mich vollinhaltlich auf die
ausgezeichneten Ausführungen von Herrn Kolkmann und auf die
Diskussionsbemerkungen von Herrn Henke beziehen. Heutzutage ist
kein Arzt in der Lage, den wissenschaftlichen Fortschritt in der
ganzen Welt, dort wo er routinefähig geworden ist, zu überblicken.
Es ist deshalb eine vornehme Aufgabe der medizinischen Fachgesellschaften
- dabei denke ich besonders an Herrn Encke -, diesen medizinischen
Fortschritt für die gewissermaßen an der Front tätigen
Ärzte bereit zu halten. Das kann durchaus in Leitlinien geschehen,
die als Entscheidungshilfe für den rational denkenden, verantwortlich
handelnden und sorgfältigen Arzt infrage kommen. Ich gehe immer
noch davon aus, dass die deutsche Ärzteschaft keine Horde von
Geld scheffelnden Scharlatanen ist, sondern die Gesamtheit verantwortlich
tätiger Ärzte. Diesen bei der Entscheidung zu helfen ist
eine vornehme Aufgabe wissenschaftlicher Fachgesellschaften.
Bei diesen Leitlinien hat sich jetzt - hier bitte ich bei allem
schuldigen Respekt sowohl den Präsidenten als auch Herrn Kolkmann
um Vergebung, dass ich eine Korrektur anbringe - der Begriff Korridor
eingeschlichen. Ein Korridor hat notwendigerweise zwei Grenzen.
Dort, wo es um Leitlinien geht, gibt es eine Unter- und eine Obergrenze.
Wenn der Arzt verpflichtet wird, bei Unterschreiten der Untergrenze,
deren Beachtung für den Patienten und für den Arzt ein
hohes Maß an Sicherheit und Qualität bietet, dies zu
begründen, bin ich damit einverstanden. Wenn auch nur begrifflich
eine Obergrenze eingezogen wird, wenn auch nur begrifflich, wenn
der Arzt also mehr tut, als in den Leitlinien steht, und dann in
die Begründungspflicht gerät, habe ich erhebliche Bedenken;
denn das führt zu weiterem Bürokratismus, obwohl wir schon
Bürokratie genug haben. Hier muss der Arzt eine Begründung
liefern und die Juristen werden - das haben die Erfahrungen gezeigt
- eine Umkehr der Beweislast sehen und dem Arzt eine Begründungspflicht
auferlegen wollen, auf die wir Gott sei Dank verzichten können.
Der Arzt muss im Individualfall des Kranken, der ihm gegenübertritt
- dem Arzt tritt ja keine Krankheit, sondern ein Kranker gegenüber
-, bei dieser Begegnung eigene Entscheidungen aus seiner Erfahrung,
aus seinem klinischen Wissen und aus seiner ärztlichen Kunst
heraus treffen.
Bei der Medizin geht es zur Hälfte um harte Daten, die man
irgendwo abrufen und codieren kann, zur anderen Hälfte um weiche
Daten, die sich dem Medizinökonomen natürlich verschließen,
die dieser möglichst nicht sehen möchte.
Ich möchte Sie also herzlich bitten, den Begriff Korridor im
Zusammenhang mit Leitlinien strikt zu vermeiden, denn er bringt
uns alle in Begründungszwang. Darauf können Sie bei Gott
verzichten.
Wer aus ökonomischen Gründen eine Obergrenze der Leitlinien
haben will, wer aus ökonomischen Gründen einen Korridor
einführen will, soll dies bitte sagen. Herr Hardt in Bremen
hat einen Gesinnungswandel vollzogen, Herr Kossow. Ich habe noch
vor Jahren mit ihm diskutiert; Herr Kolkmann ebenso. Wir erinnern
uns an das Bremer Symposium. Er wollte partout die Ökonomie
mit in die Leitlinien hineinnehmen. Hier ist eine strenge Trennung
von Wissenschaft und Ökonomie notwendig. Wir müssen uns
dagegen wehren, dass diejenigen, die aus ökonomischen Gründen
unser ärztliches Handeln beschränken wollen, sich eines
wissenschaftlichen Feigenblatts bedienen. Wir möchten, dass
sie mit offenem Visier sagen: Das ist finanziell nicht mehr möglich.
Wie wir uns dann verhalten, ist eine ganz andere Sache. Aber wir
möchten auf keinen Fall das Feigenblatt dafür abgeben.
Ich danke Ihnen.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Herr Professor Hoffmann. - Als nächster Redner
bitte Herr Ruebsam-Simon aus Baden-Württemberg.
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