Dr. Hermann Schulte-Sasse, Staatssekretär für
Gesundheit und Verbraucherschutz, Berlin: Sehr geehrte Frau Ministerin!
Sehr geehrter Herr Professor Hoppe! Sehr geehrter Herr Dr. Jonitz, lieber
Günther! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen des Senats von Berlin
heiße ich Sie zum 108. Deutschen Ärztetag herzlich willkommen und übermittle
Ihnen zugleich die besten Grüße des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und
der Gesundheitssenatorin. Lieber Günther, du hast zu Beginn deiner Rede ein
überzeugendes Potpourri von wunderbaren, ab und zu auch wunderlichen
Beschreibungen unserer Stadt vorgetragen. Ich habe das gar nicht vorgesehen,
aber das fand ich so gelungen, dass ich deine Rede, von der ich ja weiß, dass
sie verteilt ist, zukünftig als Steinbruch für noch kommende Grußworte nutzen
werde.
Meine Damen und Herren, als parlamentarische Vertretung von
über 350 000 Mitgliedern stellt sich der Deutsche Ärztetag in guter
Tradition nun schon seit 132 Jahren den jeweils aktuellen Fragen und Problemen
der ärztlichen Profession. Immer wieder gehörten dazu auch
gesundheitspolitische Themen, das Verhältnis der Ärzte zu den Krankenkassen,
Fragen der Weiterbildung oder berufsrechtliche Fragen.
So auch in diesem Jahr: Mit Themenbereichen und
Fragestellungen zur Arbeitssituation der niedergelassenen Ärzte, zur
Versorgungsforschung, zu Krankheit und Armut, zum ärztlichen Fehlermanagement
und zur Patientensicherheit sowie zur Gebührenordnung für Ärzte und zur
(Muster-)Weiterbildungsordnung haben Sie die Probleme auf Ihre Tagesordnung gesetzt,
die Ihnen und auch uns, den Gesundheitspolitikern, derzeit besonders am Herzen
liegen.
Dabei stimme ich mit Ihnen darin überein, dass auf all diesen
Gebieten Veränderungen erforderlich sind. Dass hierbei die enge Zusammenarbeit
der Politik mit Ihnen, den ärztlichen Fachleuten, unerlässlich ist, brauche ich
wohl nicht besonders zu betonen. Insofern ist es erfreulich, wenn –
beispielsweise im Hinblick auf die Arbeitssituation der niedergelassenen Ärzte
– die Bundesärztekammer zunächst einmal eigene Strukturvorstellungen zur Freiberuflichkeit
des ärztlichen Berufsstandes berät, da die schlechter werdenden Arbeitsbedingungen
– niemand wird das bestreiten können – schon jetzt in den neuen Bundesländern
zu einem Mangel an ärztlichem Nachwuchs führen.
Auch wenn in Berlin aufgrund der noch vorhandenen
Überversorgung ein solcher Mangel in absehbarer Zeit nicht anzunehmen ist, kann
auf einigen speziellen Gebieten auch hier durchaus ein besonderer, nicht zu
deckender Bedarf auftreten.
Begrüßenswert finde ich auch, dass der Deutsche Ärztetag
mehrfach bekräftigt hat, sich am Aufbau einer wissenschaftlichen
Versorgungsforschung zu beteiligen. Hierbei sollte es das oberste Ziel sein,
konkrete Lösungen aufzuzeigen, um die Patientenversorgung wirklich zu
verbessern.
Der von der Bundesärztekammer gegründete Arbeitskreis
„Versorgungsforschung“ ist dabei sicher ebenso hilfreich wie das im Auftrag der
Bundesärztekammer vom Ärztlichen Zentrum für Qualität initiierte Projekt „Forum
Versorgungsauftrag“.
In Berlin ist in diesem Zusammenhang – unter dem Dach des
Berliner Zentrums Public Health – der interdisziplinäre Forschungsverbund
„Epidemiologie Berlin“ gebildet worden.
Meine Damen und Herren, zu begrüßen ist auch, dass der
Ärztetag die Auswirkungen der zunehmenden Ökonomisierung im Gesundheitswesen auf
sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen thematisieren und die Ergebnisse des
im Jahre 2003 abgeschlossenen Forschungsprojektes der European Science Foundation
zum Thema „Soziale Ungerechtigkeit und Krankheit“ diskutieren will. Denn mit
der generellen Anhebung der Zuzahlungen, mit der Einführung der Praxisgebühr,
mit der Änderung der Härtefallregelungen, mit den höheren Eigenbeteiligungen
sowie mit den Leistungsausgrenzungen und -kürzungen belasten neue Vorgaben in
erster Linie die Versicherten, insbesondere die Kranken und sozial Schwachen.
Der vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung
berichtete Rückgang der Fallzahlen – im Jahre 2004 bundesweit immerhin um 8,7
Prozent – sowie der Arztkontakte – um 2,9 Prozent – ist vor diesem Hintergrund genauer
zu untersuchen. Der Vergleich dieser Zahlen für die zwölf Berliner Bezirke
lässt jedenfalls den Schluss zu, dass es in den Sozialräumen mit der
ungünstigsten Bevölkerungsstruktur und den größten gesundheitlichen Problemen
zu den stärksten Rückgängen gekommen ist.
