TOP I : Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

1. Tag: Dienstag, 20. Mai 2003 Nur Nachmittagssitzung

Dr. Dehnst, Westfalen-Lippe:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Schrecken und Befremden habe ich heute Morgen vernommen, wie angesichts der großen Probleme im Gesundheitswesen die Landesgesundheitsministerin von einer Produktivitätssteigerung sprach, die notwendig sei, und wie angesichts der Problematik des EuGH-Urteils die Bundesgesundheitsministerin platt sagte: Arbeitszeit ist Arbeitszeit. Ich frage mich wirklich, was sie damit meint.

Ich möchte aus diesem Grunde auf die Gesichtspunkte Kosten und Produktivität in unserem Gesundheitssystem eingehen. Das Märchen von der Kostenexplosion in unserem Gesundheitssystem ist in Expertenkreisen schon lange vom Tisch. Man muss sich die Frage stellen, warum diese Kostenexplosion ausbleibt. Der GKV-Anteil am Bruttoinlandsprodukt beträgt seit Jahrzehnten konstant etwa 6 Prozent. Dies ist umso verwunderlicher, als die Dienstleistungen des Gesundheitswesens sehr personalintensiv sind. Seit vielen Jahren nehmen die Rationalisierungen in der Industrie und im Dienstleistungsbereich zu. Personenbezogene Dienstleistungen können jedoch mit der gesamtwirtschaftlichen Produktivität nicht Schritt halten, da Arbeitsgegenstände ja Menschen sind. Diese können nicht aufbewahrt, nicht gestapelt oder standardisiert werden.

Die Arbeit der Pflege und der Medizin ist auf kranke und hilfsbedürftige Menschen gerichtet. Daher sind die Möglichkeiten der betrieblichen Rationalisierung noch weiter eingeschränkt. Rationalisierungen im Gesundheitswesen können mit dem allgemeinen Trend wegen der Personalintensität nicht mithalten.

Dies müsste normalerweise zu einem relativen Preisanstieg führen. Die Tatsache, dass dies nicht die Folge ist, dass dies nur in geringem Ausmaß der Fall ist, hat ihren Grund in der hohen Einsatzbereitschaft, ja man muss sagen: Opferbereitschaft und Leidensfähigkeit derer, die im Gesundheitswesen arbeiten: Arbeitsverdichtung, nicht bezahlte Überstunden, Leistungen über das Budget hinaus sind die entsprechenden Stichworte.

Arbeitsplätze im Gesundheitswesen sind preiswert. Wo schafft die Summe von 1 Milliarde DM die meisten Arbeitsplätze, dazu noch ausschließlich in Deutschland? Bei BMW sind es 1 933, bei der VIAG sind es 1 976, im Gesundheitswesen sind es 9 212.

Das Gesundheitswesen bietet mehr Arbeitsplätze als EDV, Büromaschinen, Bergbau, Medientechnik, Metallerzeugung, Elektrotechnik, Ernährungsgewerbe, chemische Industrie und Kraftwagenbau zusammen. Doch was macht die Politik seit Mitte der 90er-Jahre? Die Jobmaschine Gesundheitswesen wird abgewürgt durch Verschiebebahnhöfe, durch die Budgetierung und die weiter sinkende Lohnquote.

Ich möchte mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. Ceterum censeo medicum in practicum esse abolendum.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Danke schön. Jetzt bitte Herr Zollner aus Baden-Württemberg.

© 2003, Bundesärztekammer.