Der Beruf der Ärztin im Spiegel der Statistik
Im Jahr 1900 wurde es Frauen in Deutschland erstmals ermöglicht,
ein Studium der Humanmedizin aufzunehmen. Wie sieht - mehr als
100 Jahre später - die berufliche Situation der Ärztinnen
aus?
Nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts aus dem Jahr 2000
zur Beliebtheit von Berufen bei 14-jährigen steht der ärztliche
Beruf bei den Mädchen auf dem zweiten Platz der Hitliste
für Traumberufe, hingegen bei den Jungen nicht mehr auf den
ersten zehn Plätzen. Dieser Trend ist auch später festzustellen,
denn es entscheiden sich heute mehr Frauen als Männer für
ein Medizinstudium: 62 % der Studienanfänger des Wintersemesters
2000/2001 waren Frauen und über alle laufenden Semester gesehen
liegt der Frauenanteil bei insgesamt 53 %. Auch begaben sich im
Jahr 2001 deutlich mehr Frauen als Männer in die "Ärztin/Arzt
im Praktikum" Phase als noch im Vorjahr. Der Anteil an Frauen
in der Medizin mit derzeit 40 %, gemessen an der Gesamtzahl aller
Ärzte, ist im Gegensatz zu anderen qualifizierten Berufen
in den letzten 100 Jahren beachtlich gestiegen.
Obwohl viele Frauen den ärztlichen Beruf wählen und
ausüben, zeigt sich in den unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen
ein großer Unterschied bei den Karriere-möglichkeiten
von Ärztinnen und Ärzten.
Allgemeine Situation von Ärztinnen
Nach wie vor sind Ärztinnen mit Fachärztinnen-Qualifikation
in leitenden Positionen der Krankenhäuser unterrepräsentiert.
Nur jede zehnte leitende Stelle in Krankenhäusern ist mit
einer Ärztin besetzt. In der Chirurgie nehmen sogar nur 1,4
% der Ärztinnen eine leitende Stelle ein. Es ist offensichtlich,
dass Strukturen für die Karriereförderung von Ärztinnen
fehlen, auch für diejenigen, die bewusst auf Kinder verzichtet
haben, um sich ganz dem Beruf zu widmen. Gemäß einer
Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend werden 32 % der Frauen aus der Alterskohorte 1965 kinderlos
sein, unter den Akademikerinnen 40 %. Für diejenigen, die
sich für Beruf und Familie entschieden haben, führt
die Leistungsverdichtung bei verminderten Planstellen zu einer
enormen Arbeitsbelastung und damit zur Ausgrenzung. Kindertagesstätten,
die eine wesentliche Hilfe für Ärztinnen und Ärzte
mit Familienverantwortung darstellen könnten, fehlen an Krankenhäusern.
In der ehemaligen DDR war dieses Problem nahezu flächendeckend
gelöst, so dass Frauen wie selbstverständlich den ärztlichen
Beruf mit ihrer Familie vereinbaren konnten. 1991 betrug der Anteil
der berufstätigen Ärztinnen an allen berufstätigen
Ärzten in den Bundesländern West 29 %, hingegen in den
Bundesländern Ost über 52 %. Diese Zahlen erlauben die
Schlussfolgerung, dass soziale und politische Rahmenbedingungen
maßgeblich mitbestimmen, ob sich Ärztinnen beruflich
entfalten können oder nicht.
Flexible Arbeitszeitmodelle in Krankenhäusern
Nach wie vor sind flexible Arbeitszeitmodelle in Krankenhäusern
nicht ausreichend etabliert. Dabei könnten diese Modelle
den Krankenhäusern unübersehbare Vorteile bieten, wie
die Reduzierung der Anzahl der Bereitschaftsdienste und Überstunden
durch die höhere Anzahl des Personals sowie größere
Flexibilität beim Ausfall von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
durch Urlaub, Krankheit etc.. Flexible Arbeitszeitmodelle sind
insbesondere für den Berufsein- und -ausstieg, für den
Erwerb von Zusatzqualifikationen sowie für die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie von Vorteil. In bestimmten Bereichen der
Medizin sind für Ärztinnen flexible Arbeitszeiten sowie
Aufstiegschancen bereits möglich, so beispielsweise in Behörden
wie dem Öffentlichen Gesundheitsdienst oder in der Arbeitsmedizin.
Ärztinnen im niedergelassenen Bereich
Ein Drittel aller ambulant in einer Praxis tätigen Ärzte
sind Ärztinnen. Von allen berufstätigen Ärztinnen
wählten 42 % im Jahr 2001 die Niederlassung zur ambulanten
Versorgung. Dies bedeutet, dass für Ärztinnen die Niederlassung
eine Alternative für die Krankenhaustätigkeit darstellt.
