Eröffnungsveranstaltung

Dienstag, 20. Mai 2003, 10.00 Uhr

Ulla Schmidt, MdB, Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung:

Herr Professor Hoppe! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Ärztinnen und Ärzte! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich von dieser Stelle aus meine Glückwünsche an die heute Ausgezeichneten aussprechen und mich auch für die Rede bedanken, die wir soeben gehört haben. Ich bin überzeugt: Wenn das Parlament der Ärztinnen und Ärzte noch so viel Humor besitzt und auch noch so gut lachen kann, kann das Verhältnis zwischen uns nicht nachhaltig gestört sein. Dann unterhalten wir uns, dann diskutieren wir über den richtigen Weg, wie unser Gesundheitswesen zukunftsfest gemacht wird. Ich bin mit einem guten Gefühl hierher gekommen, weil wir in den letzten Wochen und Monaten wieder viel miteinander geredet haben, weil einige Ihrer Anregungen auch in den Gesetzentwurf, den ich vorgelegt habe und der derzeit diskutiert wird, eingeflossen sind und weil wir alle das Gefühl hatten, dass wir wieder auf einem Weg sind, einen konstruktiven Dialog zu führen.

Ich kann Ihnen hier nicht versprechen, dass wir immer einer Meinung sind; das kann auch nicht sein. Ich habe andere Interessen zu vertreten als Sie. Aber wir sollten einen Weg gehen, bei dem wir im Gespräch bleiben, bei dem wir miteinander reden, bei dem wir versuchen, aus einem gemeinsamen Interesse heraus einen Weg zu finden, der für alle gangbar ist. Ich sage zugleich aber auch: Es wird kein Weg sein, bei dem sich niemand verändern muss oder jemand sagt: Für mich nicht!

Deshalb habe ich es auch gelassen betrachtet, dass trotz meines guten Gefühls in den letzten Stunden vor einem solchen Tag schon wieder Zweifel aufkommen, ob wir denn wirklich so nahe beieinander sind, wenn vom „Kampf gegen den Krankenkassenstaat mit allen Mitteln“ geredet wird. Ich habe mir gedacht: Das kann nicht sein, gehe dorthin! Deshalb spreche ich zu Ihnen. Eines wissen wir alle: Unser Gesundheitswesen steht unter einem gewaltigen Reformdruck. Wenn man die Politik auch der letzten Jahre Revue passieren lässt, sieht man, dass die Kostendämpfung immer eines der zentralen Elemente der Gesundheitspolitik war. Heute weiß jeder aber auch, dass diese Kostendämpfungspolitik an ihr Ende gekommen ist. Wir können nicht immer weiter einfach Kosten dämpfen, sondern wir müssen zusehen, wie wir die Strukturen in unserem Gesundheitswesen so verändern, dass sie den Herausforderungen von morgen gerecht werden.

Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wo diese Herausforderungen zu finden sind. Es gibt drei ganz besonders große Herausforderungen, die unsere Antworten erfordern. Die eine Herausforderung ist die demographische Entwicklung. Sie ist für viele von uns gut, auch wenn ich hier in den Saal schaue.

(Heiterkeit)

- Für mich auch. Ich habe ja gesagt: für uns. Ich finde es sehr schön, dass wir älter werden, aber es kommen zu wenig Jüngere nach. Wir haben vielleicht alle zu wenig Kinder in die Welt gesetzt.

Tatsache ist, dass viele Prognosen nicht stimmen, aber die Bevölkerungs­prognose kann man relativ genau aufstellen. Wir wissen, dass im Jahre 2040 in Deutschland mehr als die Hälfte der Bevölkerung älter als 50 Jahre ist. Das stellt ein Gesundheitswesen oder die sozialen Sicherungssysteme generell vor neue Herausforderungen.

Die zweite Herausforderung ist der medizinische Fortschritt, der Gott sei Dank dazu führt, dass Krankheiten, die früher nicht behandelbar waren, heute behandelbar sind. Viele Krankheiten erfordern eine dauerhafte Behandlung. Damit verändern sich auch die Bedingungen.

Ich komme zur dritten Herausforderung. Dies alles geht einher nicht nur mit der seit Jahren sinkenden Lohnquote in Bezug auf die Beiträge, die auf Lohn und Gehalt erhoben werden, sondern auch mit einer lang anhaltenden Wachstumsschwäche, die zu zusätzlichen Einnahmeproblemen auch in den sozialen Sicherungssystemen führt. Jeder muss wissen: Weiter so - das geht nicht. Wir brauchen auch nicht mehr zu hoffen, dass sich die Dinge von allein lösen. Lange Zeit hat man gehofft, dass das Wachstum kommt, dass die Konjunktur anspringt und damit die Einnahmen fließen, wodurch manche Probleme gelöst wären.

