ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
VI - 08
Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (Drucksache
VI-08) fasst der 107. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:
Der 107. Deutsche Ärztetag begrüßt die von der
Politik bekundete Absicht, der Prävention im Gesundheitswesen
und in allen gesellschaftlichen Bereichen eine größere
Bedeutung beizumessen und zu diesem Zweck ein eigenes Präventionsgesetz
zu schaffen. Durch die Förderung der Gesundheit und gezielte
Präventionsmaßnahmen lassen sich Krankheiten vermeiden,
mögliche Risikofaktoren für Erkrankungen positiv beeinflussen,
Erstmanifestationen von Krankheiten rechtzeitig erkennen und behandeln
sowie Krankheitsverläufe stabilisieren und verbessern.
Zur Stärkung der Prävention im Gesundheitswesen fordert
der 107. Deutsche Ärztetag daher:
1. Gesundheitsförderung und Prävention muss auf allen
gesellschaftlichen Ebenen gestärkt und weiterentwickelt werden:
Die Gesundheit des Einzelnen kann sowohl durch eine allgemeine
Verbesserung der Lebensbedingungen, eine Stärkung des öffentlichen
und betrieblichen Gesundheitsschutzes wie auch durch individuumsbezogene
Maßnahmen der Prävention verbessert werden. Gesundheitsförderung
und Prävention sind daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
2. Das Präventionsgesetz muss die Aufgabenfelder, Grenzen,
Akteure und Finanzierungsgrundlagen der Prävention klar definieren:
Um die Prävention in unserem Gesundheitswesen zu stärken,
bedarf es einer Konkretisierung ihrer Aufgabenfelder, ihrer Akteure
und ihrer Finanzierungsgrundlagen. Da die Grenzen zwischen Gesundheit
und Krankheit fließend sind, lässt sich alles, was dem
Erhalt von Leben und der Verbesserung von Lebensqualität dient,
unter dem Begriff der „Prävention“ subsumieren.
Umso notwendiger ist es, eine klare Grenzziehung zwischen dem vorzunehmen,
was Aufgabe der Solidargemeinschaft der Versicherten, was Aufgabe
des Staates und seiner Organe im Rahmen seiner allgemeinen Fürsorgepflichten
gegenüber dem Bürger ist und was darüber hinaus durch
Dritte organisiert und finanziert werden soll. Das geplante Präventionsgesetz
muss daher zu einer Klärung der jeweiligen Aufgabenbereiche
und Zuständigkeiten beitragen.
3. Das Präventionsgesetz muss dazu beitragen, bestehende Präventionsprogramme
zu stärken und weiter zu entwickeln:
Das Präventionsgesetz darf nicht dazu dienen, bereits bestehende
und bewährte Maßnahmen vor allem im Bereich der Sekundär-
und Tertiärprävention zu schwächen oder Prävention
und Kuration gegeneinander auszuspielen. Vielmehr sollte das Gesetz
auch dazu beitragen, dass bestehende Maßnahmen der Prävention
flächendeckend und dauerhaft gestärkt und ergänzende,
neue Aufgabenbereiche benannt werden.
4. Prävention darf durch das Gesetz nicht zum Ausfallbürgen
bei der Streichung von Aufgaben des öffentlichen Gesundheitswesens
und der allgemeinen Gesundheitsvorsorge des Bundes, der Länder
und der Kommunen werden:
Der öffentliche Gesundheitsdienst, aber auch der Bund, die
Länder und die Kommunen insgesamt halten für die Bürger
viele Leistungen vor, die direkt oder indirekt der allgemeinen Gesundheitsvorsorge
und Förderung der Gesundheit dienen. Das Präventionsgesetz
und die Leistungen der geplanten Stiftung Prävention dürfen
nicht dazu missbraucht werden, nun die genannten öffentlichen
Leistungen über andere Quellen zu finanzieren.
5. Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die
sowohl über die Sozialversicherungen, als auch über Steuermittel
und private Zuwendungen finanziert werden muss:
Prävention betrifft die unterschiedlichsten Gesellschaftsbereiche.
Präventive Maßnahmen können sowohl zur Entlastung
der Sozialversicherungen beitragen, haben aber auch Auswirkungen
auf andere Bereiche des persönlichen und gesellschaftlichen
Lebens. Deshalb darf die geplante „Nationale Stiftung Prävention“
nicht ausschließlich durch Mittel der Sozialversicherungen,
sondern muss zu einem großen Teil auch über Steuergelder,
wie z. B. über die Tabak- und Alkoholsteuer, sowie über
private Zustiftungen finanziert werden. Dabei sind dem Deutschen
Forum Prävention und Gesundheitsförderung als nationaler
Plattform der in der Prävention tätigen Organisation Mitentscheidungsrechte
über die inhaltliche Ausrichtung und die Verwendung der Stiftungsgelder
einzuräumen.
6. Die durch das Präventionsgesetz und die „Nationale
Stiftung Prävention“ initiierten und geförderten
Maßnahmen müssen auf einen flächendeckenden Nutzen
für die gesamte Bevölkerung bzw. spezifischer Zielgruppen
abzielen:
Prävention darf nicht durch punktuelle und befristete Modellversuche
zu einer symbolhaften Geste werden, die v. a. legitimatorische Funktionen
erfüllt, letztlich aber nur wenigen nützt. Vielmehr müssen
alle über das Gesetz und die Stiftung initiierten und geförderten
Maßnahmen darauf abzielen, sie zukünftig allen angesprochenen
Zielgruppen flächendeckend und qualitätsgesichert zur
Verfügung zu stellen. Eine „Nationale Stiftung Prävention“,
wie sie über das Präventionsgesetz aufgebaut werden soll,
muss vor allem der Weiterentwicklung einer bevölkerungs-, betriebs-
und individuumsbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention
dienen. Über die Stiftung müssen v. a. neue Bereiche der
Prävention aufgezeigt und Gelder zu ihrer Erforschung, Finanzierung
und Qualitätssicherung bereitgestellt werden.
