Henke, Vorstand der Bundesärztekammer:
Herr
Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Gesetzentwurf, mit dem wir es zu tun haben, ist ein Entwurf des Misstrauens
gegenüber den Leistungserbringern im Gesundheitswesen. Er ist nicht nur ein
Entwurf des Misstrauens uns gegenüber, er ist auch ein Entwurf des Misstrauens
gegenüber den Kranken; denn überall dort, wo unsere Handlungsfreiheit
eingeschränkt wird, wird zugleich auch die Wahlfreiheit der Kranken
eingeschränkt. An die Stelle der souveränen Entscheidungen von Versicherten
sollen nämlich Entscheidungen der Versicherungen treten.
Das ist ein Kernmangel. Ich glaube, das ist ein Rückweg
aus einer Entwicklung, die wir selber unter Schmerzen in den letzten 20, 30
Jahren gegangen sind. Wir haben ja auch einmal gesagt: salus
aegroti suprema lex. Wir haben mühselig lernen müssen, dass die
Souveränität des einzelnen Patienten, sein informiertes Einverständnis, seine
Wahlentscheidung - voluntas aegroti
- eine Richtschnur sind, die eingehalten werden muss.
Nun sagen manche: Der Patient verhält sich im Rahmen
seiner Freiheit völlig unlogisch und irrational. Wenn es keine Möglichkeit mehr
gibt, eine irrationale Entscheidung zu treffen, dann gibt es auch keine
Freiheit mehr oder nur noch eine marxistische Freiheit, Freiheit als Einsicht
in die Notwendigkeit. Wenn Freiheit nur die Einsicht in die Notwendigkeit ist,
dann ist das ein anderer Begriff von Freiheit, als ich ihn definieren würde.
Ich glaube, deshalb muss es zu einem solidarischen System
gehören, dass ein Patient seine Bedenken, seine Sorgen platzieren kann und auch
ein Stückchen Irrationalität für ihn offen bleibt, weil er anderenfalls
Freiheit nicht mehr registriert.
Ich habe jetzt nicht genug Redezeit, um auch auf die Frage
einzugehen, wie es um das Finanzaufkommen bestellt ist. Ich will dazu
wenigstens Folgendes sagen: Ich warne uns davor, das gegliederte System über
Bord gehen zu lassen, denn ich glaube, dass die Existenz zweier Systeme - eines
gesetzlichen und eines privaten Versicherungssystems, und zwar mit einer
Vollkostenversicherung - bei allen Problemen in beiden Systemen die Möglichkeit
schafft, die beiden Systeme miteinander zu vergleichen. Nur wer vergleichen
kann und wer beide Systeme erkennen kann, kann sich frei entscheiden, welches
der Systeme er für zweckmäßiger hält. Wer das Vollkostenversicherungssystem in
der PKV abschafft, sorgt dafür, dass es anschließend keinen Maßstab mehr gibt,
an dem die Qualität der gesetzlichen Krankenversicherung gemessen werden kann,
weil man dann die Rationierung überhaupt nicht mehr bemerkt.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der
Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:
Schönen Dank, Herr Henke.
Als nächster Redner bitte Herr Kollege Dehnst aus Westfalen-Lippe.
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