TOP V : Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

4. Tag: Freitag, 23. Mai 2003 Nachmittagssitzung

Prof. Dr. von Jagow, Referent:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich Ihnen die Ziele und den Prozess der neuen ärztlichen Ausbildungsordnung (ÄAppO) darstellen kann.

Zunächst ein Wort zur Ausgangssituation. Leider ist die Qualität unserer Ausbildung unbefriedigend, da an zahlreichen - nicht an allen - Medizinischen Fakultäten und Klinika fundamentale Mängel bestehen. Dies betrifft nicht nur die lückenhaften Inhalte des Lehrstoffes, die mangelnde Nähe zur Praxis, sondern auch die Art der Prüfung. Deshalb müssen wir das Studienziel neu bestimmen. Nach dessen Charakterisierung will ich die Lehr- und Lernziele aufgliedern. Anschließend will ich die Rahmenbedingungen und die Inhalte, unter denen die Umsetzung realisiert werden muss, betrachten. Unter Punkt 5 werden wir sehen, dass die klaren Eckpunkte des Studienablaufs diese Reform erleichtern.

Anschließend möchte ich die 22 Pflichtfächer und die zwölf Querschnittsbereiche streifen. Schließlich möchte ich auf den eingeschlagenen Weg und den Stand der Umsetzung eingehen. Zum Schluss möchte ich eine Danksagung aussprechen.

Zunächst einige Bemerkungen zu den fundamentalen Mängeln der bisherigen Ausbildung. Ich möchte zugleich über deren Beseitigung referieren.

Der deutschen Ausbildung haften Theorielastigkeit und Praxisferne an. Zwar wird in den ersten vier Semestern ein ausgezeichnetes Grundlagenwissen vermittelt, allerdings mangelt es mit Beginn des ersten Semesters an genügender Praxisnähe. Der Unterricht soll entsprechend der neuen Ausbildungsordnung stark fächerübergreifend und interdisziplinär erfolgen. Eine problemorientierte und fallbezogene Lehre soll durch die Einbeziehung von Krankheitsfällen bereits ab dem ersten Semester erfolgen und durch das Heranziehen von Patienten verwirklicht werden.

Die praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten unserer Studierenden müssen wesentlich verbessert werden. Hier ist eine hohe Eigeninitiative erforderlich. Die vorlesungs- und arbeitsfreien Anteile der Semester werden nicht mehr groß vorhanden sein. Die Allgemeinmedizin, die Versorgung der Kranken durch den niedergelassenen Praktischen Arzt und den Hausarzt bestimmt wesentlich die Qualität der medizinischen Versorgung. Ihre Vermittlung war bisher durch zu viel Fachwissen überdeckt.

Die Bedeutung der Multiple-Choice-Fragen muss zurückgenommen werden.

(Vereinzelt Beifall)

Ein Lernen nach der schwarzen Reihe muss beendet werden. Weniger Spezialwissen, sondern mehr die häufigen Erkrankungen müssen Inhalt der Staatsprüfung wie auch der zukünftigen universitären Prüfungen mit Schwerpunkt auf dem praktischen Wissen sein.

All das, was ich gerade ausgeführt habe, sollte sich in der Definition des Studienziels ausdrücken, wie es beispielsweise die Frankfurter Fakultät versucht hat. Was sollen die Studierenden nach fünf Jahren Studium vermittelt bekommen und erlernt haben? Sie sollen die häufigen und wesentlichen Erkrankungen kennen und beherrschen. Die jungen Medizinerinnen und Mediziner sollen sie diagnostizieren können. Sie sollen eine Vorstellung darüber besitzen, wie man sie behandelt, und sie sollen sich einen menschlichen Zugang zu ihren Patienten verschafft haben. Die neue Ausbildungsordnung begeht nicht den Fehler einer Überregulation bei der Behebung der alten Mängel. Das wissenschaftliche theoretische Wissen soll sehr wohl vermittelt werden, jedoch stets im Zusammenhang mit klinischer Relevanz. Das praktische Wissen, die handwerklichen Tätigkeiten und Routinen müssen erlernt werden. Ihre Vermittlung soll über Aufgabenhefte kontrolliert und abgesichert werden. Hier wird in den Klinika ein Lernprozess vonstatten gehen müssen.

Der Umgang mit den Patienten, mit dem Pflegepersonal - der größten Berufsgruppe an einem Klinikum -, mit den Mitstudierenden und den Lehrenden muss während des gesamten Studiums gepflegt und erworben werden.

