Eröffnungsveranstaltung

1. Tag: Dienstag, 3. Mai 2005

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe:
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Verleihung der Paracelsus-Medaille. Auf Beschluss des Vorstands der Bundesärztekammer, der auf dem Deutschen Ärztetag zu verkünden ist, werden jährlich mit der Paracelsus-Medaille Ärztinnen und Ärzte ausgezeichnet, die sich durch erfolgreiche berufsständische Arbeit, vorbildliche ärztliche Haltung oder hervorragende wissenschaftliche Leistungen besondere Verdienste um das Ansehen der Ärzteschaft erworben haben.

Der Vorstand der Bundesärztekammer beschloss im Dezember 2004, auf dem 108. Deutschen Ärztetag mit der Paracelsus-Medaille auszuzeichnen: Herrn Professor Dr. med. Heinz Diettrich, Herrn Professor Dr. med. Jürgen Hammerstein und Herrn Professor Dr. med. Dr. med. dent. Heinz Pichlmaier. Ich bitte die drei auszuzeichnenden Persönlichkeiten auf die Bühne.

(Beifall)

Die Verleihungsurkunden haben folgenden Wortlaut:

Der Vorstand der Bundesärztekammer verleiht kraft dieser Urkunde dem um die deutsche Ärzteschaft hochverdienten Heinz Diettrich in Dresden, Prof. Dr. med. habil., Facharzt für Chirurgie und Viszeralchirurgie, die Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft.

Die deutschen Ärztinnen und Ärzte ehren in Heinz Diettrich einen Arzt, Wissenschaftler, ärztlichen Berufspolitiker und Gesundheitspolitiker, der sich in fast vier Jahrzehnten seiner ärztlichen Berufstätigkeit, als Hochschullehrer und Leiter einer Städtischen Klinik um die medizinische Versorgung der Patienten, beim Aufbau der Sächsischen Landesärztekammer nach der Wiedervereinigung, die ärztliche Selbstverwaltung und um das Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland besonders verdient gemacht hat.

Heinz Diettrich wurde am 6. März 1940 in Adorf/Erz­gebirge geboren. Nach Besuch des Gymnasiums in Stollberg/Erzgebirge und der Ablegung der Reifeprüfung studierte er von 1958 bis 1961 Medizin an der Universität Leipzig und von 1961 bis 1964 an der Medizinischen Akademie Carl Gustav Carus in Dresden. Das medizinische Staatsexamen absolvierte er 1964 in Dresden. Nach seiner Pflichtassistenzarzt-Tätigkeit am Pathologischen Institut in Karl-Marx-Stadt (Leiter: Dozent Dr. med. habil. Karl Krauß) begann er seine Weiterbildung zum Facharzt für Chirurgie in Dresden, die er 1969 mit der Anerkennung als Facharzt für Chirurgie abschloss. Die interne Struktur der Klinik in Dresden ermöglichte Heinz Diettrich eine umfassende chirurgische Weiterbildung in den Fächern Traumatologie, Allgemein- und Gefäßchirurgie. 1967 wurde er an der Medizinischen Akademie Dresden unter Prof. Dr. med. habil. Ernest Stanley Strauzenberg, Professor für Innere Medizin an der Medizinischen Akademie Dresden, zum Thema „Über die Brauchbarkeit der gaschromatographischen Methode für die Messung des O2- und CO2-Gehaltes in der Exspirationsluft bei Kurzstreckenbelastung – 100-Meter-Lauf-Belastung“ zum Dr. med. promoviert.

Heinz Diettrich gehörte nach Eintritt von Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Helmut Wolff in das Ordinariat für Chirurgie an der Medizinischen Akademie Dresden zum dortigen Forscherteam „Lebertransplantation“. Diese Jahre der intensiven Forschungstätigkeit mündeten in die erste erfolgreiche Lebertransplantation im damaligen Ostblock. Nach der sich frühzeitig abzeichnenden Berufung von Helmut Wolff an das neu zu errichtende Zentrum für Chirurgie an der Charité der Humboldt-Universität zu Berlin wurde Heinz Diettrich im Alter von 36 Jahren zum Leiter der Chirurgischen Abteilung des Katholischen St.-Josef-Stifts in Dresden berufen. Diese berufliche Aufgabe beendete er 1979, um sich auf dem Gebiet der Abdominalchirurgie an der Medizinischen Akademie in Dresden, seiner ursprünglichen Ausbildungs- und Wirkungsstätte, 1983 zum Thema „Entwicklung und tierexperimentelle Erprobung einer pneumatischen Darmsonde zur Optimierung der Behandlung des Dünndarmmilieus und der präventiven Dünndarmschienung“ zu habilitieren. Er erhielt 1987 eine außerordentliche Dozentur; 1992 wurde er zum außerplanmäßigen Professor an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden berufen. Nach seiner Ernennung zum Oberarzt unter Prof. Dr. med. Dr. Helmut Wolff an der Medizinischen Akademie Dresden hielt er mehrere Jahre eine Vorlesung „Allgemeine Chirurgie“. In dieser Zeit entstanden auch mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Themenkreis „Ileus“.

