Prof.
Dr. von Jagow, Referent:
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Ich freue mich, dass ich Ihnen die Ziele und den Prozess der neuen
ärztlichen Ausbildungsordnung (ÄAppO) darstellen kann.
Zunächst ein Wort zur Ausgangssituation. Leider ist die
Qualität unserer Ausbildung unbefriedigend, da an zahlreichen - nicht an allen
- Medizinischen Fakultäten und Klinika fundamentale Mängel bestehen. Dies
betrifft nicht nur die lückenhaften Inhalte des Lehrstoffes, die mangelnde Nähe
zur Praxis, sondern auch die Art der Prüfung. Deshalb müssen wir das
Studienziel neu bestimmen. Nach dessen Charakterisierung will ich die Lehr- und
Lernziele aufgliedern. Anschließend will ich die Rahmenbedingungen und die
Inhalte, unter denen die Umsetzung realisiert werden muss, betrachten. Unter
Punkt 5 werden wir sehen, dass die klaren Eckpunkte des Studienablaufs diese
Reform erleichtern.
Anschließend möchte ich die 22 Pflichtfächer und die zwölf
Querschnittsbereiche streifen. Schließlich möchte ich auf den eingeschlagenen
Weg und den Stand der Umsetzung eingehen. Zum Schluss möchte ich eine
Danksagung aussprechen.
Zunächst einige Bemerkungen zu den fundamentalen Mängeln
der bisherigen Ausbildung. Ich möchte zugleich über deren Beseitigung
referieren.
Der deutschen Ausbildung haften Theorielastigkeit und
Praxisferne an. Zwar wird in den ersten vier Semestern ein ausgezeichnetes
Grundlagenwissen vermittelt, allerdings mangelt es mit Beginn des ersten
Semesters an genügender Praxisnähe. Der Unterricht soll entsprechend der neuen
Ausbildungsordnung stark fächerübergreifend und interdisziplinär erfolgen. Eine
problemorientierte und fallbezogene Lehre soll durch die Einbeziehung von
Krankheitsfällen bereits ab dem ersten Semester erfolgen und durch das
Heranziehen von Patienten verwirklicht werden.
Die praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten unserer
Studierenden müssen wesentlich verbessert werden. Hier ist eine hohe
Eigeninitiative erforderlich. Die vorlesungs- und arbeitsfreien Anteile der
Semester werden nicht mehr groß vorhanden sein. Die Allgemeinmedizin, die
Versorgung der Kranken durch den niedergelassenen Praktischen Arzt und den
Hausarzt bestimmt wesentlich die Qualität der medizinischen Versorgung. Ihre
Vermittlung war bisher durch zu viel Fachwissen überdeckt.
Die Bedeutung der Multiple-Choice-Fragen muss
zurückgenommen werden.
(Vereinzelt
Beifall)
Ein Lernen nach der schwarzen Reihe muss beendet werden.
Weniger Spezialwissen, sondern mehr die häufigen Erkrankungen müssen Inhalt der
Staatsprüfung wie auch der zukünftigen universitären Prüfungen mit Schwerpunkt
auf dem praktischen Wissen sein.
All das, was ich gerade ausgeführt habe, sollte sich in
der Definition des Studienziels ausdrücken, wie es beispielsweise die
Frankfurter Fakultät versucht hat. Was sollen die Studierenden nach fünf Jahren
Studium vermittelt bekommen und erlernt haben? Sie sollen die häufigen und
wesentlichen Erkrankungen kennen und beherrschen. Die jungen Medizinerinnen und
Mediziner sollen sie diagnostizieren können. Sie sollen eine Vorstellung
darüber besitzen, wie man sie behandelt, und sie sollen sich einen menschlichen
Zugang zu ihren Patienten verschafft haben. Die neue Ausbildungsordnung begeht
nicht den Fehler einer Überregulation bei der Behebung der alten Mängel. Das
wissenschaftliche theoretische Wissen soll sehr wohl vermittelt werden, jedoch
stets im Zusammenhang mit klinischer Relevanz. Das praktische Wissen, die handwerklichen
Tätigkeiten und Routinen müssen erlernt werden. Ihre Vermittlung soll über
Aufgabenhefte kontrolliert und abgesichert werden. Hier wird in den Klinika ein
Lernprozess vonstatten gehen müssen.
Der Umgang mit den Patienten, mit dem Pflegepersonal - der
größten Berufsgruppe an einem Klinikum -, mit den Mitstudierenden und den
Lehrenden muss während des gesamten Studiums gepflegt und erworben werden.
