TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

1. Tag: Dienstag, 3. Mai 2005, nur Nachmittagssitzung

Dr. Pickerodt, Berlin:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir vergegenwärtige, was unser Präsident in den letzten Monaten und Wochen in Interviews von sich gegeben hat, überkommt mich langsam die Furcht: Der gesundheitspolitische Gegner kommt uns abhanden. Verstehen Sie dies bitte, lieber Herr Hoppe, als ein ausgesprochenes Kompliment für Ihre Interviews und Ihre Rede bei der Eröffnungsveranstaltung.

Sie haben vor einigen Tagen in der „Berliner Zeitung“ über die Umschichtung der Mittel von den Reichen zu den Armen in der Bevölkerung gesprochen. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich kann diesen Zugang zu dem Problem als ein Robin Hood der Medizin nur unterstützen. Sie haben völlig Recht. Sie haben in der „Frankfurter Rundschau“ vor einigen Wochen ein Interview zu den IGeL-Leistungen gegeben. Ich kann auch das, was Sie dort über die Abzockerei gesagt haben, nur unterstützen. Es scheint mir so zu sein, dass Sie der Einzige sind, der die Presseerklärungen des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte wirklich gründlich liest.

Wenn Sie gestatten, möchte ich aus Ihrer Rede in Bremen vor einem Jahr einen Satz zitieren, weil er noch etwas schärfer formuliert ist als das, was Sie heute gesagt haben. Sie haben in Bremen gesagt: Das Ziel der Medizin ist eine gesunde Bilanz statt einer gesunden Population. Der Schwerpunkt liegt auf Effizienz, Profitmaximierung, Kundenzufriedenheit, Zahlungsfähigkeit, Unternehmertum und Wettbewerb.

Sie hatten damals Recht. In den Krankenhäusern, wie wir sie erleben, hat sich seitdem schon viel getan. In den Krankenhäusern findet Wettbewerb statt. Ich nehme es leider nicht als Wettbewerb um Qualität, sondern als Wettbewerb um die Kosten wahr. Der Kollege Albers hat zu Recht darauf hingewiesen: Wenn wir den Unternehmensberatern, die die Krankenhäuser heute alle haben, folgen würden, müssten wir im nächsten Jahr ein Drittel der Arztstellen abbauen. Ein großer Teil davon ist bereits abgebaut worden. Wir spüren das, die Patienten spüren es auch.

Herr Hoppe, Sie haben von der Rationierung gesprochen. Auch da haben Sie Recht. Die Rationierung im Krankenhaus erfolgt natürlich nicht so, dass den Patienten die notwendigen Medikamente entzogen werden, sondern es findet eine Rationierung im Bereich der ärztlichen und der pflegerischen Zuwendungen statt. Da ist die Rationierung deutlich spürbar; die Patienten merken es.

Sie haben vor einem Jahr und heute Vormittag wiederum dieses leicht altmodische Wort der Barmherzigkeit in den Mund genommen. Sie haben Recht: Es findet in den Krankenhäusern eine Rationierung der Barmherzigkeit statt.

Gestatten Sie mir, etwas zu wiederholen, was ich vor kurzem in der Delegiertenversammlung der Ärztekammer Berlin sagte, was etwas überspitzt ist und mir auch keineswegs nur Freunde gebracht hat: Die Situation ist heutzutage so, dass ältere und hilflose Menschen im Akutkrankenhaus auf hohem pharmakologischen Niveau Gefahr laufen, zu verdursten oder zu verhungern. Dagegen müssen wir etwas tun.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe:
Schönen Dank, Herr Pickerodt. Als nächste Rednerin bitte Frau Dr. Gitter aus Bremen.

 

© 2005, Bundesärztekammer.