Ein zentrales Anliegen der Ärztinnen-Gremien der Bundesärztekammer,
die Arbeitszeit zu flexibilisieren, indem Vertragsarztstellen
auf mehrere Ärztinnen und Ärzte aufgeteilt werden können,
wurde im Sozialgesetzbuch V, in den Bedarfsplanungs-Richtlinien
und in den Angestellten-Ärzte-Richtlinien berücksichtigt.
Eine 1998 durchgeführte Erhebung zur Belastung von niedergelassenen
Ärztinnen und Ärzten in Hamburg ergab, dass es gerade
für Ärztinnen von Vorteil ist, in Gemeinschaftspraxen
oder Praxisgemeinschaften tätig zu sein. Neben den medizinisch
qualifizierten und kollegialen Informationsaustausch bietet diese
Tätigkeit die Chance der gegenseitigen Vertretung und Kostenteilung.
Diejenigen Ärztinnen, die Job Sharing in Anspruch nehmen,
nannten als Gründe für diese Entscheidung in erster
Linie Kindererziehung, dann Freizeit oder altersbedingte und gesundheitliche
Gründe.
Karrierechancen für Ärztinnen an Universitäten
Bisher haben Ärztinnen auch bei gleicher oder sogar besserer
Qualifikation unterdurchschnittliche Karrierechancen an deutschen
Universitäten. Diese im internationalen Vergleich deutlich
schlechtere Situation muss grundlegend verändert werden.
In den vergangenen drei Jahren wurden in der Bundesrepublik erstmalig
Lehrstühle in der Frauenheilkunde und in der Chirurgie mit
Frauen besetzt. Der Anteil der Lehrstuhlinhaberinnen an den medizinischen
Fakultäten spricht für sich: im Jahr 2001 betrug der
Frauenanteil bei C4-Professorinnen in den klinischen Abteilungen
nur 2,8 %, bei den C3-Professorinnen lag er bei 6,6 %. Das bedeutet,
dass die mit Einfluss, Macht und Entscheidungsbefugnis ausgestatteten
Positionen in den Universitäten nach wie vor zu über
90 % von Männern eingenommen werden. Der Verzicht auf die
Humanressourcen der Frauen stellt eine volkswirtschaftliche Verschwendung
dar, die sich die heutige Gesellschaft nicht mehr leisten kann.
Ärztinnen in der ärztlichen Selbstverwaltung
Ärztinnen sind nicht entsprechend ihrem Anteil in der ärztlichen
Versorgung in den Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung
angemessen vertreten. Die Erfahrung von Ärztinnen muss verstärkt
in die Arbeit der Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung
einfließen, denn hier werden die Weichen für die Berufstätigkeit
von Ärztinnen und Ärzten gestellt. Die Erfahrung von
Ärztinnen muss auch im Hinblick auf die Patientinnen- und
Patienten-Versorgung einfließen.
Auf Grund der spezifischen Berufswege von Ärztinnen ergeben
sich Nachteile in der Weiterbildung, der Niederlassung, den allgemeinen
Karrierechancen und in der Altersversorgung. Dieses Wissen sollte
gemäß den Zielsetzungen des Bundesgremienbesetzungsgesetzes
von 1994 stärker in alle Gremien der Selbstverwaltung eingebracht
werden. Ein erfolgreiches Beispiel stellt die Änderung des
Heilberufsgesetzes in Schleswig-Holstein von 1996 dar. Die Wahlordnung
dieser Ärztekammer wurde dahingehend geändert, dass
in jedem Wahlvorschlag mindestens so viele Bewerberinnen und Bewerber
enthalten sind, wie es erforderlich ist, um die anteilige Verteilung
der Sitze in der Kammerversammlung auf Frauen und Männer
zu ermöglichen. Darauf hin stieg der Ärztinnen-Anteil
in der Delegiertenversammlung bei den Kammerwahlen 2001 von vorher
21 % auf 37,2 % an, welcher dem Anteil der Ärztinnen unter
den Kammermitgliedern entspricht.
Ärztinnen als Chance zur Behebung des Ärztemangels
Derzeit entwickelt sich die prognostizierte "Ärzteschwemme"
zu einem zunehmenden "Ärztemangel". Zwar ist die
Zahl der Studienanfänger von 12.000 in den letzen acht Jahren
relativ konstant geblieben, aber die Zahl der Studienabschlüsse
um 20 % rückläufig. Die Zahl der Studienabbrecher steigt
kontinuierlich an. Die Zahl der Ärztinnen/Ärzte im Praktikum
ist um ein Viertel gesunken. Hinzu kommt, dass in den nächsten
Jahren mehr Ärztinnen und Ärzte in den Ruhestand gehen
als nachwachsen, insbesondere in den östlichen Bundesländern
wird sich der Ärztemangel dramatisch verstärken. Dem
muss wirksam begegnet werden.
