Dr. Müller, Mecklenburg-Vorpommern:
Ich bin 45 Jahre, ich bin niedergelassen in Strasburg - das ist
eine kleine Stadt im Osten von Mecklenburg-Vorpommern -; und dass
ich seit 25 Jahren verheiratet bin, habe ich Ihnen bereits gestern
gesagt. Das interessiert wahrscheinlich niemanden, nicht einmal
meinen Mann, dem ich gestern gesagt habe, dass ich diese Aussage
machen werde. Er fragte nur: Warum hältst du dich nicht zurück?
Ich kann mich aber nicht zurückhalten; ich bin eine so genannte
Ostfrau. Mir ist es gleichgültig, wie ich betitelt werde.
Ich habe zwei Kinder im Alter von 18 und 19 Jahren. Sie sind mittlerweile
dabei, Abitur zu machen. Als meine Kinder klein waren, waren sie
sehr oft krank. Wir hatten zwar einen Kindergartenplatz, aber was
hat mir dieser Kindergartenplatz genutzt? Wenn die Kinder krank
waren, konnten sie nicht in den Kindergarten gehen.
Vielleicht bin ich ein bisschen sehr ehrgeizig; manche sagen dies
hinter vorgehaltener Hand. Aber ich weiß, dass ich jede Menge
vom Leben will. Ich bin Waage-Frau, habe ein Samaritergemüt.
Ich habe so viele Ticks, dass dies nur mein Mann aushalten kann.
Es wird immer gesagt, wir hätten zu Ostzeiten besondere Bedingungen
gehabt. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Wir hatten eine Zweiraumwohnung,
und das bei zwei kleinen Kindern, die oft krank waren. Ich war eine
ehrgeizige Ärztin, die promovieren wollte. Mein Mann hat mir
den Weg mit geebnet. Er ist zu Hause geblieben, als die Kinder krank
waren, hat sie betreut, obwohl er kein Arzt ist. Er war in einer
leitenden Position für die Ausbildung von Lehrlingen in der
Landwirtschaft. Diese leitende Position hat er leider, weil er bei
unseren Kindern war, aufgeben müssen. Bereits damals gab es
schon ein wenig Mobbing.
Als 1989 die Wende kam, war ich Facharzt, ich war promoviert. Trotz
Zweiraumwohnung haben wir das alles irgendwie hinbekommen. Dann
bekam ich zu meinem großen Erstaunen die Kündigung. Ich
war in einer Poliklinik tätig. Ich hätte mich da auf acht
Stunden einrichten können. Ich hatte ein Gehalt, das nicht
üppig war, aber woher sollten wir wissen, was ein Arzt verdient?
Ich bekam ebenso wie der Ärztliche Direktor und auch der Hausmeister
die Kündigung. Ich war also nicht besonders betroffen, es traf
ja alle gleich. Ich habe mich daraufhin niedergelassen. Seither
bin ich in einer Praxisgemeinschaft tätig.
Wir haben ein Haus gebaut, aber nicht von meinem Taschengeld. Gestern
bin ich bei einem Interview, das ich nicht gern geben wollte, gefragt
worden, wie viele Schulden ich denn hätte. Ich will hier keine
Summe nennen, weil Sie selber wissen, was ein Haus kostet. Ich habe
für dieses Haus keine Putzfrau, ich habe auch nicht meinen
Mann dafür umfunktioniert. Ich versuche, es allein zu schaffen,
auch mithilfe meiner Kinder, die das aber auch nicht so gern tun.
Die Jugendlichen heute sind nicht ganz leicht. Ich bin seit Gründung
unserer Kammer Mitglied der Kammerversammlung. Weil ich immer ein
bisschen vorneweg bin, bin ich mittlerweile in vier Ausschüssen
und außerdem noch in Köln tätig, weil ich unser
Land in der Deutschen Akademie für Allgemeinmedizin vertrete.
Nach meiner Sprechstunde fahre ich 150 Kilometer weit. Es wäre
günstig, wenn ich eine Autobahn benutzen könnte. Sie ist
hoffentlich bald fertig gestellt. Vielleicht werde ich nicht wieder
gewählt, dann nutzt mir die Autobahn nichts.
(Heiterkeit)
Ich brauche für diese Strecke zweieinhalb bis drei Stunden.
Nach Schluss der Sitzung fahre ich wieder nach Hause.
Jetzt werden Sie sich fragen: Warum stellt die sich hierhin und
sagt das alles? Ich stelle die Gegenfrage: Was ist Karriere? Habe
ich Karriere gemacht? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur
eines: Ich liebe meinen Beruf, ich liebe meinen Mann. Ich glaube,
umgekehrt ist es genauso. Es wäre schön, wenn mein Mann
jetzt hier wäre.
Was braucht man viel zum Leben? Ich bin mit meinem Leben zufrieden.
Ich danke Frau Goesmann für ihre Ausführungen. Ich wusste
gar nicht, dass sie das Gleiche aussagt.
Danke.
(Lebhafter Beifall)
Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Schönen Dank. Das war schon eine sanfte Einstimmung auf die
Abstim-mungen. - Als nächster Redner bitte Herr Lang aus Hessen.
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