Die Bestimmung der Lehrziele muss im Dialog zwischen den
Lehrenden und den Studierenden erfolgen. Ich betone: Das gesundheitspolitische
Umfeld soll in diesen Prozess ständig eingebunden werden.
Wann wird die neue Ausbildungsordnung sozusagen scharf
gestellt? Sie beginnt flächendeckend mit dem kommenden Wintersemester, also im
Oktober dieses Jahres. Die Studienordnung, Curricula, Unterrichtspläne,
Prüfungsordnung und Prüfungspläne sind zu erarbeiten. Es ist ein größeres
Aufgabenpensum, als man gewöhnlich annimmt. All das muss Genehmigungsverfahren
passieren. Die Kultur der Prüfungen wird sich wesentlich ändern, denn neben den
staatlichen Prüfungen müssen von den Fakultäten unterrichtsbegleitend universitäre
Prüfungen durchgeführt werden. Die neuesten Informationen des BMGS besagen,
dass ab dem Wintersemester 2004/2005 der Arzt im Praktikum entfallen soll,
woran Sie als Ärztetag ja mitgewirkt haben.
Das Studium besitzt eine sehr einfache Struktur. Der erste
Studienabschnitt umfasst vier Semester, jeweils am Semesterende begleitet von
den universitären Prüfungen. Dann folgt die erste Staatsprüfung. Der zweite
Studienabschnitt umfasst sechs Semester. Er wird in Kleingruppen und
Blockpraktika unter Betonung der Querschnittsbereiche - etwas völlig Neues -
abgewickelt, wiederum begleitet von den universitären Prüfungen. Die ehemalige
zweite Staatsprüfung entfällt. An das zehnte Semester schließt sich direkt das
Praktische Jahr an. Sie wissen: Es hatte eine große Diskussion über das
„Hammerexamen“ gegeben. Erst nach dem Praktischen Jahr erfolgt eine zweite
Staatsprüfung.
Die universitären Prüfungen müssen die 22 Pflichtfächer -
ich nenne sie „Basis des Wissens und Könnens“ - prüfen und benoten. Das ist
eine völlig neue Situation. Ich kann hier auf die Inhalte der Pflichtfächer
nicht eingehen. Die zwölf Querschnittsbereiche - die Felder der Verzahnung -,
die ein völlig neues und reizvolles Feld des deutschen Studiums eröffnen, sind
nun Teil des Lehrstoffs.
Die Medizinischen Fakultäten werden in näherer Zukunft
ganz sicher um die Studierenden konkurrieren müssen. Hier können die Fakultäten
ihre Qualität und ihre Attraktivität beweisen. Diese Fächer müssen ebenfalls
während des Studiums geprüft und benotet werden.
Welche Wege haben die Medizinischen Fakultäten betreten,
um das dargestellte Aufgabenbündel zu erfüllen? Erstens. Die Studiendekaninnen
und -dekane mit ihren Mitarbeiterstäben haben sich entschlossen, voneinander
unabhängig und kompetitiv zu arbeiten, jedoch im engen gegenseitigen Kontakt
die Umsetzung zu bewältigen. Hierfür wurde in der Homepage des MFT ein
Diskussionsforum eingerichtet, wo man Fragen stellen kann und auf Antworten
wartet. Eine Präsidialkommission des Fakultätentags „Neue ÄAppO“ unterstützt
diesen Prozess intensiv. Sie besteht aus wichtigen Studiendekanen.
Zweitens. Wir sind uns sehr im Klaren, dass wir große
Mängel in der Didaktik der Hochschulmedizin aufweisen. Hier hat sich ebenfalls
eine Präsidialkommission „Hochschuldidaktik“ an die Arbeit gemacht. Ich glaube,
auch hier wird Wesentliches entstehen.
Drittens. Die neue Ausbildungsordnung enthält gesetzlich
den Zwang zu einer ständigen Evaluation der Lehre. Auch hier haben intensive
Aktivitäten auf breiter Basis begonnen.
