Dr. Schindler, Referent:
Ich möchte kurz auf einige
Punkte, die in der Diskussion angesprochen wurden, eingehen. Ich glaube, es ist
deutlich geworden, dass man sich nicht darüber streiten muss, ob man unbedingt
einen Spezialisten braucht oder ob es jeder Hausarzt können muss. Ich denke,
beides ist erforderlich. Die Palliativmedizin muss in die Breite getragen
werden, die Palliativmedizin muss als palliativmedizinische Basisversorgung von
allen Ärzten, die mit schwerkranken Patienten zu tun haben, angeboten werden
können. Wir brauchen trotzdem den Spezialisten zur Beratung und im Einzelfall
auch zur Versorgung.
Im ambulanten Bereich haben wir sehr deutlich gesehen: Es
gibt gar nicht so selten schwierige Situationen, die ein niedergelassener Arzt
so noch nie erlebt hat. Es fehlt einfach die Erfahrung. Wir wissen, dass ein
Hausarzt im Durchschnitt pro Jahr zwei bis drei schwerkranke Tumorpatienten am
Lebensende betreut. Da kann sich in kurzer Zeit gar nicht so viel Erfahrung
ansammeln, dass man mit spezifischen Fragestellungen relativ leicht umgehen
kann. Diese Kollegen sind sehr dankbar, wenn
sie sich Rat holen können, und zwar niedrigschwellig. Sie müssen nichts
anmelden, bei dem in drei Wochen darüber diskutiert wird. Sie können vielmehr
schnell jemanden erreichen, der notfalls vor Ort einen Konsiliarbesuch
durchführen kann.
Als ein Beispiel sei das Schmerzpumpen-Handling genannt.
Welcher niedergelassene Arzt kennt sich mit Schmerzpumpen aus? Ich behaupte:
weniger als 1 Prozent. Ein zweites Beispiel sind Aszitespunktionen.
Tumorkranke Patienten am Lebensende müssen wegen einer Aszitespunktion nicht in
eine Klinik geschickt werden; das kann man auch zu Hause machen. Wer das noch
nie gemacht hat, wird es aber nicht tun. Er wird deshalb einen solchen
Patienten in die Klinik schicken. Man braucht einfach die Sicherheit im
Hintergrund, dass man jemanden hinzuziehen kann.
Ganz wichtig sind ethisch-rechtliche Fragestellungen. Hier
gibt es ganz oft eine Unsicherheit. Wir erleben häufig Krankenhauseinweisungen,
weil eine rechtliche Unsicherheit besteht, wie mit einer vorliegenden Situation
umzugehen ist. Oft ist es gar nicht ein ethisches Problem, sondern eine
rechtliche Unsicherheit. Wenn eine kurzfristige Beratungsmöglichkeit gegeben
ist, ist bei vielen Kollegen die Dankbarkeit
sehr groß. Sie sagen: Wir haben alles so gemacht, wie Sie es uns empfohlen
haben, aber trotzdem sind wir dankbar, denn wir tun es jetzt mit größerer
Sicherheit, wir können es jetzt besser vertreten und sind nicht mehr so
zweifelnd.
Ganz kurz möchte ich noch die Pflegeversicherung
ansprechen und die vielen bürokratischen Hemmnisse, die gerade im ambulanten
Sektor die Arbeit am Lebensende so oft erschweren. In den Modellprojekten ist
sehr deutlich geworden, dass die Pflegeversicherung überhaupt nicht die
Bedürfnisse schwerkranker Tumorpatienten am Lebensende abdeckt. Die Kriterien
für die Einstufung sind in der Pflegeversicherung für völlig andere Patienten
geschaffen worden. Daher gibt es immer große Probleme. Hier müssen andere Wege
beschritten werden, damit diese Patienten am Lebensende adäquat versorgt werden
können.
Es wurde auch gefragt: Wer ist ein Palliativpatient? Es
wurde auch gefragt: Wieso nur 40 Tage bzw. im Median 20 Tage? Der Grund ist
einfach: Früher dürfen die Patienten von den Modellprojekten oft nicht
übernommen werden, weil auch hier die restriktive Praxis der Kostenträger
ausschlaggebend ist.
Ein anderer Punkt ist, dass sich mitunter Kollegen, aber auch Patienten sträuben, von einem
spezialisierten Dienst versorgt zu werden, weil das für sie unter Umständen
bedeutet: Oh Gott, ist es jetzt schon so weit mit mir?
Hier liegt ein großes Problem vor. Diese Frage muss
intensiv erörtert werden. Die Palliativmedizin sollte wirklich nicht erst 40
Tage vor dem Tod greifen können.
Ein Kollege sagte sehr
deutlich: Es müssen Anreize gerade auch für den ambulanten Sektor geschaffen
werden. Dem kann ich nur zustimmen. Die Betreuung von Schwerkranken und
Sterbenden erfordert vor allen Dingen Zeit, Zeit nicht nur deshalb, um viel zu
machen, sondern auch um zuzuhören. Das Zuhören ist außerordentlich wichtig.
Diese Erfahrung machen wir immer wieder. In den Angehörigenbefragungen wird
häufig als wichtigstes Element dessen, was die Dienste anbieten, Menschlichkeit
genannt, nicht etwas das hervorragende Fachwissen in der Schmerztherapie oder
dergleichen. Diese Menschlichkeit bringen die Kollegen
aus den Diensten nicht naturgegeben mit, sie bringen Zeit mit. Diese Zeit lässt
sie zuhören und selbstverständlich auch die Expertise einfließen. Beides gehört
zusammen und muss angeboten werden können, damit wir eine adäquate Versorgung
von Schwerkranken und Sterbenden durchführen können.
Vielen Dank.
(Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe,
Präsident der
Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Herr Kollege Schindler. Jetzt bitte Frau Auerswald.
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