(Vereinzelt Beifall)
Meine Damen und Herren, zu den wichtigsten Aufgaben des
ärztlichen Qualitätsmanagements gehört es, Strategien zu entwickeln, die Fehler
vermeiden helfen. Wir alle wissen: Das komplexe System der modernen
medizinischen Versorgung ist ohne Risiken für die Patienten überhaupt nicht
denkbar. Fehlervorbeugung ist deshalb für die Patientinnen und Patienten von
großer Bedeutung. Die Leistungserbringer im Gesundheitswesen, die Krankenhäuser
und auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, müssen alles Mögliche tun,
um vermeidbare Fehler – ich wiederhole: vermeidbare Fehler – zu verhindern und
Schäden von ihren Patientinnen und Patienten abzuwenden. Dafür ist es unumgänglich,
auch in Deutschland verlässliche Daten über die Häufigkeit und die Ursachen von
Fehlern zu erarbeiten, da Fehler nur so verhindert werden können. Voraussetzung
dafür ist aber vor allem, offen über Fehler sprechen zu können und diese
vorurteilsfrei zu analysieren. Wir wissen, dass wir heute noch in einer Kultur
leben, in der man ungern scheinbar selber zu verantwortende Fehler
thematisieren möchte, da dies immer auf der persönlichen Schuldzuweisungsebene
verbleibt und die dahinterstehenden organisatorische und systembedingte Fehler
begünstigenden Probleme dabei aus den Augen verloren werden.
Ich weiß, dass die Ärzteschaft kontinuierlich daran arbeitet,
und ich begrüße es sehr, dass auf dem Ärztetag Aktivitäten auf diesem Gebiet
vorgestellt werden. Ich kann gerade an dieser Stelle sagen, dass dies ein gutes
Beispiel für eine zielorientierte, vernünftige Kooperation zwischen allen
Ebenen – damit meine ich die Politik wie die Vertretungsorgane der Ärzteschaft
und die der Kostenträger – ist. Wir in Berlin sind gemeinsam auf einem in der
Fehlervermeidungsstrategie sehr vernünftigen Weg. Damit haben wir auch die
Chance, dass wir dieses Thema in der Öffentlichkeit nicht auf der
Schuldzuweisungsebene diskutieren, sondern der Öffentlichkeit deutlich bewusst
machen, was möglich ist und wie es möglich ist. Dies wollen wir in Kooperation
und in gegenseitigem Respekt gemeinsam schaffen.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, noch eine Bemerkung
zur Gebührenordnung für Ärzte. Die Notwendigkeit, die Gebührenordnung für Ärzte
– aber natürlich auch diejenige für die Zahnärzte – zu novellieren, ist längst
erkannt. Ich erinnere mich, dass ich in der Zeit, als ich selber im
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung gearbeitet habe – das
ist ja auch schon einige Jahre her –, mit diesem Thema schon intensiv befasst
war. In den letzten Jahren hat sich dort wenig bewegt. Das vom
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung für die Reform des
privatärztlichen Gebührenrechts favorisierte Vorschlagsmodell sieht im Kern
vor, dass ein paritätisch mit Vertretern der Ärzteschaft auf der einen und
Vertretern der Kostenträger auf der anderen Seite besetztes Gremium den
gesetzlichen Auftrag erhält, einen gemeinsamen Vorschlag für die
Weiterentwicklung der GOÄ zu erarbeiten, der dann die Grundlage für das
anschließende Rechtsverordnungsverfahren bilden soll.
Ich glaube, uns ist allen klar, dass für die erfolgreiche
Umsetzung des Vorschlagsmodells dessen Akzeptanz bei allen Beteiligten sowie
deren Bereitschaft zur konstruktiven Mitwirkung von unverzichtbarer Bedeutung
ist.
Leider ist bisher noch keine Einigung mit den für das
Beihilferecht zuständigen Ministern des Bundes und der Länder über Status und
Zusammensetzung der Verhandlungskommission des Vorschlagsmodells erzielt
worden. Ich hoffe, dass dies ohne weitere Zeitverzögerung geschehen wird.
Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen für Ihre viertägige
Tagung viel Erfolg bei der Abarbeitung Ihrer anspruchsvollen Themenliste. Ich
weiß aus eigener Erfahrung, wie anstrengend es auf Deutschen Ärztetagen für
einen Delegierten zugehen kann. Ich wünsche Ihnen deshalb, ganz besonders
natürlich unseren auswärtigen Gästen, aus ganzem Herzen einen angenehmen Aufenthalt
in unserer Stadt, natürlich gekoppelt mit einem ausgesprochen produktiven
Deutschen Ärztetag.
Ich wünsche uns allen, dass wir nie aus dem Auge verlieren,
dass wir, die Politik, die Fachebene – Sie – brauchen, aber auch Sie die
Politik brauchen. Wir werden natürlich eine vernünftige politische Gestaltung
im Gesundheitswesen in Deutschland nur ins Auge fassen können, wenn es nicht zu
unnötigen und vermeidbaren Schärfen kommt, wenn keine Seite der anderen
Ignoranz und Bösartigkeit oder Böswilligkeit unterstellt und wenn jede Seite
die Bereitschaft hat, zu erkennen, dass die jeweils andere Perspektive
möglicherweise Aspekte beinhaltet und beinhalten muss, die, von der eigenen
Seite her betrachtet, nicht unmittelbar zu erkennen sind.
Wenn es uns gelingt, auf diesem Fundament eine vernünftige
Diskussions- und Streitkultur zu entwickeln, sollte es uns gemeinsam gelingen,
das spezifisch deutsche Modell der geteilten Verantwortung zwischen Politik und
Selbstverwaltung nicht in eine zerstörerische Politik zu rücken, sondern
anderen Ländern in Europa zu sagen: So wie die Deutschen es bei der
Steuerungsverantwortung machen, ist es vorteilhaft; andere europäische Länder
sollten dem deutschen Modell folgen. Wir alle müssen gemeinsam an dieser
Perspektive arbeiten.
(Beifall)
(Musikalische Umrahmung:
Gabriel Pierné - Chanson d’Autrefois)
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