Ein Lösungsweg wäre, Ärztinnen, die aus unterschiedlichsten
Gründen keine ärztliche Tätigkeit ausüben,
die Möglichkeit zur Integration in den Arbeitsprozess zu
geben. Von den fast 150.000 Ärztinnen in Deutschland ist
jede vierte Ärztin "ohne ärztliche Tätigkeit".
Auch wenn berücksichtigt werden muss, dass sich einige Ärztinnen
im Ruhestand befinden oder in andere Berufsfelder abgewandert
sind, stellt diese Gruppe ein großes Potenzial für
den ärztlichen Arbeitsmarkt dar.
Forderungen an Staat und Selbstverwaltung
Vor diesem Hintergrund sieht es der Deutsche Ärztetag als
eine wichtige Aufgabe der Gesellschafts- und Berufspolitik an,
Rahmenbedingungen zu schaffen, die bewirken, dass qualifizierte
Ärztinnen unter Einbeziehung des Gender Mainstreaming Chancen
erhalten, in ihrem Beruf tätig zu werden und zu bleiben,
sich beruflich zu entfalten und ihre Kompetenzen sowohl in Leitungspositionen
als auch in berufspolitische Gremien einzubringen. Bei gleicher
fachlicher Qualifikation sind bei Ärztinnen auf Grund ihrer
spezifischen Lebenswege die Kenntnisse und die Kompetenzen, Organisationstalent,
Teamfähigkeit sowie soziale und kommunikative Fähigkeit
besonders ausgeprägt. Dies bietet einen wertvollen Faktor
für Medizin und Forschung. Deshalb fordert der Deutsche Ärztetag:
1. Die Krankenhäuser werden aufgerufen, vermehrt flexible
Arbeitszeitmodelle sowie Weiterbildung in Teilzeit und auch Altersteilzeitmodelle
etc. in den Kliniken zu etablieren. Auch könnten vermehrt
Ärztinnen und Ärzte in der Elternzeit im Krankenhaus
als Urlaubs- und Krankheitsvertretung eingesetzt werden. Die Kliniken
profitieren davon, wenn kurzfristig Ersatz für Ausfälle
gefunden werden kann und die so im Arbeitsprozess integrierten
Ärztinnen und Ärzte hierdurch ihre Fachkompetenz erhalten
können.
2. An den Gesetzgeber wird appelliert, durch Änderung der
Rechtsgrundlagen eine flexiblere Handhabung des Job Sharing und
anderer Teilzeitmodelle zu ermöglichen. Ferner sollte schon
nach fünfjähriger gemeinsamer Tätigkeit in einer
Job Sharing Praxis eine Umwandlung in Vollzulassung möglich
sein. Durch Erweiterung der Regelungen der Zulassungsverordnung
soll es Vertragsärztinnen und -ärzten ermöglicht
werden, ihre Tätigkeit in der Praxis bei gleichzeitiger Kindererziehung
durch den Einsatz von Entlastungsassistenten oder einen Vertreter
fortzuführen. Mehr Planungs- und Investitionssicherheit muss
durch geeignete Rahmenbedingungen herbeigeführt werden. Die
Befreiungsgründe für die Verpflichtung zum ärztlichen
Notfalldienst sollen sich auch auf die Erziehungsjahre kleiner
Kinder erstrecken.
3. An die Landesärztekammern wird appelliert, als Teil ihres
Aufgabenspektrums Ärztinnen beratend zur Seite zu stehen
sowie Einstiegs- und Wiedereinstiegskurse für Ärztinnen
kontinuierlich anzubieten, damit diejenigen, die längere
Zeit keiner ärztlichen Tätigkeit nachgegangen sind,
wieder in den Arbeitsprozess integriert werden können. Hierbei
sollten auch neustrukturierte Einstiegs- und Wiedereinstiegskurse
für Ärztinnen in unterschiedlichen Modellen erprobt
werden. Die Kammern werden ferner gebeten, auf die Weiterbildungsbefugten
in Klinik und Praxis einzuwirken, ihre Pflichten gegenüber
den Weiterzubildenden mit Mitarbeiterinnengesprächen zu erfüllen
sowie sie positiv als Mentor zu begleiten, insbesondere beim Übergang
vom Studium ins Berufsleben.
