Dr. Laun (als geladener Gast):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Dr. Bühren!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst vielen Dank
für die Möglichkeit des Sprechens. Ich möchte ganz
kurz einige Worte über mich selbst verlieren. Ich bin Chirurgische
Oberärztin an einem Krankenhaus der Maximalversorgung in Berlin.
Ich mache seit 15 Jahren Chirurgie. Ich habe zwei Schwerpunktanerkennungen:
Gefäß- und Viszeralchirurgie, ebenso Chirurgische Endoskopie.
Ich habe auch die Weiterbildungsbefugnis für die Spezielle
Chirurgische Intensivmedizin.
Ich möchte Ihnen kurz einige Zahlen vortragen. Für diese
Zahlen möchte ich Herrn Dr. Flenker von der Ärztekammer
Westfalen-Lippe ganz herzlich danken. Es kommen über die Jahre
1992 bis 2001 auf eine chirurgische Kollegin drei bis vier Kollegen
bezüglich der erteilten chirurgischen Anerkennungen. Bezüglich
der erteilten Befugnisse beträgt das Verhältnis zwischen
Chirurgen und Chirurginnen 120 : 1.
Das heißt, retrospektiv betrachtet - man kann das Leben nur
retrospektiv betrachten - habe ich in meinem beruflichen Leben viel
erreicht. Ich liebe meinen Beruf. Ich bin mit Leib und Seele Chirurgin.
Aber der persönliche Preis des bewussten - das sage ich mit
Ausrufezeichen - Verzichts auf Kinder und Familie ist retrospektiv
betrachtet hoch. Ich habe darauf bewusst verzichtet, weil ich der
Meinung bin, dass unter den bestehenden Strukturen durch die multifaktorielle
Anforderung die chirurgische Karriere mit der Familie nicht möglich
ist. Ich stünde heute hier nicht in dieser Funktion, wenn ich
mich vorher für ein Kind entschieden hätte. Ich stünde
auch nicht mehr hier, wenn ich mich heute für ein Kind entscheiden
würde.
Neben Klinikalltag, Teilnahme an Bereitschaftsdiensten, außerhalb
der Dienstzeiten angesetzten Besprechungen, wissenschaftlichen Tätigkeiten
und Vortragsvorbereitungen möchte ich kurz auf meine spezielle
individuelle Situation eingehen. Ich bin verheiratet mit einem Unfallchirurgen
in leitender Oberarztfunktion, der sich zurzeit habilitiert. Er
ist ein außergewöhnlich starker Mann, der mit einer starken
Frau leben kann, der aber definitiv im tradierten Rollenverhältnis
so fest verwurzelt ist, dass ihm nicht in den Sinn gekommen wäre,
zu seinem Chef zu gehen und zu sagen: Ich mache jetzt ein Jahr Babypause.
Das wäre definitiv nicht passiert. Die einzige Möglichkeit
wäre also gewesen, dass ich das tradierte Rollenverhältnis
eingehalten hätte - und das wollte ich bewusst nicht.
In einer Erhebung aus dem Jahre 2002 wird konstatiert, dass 40 Prozent
aller Akademikerinnen ab dem Jahrgang 1965 kinderlos sind und bleiben.
In ihrem neuen Buch "Biodemographie der Fruchtbarkeit"
der Soziologin Bobbi Low von der Universität Michigan wird
behauptet, dass Familienlinien von so genannten Karrierefrauen,
die aus beruflichen Gründen erst spät Kinder bekommen
können, aussterben.
Ich frage Sie heute und hier: Können wir uns das leisten? Daher
meine dringende Bitte: mehr Frauen in chirurgische Leitungspositionen
zur Berücksichtigung spezieller, weniger weiblicher Belange,
Einbindung chirurgischer Kolleginnen in kammer- und berufspolitische
Funktionen, Bildung eines kommunikativen Netzwerks für Frauen
mit Männern und unter Vernetzung mit dem männlichen Netzwerk
sowie Auf- und Ausbau eines Mentorinnenprogramms.
Ich wünsche mir, dass man in einigen Jahren vor dem Ärztetag
feststellen kann, dass der Paradigmenwechsel in den Köpfen
von Frauen und Männern vollzogen ist.
Vielen Dank.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Frau Kollegin Laun. - Ebenfalls von uns geladen ist
Herr Kollege Thielemann aus demselben Krankenhaus wie Frau Laun.
Bitte sehr.
|