Wir müssen gemeinsam etwas tun. Wir müssen hier offen miteinander diskutieren. Wir sollten eines vermeiden: dass man dadurch, dass man immer wieder Vorurteile wiederholt, den Blick auch auf die Chancen verstellt, die eine solche Reform bieten könnte. Deshalb bin ich heute hier, um mit Ihnen über diese Fragen zu reden.

Es mag ja sein, dass manche glauben, dass eine solche Reform im Bundestag oder im Bundesrat keine Mehrheit findet. Ich sage Ihnen einmal meine Einschätzung: Unabhängig von der Zugehörigkeit zu ihrer Partei wissen die verantwortlichen Politiker und Politikerinnen im Bundestag und im Bundesrat, dass wir gezwungen sind, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, und dass wir auch gezwungen sind, Kompromisse zu finden, weil, gleichgültig wer in den kommenden Jahren die Mehrheit hat, gilt: Wenn wir die Probleme jetzt nicht lösen, da der Reformdruck sehr groß ist, wenn wir nicht einen entscheidenden Schritt nach vorn machen, wird jeder dieselben Probleme haben, möglicherweise noch verstärkt, weil sich die Dinge nicht von allein regeln.

Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir nach langen Diskussionen, die wahrscheinlich sehr heftig sein werden, am Ende einen Weg finden werden, bei dem die Einsicht siegt, dass wir handeln müssen, bei dem auch die Einsicht siegt, dass wir eine Reform brauchen, die mehreres umfasst, und zwar zum einen eine Reform der Einnahmenseite. Heute muss jedem klar sein, dass es auf die Dauer nicht ausreicht, die Beiträge nur auf Löhne und Gehälter zu erheben.

Wir werden auf der anderen Seite eine Reform der Ausgabenseite benötigen, und zwar, gleichgültig wie wir uns für die langfristige Finanzierung entscheiden werden, in einer Weiterentwicklung der beitragsbezogenen gesetzlichen Krankenversicherung oder einer Umstellung auf feste Prämien, die durch Steuern einen sozialen Ausgleich herbeiführen, was ja auch in der Diskussion ist.

Gleichgültig wie diese Entscheidungen aussehen werden: Wenn wir nicht dafür sorgen, dass das Geld, das über die Beiträge hereinkommt, so effizient und so effektiv wie möglich eingesetzt wird, wird irgendwann jedes Finanzierungsmodell an seine Schranken kommen, weil die Menschen ab einem bestimmten Punkt nicht mehr zahlen wollen oder sich aus der Solidargemeinschaft herausbegeben wollen. Sie wissen genauso gut wie ich: Unser heutiges Gesundheitswesen, das gute Leistungen erbringt, lebt davon, dass sehr viele viel mehr in dieses System einzahlen, als sie jemals aus diesem System benötigen, damit diejenigen, die viel mehr brauchen, als sie jemals einzahlen können, die erforderlichen Leistungen erhalten können.

Ich bin sicher, dass Regierung und Opposition zu gemeinsamen Lösungen kommen werden und dass wir über die Strukturreformen hinaus auch zu Lösungen kommen, wie die Finanzierungsbasis grundsätzlich geregelt werden kann. Wir arbeiten hier an Vorschlägen. Die Vorschläge zur Strukturreform liegen zur Diskussion vor. Die langfristige Finanzierung - hier gibt es eine ganze Menge an verfassungsrechtlichen und juristischen Fragen zu bedenken - wird ebenfalls noch in dieser Legislaturperiode angegangen werden müssen. Ich bin der Meinung, wir haben hier keine Zeit zu verschenken.

Ich kenne außerhalb des Parlaments, auch unter denjenigen, die im Gesundheitswesen ihre Beschäftigung finden oder dort ehrenamtlich engagiert sind, beispielsweise über Selbsthilfeorganisationen, niemanden, der behauptet, dass wir keine Reform brauchen. Jeder sagt: Reformen sind notwendig. Dabei muss jeder wissen, dass niemand dabei außen vor bleiben kann. Es gibt immer wieder die Meinung: Reformen - ja, aber für mich selber so wenig Veränderungen wie möglich. Das wird nicht hinhauen.

