Dienstag, 20. Mai 2003, 10.00 Uhr
Kölner Philharmonie
(Musikalische Einleitung: Georg
Friedrich Händel: D-Dur-Suite aus der „Wassermusik“;
Düsseldorfer Ärzteorchester, Leitung: Jürgen Schmeer)
Dr. Arnold Schüller, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein:
Verehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein freue ich mich, Sie ganz
herzlich heute zum Auftakt unseres 106. Deutschen Ärztetages hier in Köln
begrüßen zu können. Wir haben gerade, von Ärzten dargeboten, nämlich vom
Düsseldorfer Ärzteorchester, wunderschöne Barockmusik gehört. Das geschah im
Einklang miteinander, denn alle haben zusammen gespielt. Ärzte können das auch!
(Beifall)
Sie sehen: Wenn wir das tun, was wir können, kommt dabei
etwas Wunderbares heraus.
(Beifall)
Ich freue mich, dass so viele inländische und insbesondere
auch ausländische Gäste unserer Einladung zu dieser Veranstaltung gefolgt sind.
Ich begrüße Sie alle ganz herzlich.
Insbesondere möchte ich Frau Ministerin Ulla Schmidt
begrüßen.
(Beifall)
Sie sind auf Bundesebene für die Gesundheitspolitik
zuständig - sicherlich keine leichte Aufgabe. Sie werden heute hier auch keine
leichte Aufgabe haben; das ist ganz sicher. Aber ich denke, wir empfangen Sie
herzlich und freuen uns auf Ihre Ausführungen.
(Beifall)
Wir freuen uns auch, dass aus dem Bundestag Frau
Widmann-Mauz, die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, zu uns
gekommen ist,
(Beifall)
ebenso Herr Dr. Wolf Bauer, Mitglied des
Bundestagsausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung, Mitglied der
CDU/CSU-Fraktion,
(Beifall)
ferner Herr Detlef Parr, Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion
und seit vielen Jahren sehr häufig bei unseren Veranstaltungen anwesend.
(Beifall)
Ich freue mich, dass Frau Ministerin Birgit Fischer,
Ministerin für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes
Nordrhein-Westfalen und für die Ärztekammer Nordrhein zuständig, zu uns
gekommen ist und auch zu uns sprechen wird. Vielen Dank, Frau Ministerin.
(Beifall)
Ich begrüße alle weiteren Abgeordneten des Landtages
Nordrhein-Westfalen, die heute den Weg zu uns gefunden haben.
Vielleicht halten wir unseren Ärztetag für eine längere Zeit
zum letzten Mal in dieser herrlichen Stadt Köln ab - ich glaube, es ist bereits
der elfte Deutsche Ärztetag in Köln nach dem Krieg -, bisher auch Sitz der
Bundesärztekammer, die demnächst nach Berlin umzieht. Ich begrüße ganz
besonders den Oberbürgermeister der Stadt Köln, Herrn Fritz Schramma, der gleich
zu uns sprechen wird. Vielen Dank.
(Beifall)
Ich freue mich besonders, als Ehrenpräsidenten des 106.
Deutschen Ärztetages Herrn Professor Bachmann begrüßen zu können, lange Jahre
Ordinarius für Kinderheilkunde an der Universität Münster, ein Pionier in der
Kinderonkologie, in der Kinderintensivmedizin, in der Kinderdialyse und in der
Kindernephrologie. Es gibt von ihm über 200 Veröffentlichungen. Wir freuen uns,
einen solchen Mann als Ehrenpräsidenten des diesjährigen Ärztetages gewonnen zu
haben.
(Beifall)
Des Weiteren begrüße ich Herrn Dr. Ulrich Oesingmann, den
Vorsitzenden des Bundesverbandes der Freien Berufe.
(Beifall)
Ich begrüße den Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung, Herrn Dr. Richter-Reichhelm, der bereits gestern die Vertreterversammlung
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geleitet hat.
(Beifall)
Ich begrüße Herrn Professor Dr. Albrecht Encke, den
Präsidenten der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften,
(Beifall)
und Herrn Staatssekretär a. D. Karl Jung, der in der
Gesundheitspolitik noch immer ordentlich mitmischt.