7. Das Präventionsgesetz muss dazu beitragen, dem Individuum
eine stärker präventionsorientierte Lebensweise zu ermöglichen:
Zentraler Akteur der Prävention ist das Individuum, das für
seine gesundheitliche Entwicklung und die Vermeidung von Krankheitsrisiken
Sorge trägt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass
der Einzelne nicht immer frei ist, seine Lebensbedingungen gesundheitsgerecht
zu gestalten. Begrenzt wird er durch fehlendes Wissen, durch fehlende
Ressourcen oder durch Lebensbedingungen, die einem gesundheitsförderlichen
Verhalten entgegenstehen. Während die Fürsorgepflicht
des Staates sich v. a. auf die Gestaltung gesunder Lebensbedingungen
und dem Schutz vor gesundheitlichen Gefahren erstreckt, fällt
insbesondere dem Arzt die Aufgabe zu, den einzelnen über Gesundheit
und Krankheit zu informieren, ihn hinsichtlich seines Verhaltens
zu beraten und auf mögliche Risiken und Krankheitsanzeichen
aufmerksam zu machen.
8. Stärkung der Arztpraxis in der Gesundheitsberatung und
Prävention:
90 % der erwachsenen Bundesbürger suchen mindestens einmal
pro Jahr ihren Arzt auf. Durchschnittlich hat jeder Bundesbürger
12 Arztkontakte pro Jahr. Schon allein dadurch ist die Arztpraxis
ein geeigneter Ort, Versicherte in Fragen der Gesundheit und der
Prävention von Erkrankungen zu beraten. Hinzu kommt, dass der
Arzt für den Bürger weiterhin der vertrauenswürdigste
Ansprechpartner in gesundheitlichen Fragen ist. Indem er den Arzt
aktiv aufsucht, ist hier auch seine Motivation besonders hoch, sich
zu gesundheitlichen Fragen beraten zu lassen. Der Arzt hat die Möglichkeit,
gesundheitliche Risiken zu identifizieren, gezielt geeignete Maßnahmen
einzuleiten, ihren Nutzen zu beobachten und ihre Wirkung zu bewerten.
Die Arztpraxis besitzt somit das Potenzial, für den Einzelnen
zu einer zentralen Informations- und Schaltstelle in Sachen Prävention
zu werden, in der Gesundheitsberatung und Prävention stattfindet
und über die an andere relevante Stellen weitergeleitet wird.
Um dieses Potenzial auszuschöpfen, muss der Arzt in seinen
Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Wahrnehmung der beschriebenen
präventiven Aufgaben gestärkt werden. Insbesondere sind
seine interaktions- und verhaltensbezogenen Kompetenzen in Fortbildungen
zu stärken. Zudem ist er mit einem Zeit- und Vergütungsbudget
auszustatten, durch das ihm eine wirksame Wahrnehmung der beschriebenen
Aufgaben ermöglicht wird.
9. Die Arztpraxis als Ort, sozial ungleiche Chancen in Gesundheitsförderung
und Prävention auszugleichen:
Studien haben ergeben, dass mit geringerer sozialer Schichtzugehörigkeit
gesundheitliche Risiken in fast allen Lebensbereichen zunehmen,
präventive Angebote hingegen seltener genutzt werden. Da der
Arzt gleichermaßen von Angehörigen aller sozialer Schichten
aufgesucht wird, stellt die ärztliche Praxis ein geeignetes
Setting dar, um sozialer Ungleichheit in der Gesundheitsförderung
und Prävention entgegenzuwirken. Bislang sind die Anreize in
der Praxis so gesetzt, dass insbesondere die Gesundheitsmotivierten
und die finanziell besser Gestellten gesundheitliche Beratungs-
und Vorsorgeleistungen nachfragen und wahrnehmen. Ein Präventionsgesetz
muss jedoch auch dafür Sorge tragen, dass die Arztpraxis zu
einem Raum wird, in dem gesundheitliche Benachteiligung in besonderem
Maße angegangen und ausgeglichen werden.
10. Die Ärzteschaft muss in der Prävention zentrale Aufgaben
der Qualitätssicherung übernehmen:
Maßnahmen der primären Prävention sind nur dann
gerechtfertigt, wenn ihre Qualität und ihr Nutzen für
die Gesundheit ihrer Zielgruppe wissenschaftlich begründet
und überprüfbar sind. Dazu ist es erforderlich, dass eine
problemgerechte Zuweisung von Versicherten in die für sie geeigneten
Maßnahmen erfolgt, die Qualität der Intervention gesichert
ist und ihre Ergebnisse auf der gesundheitlichen Ebene nachvollziehbar
sind.
Der Arzt hat die Kompetenz, gesundheitliche Risiken abzuklären,
über geeignete Maßnahmen aufzuklären und deren Erfolg
zu überprüfen. Dies ist bei der Formulierung des Präventionsgesetzes
zu berücksichtigen.
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