Wenn wir dem solidarischen Gesundheitswesen eine Zukunft geben wollen, müssen wir alle einbeziehen: die Apotheker und Apothekerinnen, die Pharmaindustrie, die Krankenkassen, die Versicherten, die Patienten und Patientinnen, auch die Ärzte und Ärztinnen. Wir brauchen, wenn wir die Strukturen in Ordnung bringen wollen, eine - das ist unter uns eigentlich unbestritten - bessere Abstimmung der Leistungen, damit mehr Effizienz geschaffen wird. Wir brauchen mehr Transparenz - das ist heute schon angesprochen worden -, und zwar nicht nur Transparenz für die Patienten und Patientinnen, sondern Transparenz auch hinsichtlich dessen, was von den verschiedenen Leistungserbringern im Gesundheitssystem erbracht wird, sich aber nicht automatisch jedem Arzt oder jeder Ärztin erschließt.

Ich glaube, wir sollten uns an einem Tag wie dem heutigen darauf besinnen, dass wir gemeinsame Ausgangspunkte haben. Wir wissen, dass das Gesundheitswesen dazu da ist, Menschen, die krank, behindert oder pflegebedürftig sind, die Hilfe zukommen zu lassen, die sie brauchen. Für mich heißt das, dass Ärzte und Ärztinnen und auch die Politik denselben Personen und denselben Zielen verpflichtet sind. Wir müssen miteinander darum ringen, wie wir die an uns gestellten Forderungen am besten erfüllen.

Der zweite Punkt ist: Unser Gesundheitswesen muss auch mehr leisten. Es muss nämlich als Beschäftigungsmarkt Nummer eins in Deutschland und auch als Beschäftigungsmarkt, der im Binnenverhältnis perspektivisch ein wachsender Markt ist, so aufgebaut sein, dass es für die Menschen, die in ihm arbeiten, angemessene Arbeitsbedingungen bietet, damit diejenigen, die in der Regel mit ausgewiesener Kompetenz, mit Engagement und auch mit einem hohen ethischen Anspruch Leistungen erbringen - das erlebe ich nicht nur im ärztlichen, sondern auch im pflegerischen Bereich -, angemessene, humane und vernünftige Arbeitsbedingungen vorfinden.

Deshalb werden wir die bestehenden Unzuträglichkeiten bei den Arbeitszeiten der angestellten Ärztinnen und Ärzte Schritt für Schritt abbauen. Ich sage hier „Schritt für Schritt“, weil, glaube ich, niemand hier im Saal ernsthaft die Illusion hat, als könnte ich mehrere Milliarden Euro eben mal so aus der Hand schütteln oder als könnte ich, wie es manchmal gefordert wird, auf einen Schlag 15 000 Ärztinnen und Ärzte einstellen. Ich habe sie ja gar nicht.

Aber ich will, dass wir Schritt für Schritt dahin kommen, dass in den Krankenhäusern Arbeitszeit Arbeitszeit ist, unabhängig davon, was letztendlich der Europäische Gerichtshof entscheiden wird. Arbeitszeit ist Arbeitszeit. Das war der Grund, warum wir - das war nicht einfach - in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen gesagt haben, dass erst einmal 100 Millionen Euro für die Umsetzung von Arbeitszeitmodellen in Krankenhäusern zur Verfügung gestellt werden. Sie wissen alle, dass bereits das geltende Arbeitszeitrecht mehr hergibt, als heute in einem Großteil der Kliniken umgesetzt ist.

Deshalb haben wir im Rahmen des zweiten Arbeitszeitgipfels darauf gedrungen - das konnten wir auch erreichen -, dass die Kassen ihre Bereitschaft erklärten, bereits vor dem Abschluss von Budgetverhandlungen Vereinbarungen über sinnvolle Arbeitszeitmaßnahmen zu treffen. Wir haben im Zwölften SGB-V-Änderungsgesetz - das ist jenes Gesetz, das auch Ihre Anregungen zur Verbesserung der Fallpauschalen im Krankenhaus mit aufnimmt - beitragssatzrelevante Zugeständnisse an die Krankenhäuser gemacht, um die Arbeitszeiten zu verbessern und die Verbesserung auch zu forcieren. Ich erwähne das hier, weil draußen manchmal so getan wird, als hätte es überhaupt keine Konsequenzen, wenn man zusammensitzt.

Meine Damen und Herren, grundsätzlich gilt mit Blick auf die Gesundheitsreform: Ich sehe keine fundamentalen Wertungswidersprüche oder Zielkonflikte zwischen Politik und Ärzteschaft.

(Widerspruch)

- Das war jetzt kein Humor, das war ernst gemeint.