(Beifall)
Ganz besondere Grüße gelten in unseren eigenen Reihen Herrn
Professor Dr. Dr. h. c. Karsten Vilmar, dem Ehrenpräsidenten des Vorstands der
Bundesärztekammer, der lange Jahre den Deutschen Ärztetag geleitet hat und uns
dort immer ein guter Versammlungsleiter war, ein kantiger Versammlungsleiter,
der uns sicher nicht so schnell aus der Erinnerung verschwinden wird. Wir
danken ihm auch heute noch dafür.
(Beifall)
- Das „kantig“ war nicht böse gemeint; rund ist oft eher
langweilig.
Wir begrüßen auch Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Sewering als
Ehrenmitglied des Vorstands der Bundesärztekammer ganz herzlich in unseren
Reihen.
(Beifall)
Last but not least begrüße ich den Präsidenten der
Bundesärztekammer, des Deutschen Ärztetages und der Ärztekammer Nordrhein,
Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, der nachher zu uns sprechen
und diesen Ärztetag auch leiten wird.
(Lebhafter Beifall)
Ich freue mich, dass so viele Vertreter in- und
ausländischer ärztlicher und nicht ärztlicher, aber dem Ärztestand verbundener
Organisationen heute hier erschienen sind, und bedanke mich herzlich bei Ihnen
allen für Ihr Kommen.
(Beifall)
Auch heute steht das Thema Reformen an. Wie so oft bei
Deutschen Ärztetagen müssen wir über Reformen reden, unter anderem und nicht
zuletzt deshalb, weil das Geld nicht reicht. Wir haben viele Reformen erlebt,
auch solche, die sich nur so nannten. Wir haben bis jetzt bei allen diesen
Reformen Schritte zu mehr Anleitung, zu mehr Führung - man könnte fast sagen:
in Richtung Planwirtschaft - erlebt. Alle Jahre wieder standen wir vor
demselben Desaster: Wir brauchten eine neue Reform, weil die alten Reformen
nichts brachten und uns für eine ordentliche Patientenversorgung erneut das
Geld fehlte. Es ist alles Mögliche versucht worden, hier und dort einzugreifen:
bei den Ärztinnen und Ärzten auf der einen Seite, bei den Patientinnen und
Patienten auf der anderen Seite, bei den Krankenkassen, bei dem, was man zusagen
und was man nicht zusagen kann. Aber die Finanzierung klappt einfach wieder
nicht.
Vielleicht hat das ja ein bisschen mit den Strukturen zu
tun, die wir eigentlich nie angegriffen haben. Ich denke, dass ich im Rahmen
dieser Begrüßung mir erlauben kann, einmal zehn oder 20 Jahre nach vorn zu
denken. Anschließend überlasse ich ohne weiteres das Feld der Tagespolitik, um
die wir uns kümmern müssen, weil dies unsere Aufgabe ist. Ich möchte also ein
wenig in die Zukunft schauen.
Welches System finden wir derzeit vor? Alle klagen über
Intransparenz wie in keinem sonstigen wirtschaftlichen System. Es gibt
Beziehungen zwischen Patienten und Ärzten, bei den Vertragsärzten zwischen
Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen, zwischen Krankenkassen und Krankenhausgesellschaften
bzw. Krankenhausträgern.
Auf der einen Schiene läuft das ab, was die
Patientenbehandlung, den Kern des Gesundheitswesens, ausmacht. Dort stehen die
Patientinnen und Patienten auf der einen Seite, die Ärztinnen und Ärzte auf der
anderen Seite. Parallel dazu vollziehen sich auf der anderen Schiene die
Zahlungsströme. Die Zahlungen gehen an Organisationen und die Patienten wissen
im Endeffekt nicht, was der Arztbesuch gekostet hat, und die Ärzte wissen nicht
genau, wie das finanziert wird. Es gibt keine genauen Abrechnungen. Es besteht
eine Art Grauzone.
Man könnte dieses System fast als ein Viereck mit einem
schwarzen Loch in der Mitte bezeichnen. In diesem schwarzen Loch konzentriert
sich jede nur denkbare Intransparenz in unserem Gesundheitswesen.
Es gibt verschiedene Lösungsansätze. Da wird gesagt, der
Patient benötige eine Patientenquittung. Nur: Wenn der Patient nicht in
irgendeiner Weise verantwortlich an der Summe mitwirken kann, interessiert ihn
das eigentlich nicht. Es sind ja bereits entsprechende Modellvorhaben gelaufen.
