TOP II: Durch Quantität zu Qualität? – Folgen der Konzentration und Zentralisierung von medizinischer Versorgung für die Bevölkerung

Tag 2: Mittwoch, 19. Mai 2004 Vormittagssitzung

Zimmer, Nordrhein:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren über das Problem Mengen steuern, Qualität erzeugen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel dafür geben, wie man sich selbst erfüllende Prophezeiungen generiert. Es gibt in unserer Region einen BEK-StrukturintegrationsvertragElektive Hüft-OP“. Danach läuft der Patient bei einem an diesem Integrationsvertrag teilnehmenden niedergelassenen Orthopäden auf. Dieser entscheidet darüber, ob der Patient in den Vertrag hineinkommt, wonach zwei Jahre Gewährleistung gelten. Der Patient erhält maximal 150 Euro Bonus.

Wie muss sich der niedergelassene Orthopäde, der unter Umständen gleichzeitig Operateur in einem angeschlossenen Krankenhaus ist, verhalten? – Er muss, um die Gewährleistung zu garantieren, sicherstellen, dass die schlechten Risiken nicht im Rahmen des Integrationsvertrags operiert werden. Er hat aber die Möglichkeit, da er in der vertragsärztlichen Versorgung weiterarbeitet, diesem Patienten eine reguläre Einweisung, den berühmten roten Schein, zu geben.

Das wird im Ergebnis dazu führen, dass es in zwei oder drei Jahren eine Gruppe von Patienten gibt, die im Rahmen des Operationsvertrages operiert wurden und in der Regel auch keine Garantiefälle geworden sind. Wir verlassen hier ja den Dienstleistungsbereich und werden zum Partner eines Werkvertrages. Das wird der Politik und den Krankenkassen die Möglichkeit zu der Aussage eröffnen: Unsere Integrationsverträge sind hervorragend.

Auf der anderen Seite werden aus diesem System die schlechten Risiken in die reguläre weitere Versorgung herausgesteuert. Das Ergebnis ist, dass dort, exzellent belegt, immer schlechtere Qualität produziert werden wird, weil man die Patienten ja nicht im Integrationsvertrag mit den wunderbar ineinander übergehenden Strukturen versorgt hat.

Wir sollten uns vor diesem Hintergrund genau überlegen, was wir eigentlich erreichen, wenn wir bestimme Qualitäten definieren und diese über die Menge festmachen. Für mich, der ich im niedergelassenen Bereich tätig bin, ist es nach wie vor sehr leicht: Ich kann eine Reihe meiner Patienten hervorragend steuern, wo sie ihre Ösophaguskarzinome oder ihre Lungenchirurgie brauchen. Aber ich kann bei diesen Verträgen, durch die der Patient mit Geld gelockt wird, eine sich dadurch abzeichnende Entwicklung nicht mehr aufhalten, weil das ökonomische Interesse einzelner Patienten, aber auch das ökonomische Interesse ärztlicher Kollegen einen anderen Weg vorschreibt.

Derartige Verträge sind nach meiner Vorstellung unmoralisch. Sie führen dazu, dass wir verloren haben, wenn wir für alle Menschen eine gute medizinische Qualität bereitstellen wollen.

Danke schön.

(Beifall)

Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages:

Schönen Dank, Herr Zimmer. – Als nächster Redner bitte Herr Privatdozent Scholz aus Hessen.

© 2004, Bundesärztekammer.