Heinz Diettrich wurde 1994 durch die Stadt Dresden zum neuen Chefarzt der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses Dresden-Neustadt berufen. Sein Gespür für künftige Entwicklungen und Trends veranlasste ihn, schon frühzeitig organisatorische Regelungen im Dresdner Lehrkrankenhaus entsprechend der fortgeschrittenen Entwicklung der Medizin anzupassen und zu verändern, Spezialisierungen in der von ihm geleiteten Klinik zu fördern und innerhalb der Chirurgischen Klinik fachlich selbstständige Gebiete zu unterstützen. In einer mehrere Jahre dauernden Rekonstruktion der Chirurgischen Klinik war die kontinuierliche Patientenbetreuung nur mit größtem persönlichen Engagement, auch der Mitarbeiter, zu garantieren. Ihm gelang es stets, seine Mitarbeiter zu motivieren und zu einem hohen medizinischen Versorgungsstandard anzuhalten.

Heinz Diettrich, stets parteilos, hat durch sein Vorbild das Denken und Handeln vieler junger Ärztinnen und Ärzte geprägt und deren berufliche Entwicklung zu verantwortungsbewussten Chirurgen gefördert. Neben seiner umfangreichen Tätigkeit als leitender Klinikarzt und Abteilungsleiter sowie als Präsident der Sächsischen Landesärztekammer nahm er seit 1990 mehr als 500 Facharztprüfungen im Gebiet Chirurgie ab.

Unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 begann sich Heinz Diettrich in außergewöhnlicher Weise ehrenamtlich für die Interessen und die gemeinsamen Anliegen der sächsischen Ärztinnen und Ärzte zu engagieren. Schon im Mai 1990 war er zusammen mit anderen engagierten Streitern für die Interessen der verfassten Ärzteschaft Gastteilnehmer beim 93. Deutschen Ärztetag in Würzburg. Die Gründung der vorläufigen Sächsischen Landesärztekammer – 1989/1990 gab es noch kein Sächsisches Gesundheitsministerium – erfolgte am 12. Mai 1990 in Dresden. Damit begann in Sachsen, als erstem Bundesland in Ostdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, der Aufbau einer geordneten ärztlichen Selbstverwaltung, für die sich viele Ärztinnen und Ärzte im Land engagierten. Dass trotz schwieriger allgemeiner Rahmenbedingungen die neuen Strukturen rasch stabilisiert wurden, ist dem persönlichen Verdienst von Heinz Diettrich, seiner Überzeugungs- und Integrationskraft sowie seiner hohen fachlichen Kompetenz zu verdanken.

Heinz Diettrich wurde nicht zuletzt aufgrund dieser Pionierarbeiten am 20. April 1991 zum ersten Präsidenten der neu gegründeten Sächsischen Landesärztekammer gewählt. Seit dieser Zeit war er Mitglied des Vorstands der Bundesärztekammer; er amtierte bis 1999 als Präsident der Sächsischen Landesärztekammer. Fast zeitgleich mit der Gründung der ärztlichen Selbstverwaltungskörperschaften wurde während seiner Präsidentschaft die Sächsische Ärzteversorgung errichtet, die inzwischen zu einer leistungsstarken Gemeinschaftseinrichtung der Ärztekammer gewachsen ist.

In hervorragender Weise bewährten sich die entwicklungsfähigen, jungen Strukturen der Sächsischen Landesärztekammer bei der Ausrichtung des 96. Deutschen Ärztetages im Mai 1993 in Dresden, den Heinz Diettrich wesentlich mitgestaltete und der zum ersten Mal nach der Wiedervereinigung in einem der neuen Bundesländer stattfand.

In Würdigung seines enormen, erfolgreichen berufspolitischen Engagements erhielt Heinz Diettrich 2000 den Sächsischen Verdienstorden, den ihm der damalige sächsische Ministerpräsident, Prof. Dr. jur. Kurt Biedenkopf, überreichte. Der Vorstand der Sächsischen Landesärztekammer ehrte ihn im gleichen Jahr mit der Verleihung der Hermann-Eberhard-Friedrich-Richter-Medaille.

Heinz Diettrich initiierte in den Gründungsjahren nicht nur eine eigenständige sächsische Schlichtungsstelle, sondern auch die Akademie für ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung des Landes Sachsen an der Sächsischen Landesärztekammer. Während seiner letzten Amtszeit als Präsident der Sächsischen Landesärztekammer leitete Heinz Diettrich viele Jahre lang die Ständige Konferenz der ärztlichen Versorgungswerke, ein Fachgremium der Bundesärztekammer.

Seiner berufspolitischen Weitsicht ist es zu verdanken, dass bereits 1996 der Neubau eines Verwaltungsgebäudes der Sächsischen Landesärztekammer fertig gestellt und seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Dabei war es stets sein Anliegen und das des Vorstands, ein multifunktionales Gebäude zu errichten, in dem alle ärztlichen Belange „auf einem Weg“ zu erledigen waren.