Insofern ist der Vorwurf, die jetzt diskutierte Reform sei eine Reform gegen die Ärzteschaft, einfach nicht wahr. Ich muss es hier einmal so sagen.

(Erneuter Widerspruch)

Ich bin offen für Gestaltungsvorschläge. Ich muss aber auch sagen: Ich habe mir in all den Jahren ein Stück Immunität gegen unsachliche Kritik aufgebaut. Wir schaffen mit der Reform keine Organisationen oder Freiheiten ab, sondern wir schaffen die Voraussetzungen für umfassende Erneuerungen und für positive Anreize.

Dabei habe ich vier Ziele:

Erstens. Das wichtigste Ziel ist für mich die Erhaltung und Verbesserung der Versorgungsqualität für alle, die Gesundheitsdienstleistungen benötigen. Ich halte es für eine kulturelle Errungenschaft, dass die Menschen in unserem Lande keine Angst haben müssen, krank zu werden, weil sie es sich finanziell nicht leisten können. Das ist für mich ein Teil unserer Zivilisation, ebenso wie Bildung und Ausbildung für alle, wie das Recht auf Information, Kultur und Rechtsstaatlichkeit. Deshalb ist das für mich nicht verhandelbar.

Das zweite Ziel unserer Reform ist die Senkung der Lohnnebenkosten und die Entlastung des Faktors Arbeit. Was wir brauchen, ist mehr Beschäftigung, damit wir wieder mehr Beschäftigte haben, die in die Systeme der sozialen Sicherung einzahlen. Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, dass nicht nur die Lohnquote, sondern auch die Zahl derjenigen sinkt, die in die Systeme der sozialen Sicherung einzahlen.

Das dritte Ziel ist die bessere Nutzung und zielgenauere Lenkung von Ressourcen. Wir müssen die Aufgaben der gesetzlichen Krankenkasse sehr stark darauf konzentrieren: Was ist medizinisch notwendig, von der Vorsorge bis zur Rehabilitation? Was muss jedem, unabhängig vom Geldbeutel und unabhängig vom Alter, nach dem Stand der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden?

Mein viertes Ziel ist die Verbesserung der Entscheidungs-, Mitwirkungs- und Arbeitsmöglichkeiten im System für Patientinnen und Patienten, für Versicherte, für Ärztinnen und Ärzte und für sonstige Beteiligte. Dazu wollen wir eine Reihe von Instrumenten auf den Weg bringen, die nicht Selbstzweck sind, sondern Mittel zum Zweck. Lassen Sie mich exemplarisch auf einige eingehen; ich will hier nicht die gesamte Gesundheitsreform vortragen, sondern auf einige Punkte eingehen, die in den letzten Wochen zu Diskussionen geführt haben.

Erstens. Wir müssen rationales und gesundheitsbewusstes Verhalten fördern. Dazu müssen wir Prävention vor Behandlung und Rehabilitation vor Pflege setzen. Deshalb werden wir Prävention als eigenständige Säule im Gesundheitswesen einrichten. Das läuft parallel zum jetzigen Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz. Ich weiß, dass wir hier einig sind und im Deutschen Forum für Prävention und Gesundheitsvorsorge gemeinsam an Vorschlägen arbeiten.

Zweitens. Immer wieder wurde von Ihnen und insbesondere von Herrn Professor Hoppe die Erhöhung der Tabaksteuer als präventive Maßnahme gefordert. Ich habe es erreicht, dass wir dies tun, weil ich erkannt habe, dass wir als Erwachsene eine ganz besondere Verantwortung haben, und zwar eine besondere Verantwortung auch für die junge Generation. Erfahrungen aus anderen Ländern belegen eindeutig, dass nur dann, wenn zu anderen Maßnahmen die Preiskomponente hinzukommt, eine Reduktion des Tabakkonsums erreicht werden kann. Ich bin sehr froh, dass wir diese Forderung nach Prävention und die Erhöhung der Tabaksteuer mit einer anderen Forderung verbinden können, bei der wir auch immer einig waren, nämlich die so genannten versicherungsfremden Leistungen nicht über Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanzieren zu lassen, sondern sie aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu finanzieren. Ich glaube, das ist ein richtiger Schritt, bei dem wir einer Meinung sind, Herr Professor Hoppe.

