TOP II: Arbeitssituation der niedergelassenen Ärzte

1. Tag: Dienstag, 3. Mai 2005, nur Nachmittagssitzung

Prof. Dr. Kossow, Niedersachsen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation in der Praxis wäre attraktiver, wenn jeder wüsste, was er dort zu tun hat, was er besser nicht tun sollte, wenn er sich in Bezug auf diese Perspektiven sachlich informieren könnte. Das gilt ganz besonders für die Art und Weise, wie Leitlinien den Berufsalltag und das Verhalten der Ärzte steuern.

Es ist meines Erachtens zunächst einmal wichtig, dass Leitlinien nicht ohne Beteiligung der Fachgruppen, die von ihnen betroffen sind, entwickelt werden. Es macht beispielsweise keinen Sinn, in einer neurologischen Klinik eine Leitlinie für die Migränebehandlung in der hausärztlichen Praxis zu machen, wenn man nicht die Allgemeinärzte aus der Praxis an der Entwicklung der Leitlinie beteiligt hat. Ferner macht es keinen Sinn, Leitlinien aus dem Ausland unkritisch zu importieren: aus England, aus Skandinavien, aus Ontario, aus Britisch-Kolumbien, sogar Neuseeland. Warum macht das keinen Sinn? Wir haben in den Absenderländern völlig anders strukturierte Gesundheitssysteme als bei uns. Ob das, was dort gilt, beispielsweise unter den Strukturen eines Primärarztsystems in Deutschland mit dem Prinzip der freien Arztwahl Sinn macht, steht sehr infrage. Ich plädiere deshalb sehr dafür, keine Leitlinie aus dem Ausland mehr zu importieren, außer in der Spezialversorgung, wo dieselben Bedingungen wie im Ausland herrschen. Da mögen sich die Kollegen auf internationalen Kongressen darüber verständigen, dass sie das akzeptieren.

Der nächste Punkt, der mindestens ebenso wichtig ist, ist, dass man die Haftungsfragen, die mit der Beachtung bzw. der Nichtbeachtung der Leitlinien verbunden sind, beispielsweise Vermögensschadenhaftung nach der Wirtschaftlichkeitskontrolle, mit abarbeitet.

Wenn all dieses geschehen ist, können Leitlinien im Ausnahmefall auch einmal sinnvoll sein, vor allen Dingen dann, wenn der Maßstab, mit dem sie hierzulande überprüft werden können, vorhanden ist. Bisher ist das nicht der Fall. Es werden Gesundheitssystemforschung, Feldforschung und ähnliche Dinge propagiert. Wichtig wäre aber, dass wir zunächst einmal eine Epidemiologie hätten, auf deren Grundlagen alle unter denselben Bedingungen forschen können.

Ich hoffe, dass von diesem Ärztetag eine Initiative ausgeht, dass wir ein solches belastbares Zahlenwerk als Forschungsgrundlage für die Ärzte und die Gesundheitswissenschaftler aller Fächer bekommen, damit die Mutmaßungen und Ideologien etwas weniger umfangreich werden und die Sachkunde etwas umfangreicher wird.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe:
Vielen Dank, Herr Kossow. Das war eine Punktlandung, nicht nur von der Zeit her. Das Wort hat jetzt Frau Dr. Susan Trittmacher aus Hessen.

 

© 2005, Bundesärztekammer.