Die Bestimmung der Lehrziele muss im Dialog zwischen den Lehrenden und den Studierenden erfolgen. Ich betone: Das gesundheitspolitische Umfeld soll in diesen Prozess ständig eingebunden werden.

Wann wird die neue Ausbildungsordnung sozusagen scharf gestellt? Sie beginnt flächendeckend mit dem kommenden Wintersemester, also im Oktober dieses Jahres. Die Studienordnung, Curricula, Unterrichtspläne, Prüfungsordnung und Prüfungspläne sind zu erarbeiten. Es ist ein größeres Aufgabenpensum, als man gewöhnlich annimmt. All das muss Genehmigungsverfahren passieren. Die Kultur der Prüfungen wird sich wesentlich ändern, denn neben den staatlichen Prüfungen müssen von den Fakultäten unterrichtsbegleitend universitäre Prüfungen durchgeführt werden. Die neuesten Informationen des BMGS besagen, dass ab dem Wintersemester 2004/2005 der Arzt im Praktikum entfallen soll, woran Sie als Ärztetag ja mitgewirkt haben.

Das Studium besitzt eine sehr einfache Struktur. Der erste Studienabschnitt umfasst vier Semester, jeweils am Semesterende begleitet von den universitären Prüfungen. Dann folgt die erste Staatsprüfung. Der zweite Studienabschnitt umfasst sechs Semester. Er wird in Kleingruppen und Blockpraktika unter Betonung der Querschnittsbereiche - etwas völlig Neues - abgewickelt, wiederum begleitet von den universitären Prüfungen. Die ehemalige zweite Staatsprüfung entfällt. An das zehnte Semester schließt sich direkt das Praktische Jahr an. Sie wissen: Es hatte eine große Diskussion über das „Hammerexamen“ gegeben. Erst nach dem Praktischen Jahr erfolgt eine zweite Staatsprüfung.

Die universitären Prüfungen müssen die 22 Pflichtfächer - ich nenne sie „Basis des Wissens und Könnens“ - prüfen und benoten. Das ist eine völlig neue Situation. Ich kann hier auf die Inhalte der Pflichtfächer nicht eingehen. Die zwölf Querschnittsbereiche - die Felder der Verzahnung -, die ein völlig neues und reizvolles Feld des deutschen Studiums eröffnen, sind nun Teil des Lehrstoffs.

Die Medizinischen Fakultäten werden in näherer Zukunft ganz sicher um die Studierenden konkurrieren müssen. Hier können die Fakultäten ihre Qualität und ihre Attraktivität beweisen. Diese Fächer müssen ebenfalls während des Studiums geprüft und benotet werden.

Welche Wege haben die Medizinischen Fakultäten betreten, um das dargestellte Aufgabenbündel zu erfüllen? Erstens. Die Studiendekaninnen und -dekane mit ihren Mitarbeiterstäben haben sich entschlossen, voneinander unabhängig und kompetitiv zu arbeiten, jedoch im engen gegenseitigen Kontakt die Umsetzung zu bewältigen. Hierfür wurde in der Homepage des MFT ein Diskussionsforum eingerichtet, wo man Fragen stellen kann und auf Antworten wartet. Eine Präsidialkommission des Fakultätentags „Neue ÄAppO“ unterstützt diesen Prozess intensiv. Sie besteht aus wichtigen Studiendekanen.

Zweitens. Wir sind uns sehr im Klaren, dass wir große Mängel in der Didaktik der Hochschulmedizin aufweisen. Hier hat sich ebenfalls eine Präsidialkommission „Hochschuldidaktik“ an die Arbeit gemacht. Ich glaube, auch hier wird Wesentliches entstehen.

Drittens. Die neue Ausbildungsordnung enthält gesetzlich den Zwang zu einer ständigen Evaluation der Lehre. Auch hier haben intensive Aktivitäten auf breiter Basis begonnen.