(Beifall)

Ich komme nun zu einem Thema, das schon mehr Reflexe auslösen könnte: Wir werden mit der Selbstverwaltung von Kassen und Ärzten und mit Patienten und Selbsthilfegruppen ein unabhängiges „Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin“ gründen,

(Zurufe)

um bestehende Aktivitäten, an denen Sie ja auch beteiligt sind und denen gegenüber ich ausdrücklich meinen Respekt bekunde, zu bündeln und in den Versorgungsalltag zu überführen. Worum geht es denn hier? Es geht um eine konzentrierte Fortentwicklung - eben war ja die Rede von „evidence based medicine“, um eine bessere Information der Patienten und Patientinnen, es geht um eine rationellere Arzneimittelversorgung.

Ich gebe Ihnen hier an dieser Stelle ein Versprechen - dass ich meine Versprechen einhalte, sehen Sie ja daran, dass ich in Rostock versprochen habe, heute hier zu sein -:

(Heiterkeit - Beifall)

Es wird kein Staatsinstitut werden. Es wird eine plurale Trägerschaft haben. Mein Ministerium hat nicht die Fachaufsicht; es hat die Rechtsaufsicht wie bei allen anderen entsprechenden öffentlichen Einrichtungen. Und Herr Professor Lauterbach wird nicht Leiter dieses Instituts. Das müsste Sie doch alle besänftigen.

(Beifall)

Der Vorwurf der Staatsmedizin an meine Adresse ist wirklich absurd. Ich will, dass die besten Köpfe dieser Republik und damit auch die besten Köpfe der deutschen Ärzteschaft für eine gute medizinische Qualität sorgen, ebenso die medizinischen Fachgesellschaften. Sie sind es doch - haben Sie mehr Selbstbewusstsein! -, die die fachliche Orientierung bei Entscheidungen stärken können.

Es wird ein kleines Institut sein, das auf die besten Köpfe, auf die Kompetenzzentren an den Universitäten, auf Institute, wo Menschen zusammenarbeiten, zurückgreifen wird. Diese werden Vorschläge machen und die Empfehlungen werden an die Selbstverwaltung gegeben. Genau wie bisher wird der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen darüber entscheiden, was und wie etwas in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wird.

Ich weiß aus vielen Veranstaltungen, die ich ja quer durch diese Republik besuche, dass es nicht nur Patienten und Patientinnen oder Selbsthilfeorganisationen sind - ich könnte mich da einschließen -, sondern auch Ärzte und Ärztinnen, die immer wieder die mangelnde Transparenz der heutigen Entscheidungen über Qualität oder über das, was in den Leistungskatalog der Krankenversicherung einfließt oder nicht, beklagen.

Ich glaube, dass es gut ist, wenn man die medizinische Entscheidung von ökonomischen Interessen unabhängiger auf den Weg bringt. Wir sorgen mit der Einrichtung dieses Zentrums für Transparenz und wir sorgen dafür, dass ökonomische Interessen, die ja auch eine Rolle bei der Entscheidung spielen, was in den Leistungskatalog eingeht - wir sind ja keine Waisenkinder -, losgelöst werden von der medizinischen Verantwortung. Damit schaffen wir mehr Transparenz und zumindest einen Weg, dass man offen und fair darüber diskutieren kann, wenn der Bundesausschuss etwas ablehnt, wenn er einen anderen Weg einschlagen will oder andere Vorgaben macht. Das ist dann eine begründete Auseinandersetzung.

Drittens. Wir werden auch die Hausärzte und die Hausärztinnen in ihrer Bedeutung, aber auch in ihrer Qualifikation stärken. Sie werden zum Lotsen oder - um an Herrn Professor Mehnert anzuknüpfen - zum „gatekeeper“. Auch hier möchte ich die Gelegenheit nutzen, die oft gehörten Vorurteile ein wenig auszuräumen. Die Stärkung der Hausärzte führt nicht zur Verweigerung notwendiger Überweisungen zum Facharzt, aber sie verbessert die Kommunikation zwischen beiden und stärkt damit auch die Zusammenarbeit. Worin sollte eigentlich bei einer weit gehenden Pauschalierung der Vergütung der Anreiz bestehen, Patienten und Patientinnen festzuhalten? Dass es das geben kann, will ich gar nicht bezweifeln, aber dann gibt es das auch heute. Es gibt keine Anreize. Ich stelle mir vor, dass die Patienten jemanden haben, der sie durch dieses immer komplizierter werdende System begleitet und dass das mündet in eine gut abgestimmte Zusammenarbeit zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung. Wir brauchen die Hausärzte als Lotsen. Ich glaube nämlich, sie sind von ihrer Qualifikation her dazu geeignet.