Die nach der Wiedervereinigung sehr bescheidenen räumlichen Möglichkeiten der Hochschule für Musik „Carl-Maria-von-Weber“ in Dresden und der Musikschulen veranlassten die Sächsische Landesärztekammer, vertragliche Regelungen mit diesen Einrichtungen zu treffen, um für die jungen Künstler Absolventen-Konzerte im akustisch hervorragenden Plenarsaal der Ärztekammer zu ermöglichen.

Nach Ablauf seiner zweiten Amtsperiode als Präsident wurde Heinz Diettrich aufgrund seines hohen Engagements und seiner Verdienste von der neuen Kammerversammlung 1999 zum Ehrenpräsidenten der Sächsischen Landesärztekammer ernannt.

Heinz Diettrich hat sich durch seinen vier Jahrzehnte währenden unermüdlichen Einsatz und seine vorbildliche Haltung als Arzt, Chefarzt, Berufs- und Gesundheitspolitiker sowie als akademischer Lehrer im Fach Chirurgie große und bleibende Verdienste um die ärztliche Versorgung der Patientinnen und Patienten in Sachsen, um den Auf- und Ausbau einer funktionierenden ärztlichen Selbstverwaltung, das Fach Chirurgie, die wissenschaftliche Forschung und Lehre sowie um das Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht.

108. Deutscher Ärztetag in Berlin, 3. Mai 2005, Vorstand der Bundesärztekammer, Präsident

(Beifall)

Der Vorstand der Bundesärztekammer verleiht kraft dieser Urkunde dem um die deutsche Ärzteschaft hochverdienten Jürgen Hammerstein in Berlin, Prof. Dr. med., Facharzt für Geburtshilfe und Gynäkologie, die Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft.

Die deutschen Ärztinnen und Ärzte ehren in Jürgen Hammerstein einen Arzt, der durch sein Wirken als Wissenschaftler und als Pionier der gynäkologischen Endokrinologie maßgeblich zum Verständnis hormoneller Regulationsvorgänge beitrug und wichtige Erkenntnisse zur Entwicklung der Hormontherapien gewann, sich um die ärztliche Weiter- und Fortbildung, um das Gesundheitswesen und um das Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland außerordentlich verdient gemacht hat.

Jürgen Hammerstein wurde am 19. April 1925 in Berlin geboren. Seine Kind- und Jugendzeit verbrachte er in Berlin; er legte 1943 das Abitur am Humanistischen Gymnasium Berlin-Friedenau ab. Nach Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft (1943 bis 1946) studierte er Medizin an den Universitäten München, Köln, Berlin und Heidelberg. Nach dem in Heidelberg bestandenen Staatsexamen wurde er am 19. Januar 1952 in Berlin (West) zum Arzt approbiert und im gleichen Jahr an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg mit dem Thema „Untersuchungen über die Verdaulichkeit verschiedener Stärkesorten beim Säugling aufgrund quantitativer Stärkebestimmungen in der Faeces“ zum Dr. med. promoviert.

Die Weichen für sein besonderes Interesse an der Endokrinologie stellten sich während eines zweimonatigen Studienaufenthalts an der Frauenklinik des Sabbadsberg-Krankenhauses/Stockholm. Als junger Arzt durfte er damals im Hormonlabor der Klinik an der Entwicklung einer Bestimmungsmethode für Pregnandiolglucuronid im Harn mitarbeiten. Der Einblick in das Thema weckte sein fachliches Interesse und prägte entscheidend seine weitere berufliche Orientierung.

Von 1952 bis 1953 war Jürgen Hammerstein Pflichtassistent am Westend-Krankenhaus der Freien Universität Berlin, bis 1955 Wissenschaftlicher Assistent am Physiologisch-Chemischen Institut der Freien Universität Berlin bei Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Ernst Schütte und bis 1969 an der Universitäts-Frauenklinik Charlottenburg zu Berlin bei Prof. Dr. med. Dr. h. c. Felix von Mikulicz-Radecki und Prof. Dr. med. Herbert Lax. Während dieser Zeit wurde ihm die Leitung des Klinischen Labors und der Aufbau des Hormonlabors übertragen. Wissenschaftlich beschäftigte sich Jürgen Hammerstein ab diesem Zeitpunkt mit den endokrinen Ursachen von Androgenisierungserscheinungen der Frau und intersexuellen Zwischenstufen. Außerdem widmete er den hormonanalytischen Untersuchungen über die endokrinen Korrelationen im normalen und gestörten Zyklus der Frau umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten. Dieses Forschungsgebiet bildete auch die Grundlage für seine Habilitation im Fach Geburtshilfe und Gynäkologie im Jahr 1960, die dem erfolgreichen Abschluss seiner Weiterbildung und der Anerkennung als Facharzt für Geburtshilfe und Gynäkologie unmittelbar folgte. Der Titel seiner Habilitationsschrift lautete: „Neue Erkenntnisse über die hormonalen Korrelationen im Menstruationszyklus der Frau aufgrund von Hormonanalysen im Harn“. Seine Antrittsvorlesung hielt er zum Thema „Der unvermutete, schnelle Tod der Mutter unter der Geburt“.

