TOP III : Ärztinnen: Zukunftsperspektive für die Medizin

3. Tag: Donnerstag, 30. Mai 2002 Vormittagssitzung

Dr. Laun (als geladener Gast):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Dr. Bühren! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst vielen Dank für die Möglichkeit des Sprechens. Ich möchte ganz kurz einige Worte über mich selbst verlieren. Ich bin Chirurgische Oberärztin an einem Krankenhaus der Maximalversorgung in Berlin. Ich mache seit 15 Jahren Chirurgie. Ich habe zwei Schwerpunktanerkennungen: Gefäß- und Viszeralchirurgie, ebenso Chirurgische Endoskopie. Ich habe auch die Weiterbildungsbefugnis für die Spezielle Chirurgische Intensivmedizin.

Ich möchte Ihnen kurz einige Zahlen vortragen. Für diese Zahlen möchte ich Herrn Dr. Flenker von der Ärztekammer Westfalen-Lippe ganz herzlich danken. Es kommen über die Jahre 1992 bis 2001 auf eine chirurgische Kollegin drei bis vier Kollegen bezüglich der erteilten chirurgischen Anerkennungen. Bezüglich der erteilten Befugnisse beträgt das Verhältnis zwischen Chirurgen und Chirurginnen 120 : 1.

Das heißt, retrospektiv betrachtet - man kann das Leben nur retrospektiv betrachten - habe ich in meinem beruflichen Leben viel erreicht. Ich liebe meinen Beruf. Ich bin mit Leib und Seele Chirurgin. Aber der persönliche Preis des bewussten - das sage ich mit Ausrufezeichen - Verzichts auf Kinder und Familie ist retrospektiv betrachtet hoch. Ich habe darauf bewusst verzichtet, weil ich der Meinung bin, dass unter den bestehenden Strukturen durch die multifaktorielle Anforderung die chirurgische Karriere mit der Familie nicht möglich ist. Ich stünde heute hier nicht in dieser Funktion, wenn ich mich vorher für ein Kind entschieden hätte. Ich stünde auch nicht mehr hier, wenn ich mich heute für ein Kind entscheiden würde.

Neben Klinikalltag, Teilnahme an Bereitschaftsdiensten, außerhalb der Dienstzeiten angesetzten Besprechungen, wissenschaftlichen Tätigkeiten und Vortragsvorbereitungen möchte ich kurz auf meine spezielle individuelle Situation eingehen. Ich bin verheiratet mit einem Unfallchirurgen in leitender Oberarztfunktion, der sich zurzeit habilitiert. Er ist ein außergewöhnlich starker Mann, der mit einer starken Frau leben kann, der aber definitiv im tradierten Rollenverhältnis so fest verwurzelt ist, dass ihm nicht in den Sinn gekommen wäre, zu seinem Chef zu gehen und zu sagen: Ich mache jetzt ein Jahr Babypause. Das wäre definitiv nicht passiert. Die einzige Möglichkeit wäre also gewesen, dass ich das tradierte Rollenverhältnis eingehalten hätte - und das wollte ich bewusst nicht.

In einer Erhebung aus dem Jahre 2002 wird konstatiert, dass 40 Prozent aller Akademikerinnen ab dem Jahrgang 1965 kinderlos sind und bleiben. In ihrem neuen Buch "Biodemographie der Fruchtbarkeit" der Soziologin Bobbi Low von der Universität Michigan wird behauptet, dass Familienlinien von so genannten Karrierefrauen, die aus beruflichen Gründen erst spät Kinder bekommen können, aussterben.

Ich frage Sie heute und hier: Können wir uns das leisten? Daher meine dringende Bitte: mehr Frauen in chirurgische Leitungspositionen zur Berücksichtigung spezieller, weniger weiblicher Belange, Einbindung chirurgischer Kolleginnen in kammer- und berufspolitische Funktionen, Bildung eines kommunikativen Netzwerks für Frauen mit Männern und unter Vernetzung mit dem männlichen Netzwerk sowie Auf- und Ausbau eines Mentorinnenprogramms.

Ich wünsche mir, dass man in einigen Jahren vor dem Ärztetag feststellen kann, dass der Paradigmenwechsel in den Köpfen von Frauen und Männern vollzogen ist.

Vielen Dank.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Frau Kollegin Laun. - Ebenfalls von uns geladen ist Herr Kollege Thielemann aus demselben Krankenhaus wie Frau Laun. Bitte sehr.

© 2002, Bundesärztekammer.