Hier wurde bereits die Frage gestellt, wie unser Gesundheitssystem in 20 oder 30 Jahren aussieht. Wir brauchen auch eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung, weil die Menschen immer älter werden und weil ich möchte - wahrscheinlich jeder von Ihnen -, dass jeder so lange wie möglich in seiner angestammten Umgebung leben kann, so lange es geht. Die Zukunft wird bestimmt durch die Entscheidungen der Gegenwart, so wie die Gegenwart bestimmt wird durch die Entscheidungen, die in der Vergangenheit getroffen wurden.

Deswegen möchte ich die Bedingungen schaffen, dass der Hausarztberuf at­traktiv wird, dass Hausärzte und Hausärztinnen gesichert arbeiten können und dass wir auch morgen noch genügend Frauen und Männer haben, die diesen Beruf ergreifen.

Ich hoffe, dass man auch auf diesem 106. Deutschen Ärztinnen- und Ärztetag zu einer Einigung über die Weiterentwicklung der hausärztlichen Versorgung kommt, wie es ja in Rostock auch entschieden wurde. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn es hier wieder mehr ein Miteinander als ein Gegeneinander gäbe.

(Beifall)

Viertens. Wir werden die Vergütung der Ärzte neu ordnen. Frau Ministerin Fischer hat schon darauf hingewiesen, dass wir die sektoralen Budgets aufheben. 70 Prozent sollen bei der hausärztlichen Versorgung auf eine patientenorientierte Jahrespauschale entfallen. Für die fachärztlichen Leistungen und die ambulanten Operationen werden Komplexgebühren und Fallpauschalen eingeführt. Wir wollen Anreize für eine wirtschaftlichere Behandlung setzen.

Ich will, dass die Ärztinnen und Ärzte in Zukunft kalkulierbare und angemessene Vergütungen haben.

(Zurufe)

- Ich kann Sie nicht alle zu Millionären machen - das sage ich gleich dazu -, das geht nicht!

(Erneute Zurufe)

Ich kann hier nur angemessene Vergütungen versprechen. Eines habe ich Ihnen versprochen und das ist in diesem Gesetzentwurf umgesetzt: Die floatenden Punktwerte werden in das Geschichtsbuch des Gesundheitswesens eingehen. Wir werden sie abschaffen. Es geht um feste, planbare Vergütungen. Das ist das Einzige, was ich Ihnen hier zusagen kann. Ich mache nicht gerne Versprechungen, die ich nicht einhalten kann.

Fünftens. Wir werden auch die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen modernisieren. Abschaffen können wir sie nicht; das tun wir auch nicht. Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden gebraucht. Sie geben zu: Die Krankenkassen werden auch gebraucht. Wir brauchen auch keine Einheitskasse. Ich sage hier wie immer: Wir brauchen auch nicht 320 Krankenkassen.

Wir werden die Wettbewerbsbedingungen für die Krankenkassen verbessern. Wir werden die Fusionsmöglichkeiten fördern und erleichtern, weil ich glaube, dass wir in Zukunft sehr starke regionale Kassen brauchen, in denen es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen guten und schlechteren Risiken gibt, damit die Aufgaben erfüllt werden können.

Zur Förderung von Innovation im Hinblick auf die neuen Aufgaben, die auf die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen zukommen werden, werden wir in der gesundheitlichen Versorgung mehr Wettbewerb zulassen.

Wir sind fest entschlossen, außerhalb der hausärztlichen Grundversorgung vom starren Kollektivvertrag zum flexiblen Individualvertrag überzugehen.

Wir haben in der jetzigen Ausformulierung des Gesetzentwurfs - das spiegelt eben auch den Dialog wider, den wir geführt haben - ebenso den Bedenken der Ärzte Rechnung getragen. Es wird kein Dumping in der Qualität geben. Es gibt klare Regelungen für die Kontrahierung durch die Kassen. Es gibt klare Regelungen, in allen Regionen die Versorgung sicherzustellen. Es gibt klare Regelungen für die Verlängerung der Verträge, damit Rechts- und Investitionssicherheit herrscht.

Darüber hinaus führen wir die Privatabrechnung als Disziplinierungsinstrument gegen Risikoselektion ein. Das heißt, jeder Versicherte hat einen Rechtsanspruch auf eine wohnortnahe Versorgung. Seine Kasse ist verpflichtet, dies sicherzustellen. Tut sie dies nicht, hat er das Recht auf eine Privatabrechnung. Das wird einiges nach vorn bringen.

