TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

1. Tag: Dienstag, 20. Mai 2003 Nur Nachmittagssitzung

Büchner, Schleswig-Holstein:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie kennen meine Meinung: Die Ignoranz der Politik wird nur noch übertroffen durch unsere Demut. Ich möchte dem Highlight von Herrn Professor Mehnert, der gesagt hat, dass wir mit Goethe, Schiller und Thomas Mann im Land der Dichter und Denker lebten, ein anderes literarisches Zeugnis hinzufügen, und zwar von Elmar Brandt: Das ist Abzocke auf der ganzen Linie.

Durch das Krankenversicherungsbeitragsdämpfungsgesetz 1977 wurde der Beitrag der Rentner zur Krankenversicherung von 17 Prozent auf 11,8 Prozent gesenkt. Dies hat im Jahre 2001 zu einem Defizit von 61,7 Milliarden DM - das entspricht circa 30 Milliarden Euro - geführt. Das Fass ist allmählich voll. Wohin man schaut: Mittelentzug. Der Gebrauch des Begriffs „Transparenz“ bedeutet nur, dass uns mächtig Sand in die Augen geschaufelt wird. DRGs und DMPs wirken so, als wollte man den Patienten kurz vor seiner Herzoperation noch einmal kräftig würgen, um ihn dann ordentlich vorbereitet operieren zu können. Wir haben uns in Schleswig-Holstein entschlossen, initiiert vom NAV-Virchow-Bund, Verfassungsbeschwerde gegen die Nullrunde, gegen das Beitragssatzsicherungsgesetz einzulegen. Diese Verfassungsbeschwerde wurde gestern von einer Gynäkologin, einem Praktischen Arzt, einem Anästhesisten, einem Orthopäden, einem Chirurg und einem Allgemeinarzt, der vor Ihnen steht, eingelegt.

Ich möchte Sie um Unterstützung für diese Initiative bitten. Professor Sodan, der Präsident des Berliner Verfassungsgerichts, sagt:

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber keine Blankovollmacht zur beliebigen Einschränkung der Berufsfreiheit von Ärzten eingeräumt. Der Gesetzgeber ist nicht berechtigt, die Vergütungen zu sozialisieren. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist verletzt. Die Festschreibung der Nullrunde überschreitet mit den bestehenden Reglementierungen die Schwelle der Verfassungsmäßigkeit. Die Nullrunde bringt das Fass zum Überlaufen.

Ich habe den entsprechenden Antrag bereits auf dem außerordentlichen Ärztetag am 18. Februar dieses Jahres in Berlin gestellt. Er wurde damals aus Zeitmangel an den Vorstand überwiesen. Ich bitte Sie heute um Unterstützung des folgenden Textes:

Der 106. Deutsche Ärztetag begrüßt und unterstützt die Verfassungsbeschwerde gegen die so genannte Null-Runde im Beitragssatzsicherungsgesetz, die vom NAV-Virchow-Bund Schleswig-Holstein initiiert wurde und der sich in einer gemeinsamen Kammer- und Abgeordnetenversammlung am 12.02.2003 die örtlichen Körperschaften und sämtliche freien und Berufsverbände in Schleswig-Holstein angeschlossen haben. Das Fass läuft über, nach über 30 gesetzlichen Neuregelungen in den vergangenen 20 Jahren, nach Budgetierung, Rationierung, DRGs und DMPs. Wir machen unsere verfassungsmäßigen Rechte geltend, wie schon Rudolf Virchow 1849 sagte: „Will man etwas, so muss man radikal sein“.

Es geht hier um einen neuerlichen Mittelentzug, den man auf 6 bis 8 Prozent beziffert. Wir wollen uns nicht vorwerfen lassen, dass wir diesen Weg nicht gegangen sind. Deshalb werden wir ihn beschreiten. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung. Bei aller Bedeutung der leisen Töne müssen wir auch einmal klar Flagge zeigen. Das ist eine Chance. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung.

Danke.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Herr Kollege Büchner. Wir haben die Anträge zum Teil ja auch deswegen an den Vorstand überwiesen, weil wir gern wollten, dass der Beschluss des außerordentlichen Deutschen Ärztetages als besonderes Menetekel in der Welt ist. Diese Wirkung hat er ja auch gehabt. Das bedeutet nicht, dass wir das auf diesem Ärztetag nicht weiter diskutieren.

Sie finden auf Ihren Plätzen zwei Papiere: Zum einen einen Auszug aus dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems und zum anderen einen rechtlichen Überblick nach Sachthemen bezüglich dieses Gesetzentwurfs, erstellt von Herrn Rechtsanwalt Schirmer, dem Leiter der gemeinsamen Rechtsabteilung von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung. Vielen Dank, Herr Schirmer, für diese Arbeit.

(Beifall)

Der nächste Redner ist Herr Dr. Pickerodt.

© 2003, Bundesärztekammer.