Wo stehen wir mit unseren Bemühungen? Wenn ich diesen
Punkt anschneide, wird es mir etwas warm. Den gegenwärtigen Stand der Umsetzung
der neuen Ausbildungsordnung möchte ich anhand des Fachbereichs der Universität
Frankfurt erläutern. Die notwendige Neuplanung des klinischen Studienabschnitts
ging von der Identifikation wichtiger Lehrinhalte aus. Außerdem wurden alle
Hochschullehrer befragt, praktische Fähigkeiten nach ihrer Bedeutung für die
medizinische Ausbildung - ich betone: nicht Weiterbildung - zu gewichten. Die
Inhalte wurden für die völlig neuen Querschnittsbereiche von den interessierten
Hochschullehrern, die man finden musste, neu definiert. Bedingt durch die
Verminderung der Vorlesungszahl, die mit der neuen Ordnung eingetreten ist, und
die Umstrukturierung der Praktika wurde versucht, anhand der zwei Kriterien
„verstärkte praktische Ausbildung“ und „häufige und/oder sofort behandlungsbedürftige
Erkrankungen“ zu definieren. Hiermit wurden auch Schwerpunkte in den
theoretischen und praktischen Inhalten gesetzt.
Diese Ergebnisse gingen in die inhaltliche Planung der
Fächer, Querschnittsbereiche, Blockpraktika sowie der Prüfung ein und werden
derzeit semesterweise entwickelt.
Eine Umfrage, die wir gerade an den 36 Medizinischen
Fakultäten durchgeführt haben, hat gezeigt, dass noch nicht alle Fachbereiche
die neue Ausbildungsordnung so weitgehend umgesetzt haben. Das heißt, die
Beendigung der Studienordnungen und der Curricula ist noch nicht überall
eingetreten, vor allem bei den durch die universitären Prüfungen zu vergebenden
Noten. Bei den geforderten fächerübergreifenden Leistungsnachweisen sehen viele
Fakultäten Schwierigkeiten, die sich wahrscheinlich erst im Verlauf der
nächsten Semester endgültig werden beseitigen lassen.
Lassen Sie mich es etwas genauer sagen: Von 36 Fakultäten
haben wir innerhalb einer Woche von 23 Fakultäten Antwort bekommen. 21
Fakultäten haben erklärt: Wir haben unsere Studienordnung fertig. Nun wissen
Sie als Mediziner so gut wie ich: Die deutschen Hochschulmediziner sind immer
sehr fleißig und sehr bemüht. Ich glaube, hier wird sehr viel geleistet.
(Beifall)
Ich möchte meinen Bericht mit einer Danksagung beenden.
Wir stehen in einem intensiven Wechselspiel mit dem BMGS, dem BMBF und dem
Stifterverband, die uns alle finanziell in unseren Bemühungen unterstützen. Das
IMPP hat uns neben seiner Gestaltung der staatlichen Prüfung, bei der es wohl
sehr große Anstrengungen machen muss, auch Hilfe bei der Ausarbeitung der
universitären Prüfung angeboten. GMA, CHE und der Wissenschaftsrat geben uns
direkte Entwicklungshilfe. Über die bedeutende Rolle der Bundesärztekammer und
des Deutschen Ärztetages muss ich wohl keine weiteren Worte verlieren. Es gibt
bei der Bundesärztekammer den Ausschuss „Ausbildung zum Arzt/Hochschule und
Medizinische Fakultäten“ unter der Leitung von Herrn Professor Schulze. Dort
gestalten wir wichtige Dinge.
Herr Hoppe, ich weiß, Sie sind seit Jahrzehnten intensiv
eingebunden und haben bei der Verbesserung der Ausbildung der Mediziner
mitgewirkt. Sie haben auf diesem Gebiet sehr viel geleistet. Ich darf Ihnen
hier im Namen des Präsidiums des Medizinischen Fakultätentags zu Ihrer
Wiederwahl als Präsident ganz herzlich gratulieren. Wir wissen - wir lesen es
täglich -, dass auf Sie sehr viel Beängstigendes einstürmt. Wir hoffen und
glauben, dass es Ihnen gelingen wird, von der wertvollen deutschen
Selbstverwaltung in der Medizin vieles zu bewahren, damit wir nicht überall
unter Staatsdirigismus geraten. Ich bin mir sicher: Sie schaffen es. Glück auf!
(Beifall)
Auch der Hartmannbund und der Marburger Bund haben sich
intensiv in die Realisierung der Ausbildungsordnung eingebunden.
Allen diesen Verbänden und Organisationen möchte ich an
dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der
Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank, Herr Professor
von Jagow, für die Einführung und auch für Ihre freundlichen Worte. Wir haben
zu diesem Tagesordnungspunkt die Fachtagung Medizin e. V. eingeladen. Zugegen
ist Herr Nicolas Hoffmann. Wenn er das Wort wünscht, erhält er es als geladener
Gast. Er ist Medizinstudent in Aachen.
Bevor wir in die Aussprache eintreten, hat sich Herr Lutz
zur Geschäftsordnung gemeldet. Bitte schön.
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