Henke, Vorstand der
Bundesärztekammer:
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und
Herren! Es geht in diesem Antrag um die auch gestern unter dem Tagesordnungspunkt
„Integration von Menschen mit Behinderungen“ geäußerte Kritik von
Herrn Dr. Nick und Herrn Dr. Lipp an der Praxis der Feststellung,
wer eigentlich behindert ist, wer schwerbehindert ist, wer in den Genuss von sozialen Leistungen
kommt. Hier wird eine Einschränkung der im Schwerbehindertengesetz
getroffenen Regelungen verlangt, ohne dass diese Einschränkungen näher
konkretisiert sind.
Das ist gewissermaßen mein Kritikpunkt: Wir haben
ja im Sozialgesetzbuch IX die Definition, was unter sozialrechtlichen
Aspekten unter einer Behinderung zu verstehen ist. Vorliegen muss
entweder eine körperliche Funktionsstörung oder eine Minderung der
geistigen Fähigkeit oder eine Einschränkung der seelischen Gesundheit.
Eine solche Störung muss mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen längeren
Zeitraum als sechs Monate vorliegen. Ferner muss es sich um einen
Zustand handeln, der von dem Zustand abweicht, der für das Lebensalter
typisch ist. Zusätzlich muss die Teilhabe des Betreffenden am gesellschaftlichen
Leben beeinträchtigt sein.
Diese Definitionen sind von allen Parteien des
Deutschen Bundestages im Rahmen des Sozialgesetzbuches IX verabschiedet
worden. Im Schwerbehindertengesetz ist festgehalten, dass der Grad
der Behinderung zur Anerkennung als Schwerbehinderter mindestens 50
Prozent betragen muss. Für einen Teil der Vergünstigungen ist derjenige,
der eine Behinderung von mindestens 30 Prozent erreicht, gleichgestellt
mit denjenigen, die 50 Prozent Behinderungsgrad erreichen. So sieht
die rechtliche Situation aus.
Ich habe noch einmal mit dem Kollegen aus dem Saarland
gesprochen, der in der gestrigen Diskussion als Betroffener gesprochen
hat und auch viele Betroffene berät. Seine Einschätzung ist, dass
es mehr Menschen gibt, bei denen berechtigte Ansprüche abgewiesen
werden, als dass abgewiesene Ansprüche durchgeboxt werden.
(Beifall)
Insofern finde ich es sehr, sehr schwierig, wenn
wir an dieser Stelle gewissermaßen einen Freibrief zu einer eingreifenden
Einschränkung im Schwerbehindertenrecht oder im Behindertenrecht generell
ausstellen und dies nicht mit einer präzisen Definition dessen verbinden,
was wir eigentlich genau wollen.
Bei der Klarheit der Definitionen, die im Übrigen
in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation beraten wurden,
in deren Beirat wir mitwirken und in deren Vorstand die Kassenärztliche
Bundesvereinigung mitwirkt, wo wir mit dazu beigetragen zu haben,
die Dinge so zu definieren, wie sie definiert sind, und das mitgetragen
haben, finde ich es sehr, sehr schwierig, dem Antrag 96 zu folgen.
Es mag sein, dass der eine oder andere, der begutachtet, oder dass
der eine oder andere, der vielleicht Atteste ausstellt, gelegentlich
zu Gefälligkeiten neigt. Aber das ist ein Problem, das nicht der Gesetzgeber
lösen kann.
(Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages:
Vielen Dank. – Jetzt bitte Herr Kollege Nick aus Rheinland-Pfalz. |