ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
VI - 39
Auf Antrag von Dr. Albrecht und Dr. Wyrwich (Drucksache VI-39)
fasst der 107. Deutsche Ärztetag folgende Entschließung:
Die Bundesärztekammer wirkt auf die politisch verantwortlichen
Gremien ein, eine frühe Entwicklungsförderung von Kindern
als sozialpolitische Aufgabe zu begreifen und entwicklungspädagogische
Programme bereits im Vorschulalter zu initiieren, um damit einer
zunehmenden Medikalisierung sozialpolitischer Probleme zu begegnen.
Begründung:
Die Zunahme von sprachlichen, motorischen und kognitiven Entwicklungsstörungen
von Kindern im Vorschulalter wird besonders in den Großstädten
und dort vornehmlich in Bereichen sozialer Brennpunkte erkennbar.
Festgestellte Entwicklungsstörungen führen in der Regel
zur ärztlichen Konsultation, Langzeitbetreuung und zu medizinisch
orientierten Fördermaßnahmen, wie z. B. logopädischer
und ergotherapeutischer Behandlung. Aufgrund unzureichender Datenlage
in Deutschland sei auf Schweizer Untersuchungen hingewiesen, die
gezeigt haben, dass die Gesamtkosten für medizinische Fördermaßnahmen
für entwicklungsretardierte Kinder bei etwa 60.000,00 Sfr pro
Kind liegen (ca. 40.000,00 €). Dennoch haben Kinder mit Defiziten
vor allem im sprachlichen Bereich eine schlechte Prognose für
die Schul- und Berufsbildung. Etwa 40 % erreichen keinen, der Rest
lediglich niederrangige Schulabschlüsse. Sie stehen dem Arbeitsmarkt
kaum zur Verfügung und belasten damit die deutschen Sozialsysteme.
Die Fixierung auf medizinische Hilfestellung ist der falsche Ansatz
zur Bekämpfung dieses gesellschaftspolitischen Problems. Frühkindliche
Entwicklungsförderung ist eine vornehmlich pädagogische
Aufgabe, die neben den Kosten für die Betreuung in Kindergärten
und Kindertagesstätten zusätzliche Kosten von ca. 10,00
€ pro Kind für intelligente Sprachförderprogramme
erfordern, welche aber einen nachhaltigen Effekt zeigen.
Der gesellschaftspolitisch gesündere Weg ist deshalb, den
Zugang zu Kindergärten und Kindertagesstätten insbesondere
für Kinder aus bildungsfernen und armen Familien niederschwellig
(wenn möglich kostenlos) zu ermöglichen und Kinder in
der Zeit der sprachlichen Prägungsphase (vor Vollendung des
3. Lebensjahres) pädagogisch gezielt zu betreuen. Die entsprechenden
Kenntnisse der Erzieherinnen und Erzieher sind deshalb ebenso zu
fordern, wie das politische Begreifen von Kindergärten und
Kindertagesstätten als „Bildungsstätten frühkindlicher
Entwicklungsförderung“.
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