Dr. Calles, Bayern:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich
klarzustellen: Ich bin absolut für Gleichberechtigung. Das
Wort bedeutet aber auch, dass ich dann nicht gleichzeitig für
Bevorzugung sein kann. Frau Bühren, was Sie an Forderungen
aufgelistet haben, kann ich hundertprozentig unterstützen -
für Frauen und für Männer.
Wenn ich sehe, wie Ungleichgewichte inzwischen Platz greifen - beispielsweise
bekommt in München die Frau ab 60 Jahren den Seniorenpass für
die U-Bahn, die Männer ab 65 Jahren; vielleicht sterben die
Männer deshalb früher; hier wäre eine Ursachenforschung
notwendig, warum gar nicht so viele Männer früher sterben
als Frauen -, wenn ich betrachte, dass eine Frau, eine normale Lebenserwartung
unterstellt, ihren Seniorenpass 24 Jahre lang in Anspruch nehmen
kann, Männer nur 12 Jahre, dann ist das zumindest für
mich kein Zeichen von Gleichberechtigung.
Auch wenn ich die Regelarbeitszeit von Männern und Frauen betrachte,
muss ich sagen, dass die dort vorhandenen Unterschiede dazu führen
können, dass die Männer früher sterben als die Frauen.
Aber ich habe mich nicht hauptsächlich wegen dieser Fakten
zu Wort gemeldet. Ich möchte auf einen Missstand hinweisen,
der immer mehr um sich greift. Ich habe von einem Kollegen einen
Artikel aus der "Ärzte-Zeitung" vom 22. Mai mit dem
Titel: "Werden Frauen schlechter versorgt?" zugeschickt
bekommen. In diesem Artikel steht völlig undifferenziert, dass
bei herzkranken Frauen nur bei 11 Prozent Bypassoperationen durchgeführt
werden, bei Männern in 24 Prozent der Fälle. Eine Erklärung
dafür wird nicht geliefert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch nichts anderes als
der Vorwurf zwischen den Zeilen, dass die Frauen nicht adäquat
versorgt werden. Das ist im Prinzip der Vorwurf der unterlassenen
Hilfeleistung.
In demselben Artikel wird ausgeführt, dass die herzkranken
Männer zu 50 Prozent sofort die notwendigen Medikamente bekommen
haben, die Frauen nur in 30 Prozent der Fälle. Unterlassene
Hilfeleistung! Könnte das vielleicht der Grund für den
Ärztemangel sein, den wir langsam haben?
Letztes Jahr stand sogar die Aussage im Raum, dass Ärzte Frauen
kürzer reanimieren. Diese Aussage wurde bis heute nicht zurückgenommen.
Ich bin seit 20 Jahren als Notarzt tätig. Ich habe, egal ob
Mann oder Frau, so lange reanimiert, bis entweder der Tod feststand
oder der Patient bzw. die Patientin ins Leben zurückgeholt
worden ist. Ich weise solche Unterstellungen aufs Schärfste
zurück. Ich möchte davor warnen, dass solche Artikel in
Zukunft die Patienten auf das Stärkste verunsichern.
Ich danke Ihnen.
(Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Danke sehr, Herr Calles. - Die nächste Rednerin ist Frau Dr.
Koßmann aus Hamburg.
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