1963 arbeitete Jürgen Hammerstein zehn Monate lang am Endocrine Laboratory, Department of Biochemistry des Jackson Memorial Hospitals der Universität Miami/USA. Schon bald nach seiner Rückkehr nach Berlin wurde er 1964 Leiter der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie – seit 1969 Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie, Sterilität und Familienplanung – am Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin. Nach seiner Ernennung zum Wissenschaftlichen Rat im Jahr 1965 wurde er 1966 außerplanmäßiger Professor an der Freien Universität Berlin.

Jürgen Hammersteins wissenschaftliche und berufliche Aktivitäten schlugen sich in mehr als 200 Publikationen über die Physiologie des weiblichen Zyklus, die hormonale Kontrazeption, die Androgenisierung der Frau, die Behandlung von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch und die Intersexualität nieder. Zu diesem Themenkreis hielt er auch zahlreiche Vorträge im In- und Ausland. In der Reproduktionsmedizin sah er eine ärztlich-menschliche Hilfe für Frauen, die an einer ungewünschten Kinderlosigkeit leiden. Seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen wurden unter anderem gewürdigt durch die Verleihung der Laqueur-Medaille (1975) und der Ernst-von-Bergmann-Plakette in Würdigung seiner Verdienste um die ärztliche Fortbildung durch die Bundesärztekammer (1993) sowie durch die Wahl zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (1979).

Nicht zuletzt durch seine Fachkompetenz und sein hohes Ansehen im In- und Ausland und durch die nationale und internationale Anerkennung seiner Arbeiten war er von 1972 bis 1979 Direktor des „Collaborating Centre for Clinical Research in Human Reproduction“ der Weltgesundheitsorganisation am Klinikum Steglitz zu Berlin, von 1976 bis 1979 Vorsitzender der Ständigen Kommission Steroidtoxikologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e. V., von 1977 bis 1980 Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, eines Fachausschusses der Bundesärztekammer, von 1978 bis 1990 stellvertretendes Mitglied des Zulassungsausschusses beim Bundesgesundheitsamt, von 1983 bis 1995 Mitglied im Steering Committee der International Study Group for Steroid Hormones, Rom (seit 1995 dort Ehrenmitglied). Schließlich war er von 1991 bis 1994 Vorsitzender der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie e. V. in Berlin.

Mehr als 20 Jahre lang leitete Jürgen Hammerstein die Abteilung Gynäkologische Endokrinologie am Universitätsklinikum Benjamin Franklin der Freien Universität Berlin (damals: Universitätsklinikum Steglitz).

Neben seiner umfangreichen, prägenden wissenschaftlichen Tätigkeit übernahm er zahlreiche Aufgaben in der akademischen und ärztlichen Selbstverwaltung, so war er unter anderem Delegierter in der Kammerversammlung Ärztekammer Berlin. Als Vorsitzender der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie e. V. in Berlin (1991 bis 1993) setzte er sich mit Erfolg für das Zusammenwachsen der ehemals geteilten Stadt ein.

Bis heute währt sein aufopferungsvoller Einsatz in der ärztlichen Fortbildung. Er hat sich in außerordentlicher Weise für den Auf- und Ausbau der ärztlichen Fortbildungsinstitutionen in Berlin verdient gemacht, in deren Mittelpunkt ein interdisziplinärer Austausch stand und steht. Seine Lebensaufgabe sieht Jürgen Hammerstein in der Förderung der überregionalen ärztlichen Fortbildung, nachdem er im Jahr 1988 zum Geschäftsführer der Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen, Berlin, gewählt worden war. Er setzte sich in dieser Eigenschaft gegen viele politische und bürokratische Widerstände durch und erzielte die Rückübertragung des Kaiserin-Friedrich-Hauses in die ursprünglichen Besitzerhände. Die ärztliche Fortbildung bekam dadurch eine neue Heim- und Wirkungsstätte am Robert-Koch-Platz in Berlin-Mitte. Auch in diesem Zusammenhang leistete Jürgen Hammerstein einen sichtbaren Beitrag für das Zusammenwachsen Ost- und Westberlins, indem er die ärztliche Fortbildung in die Mitte der Stadt platzierte.

Im Rahmen der vielseitigen Programme und Fortbildungsveranstaltungen förderte Jürgen Hammerstein besonders die interdisziplinären Symposien für Juristen und Ärzte, die zu einer besseren Verständigung der beiden Berufsgruppen beigetragen haben.

Sein besonderes Interesse gilt der Fortsetzung und dem Ausbau der Beziehungen zu der Jinan-Universität Guangzhou und der Tongji-Universität Wuhan in der Volksrepublik China. Die Aufnahme persönlicher Kontakte war und ist hierbei eines seiner wichtigsten persönlichen Anliegen. Mit der Verleihung von Ehrenprofessuren an den beiden chinesischen Universitäten fanden seine Bemühungen eine herausragende Anerkennung. Für seine Verdienste um die ärztliche Fortbildung und das Gesundheitswesen wurde Jürgen Hammerstein 1998 mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt.

