TOP III : Ärztinnen: Zukunftsperspektive für die Medizin

3. Tag: Donnerstag, 30. Mai 2002 Vormittagssitzung

Dr. Müller, Mecklenburg-Vorpommern:

Ich bin 45 Jahre, ich bin niedergelassen in Strasburg - das ist eine kleine Stadt im Osten von Mecklenburg-Vorpommern -; und dass ich seit 25 Jahren verheiratet bin, habe ich Ihnen bereits gestern gesagt. Das interessiert wahrscheinlich niemanden, nicht einmal meinen Mann, dem ich gestern gesagt habe, dass ich diese Aussage machen werde. Er fragte nur: Warum hältst du dich nicht zurück? Ich kann mich aber nicht zurückhalten; ich bin eine so genannte Ostfrau. Mir ist es gleichgültig, wie ich betitelt werde.

Ich habe zwei Kinder im Alter von 18 und 19 Jahren. Sie sind mittlerweile dabei, Abitur zu machen. Als meine Kinder klein waren, waren sie sehr oft krank. Wir hatten zwar einen Kindergartenplatz, aber was hat mir dieser Kindergartenplatz genutzt? Wenn die Kinder krank waren, konnten sie nicht in den Kindergarten gehen.

Vielleicht bin ich ein bisschen sehr ehrgeizig; manche sagen dies hinter vorgehaltener Hand. Aber ich weiß, dass ich jede Menge vom Leben will. Ich bin Waage-Frau, habe ein Samaritergemüt. Ich habe so viele Ticks, dass dies nur mein Mann aushalten kann.

Es wird immer gesagt, wir hätten zu Ostzeiten besondere Bedingungen gehabt. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Wir hatten eine Zweiraumwohnung, und das bei zwei kleinen Kindern, die oft krank waren. Ich war eine ehrgeizige Ärztin, die promovieren wollte. Mein Mann hat mir den Weg mit geebnet. Er ist zu Hause geblieben, als die Kinder krank waren, hat sie betreut, obwohl er kein Arzt ist. Er war in einer leitenden Position für die Ausbildung von Lehrlingen in der Landwirtschaft. Diese leitende Position hat er leider, weil er bei unseren Kindern war, aufgeben müssen. Bereits damals gab es schon ein wenig Mobbing.

Als 1989 die Wende kam, war ich Facharzt, ich war promoviert. Trotz Zweiraumwohnung haben wir das alles irgendwie hinbekommen. Dann bekam ich zu meinem großen Erstaunen die Kündigung. Ich war in einer Poliklinik tätig. Ich hätte mich da auf acht Stunden einrichten können. Ich hatte ein Gehalt, das nicht üppig war, aber woher sollten wir wissen, was ein Arzt verdient?
Ich bekam ebenso wie der Ärztliche Direktor und auch der Hausmeister die Kündigung. Ich war also nicht besonders betroffen, es traf ja alle gleich. Ich habe mich daraufhin niedergelassen. Seither bin ich in einer Praxisgemeinschaft tätig.

Wir haben ein Haus gebaut, aber nicht von meinem Taschengeld. Gestern bin ich bei einem Interview, das ich nicht gern geben wollte, gefragt worden, wie viele Schulden ich denn hätte. Ich will hier keine Summe nennen, weil Sie selber wissen, was ein Haus kostet. Ich habe für dieses Haus keine Putzfrau, ich habe auch nicht meinen Mann dafür umfunktioniert. Ich versuche, es allein zu schaffen, auch mithilfe meiner Kinder, die das aber auch nicht so gern tun. Die Jugendlichen heute sind nicht ganz leicht. Ich bin seit Gründung unserer Kammer Mitglied der Kammerversammlung. Weil ich immer ein bisschen vorneweg bin, bin ich mittlerweile in vier Ausschüssen und außerdem noch in Köln tätig, weil ich unser Land in der Deutschen Akademie für Allgemeinmedizin vertrete. Nach meiner Sprechstunde fahre ich 150 Kilometer weit. Es wäre günstig, wenn ich eine Autobahn benutzen könnte. Sie ist hoffentlich bald fertig gestellt. Vielleicht werde ich nicht wieder gewählt, dann nutzt mir die Autobahn nichts.

(Heiterkeit)

Ich brauche für diese Strecke zweieinhalb bis drei Stunden. Nach Schluss der Sitzung fahre ich wieder nach Hause.

Jetzt werden Sie sich fragen: Warum stellt die sich hierhin und sagt das alles? Ich stelle die Gegenfrage: Was ist Karriere? Habe ich Karriere gemacht? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eines: Ich liebe meinen Beruf, ich liebe meinen Mann. Ich glaube, umgekehrt ist es genauso. Es wäre schön, wenn mein Mann jetzt hier wäre.

Was braucht man viel zum Leben? Ich bin mit meinem Leben zufrieden. Ich danke Frau Goesmann für ihre Ausführungen. Ich wusste gar nicht, dass sie das Gleiche aussagt.

Danke.

(Lebhafter Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Schönen Dank. Das war schon eine sanfte Einstimmung auf die Abstim-mungen. - Als nächster Redner bitte Herr Lang aus Hessen.

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