Dr. Pickerodt, Berlin: Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir vergegenwärtige, was unser Präsident in
den letzten Monaten und Wochen in Interviews von sich gegeben hat, überkommt
mich langsam die Furcht: Der gesundheitspolitische Gegner kommt uns abhanden.
Verstehen Sie dies bitte, lieber Herr Hoppe, als ein ausgesprochenes Kompliment
für Ihre Interviews und Ihre Rede bei der Eröffnungsveranstaltung.
Sie haben vor einigen Tagen in der „Berliner Zeitung“ über die
Umschichtung der Mittel von den Reichen zu den Armen in der Bevölkerung gesprochen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ich kann diesen Zugang zu dem Problem als ein Robin
Hood der Medizin nur unterstützen. Sie haben völlig Recht. Sie haben in der
„Frankfurter Rundschau“ vor einigen Wochen ein Interview zu den IGeL-Leistungen
gegeben. Ich kann auch das, was Sie dort über die Abzockerei gesagt haben, nur
unterstützen. Es scheint mir so zu sein, dass Sie der Einzige sind, der die
Presseerklärungen des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte wirklich
gründlich liest.
Wenn Sie gestatten, möchte ich aus Ihrer Rede in Bremen vor
einem Jahr einen Satz zitieren, weil er noch etwas schärfer formuliert ist als
das, was Sie heute gesagt haben. Sie haben in Bremen gesagt: Das Ziel der
Medizin ist eine gesunde Bilanz statt einer gesunden Population. Der Schwerpunkt
liegt auf Effizienz, Profitmaximierung, Kundenzufriedenheit, Zahlungsfähigkeit,
Unternehmertum und Wettbewerb.
Sie hatten damals Recht. In den Krankenhäusern, wie wir sie
erleben, hat sich seitdem schon viel getan. In den Krankenhäusern findet Wettbewerb
statt. Ich nehme es leider nicht als Wettbewerb um Qualität, sondern als
Wettbewerb um die Kosten wahr. Der Kollege Albers hat zu Recht darauf
hingewiesen: Wenn wir den Unternehmensberatern, die die Krankenhäuser heute
alle haben, folgen würden, müssten wir im nächsten Jahr ein Drittel der
Arztstellen abbauen. Ein großer Teil davon ist bereits abgebaut worden. Wir
spüren das, die Patienten spüren es auch.
Herr Hoppe, Sie haben von der Rationierung gesprochen. Auch da
haben Sie Recht. Die Rationierung im Krankenhaus erfolgt natürlich nicht so,
dass den Patienten die notwendigen Medikamente entzogen werden, sondern es
findet eine Rationierung im Bereich der ärztlichen und der pflegerischen
Zuwendungen statt. Da ist die Rationierung deutlich spürbar; die Patienten
merken es.
Sie haben vor einem Jahr und heute Vormittag wiederum dieses
leicht altmodische Wort der Barmherzigkeit in den Mund genommen. Sie haben
Recht: Es findet in den Krankenhäusern eine Rationierung der Barmherzigkeit
statt.
Gestatten Sie mir, etwas zu wiederholen, was ich vor kurzem in
der Delegiertenversammlung der Ärztekammer Berlin sagte, was etwas überspitzt
ist und mir auch keineswegs nur Freunde gebracht hat: Die Situation ist
heutzutage so, dass ältere und hilflose Menschen im Akutkrankenhaus auf hohem
pharmakologischen Niveau Gefahr laufen, zu verdursten oder zu verhungern.
Dagegen müssen wir etwas tun.
Ich danke Ihnen.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen
Dank, Herr Pickerodt. Als nächste Rednerin bitte Frau Dr. Gitter aus Bremen.
|