TOP III : Palliativmedizinische Versorgung in Deutschland

3. Tag: Donnerstag, 22. Mai 2003 Vormittagssitzung

Bodendieck, Sachsen:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist sehr schwer, die Palliativmedizin in Worte zu fassen. Ich frage mich: Wo beginnt die Palliativmedizin? Endet sie wirklich mit dem Tod des betroffenen Patienten? Es stellt sich die Frage: Reden wir in Deutschland eigentlich ausreichend und mit tiefem Hintergrund über den Tod? Ist es nicht vielleicht doch ein Tabuthema, bei dem uns allen zunächst einmal die Worte fehlen, auch neben dem Bett des Patienten oder hinter dem Schreibtisch?

Ich finde, es sollte ebenso deutlich beachtet werden, dass das Leben mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet. Über beide Phasen muss genauso intensiv gesprochen werden, auch um unsere Angehörigen zu unterstützen und die Verteilung der endgültigen Betreuung zu verschieben, also von den 30 Prozent zu Hause verstorbener Patienten hin zu 50 Prozent oder noch mehr zu kommen.

In der hausärztlichen Medizin erlebe ich auch heute noch: Es scheitert im Endeffekt an der Machbarkeit durch die Angehörigen, und zwar nicht deshalb, weil sie dies nicht wollen, sondern weil sie in der Tat mit dem Problem psychisch wie auch physisch überfordert sind. Ich denke, es ist notwendig, dass wir die Versorgungsforschung in diesem Bereich fördern. Hier fehlen uns aus meiner Sicht noch viel zu viele Daten, um endgültig sagen zu können, ob die 40 Tage im Maximum ausreichen, die die Palliativmedizin überspannen, oder ob es nicht vielleicht schon viel früher losgeht.

Ein anderer Aspekt ist für mich die Befähigung zur Palliativmedizin. Hier spreche ich auch die universitären Einrichtungen an. Ich muss fragen: Ist es immer nötig, auf Biegen und Brechen bei jedem Patienten ohne Ansehen seiner Begleiterkrankungen das medizinisch-wissenschaftlich Machbare zu tun und den Patienten am Ende möglicherweise durch die Behandlung der einen Erkrankung mehr zu schädigen, statt ihn zu begleiten und ihm mitzuteilen, dass es aus heutiger Sicht keine andere Möglichkeit für ihn gibt, um ein würdiges Ende zu erleben? Ich sage noch einmal: Das Tabuthema Sterben ist heutzutage eines der wichtigsten Themen, die besprochen werden müssen.

Dass das System nicht so richtig funktioniert, sehen wir auch im Bereich der Approbationsordnung oder im Bereich der Lehre. Der Kollege Hausarzt hat vorhin nicht ohne Grund gesagt: Man braucht dazu eine gewisse Reife. Diese gewisse Reife kann ich bei jungen Kollegen nicht voraussetzen. Da sehr viele junge Kolleginnen und Kollegen an den Universitäten ihr Berufsleben beginnen, müssen wir frühzeitiger beginnen, die Reife zu befördern und zuzusehen, dass sich die so genannten Fehler - ich halte sie nicht unbedingt für Fehler - immer weiter minimieren lassen.

Die Palliativmedizin hat sehr viele Facetten. Herr Kollege Lipp sprach die Ernährungstherapie an. Sie ist unbestritten ein ganz wichtiger Aspekt. Aus meiner Sicht dürfen wir aber auch die Bewegung der Patienten nicht vergessen. Es reicht nicht aus, Morphin zur Schmerzlinderung zu geben, der Patient muss sich bewegen, damit Kontrakturen vorgebeugt wird. Auch dieser Aspekt wird aus meiner Sicht heutzutage deutlich vernachlässigt. Das sehen wir, wenn wir uns die Vorschriften, Leitlinien oder auch die Heilmittelrichtlinien ansehen.

Danke schön.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Danke sehr, Herr Bodendieck. Der nächste Redner ist Herr Birtel aus Nordrhein.

© 2003, Bundesärztekammer.