Ich muss schon sagen: Dies schränkt die fachärztliche Versorgung nicht ein und hat auch nichts damit zu tun, wie ich manchmal lese, als wollte ich die niedergelassenen Fachärzte „erledigen“. Ich habe Ihren Leitantrag gelesen. Selbst dort steht, dass Sie die Forderung aufstellen, mehr Krankenhausärzte persönlich an der ambulanten Versorgung zu beteiligen. Da frage ich Sie: Was machen wir denn anderes, meine Damen und Herren? In meinem Gesetzentwurf ist die vertragliche Beteiligung von Krankenhausärzten sogar auf die Bereiche beschränkt, wo es aus Patientensicht erforderlich ist, nämlich bei der Weiterbehandlung nach stationärem Aufenthalt, bei hoch spezialisierten Leistungen, bei integrierter Versorgung und bei Überversorgung.

Ich bin überzeugt, dass wir im Grunde genommen das Gleiche wollen und dass das mitnichten mit einer Existenzvernichtung für Fachärzte zu tun hat.

Sechstens. Wir werden - jetzt kommt der Hauptadrenalinstoß - zukünftig Gesundheitszentren, die sich in Brandenburg und anderen neuen Bundesländern bewährt haben, in den alten Bundesländern ermöglichen. Ich weiß, dass manche dies als einen Sündenfall wider alle Strukturen ansehen. Aber wer behauptet, dass dies eine Einschränkung der Therapiefreiheit beinhalte, diskreditiert gleichzeitig die Arbeit nicht nur der Ärzte und Ärztinnen, die schon heute in Gesundheitszentren erfolgreich in einem freien Arzt-Patienten-Verhältnis tätig sind, sondern im Grunde genommen auch die Arbeit aller Ärzte und Ärztinnen, die in den Krankenhäusern arbeiten.

Ich würde das nicht unterstellen, weil ich glaube, dass, gleichgültig wo ein Arzt oder eine Ärztin tätig ist, sie sehr frei entscheiden.

(Lachen)

- Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist; meine Ärzte tun das.

Wenn man mit solchen vorgefassten Meinungen herangeht, die für mich ideologisch, aber nicht in der Wirklichkeit begründet sind, kann ich Ihnen nur sagen: Schauen Sie es sich an, reden Sie mit den Ärzten und Ärztinnen, die sich dort wohl fühlen, die wissen, dass sie wie jeder andere Arzt oder wie jede andere Ärztin auch die Therapiefreiheit genießen, die ein gutes Verhältnis zu ihren Patienten und Patientinnen haben, die vor allen Dingen für sich selber einschätzen, dass sie sich niederlassen können, ohne sich verschulden zu müssen.

Dies ist für viele Ärztinnen, die - wie im übrigen Leben auch - in der Regel auch noch die Hauptarbeit der Erziehung übernehmen, ein Weg, nach der Familienphase in die niedergelassene Praxis zu gehen, dort tätig zu sein und ihren Beruf wieder ausüben zu können.

Ich glaube, das sollte man alles bedenken und mit ganz viel Ruhe eine Diskussion über diese Form führen. Ich weiß nur eines: dass es gerade für die unterversorgten Gebiete in den neuen Bundesländern eine wirkliche Chance ist, Ärzte und Ärztinnen zu bewegen, sich dort niederzulassen. Sie müssen nicht das Risiko des Unternehmertums tragen. Wir werden dies mit erweiterten Möglichkeiten der Krankenkassen verbinden, insbesondere in unterversorgten Gebieten über Honorare und Zugeständnisse dafür zu sorgen, dass wir eine gleichmäßige Versorgung in ganz Deutschland haben.

Ein solches Gesundheitszentrum hat wirklich nichts mit Staatsmedizin zu tun, sondern es bietet ein neues Stück Chance für Ärzte und Ärztinnen, die nicht im Krankenhaus arbeiten wollen, die kein selbstständiger Unternehmer sein wollen, die aber in der niedergelassenen Praxis arbeiten wollen.

In diese Richtung, Ärzten und Ärztinnen, vor allem jungen, den Weg in den Beruf zu erleichtern, zielt die Abschaffung des Arztes im Praktikum.

(Beifall)

Wir haben die Approbationsordnung verabschiedet. Ein Gesetzentwurf ist auf dem Weg, der klar macht, dass ab dem Wintersemester 2004/2005 der Arzt/die Ärztin im Praktikum abgeschafft wird.

(Beifall)

Das ist mir ein Anliegen, weil der AiP in einer Lebensphase, in der viele junge Ärzte und Ärztinnen eine Familie gründen wollen, wegen der schlechten Vergütung eine lange finanzielle Durststrecke bedeutet, die viele abschreckt.

