ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
VI - 38
Auf Antrag von Prof. Dr. Haupt (Drucksache VI-38) fasst der 107.
Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:
Die Ärzteschaft wird trotz der ökonomisch ausgerichteten
Maßnahmen der Bundesregierung und einer fortschreitenden Bürokratisierung
ihr ärztliches Handeln nach den Maßstäben der ärztlichen
Ethik ausrichten und ein von Vertrauen geprägtes Patienten-Arzt-Verhältnis
erhalten. Dem Wohl des Patienten zu dienen, Krankheitsverhütung
und Heilung sowie krankheitsbegleitende Betreuung und der feste
Wille, dem Patienten nicht zu schaden, bleiben höchste Wertprinzipien.
Die Ärzteschaft wendet sich deshalb gegen Überfremdung
ärztlicher Tätigkeit, zunehmende bürokratische Reglementierung,
Ökonomisierung und Verrechtlichung der Medizin.
Begründung:
Der organisch, seelisch oder sozial beeinträchtigte Bürger
sucht einen in sich ruhenden hochkompetenten Arzt und keinen Leistungserbringer,
der am Rande seiner Leistungsfähigkeit agiert. Er darf auf
eine uneingeschränkte Zuwendung ebenso vertrauen wie auf einen
der intensiven Fortbildung verpflichteten selbstkritischen Arzt,
der die ganzheitliche und interdisziplinäre Betreuung anstrebt.
Die Gesundheitsreform der Bundesregierung stellt in erster Linie
auf die Konsolidierung der Einnahmen- und Ausgabenseite im Gesundheitssystem
ab. Diese ökonomische Ausrichtung einer strukturverändernden
Maßnahme in einem hochsensiblen Gebiet, wie es das Gesundheitssystem
darstellt, birgt Gefahren hinsichtlich der Versorgungs- und Betreuungsqualität
für Patienten und ethische Konsequenzen für die Ärztinnen
und Ärzte, weil diese als nicht frei wirtschaftlich agierende
freie Berufsgruppe den ökonomischen Zwängen ausgeliefert
sind. Ökonomie und Kostentransparenz in der Medizin an sich
sind nichts schlechtes. Es ist vielmehr Ausdruck von Verantwortung,
wenn mit dem Geld der Versicherten und mit subventionierenden Steuergeldern
wirtschaftlich umgegangen wird.
Aus ethischer Sicht ist es aber nicht zu vertreten, dass Rationierung
hinter dem Rücken der Betroffenen statt findet. Eine offene
Diskussion mit den Patienten, aber auch in der Gesellschaft wäre
dem Prinzip des aufgeklärten Patienten angemessen.
Die Ärzte werden durch die Politik immer mehr in die Rolle
eines Gewerbetreibenden gedrängt, mit der Konsequenz der Aufgabe
zentraler Grundphilosophien des Berufsstandes und der altruistischen
Beweggründe für die Berufsergreifung. Die Persönlichkeit
des Arztes unterliegt damit langfristig einem Wandel.
Schon Hippokrates ahnte den Konflikt zwischen ärztlicher Tätigkeit
und der Notwendigkeit einer Vergütung dieser „Leistung“.
Es handelte sich von je her um einen Spagat im Felde des Ethischen
und des Geldes, denn wenn eine ärztliche Behandlung ausgeübt
wird, so muss diese Tätigkeit auch vergütet werden. Die
Frage, wird die ärztliche Tätigkeit ausgeübt, um
Geld zu verdienen, oder wird sie vergütet, weil auch ein Arzt
leben können muss, gewinnt an Bedeutung. Die über Jahrhunderte
währende ärztliche Ethik setzte das Primat auf eine ärztliche
Tätigkeit, die ausschließlich dem ärztlichen Gewissen,
ihrer Freiberuflichkeit und Entscheidungsfreiheit verantwortlich
war.
Die Entwicklung des Gesundheitswesens in der ehemaligen Bundesrepublik
seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts und heute hat die Akzente
verschoben. Der Arztberuf wurde zu einem Beruf des Geldverdienens
mit allen in diesem Begriff schlummernden Gefahren.
Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz mit der Einführung von
DRG und DMP bringt nun eine zusätzliche, anti-ethische Komponente
per Gesetz ins Spiel, die der Ökonomie in die Hände spielt.
Die moralisch-ethische Entscheidungslast ärztlichen Handelns
unterliegt nun einem zusätzlich bürokratischen und disziplinarisch
untermauerten Druck, dem zu begegnen wohl aussichtslos ist, zumindest
außerordentlich erschwert durch persönlich zu erwartende
Konsequenzen für ein rein ethischen Regeln unterworfenes ärztliches
Handeln.
In der Medizin sind dem marktwirtschaftlich notwendigen Wettbewerb
allerdings Grenzen gesetzt (die eben medizinethisch und wirtschaftsethisch
zu reflektieren sind), weil Wettbewerb u. U. Verteuerung bedeutet
(Werbung, Verwaltung), Selektion von „unrentablen Patienten"
bewirken kann, sich gegen erst langfristig wirksame Maßnahmen
(Prävention) richtet und die für das deutsche Gesundheitswesen
typische leichte Erreichbarkeit von medizinischen Einrichtungen
verdünnt.
In der medizinischen Ethik werden Regeln des Handelns aufgestellt,
die etwas zu drei Verantwortungsbereichen ärztlichen Handelns
aussagen:
- der Verantwortung des Arztes für den Patienten,
- der Verantwortung des Arztes für sich selbst und seine individuelle
Wirklichkeit (z. B. Wissenserweiterung),
- der Verantwortung des Arztes für die Medizin als Institution
der menschlichen Gesellschaft.
Der ethische Kern des heutigen Problems liegt darin, dass nur der
Gesamttopf gedeckelt bzw. verkleinert wird, dass aber medizinische
Möglichkeiten und Patienten-Ansprüche „unten"
gleich bleiben bzw. wachsen.
Die medizinischen Leistungserbringer müssen auch in Ethik
investieren, um auf dem Markt bestehen zu können. Einer Dehumanisierung
der Medizin durch deren Ökonomisierung kann nur mit einer Qualitätsdiskussion
begegnet werden.
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