Jürgen Hammerstein hat sich durch seinen unermüdlichen vorbildlichen Einsatz als Arzt, Wissenschaftler und Hochschullehrer, als Pionier der gynäkologischen Endokrinologie, als Universitätsprofessor, als Geschäftsführer der Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen, Berlin, als Vorsitzender wissenschaftlicher Fachgesellschaften um die ärztliche Versorgung, die Aus-, Weiter- und Fortbildung, die Wissenschaft, die Gynäkologie, die Gesundheitspolitik und die Selbstverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland in hervorragender Weise verdient gemacht.

108. Deutscher Ärztetag in Berlin, 3. Mai 2005, Vorstand der Bundesärztekammer, Präsident

(Beifall)

Der Vorstand der Bundesärztekammer verleiht kraft dieser Urkunde dem um die deutsche Ärzteschaft hochverdienten Heinz Pichlmaier in Köln, Prof. Dr. med. Dr. med. dent., Facharzt für Chirurgie, die Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft.

Die deutschen Ärztinnen und Ärzte ehren in Heinz Pichlmaier einen Arzt, der sich in 40 Jahren seines aktiven Berufslebens um die medizinische Versorgung der Patienten, um die Wissenschaft, die Forschung und Lehre und vor allem durch seine engagierte Tätigkeit auf dem Gebiet der Palliativmedizin, der Ethik in der Medizin sowie der Behandlungsfehlerbegutachtung um die ärztliche Selbstverwaltung, das Gesundheitswesen und um das Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht hat.

Heinz Pichlmaier wurde am 10. November 1930 als Sohn des Arztes und Zahnarztes Karl Pichlmaier in München geboren. Er besuchte nach der Volksschule von 1940 bis 1948 das Theresien-Gymnasium in München. Nach Ablegung der Reifeprüfung im Jahr 1948 begann er 1949 ein kombiniertes Studium der Zahn- und Humanmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1953 wurde er mit seiner Dissertation „Über den Einfluss der Atemtechnik und anderer Nebenbedingungen auf die Resorption von Aerosolen in den gesunden und kranken Atemwegen“ zum Dr. med. dent. promoviert. 1957 wurde er mit der Dissertation „Ein Beitrag zum Krankheitsbild und zur Behandlung des Paraffinoms“ zum Dr. med. promoviert.

Heinz Pichlmaier begann 1957 seine Weiterbildung als Medizinalassistent in München, zunächst an der Medizinischen Universitätsklinik unter der Leitung von Prof. Dr. med. Gustav Bodechtel, dann an der Universitäts-Frauenklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Werner Bickenbach) sowie anschließend bei Prof. Dr. med. Emil Karl Frey an der Chirurgischen Universitätsklinik. Während seiner Assistenzarzttätigkeit von 1959 bis 1966 an der Chirurgischen Universitätsklinik war er zunächst Wissenschaftlicher Assistent von Prof. Frey, einem Schüler Sauerbruchs. Seine chirurgische Weiterbildung absolvierte er teils auch unter der Leitung des nachfolgenden Prof. Dr. med. Rudolf Zenker. Die Approbation als Arzt wurde ihm am 8. Januar 1960 erteilt.

In den Jahren 1960/1961 unterbrach er für mehrere Monate seine Medizinalassistentenzeit, um am St. Marks Hospital in London die dortige Dickdarm-Chirurgie zu studieren. Von 1963 bis 1964 war er zwischenzeitlich tätig in der von Prof. Zenker 1962 geschaffenen Abteilung für Experimentelle Chirurgie (unter der Leitung von Prof. Dr. med. Walter Brendel), aus der 1969 der Lehrstuhl für Chirurgische Forschung hervorging. Dort erlernte er nicht nur die moderne biologische Untersuchungstechnik, sondern wurde auch in die Methodik und Problematik der Transplantationen, ihre Schwierigkeiten sowie der Immunsuppression eingeführt.

Nach Erlangung der Anerkennung als Facharzt für Chirurgie im Jahr 1964 folgte 1965 seine Habilitation für das Fach Chirurgie mit einer experimentellen Arbeit für „Die Bedeutung der Lymphozyten für die Homotransplantation“.

1966 wurde Heinz Pichlmaier zum wissenschaftlichen
Oberassistenten der Chirurgischen Universitäts-Klinik München ernannt; er leitete die Abteilung für Allgemeinchirurgie und Thoraxchirurgie. In den Jahren 1966 bis 1967 widmete er sich dem Aufbau einer aseptischen Transplantationseinheit. Zur gleichen Zeit beschäftigte er sich intensiv mit der Nierentransplantation, zu deren Pionieren er in Deutschland gehört. Im Jahr 1967 konnte er durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft elf Universitäten in den USA und Kanada besuchen, um die Fortschritte der angloamerikanischen Chirurgie kennen zu lernen.

Im März 1971 wurde Heinz Pichlmaier zum außerplanmäßigen Professor ernannt. 1972 ging er für einen Studienaufenthalt nach Paris zu Prof. Dr. med. Jean-Louis Lortat-Jacob, um die dortige Ösophaguschirurgie zu studieren. 1972 trat Pichlmaier der „European Parathy-roid-Hormon-Study-Group“ in Basel bei. Kurz darauf wurde er mit der Organisation einer Abteilung für Nierentransplantation beauftragt, die er auch leitete. In einem seiner weiteren chirurgischen Schwerpunktbereiche, dem Gebiet der Öso­phaguschirurgie, zählt er Anfang der 70er-Jahre zu den Pionieren in Deutschland.