Wir sollten nicht unterschätzen, dass junge Ärzte und Ärztinnen, die so schlecht bezahlt werden, in Bezug auf die Ausdehnung der Arbeitszeit und der Bereitschaftsdienste überhaupt keine Wahl haben, mit dafür zu stimmen, dass Arbeitszeit Arbeitszeit ist. Insofern sollten wir gemeinsam diesen Weg gehen. Das wird schwierig sein. Wir müssen die entsprechenden Tarifverhandlungen führen. Ich bin der Meinung, dass BAT II die richtige Vergütungsgruppe ist, mit der man in einen solchen Beruf einsteigen sollte.

(Beifall)

Der siebte Punkt, mit dem wir ins 21. Jahrhundert vorstoßen wollen: Wir werden bis zum 1. Januar 2006 die elektronische Gesundheitskarte einführen. Sie wissen - wir haben oft darüber diskutiert -, dass dies ein Weg ist, mehr Transparenz für die behandelnden Ärzte zu schaffen, aber auch für die Patienten und Patientinnen. Es ist ein Stück Sicherheit auch in der Arzneimittelversorgung. Es wird vielfach, glaube ich, noch unterschätzt, dass die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte auch ein zentrales Element sein wird, die Entbürokratisierung im Gesundheitssystem voranzubringen und endlich die Zeit, die für den Verwaltungsaufwand erübrigt werden muss, entschieden zu reduzieren, weil nicht jeder und jede alles hundertmal machen und dokumentieren muss. Insofern wird dies ein Instrument sein, das zur Entbürokratisierung führt und damit Zeit für die Arbeit mit den Patienten und Patientinnen freisetzt.

Liebe Kollegen -- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Ärztinnen und Ärzte!

(Heiterkeit)

- Ich hätte fast gesagt: Kolleginnen und Kollegen. Ich war eben noch im „Zauberberg-Krankenhaus“!

Wir werden in den kommenden Wochen genügend Zeit haben, über die einzelnen Punkte zu diskutieren. Die Qualifizierung ist doch Ihr ureigenes Anliegen. Wir sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass die industrieunabhängige Fortbildung gestärkt wird. Wir tun das zusammen mit der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Kassenärztlichen Vereinigungen. Lassen Sie uns einen Weg gehen, bei dem alle sagen, uns reicht es nicht, wenn erklärt wird: Die überwiegende Zahl der Ärzte und Ärztinnen tut dies. Unser Interesse muss sein, dass es alle tun. Wenn es um die Behandlung von Menschen geht, muss das doch eine ganz normale Haltung der Ärzteschaft sein. Ich verstehe überhaupt nicht, dass es darüber Diskussionen gibt. Es ist ein gemeinsamer Wunsch: Alle sollen sich fortbilden.

Meine Damen und Herren, kurz zusammengefasst sind die großen Linien: moderne Strukturen, Wettbewerb, Transparenz, gestärkte Patientensouveränität und Patientenrechte, Stärkung der solidarischen Versicherung. Ich will ein Gesundheitssystem, das eine angemessene Versorgung sichert und zugleich bezahlbar ist.

Ich will, dass weiterhin gilt: Wer krank wird, bekommt das, was er medizinisch braucht; er bekommt es unabhängig vom Portemonnaie und vom Alter. Er bekommt es auf der Höhe des medizinischen Fortschritts.

Das ist der Grund, warum wir mit dem jetzigen Gesetzentwurf den Leistungskatalog auf das medizinisch Notwendige konzentrieren, warum wir alles, was nicht zu diesem medizinisch Notwendigen gehört, aus dem Leistungskatalog streichen und entweder über Steuern bezahlen oder sagen, dass es sich um Dinge handelt, die der Einzelne selber aufbringen muss.

Das ist auch der Grund, warum wir sehr intensiv an der langfristigen Finanzierung der Krankenkassen wie insgesamt an der langfristigen Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherung arbeiten.

Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass wir immer einer Meinung sind. Ich biete Ihnen einen fairen und konstruktiven Dialog an. Ich habe mich bei der Ausge­staltung des „Deutschen Zentrums für Qualität in der Medizin“, bei der Gewährleistung der Rechtssicherheit für Fachärzte und Fachärztinnen im Einzelvertragssystem von den konstruktiven Ratschlägen der Ärzteschaft leiten lassen, genauso wie in der Frage der Prävention. Ich sage Ihnen zu: Das gilt für alle Fragen. Überzeugen Sie mich mit guten Argumenten und dann finden wir einen Weg!

Vielen Dank und hoffentlich anregende Diskussionen hier auf diesem 106. Deutschen Ärztetag.

(Beifall)

© 2003, Bundesärztekammer.