Wo stehen wir mit unseren Bemühungen? Wenn ich diesen Punkt anschneide, wird es mir etwas warm. Den gegenwärtigen Stand der Umsetzung der neuen Ausbildungsordnung möchte ich anhand des Fachbereichs der Universität Frankfurt erläutern. Die notwendige Neuplanung des klinischen Studienabschnitts ging von der Identifikation wichtiger Lehrinhalte aus. Außerdem wurden alle Hochschullehrer befragt, praktische Fähigkeiten nach ihrer Bedeutung für die medizinische Ausbildung - ich betone: nicht Weiterbildung - zu gewichten. Die Inhalte wurden für die völlig neuen Querschnittsbereiche von den interessierten Hochschullehrern, die man finden musste, neu definiert. Bedingt durch die Verminderung der Vorlesungszahl, die mit der neuen Ordnung eingetreten ist, und die Umstrukturierung der Praktika wurde versucht, anhand der zwei Kriterien „verstärkte praktische Ausbildung“ und „häufige und/oder sofort behandlungsbedürftige Erkrankungen“ zu definieren. Hiermit wurden auch Schwerpunkte in den theoretischen und praktischen Inhalten gesetzt.

Diese Ergebnisse gingen in die inhaltliche Planung der Fächer, Querschnittsbereiche, Blockpraktika sowie der Prüfung ein und werden derzeit semesterweise entwickelt.

Eine Umfrage, die wir gerade an den 36 Medizinischen Fakultäten durchgeführt haben, hat gezeigt, dass noch nicht alle Fachbereiche die neue Ausbildungsordnung so weitgehend umgesetzt haben. Das heißt, die Beendigung der Studienordnungen und der Curricula ist noch nicht überall eingetreten, vor allem bei den durch die universitären Prüfungen zu vergebenden Noten. Bei den geforderten fächerübergreifenden Leistungsnachweisen sehen viele Fakultäten Schwierigkeiten, die sich wahrscheinlich erst im Verlauf der nächsten Semester endgültig werden beseitigen lassen.

Lassen Sie mich es etwas genauer sagen: Von 36 Fakultäten haben wir innerhalb einer Woche von 23 Fakultäten Antwort bekommen. 21 Fakultäten haben erklärt: Wir haben unsere Studienordnung fertig. Nun wissen Sie als Mediziner so gut wie ich: Die deutschen Hochschulmediziner sind immer sehr fleißig und sehr bemüht. Ich glaube, hier wird sehr viel geleistet.

(Beifall)

Ich möchte meinen Bericht mit einer Danksagung beenden. Wir stehen in einem intensiven Wechselspiel mit dem BMGS, dem BMBF und dem Stifterverband, die uns alle finanziell in unseren Bemühungen unterstützen. Das IMPP hat uns neben seiner Gestaltung der staatlichen Prüfung, bei der es wohl sehr große Anstrengungen machen muss, auch Hilfe bei der Ausarbeitung der universitären Prüfung angeboten. GMA, CHE und der Wissenschaftsrat geben uns direkte Entwicklungshilfe. Über die bedeutende Rolle der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages muss ich wohl keine weiteren Worte verlieren. Es gibt bei der Bundesärztekammer den Ausschuss „Ausbildung zum Arzt/Hoch­schule und Medizinische Fakultäten“ unter der Leitung von Herrn Professor Schulze. Dort gestalten wir wichtige Dinge.

Herr Hoppe, ich weiß, Sie sind seit Jahrzehnten intensiv eingebunden und haben bei der Verbesserung der Ausbildung der Mediziner mitgewirkt. Sie haben auf diesem Gebiet sehr viel geleistet. Ich darf Ihnen hier im Namen des Präsidiums des Medizinischen Fakultätentags zu Ihrer Wiederwahl als Präsident ganz herzlich gratulieren. Wir wissen - wir lesen es täglich -, dass auf Sie sehr viel Beängstigendes einstürmt. Wir hoffen und glauben, dass es Ihnen gelingen wird, von der wertvollen deutschen Selbstverwaltung in der Medizin vieles zu bewahren, damit wir nicht überall unter Staatsdirigismus geraten. Ich bin mir sicher: Sie schaffen es. Glück auf!

(Beifall)

Auch der Hartmannbund und der Marburger Bund haben sich intensiv in die Realisierung der Ausbildungsordnung eingebunden.

Allen diesen Verbänden und Organisationen möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Vielen Dank, Herr Professor von Jagow, für die Einführung und auch für Ihre freundlichen Worte. Wir haben zu diesem Tagesordnungspunkt die Fachtagung Medizin e. V. eingeladen. Zugegen ist Herr Nicolas Hoffmann. Wenn er das Wort wünscht, erhält er es als geladener Gast. Er ist Medizinstudent in Aachen.

Bevor wir in die Aussprache eintreten, hat sich Herr Lutz zur Geschäftsordnung gemeldet. Bitte schön.

© 2003, Bundesärztekammer.