1974 folgte Heinz Pichlmaier dem Ruf an die Universitätsklinik Köln und übernahm dort den Lehrstuhl für Allgemeine Chirurgie als Nachfolger von Prof. Dr. med. Georg Heberer, der auf einen Lehrstuhl für Chirurgie der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen wurde. Gleichzeitig wurde er zum Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik der Universität zu Köln ernannt. Von 1979 bis 1981 war Heinz Pichlmaier Vorsitzender der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. In den darauf folgenden Jahren 1981/1982 war er Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln.

Schwerpunkte seiner Arbeit waren auf dem Gebiet der Thoraxchirurgie die Chirurgie der Speiseröhre, Luftröhre und der Lunge und auf dem Gebiet der Bauchchirurgie die Chirurgie der Leber. Ferner widmete er sich der Transplantationschirurgie, insbesondere der Nierentransplantation sowie der Gefäßchirurgie. Letzteres Gebiet, das unter dem Ordinariat von Prof. Dr. med. Georg Heberer (1974 – 1996) aufgebaut wurde, konnte von ihm kontinuierlich weiterentwickelt werden, sodass die Gefäßchirurgie an der Universität zu Köln eine besondere Tradition erlangt hat.

Neben der Chirurgie war die Palliativmedizin Heinz Pichlmaier ein besonderes Anliegen. Im April 1983 wurde unter seiner Leitung innerhalb der Klinik für Chirurgie der Universität zu Köln die erste Station für palliative Therapie in der Bundesrepublik Deutschland eingerichtet. In dieser Fünf-Betten-Modellstation im Bettenhochhaus der Universitätskliniken wurden erstmalig in Deutschland unheilbar kranke Patienten im weit fortgeschrittenen, progredienten Krankheitsstadium mit begrenzter Lebenserwartung stationär und ganzheitlich-individuell behandelt und begleitet. Durch aktives palliativmedizinisches Handeln in Form von individueller Pflege, Schmerztherapie, Symptombehandlung und psychosozialer Betreuung konnte für unheilbar an Krebs erkrankte Patienten eine Lebensperspektive entwickelt und Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden.

1984 wurde die Behandlungseinheit durch die Einrichtung eines Hausbetreuungsdienstes zur Betreuung von Schwerkranken und Sterbenden zu Hause und die Einrichtung eines Bildungsforums Chirurgie zur Verbreitung der Ideen und Erfahrungen im Palliativbereich der Medizin ergänzt. Alle drei Einrichtungen waren Förderprojekte der Deutschen Krebshilfe. In den folgenden Jahren widmete sich Heinz Pichlmaier der Planung eines Zentrums für Palliativmedizin auf dem Gelände des Universitätsklinikums. 1992 konnte durch Unterstützung der Deutschen Krebshilfe e. V. die Palliativeinheit aus den räumlich sehr bescheidenen Umständen in das neu erbaute Dr. Mildred Scheel-Haus für Palliativmedizin umziehen. Heute beherbergt das Dr. Mildred Scheel-Haus eine erweiterte Palliativstation mit 15 Patientenbetten, einen Ambulanztrakt, den Hausbetreuungsdienst sowie die 1993 von Heinz Pichlmaier gegründete Dr. Mildred Scheel-Akademie für Forschung und Bildung, die die Aufgaben des Bildungsforums übernahm.

Die vorbildliche Organisation der Kölner Einrichtung wurde zum Muster für alle weiteren palliativmedizinischen Projekte. Mittlerweile wurden bundesweit Palliativstationen (nahezu 100), Hospize und Hausbetreuungsdienste etabliert. Das von Heinz Pichlmaier initiierte Projekt wurde 2004 durch die von der Deutschen Krebshilfe geförderte Einrichtung einer Stiftungsprofessur an der Universität zu Köln konsequent fortgeführt. Zum Wintersemester 2004/2005 wurde der Lehrstuhl für Palliativmedizin mit dem heutigen Klinikdirektor der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin (Dr. Mildred Scheel-Haus), Prof. Dr. med. Raymond Voltz, besetzt.

Im Juli 1994 gründete Heinz Pichlmaier die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. (DGP), deren Präsident er von 1994 bis 1998 war. Er ist Herausgeber des Buches „Palliative Krebstherapie“ (mit J. M. Müller und I. Jonen- Thielemann) sowie Herausgeber und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der „Zeitschrift für Palliativmedizin“.