Zu Beginn schauen die Patienten etwas genauer hin, anschließend ist ihnen das
völlig egal. Sie werden dann wieder sagen: Herr Doktor, irgendwie fühle ich
mich nicht so richtig wohl, machen Sie mal alles! - Das geht natürlich nicht.
Vielleicht sollten wir aus den bisher festen, manchmal fast
verkrusteten Strukturen heraus und überlegen, was eigentlich den freien Beruf
ausmacht. Vielleicht sollten wir wieder viel freier hantieren und vielleicht
gibt es ja wirklich die mündigen Bürger, die auch mündige Versicherte und
mündige Patienten sind, insbesondere wenn die Aufklärung über die Medien, auch
über das Internet, immer weiter fortschreitet und das Gespräch zwischen Patient
und Arzt auf immer höherem medizinischem Niveau geführt werden kann und dann
auch geführt werden muss. Diese Anspruchshaltung auf allen Seiten ist in
Ordnung und auch richtig.
Möglicherweise sollten wir das ganze System mit seinen
überbordenden Strukturen auf seine Grundstruktur zurückführen, nämlich die
Behandlung des Kranken durch die Behandler. Das kann nur funktionieren, wenn
eine ökonomische Kontrolle existiert, wenn eine prozentuale Selbstbeteiligung
der Patientinnen und Patienten an den entstehenden Kosten im Gesundheitswesen
gewährleistet ist. Diese darf auch nicht versicherbar sein, weil anderenfalls
jeder Anreiz fehlt, sich an ökonomischen Aspekten auszurichten. Diese
prozentuale Selbstbeteiligung soll dazu führen, dass die Leistungen nicht
einfach in jeder Menge erbracht werden, sondern dass gefragt wird: Muss diese
Leistung auch noch erbracht werden? Muss es wirklich alles sein oder reicht
nicht weniger, reicht nicht das, was wirklich erforderlich ist? Auf diese Weise
kann der Patient bei jeder Untersuchung mit über die Kosten entscheiden.
Auf der anderen Seite muss sich die Ärzteschaft dann sehr
gut überlegen, welche Untersuchungs- oder Therapieleistungen sie dem Patienten
anbietet; denn sie muss jederzeit darauf gefasst sein, dass der Patient fragt,
ob diese teure Untersuchung wirklich auch noch gemacht werden muss, weil er
weiß, dass ihn dies zusätzlich etwas kostet.
Vielleicht würde manches besser funktionieren, wenn diese
Steuerung wieder gegeben wäre, die viel einfacher ist als das, was an
gesetzlichen Vorschriften existiert und geplant ist.
(Beifall)
Ich weiß, dass man sich bei solchen Gedanken völlig von den
bisher vorhandenen Strukturen lösen muss. Wenn wir dies nie tun, können wir uns
auch nicht überlegen, was alles noch sinnvoll sein könnte. Vielleicht gibt es
noch völlig andere Ansätze. Ich möchte nur dazu ermutigen, weiterzudenken und
neue Ansätze zu formulieren.
Vielleicht müssen aus den Kassen wieder eher Versicherungen
werden. Vielleicht könnten alle Versicherungen ihre Leistungen auf einem freien
Markt anbieten. Vielleicht gäbe es für alle die Pflicht zur Versicherung.
Vielleicht müsste man dann gar nicht so viel vom Gesetzgeber her in die
Krankenversicherung hineinregieren, sondern die Versicherungen hätten das Geld
ihrer Versicherten zu verwalten und als Versicherer die Leistungen zu
erbringen.
Wenn man als Gesellschaft der Ansicht ist - das halte ich
für richtig -, dass die Familien gefördert werden müssen, beispielsweise über
die kostenlose Mitversicherung von Familienangehörigen, wenn man der Auffassung
ist, dass diejenigen, die sozial schwach sind, nicht durch den Rost fallen
dürfen, dann muss man auch dazu stehen, dass alle in der Gesellschaft ihren
Beitrag dazu leisten müssen, nicht nur diejenigen, die in abhängiger Stellung
beschäftigt sind.
(Beifall)
Das hat auch etwas mit dem sozialen Verständnis zu tun, das
wir als Ärzteschaft in die Gesellschaft einbringen sollen und müssen.