4. Bund, Länder, Kommunen, Universitäten und Krankenhausgesellschaften
werden aufgefordert, flächendeckend Kindertagesstätten
einzurichten, damit Ärztinnen mit Familie berufstätig
bleiben können. Die gemeinsame Selbstverwaltung von Krankenhäusern
und Krankenkassen wird gebeten, Kindertagesstätten der Krankenhäuser
bei der Kalkulation der DRGs zu berücksichtigen.
5. Bund und Länder werden aufgefordert, das Angebot an Ganztagsschulen
bundesweit deutlich zu erhöhen.
6. Bund-Länder-Kommission und Universitäten werden
aufgefordert, geschlechtsdifferenzierte Datenanalysen im Hinblick
auf die Ausbildungssituation von Studentinnen und Studenten der
Humanmedizin zu erstellen.
7. Ferner wird das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend aufgefordert, die Mutterschutzgesetzgebung den
heutigen Gegebenheiten zeitgemäß anzupassen. An die
Landesregierungen wird appelliert, die entsprechenden Mutterschutzbestimmungen
nicht zu restriktiv auszulegen, damit Ärztinnen nicht unnötigerweise
aus ihrem Beruf ausgegrenzt werden. An die Ärztlichen Versorgungswerke
wird appelliert zu prüfen, inwieweit auch bei den Versorgungswerken
Kindererziehungszeiten berücksichtigt werden können.
8. Das Programm des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft
zur "Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre",
welches zum Ziel hat, bis zum Jahr 2005 den Professorinnenanteil
auf 20 % anzuheben, wird begrüßt. Ferner wird die Förderung
des Kompetenzzentrums für Frauen in der Wissenschaft und
Forschung begrüßt, das eine international ausgerichtete
Koordinierungsstelle für alle Aktivitäten im Bereich
Frauen in Wissenschaft und Forschung darstellt. Es führt
Pilotprojekte zum Gender Mainstreaming, zum Karriere- und Bewerbungstraining
sowie Coaching für zukünftige Professorinnen durch und
baut eine als Nachwuchsbörse dienende Datenbank für/von
Wissenschaftlerinnen auf.
9. Bund und Länder, Medizinischer Fakultätentag und
wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaften werden aufgefordert,
Berufungsverfahren für C4- und C3-Professuren einheitlich
für beide Geschlechter an Hochschulen zu gestalten. Bei der
Auswahl der Gutachter in Berufungsverfahren, bei der Platzierung
von Namensvorschlägen auf Berufungslisten sowie bei der Besetzung
der Berufungskommissionen ist darauf zu achten, dass immer auch
Professorinnen beteiligt werden. Die Berufungsverfahren müssen
nach einheitlichen Kriterien ablaufen, so dass sie in allen ihren
Phasen rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen und für
alle Beteiligten geschlechtsgerecht, transparent und überprüfbar
sind. Es müssen standardisierte Beurteilungskriterien für
fachliche Qualifikation und persönliche Eignung angewendet
werden. So dürfen Altersgrenzen kein Entscheidungskriterium
darstellen und neben der fachlichen Qualifikation müssen
insbesondere auch didaktische, soziale und organisatorische Fähigkeiten
stärkere Berücksichtigung finden, interdisziplinäre
Forschungsansätze stärker gewichtet werden und die Frauenforschung
die ihr gebührende Wertschätzung erfahren.
Ferner müssen strukturelle Netzwerke im Sinne eines Mentoring
zur gegenseitigen Hilfeleistung aufgebaut werden. Im ärztlichen
Beruf kommt - im Gegensatz zu anderen Professionen - noch hinzu,
dass neben der Tätigkeit in Forschung und Lehre auch die
Patientenversorgung in der Klinik zu bewältigen ist. Dies
bedeutet, dass anfallende Nacht- und Wochenenddienste zusätzliche
Anforderungen an Ärztinnen stellen, auch im Hinblick auf
die Organisation der Kinderbetreuung. Auf Grund dieser Doppelbelastung
sowie der beruflichen Weiterbildung und Forschung benötigen
ärztliche Wissenschaftlerinnen mehr Zeit für die Erlangung
ihrer wissenschaftlichen Qualifikationen. Dieser Umstand muss
bei der Befristung von Arbeitsverträgen des wissenschaftlichen
Personals und bei der Altersbegrenzung für den Zugang zur
Juniorprofessur im Hochschulrahmengesetz berücksichtigt werden.
10. Der Deutsche Ärztetag appelliert an die ärztlichen
Selbstverwaltungsorgane, eine repräsentative Besetzung ihrer
Entscheidungsgremien mit Ärztinnen herbeizuführen, wie
es beispielsweise durch die Regelungen des Heilberufsgesetzes
von Schleswig-Holstein gelungen ist.