1994 wurde Heinz Pichlmaier zunächst als stellvertretendes Mitglied für das Gebiet Chirurgie in die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein berufen. In dieser Funktion zeichnet er seit September 1996 als stellvertretendes geschäftsführendes Kommissionsmitglied für die Erteilung einer Vielzahl gutachtlicher Bescheide zur Klärung der Frage verantwortlich, ob ein von dem Patienten geltendgemachter Gesundheitsschaden auf eine fehlerhafte ärztliche Behandlung zurückzuführen ist. Seit Beginn der 7. Amtsperiode der Gutachterkommission am 1. Dezember 1999 wirkt Heinz Pichlmaier als Mitglied für das Gebiet Chirurgie auch verantwortlich an den Entscheidungen der Gesamtkommission mit, die abschließend über die von Verfahrensbeteiligten vorgebrachten Einwendungen gegen die gutachterlichen Erstbescheide befindet.

1995 wurde Heinz Pichlmaier zum Vorsitzenden der Zen­tralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei der Bundesärztekammer berufen. Im Juli 1995 nahm die Kommission als ein in seiner Meinungsbildung und Entscheidungsfindung unabhängiges und multidisziplinär zusammengesetztes Gremium ihre Arbeit auf. Die Mitglieder der Kommission repräsentieren die medizinischen und weiteren wissenschaftlichen Fachrichtungen. Aufgabe der Zentralen Ethikkommission war und ist insbesondere die Abgabe von Stellungnahmen zu ethischen Fragen, die durch den Fortschritt, die technologische Entwicklung in der Medizin und ihren Grenzgebieten und die Gesetzgebung aufgeworfen werden und die eine gemeinsame Antwort erfordern.

Seit ihrer Begründung hat die Kommission in drei Amtsperioden unter dem Vorsitz von Heinz Pichlmaier (bis 2004) neun Stellungnahmen und Erklärungen zu acht Themen verfasst, unter anderem zum „Schutz nicht einwilligungsfähiger Personen in der medizinischen Forschung“ (1997), zur Stammzellforschung (2002) und zur „Forschung mit Minderjährigen“ (2004).

Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass sich dieses interdisziplinäre und durch Pluralität geprägte Gremium zu wichtigen und existenziellen Fragen auf abgewogene und substanzielle Stellungnahmen verständigen konnte. Durch diese Konzepte ist die Zentrale Ethikkommission als eine jener wichtigen Institutionen wahrgenommen worden, die konstruktiv versuchen, einem öffentlichen Diskurs über gesellschaftlich umstrittene Fragen zu entsprechen.

Heinz Pichlmaier ist Mitglied zahlreicher deutscher und ausländischer Fachgesellschaften. 1971 wählte man ihn in Mexico City zum Honorary fellow der Internationalen Gesellschaft für Proktologie. Von 1971 bis 1974 war er im Vorstand des Sonderforschungsbereichs Nr. 37 („Restitution und Substitution innerer Organe“) der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er war Mitglied des Auswahlausschusses der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (1985 –2000) und wurde 1986 zum Ehrenmitglied der Deutschen Röntgengesellschaft ernannt. Ferner war er Mitglied des Auswahlausschusses (1986 – 1995) und des Apparateausschusses (1994 – 1997) der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Von 1989 bis 2003 war er Kuratoriumsmitglied und Mitglied des Medizinischen Beirates der Deutschen Krebshilfe. 1994 wurde er zum Ehrenmitglied der Humboldt-Universität zu Berlin ernannt. Von 1991 bis 1995 war er Herausgeber des Zentralblattes für Chirurgie, von 1994 bis 2004 Fachredakteur für Chirurgie des Deutschen Ärzteblattes.

Heinz Pichlmaier hat mehr als 470 Publikationen in Fachzeitschriften sowie zahlreiche Buchbeiträge veröffentlicht. Unter anderem ist er Herausgeber des Bandes „Thoraxchirurgie der Kirschnerschen allgemeinen und speziellen Operationslehre“ (mit F. W. Schildberg). Als Mitglied der Expertengruppe der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Onkologie hat er ferner bei der Erstellung von interdisziplinären Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie mitgewirkt. Im Mai 1996 gab Heinz Pichlmaier seine Tätigkeit auf und trat in den Ruhestand.

Heinz Pichlmaier hat sich durch seine vorbildliche Haltung als Arzt, Kliniker, Wissenschaftler und akademischer Lehrer, als Pionier der nationalen Palliativbewegung, Mitglied einer Gutachterkommission sowie Vorsitzender der Nationalen Ethikkommission um die ärztliche Versorgung, das Gesundheitswesen, die ärztliche Selbstverwaltung und um das Gemeinwohl in der Bundesrepublik Deutschland in hervorragender Weise verdient gemacht.

108. Deutscher Ärztetag in Berlin, 3. Mai 2005, Vorstand der Bundesärztekammer, Präsident

(Beifall)

Prof. Dr. Hammerstein:
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren des Vorstands! Die uns soeben mit der Verleihung der Paracelsus-Medaille zuteil gewordene Ehre erfüllt uns mit großer Dankbarkeit. Doch bei aller Freude über die damit zum Ausdruck kommende öffentliche Anerkennung unseres beruflichen Engagements wollen wir uns doch nichts vormachen: Zahllose nicht so im Rampenlicht der öffentlichen Wahrnehmung stehenden Ärzte sind ungeachtet immer schwieriger werdender Arbeitsbedingungen mit hohem Einsatz ebenso täglich um die Erfüllung ihres ärztlichen Auftrags bemüht, nicht nur in fachlich-kurativer, sondern auch in karitativ-mitmenschlicher Hinsicht, oft auch in der ärztlichen Selbstverwaltung und/oder bei der Wahrnehmung von Ehrenämtern innerhalb der Ärzteschaft bzw. an den Schnittstellen zu der Gesellschaft.