Es ist klar: In einem solchen Fall müsste es einen
Kontrahierungszwang geben, man müsste die Altersrückstellungen mitnehmen
können, man müsste sich Gedanken über eine Grundversicherung und darüber
machen, welche Leistungen auf dieser Ebene dazugehören. Man muss die Frage
klären, was versichert sein muss und was als Wahlleistung angeboten werden
kann. Es gibt in der Medizin viele Leistungen, die man nicht zwingend um der
Volksgesundheit willen erbringen muss. Solche privaten Dinge gehören auch
privat versichert.
Ich will hier nicht auf alle Aspekte eingehen, sondern nur
einige Dinge anreißen, die man vielleicht anders regeln kann, als dies heute
geschieht, indem man Reformen in der Struktur, nicht an der Struktur vornimmt.
Wenn es wirklich so wäre - vielleicht ist es so; ich bin ja
Hausarzt -, dass die primäre Behandlung durch den Hausarzt für die Patienten
preiswerter und besser ist, dann würden die Patienten sich entsprechend
verhalten. Dann würden die Fachärzte sozusagen in die Röhre schauen. Es kann
aber auch sein, dass die Bürger in unserem Lande erklären: Nein, ich will den
sofortigen Zugang zum Facharzt haben und das lasse ich mir auch etwas kosten.
Dann sucht sich der mündige Bürger seinen Weg. Vielleicht braucht der mündige
Bürger gar nicht so gegängelt zu werden, wie wir meinen.
(Beifall)
Auch wir als Ärzteschaft müssten uns umstellen. Wir könnten
auch nicht so weitermachen wie bisher. Jeder sitzt schön in seiner
Einzelpraxis, hat sich einmal eingerichtet und seine Kassenzulassung bekommen,
er hat eine Position in der Klinik bekommen, möglicherweise hat er, wenn er
älter ist, einen lebenslang gültigen Vertrag. Er hat ein einigermaßen ruhiges
Nest, in dem er sitzen kann. Auch das könnte sich ändern. Vielleicht müssen wir
bei den Fortschritten in der Medizin, welche die Medizin ohne jede Frage auch
teurer machen, überlegen, ob wir uns nicht zu Teams zusammentun, um uns eine
entsprechende Ausrüstung leisten zu können und um die erforderliche Qualität
bieten zu können. So könnten sich fünf oder sechs Kardiologen, die über das
Spezialgebiet der Kardiologie alles wissen, zusammentun und dem Patienten eine
optimale Versorgung zur Verfügung stellen. Dann gibt es keine langen Wege, es
muss nicht jeder Apparat dreimal aufgestellt werden. Die Patienten bleiben in
einer festen Versorgungskette, möglicherweise ambulant/stationär übergreifend,
wenn dieses Ärzteteam gleichzeitig ein paar Betten im Krankenhaus unterhält.
Warum soll das nicht möglich sein? Jeder Patient liegt dann so lange im Bett,
wie dies erforderlich ist. Dann haben wir keine Liegelandschaft, sondern eine
Versorgungslandschaft.
(Zustimmung)
Das Gleiche könnte auch auf der hausärztlichen Ebene geschehen.
Man könnte, wie ich es einmal bezeichnen möchte, Basisversorgungsteams
schaffen. Sie müssen nicht allein Ärztinnen und Ärzte der Grundversorgung
umfassen; es können genauso gut Pflegekräfte, Physiotherapeuten mitmachen. Man
muss überlegen, ob man eventuell die engen Grenzen sprengen kann.
(Zurufe)
- Ich weiß, dass dies provokative Ideen sind. Ich denke, das
ist nicht schlimm. Ich wollte nur aufrütteln und Ideen vortragen, die etwas
weiter gehen. Dann werden wir auf zukünftigen Ärztetagen auch über solche
Strukturreformen reden können. Versuchen Sie bitte, alles das nicht unter den
Prämissen zu sehen, wie wir sie heute haben, nicht unter den Strukturen, wie
sie heute vorhanden sind. Betrachten Sie meine Ausführungen einfach als
Gespinst in eine andere Zeit hinein.
Damit kehre ich zurück zum Tagesgeschehen. Ich freue mich,
dass wir eine Reihe von wirklich prominenten Rednern haben, die uns hoffentlich
zu den Problemen, die uns heute berühren, Lösungsvorschläge unterbreiten. Ich
freue mich auf die nun folgenden Grußworte.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall)
|