TOP VI : Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

4. Tag: Freitag, 31. Mai 2002 Vormittagssitzung

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Wir kommen zum Antrag auf Drucksache VI-75. Der Antrag von Herrn Sanitätsrat Dr. Orth aus Rheinland-Pfalz lautet:

Bundesregierung und Krankenkassen werden aufgefordert, die unverantwortlichen Einengungen und die Überbürokratisierung in der ambulanten Krankenpflege schnellstmöglich zu beenden.

Gibt es eine Gegenrede? - Bitte, Herr Kollege von Zastrow.

Dr. von Zastrow, Niedersachsen:

Das Hauptproblem der ambulanten Pflege ist nicht die Bürokratisierung. Das Problem ist, dass die Leistungen der Pflegekasse pro Pflegestufe seit 1995 nicht dynamisiert sind. Die Pflegeeinrichtungen müssen also jedes Jahr, wenn man die Preissteigerungen und die Gehaltssteigerungen abzieht, praktisch sinkende Einnahmen, an dem realen Kaufwert gemessen, hinnehmen. Eigentlich müsste man auch noch die Dynamisierung der Pflegeleistungen verlangen, wie das auch in anderen Sozialversicherungssystemen üblich ist.

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Schönen Dank. - Jetzt Herr Orth.

Dr. Orth, Rheinland-Pfalz:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie bitten, den Antrag anzunehmen, und zwar nicht nur deshalb, weil ich - ebenso wie Herr Montgomery - heute Geburtstag habe.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Herzlichen Glückwunsch! Warum verrät einem das niemand?

Dr. Orth, Rheinland-Pfalz:

Ich bin in mehreren Funktionen der Landesärztekammer und auch im Kuratorium einer Sozialstation mit der Thematik befasst. Die Sozialstationen gehen zum Teil bankrott, zum Teil sind sie nahe dran. Das ganze Pflegesystem kann zusammenbrechen. Wir müssen dringend unsere Stimme erheben.

Im Übrigen ist es so: Wenn wir zum Pflegebereich unsere Stimme erheben, können wir nicht mit dem Totschlagargument niedergemacht werden, als redeten wir nur über unzureichende Honorare, so nach dem Motto: Denen geht es ja nur um ihr Geld! Hier geht es um ein entscheidendes Problem gerade der hausärztlichen Versorgung. Die Leistungen können dort kaum noch erbracht werden, wenn so massive Einsparungen verlangt werden. Ein Beispiel: Bei einem manisch-depressiven insulinpflichtigen Diabetiker, der regelmäßig isst oder nicht isst - wir wissen: zur optimierten Diabetestherapie gehört, dass man sechsmal am Tag den Blutzucker misst und danach injiziert -, hat die Krankenkasse verfügt, dass die Sozialstation nur noch einmal pro Woche den Blutzucker messen darf. Als ich mich dagegen gewehrt habe, hieß es: Sie können ja selber öfter hingehen und das tun!

Wenn ich das tue, geht das auf Kosten des Punktwertes meiner Fachkollegen.

Ein anderes Beispiel: Ein etwa 35-jähriger junger Mann, der mit 16 Jahren durch einen Mopedunfall eine hohe Querschnittslähmung erlitten hat, außerdem im letzten Jahr noch ein Hodenkarzinom bekam, nach der Operation in einer Fachklinik war, wo er ausdrücklich bescheinigt bekommen hat, dass er täglich katheterisiert werden muss, bekam von der Krankenkasse eine Ablehnung. Der Patient trat in den Hungerstreik. Ich habe mit der Krankenkasse telefoniert, dort wurde mir versprochen, es weiterzuleiten. Das geschah nicht. Wir konnten gerade noch verhindern, dass der Betreffende durch seinen Hungerstreik ums Leben kam.

Hier müssen wir unsere Stimme erheben.

(Beifall)

Prof. Dr. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Schönen Dank, Herr Orth.

(Zuruf: Vorstandsüberweisung!)

- Es ist Vorstandsüberweisung beantragt. Wer möchte den Antrag dem Vorstand überweisen? - Wer ist dagegen? - Das ist die Mehrheit. Wer möchte dem Antrag zustimmen? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit klarer Mehrheit angenommen.

Noch einmal herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Hat noch jemand Geburtstag? - Das ist nicht der Fall.

© 2002, Bundesärztekammer.