Allen diesen Ärzten gebührt unsere besondere Anerkennung. Ihnen insgesamt ist es zu verdanken, dass wir Ärzte in der demoskopischen Beliebtheitsskala immer noch eine Spitzenposition unter den Berufen einnehmen – und das nun schon seit 50 Jahren, solange ich als Arzt denken kann –, trotz zunehmender staatlicher Reglementierung und trotz immer wieder überbordender Kampagnen gegen einzelne Ärzte, spezielle Arztgruppen bzw. die Ärzteschaft insgesamt.

Aber wie lange noch? Wie lange kann der breiten Öffentlichkeit noch eine heile medizinische Welt vorgetäuscht werden – außer in Arztfilmen, versteht sich –,

(Beifall)

hat doch die Attraktivität unseres Berufes bei Insidern, also Studienbeginnern, im Laufe der letzten Jahre unter dem Eindruck der Auswirkungen gesundheitspolitischer Maßnahmen bereits beängstigende Einbrüche erlebt. Indizien dafür gibt es genug: eher weniger als mehr Medizinstudenten, zunehmende Abbruchquoten schon während des Medizinstudiums, das Ausweichen auf patientenfreie ferne Berufe nach dem Examen, die Bevorzugung ärztlicher Tätigkeiten im Ausland wegen besserer Arbeitsbedingungen dort.

Überwiegend ist das alles eine Folge der Konfrontation mit der ärztlichen Wirklichkeit schon während des Studiums. A la longue stehen uns da schwerwiegende Konsequenzen ins Haus. Aber schon jetzt haben wir Grund zur Besorgnis: Wir haben schon jetzt eine zunehmende Überalterung der Ärzteschaft infolge fehlenden Nachwuchses, schon jetzt einen immer deutlicher werdenden Ärztemangel in den neuen Bundesländern, insbesondere auf dem flachen Land – schon jetzt gibt es 230 vakante Kassenarztsitze allein in Brandenburg –, schon jetzt haben wir zunehmende Besetzungsprobleme bei freien Arztstellen, selbst in Kliniken.

Das sind doch Alarmzeichen, die die Gesundheitspolitiker und Ökonomen aufschrecken und zur Abwendung noch größerer Fehlentwicklungen auf den Plan rufen müssten. Aber statt gegenzusteuern wird die Ökonomisierung, die Verbürokratisierung und die Verrechtlichung des Gesundheitswesens weiter vorangetrieben.

(Beifall)

Wenn dieser Entwicklung kein Einhalt geboten wird, werden sich die Patienten an immer längere Wartezeiten für Arzttermine, an immer weitere Wege zur nächsten Praxis bzw. Klinik – gerade auf dem flachen Land – und nicht zuletzt auch an eine Betreuung durch überlastete Burn-out-Ärzte gewöhnen müssen. Hausbesuche durch den Hausarzt – das gehört dann der Vergangenheit an.

Im wahrsten Sinne verschaukelt vorkommen müssen sich vor allem jene Ärzte der ehemaligen DDR, die 1990 den Übergang von der staatlichen Reglementiererei in die ärztliche Selbstverwaltung aus innerster Überzeugung begrüßt haben und die sich – wie der heute hier mit uns zusammen ausgezeichnete Professor Diettrich in Dresden – um die Wiederherstellung des freien Arztberufes in vorderster Linie verdient gemacht haben. Sie müssen jetzt erleben, wie das Pendel zurückschlägt und staatliche Reglementierungssucht, das Wiederauferstehen der Poliklinik unter neuem Etikett und selbst die Verwaltung des Mangels erneut das berufspolitische Bild beherrschen.

(Beifall)

Der Arzt: Angehöriger eines freien Berufes? – Das war einmal. Wir Älteren können uns noch gut daran erinnern. Über dem gegenwärtigen Rationalisierungsgebot im Gesundheitswesen haben die verantwortlichen Politiker und Gesundheitsökonomen den kurativ tätigen Arzt offenbar ganz aus den Augen verloren. Der Arzt, der heute zurechtkommen will, muss nach ökonomischen Maximen handeln, wenn er beruflich überleben will, auch wenn seine Hinwendung zum kranken Menschen allein schon aus Zeitgründen auf der Strecke bleiben muss.

Lassen Sie mich mit einem Ausspruch von Professor Diettrich schließen: Von der Politik gewollter ökonomischer Wettbewerb duldet keine Nächstenliebe.

Nochmals ganz herzlichen Dank für die Auszeichnung mit der Paracelsus-Medaille.

(Beifall)

(Musikalische Umrahmung:
Johann Sebastian Bach – Präludium und Fuge;
Antonio Vivaldi – Allegro)


© 2005, Bundesärztekammer.