TOP II: Arbeitssituation der niedergelassenen Ärzte

2. Tag: Mittwoch, 4. Mai 2005 Vormittagssitzung

Dr. Thierse, Berlin:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Haus hat gestern vorgetragen, welches Einkommen sie zu Beginn ihrer Praxiszeit hatte und welches sie heute hat. Im fachärztlichen Bereich ist das überhaupt nicht anders. Ich habe mich 1992 als Orthopäde niedergelassen. Damals habe ich meine Praxis pro Quartal nur für zwei Monate geöffnet und mein Röntgengerät funktionierte noch nicht. Heute habe ich die doppelte Zahl an Patienten, aber die Hälfte an Kassenumsatz. Das hängt unter anderem mit der Tatsache zusammen, dass, je mehr Patienten zu mir kommen, ich umso weniger Geld bekomme, denn es steht ja nur das Budget zur Verfügung, das vor zwei Jahren festgelegt wurde.

Der gesamte medizinische Fortschritt wird von uns bezahlt: nicht von den Kassen, nicht von den Patienten, sondern aus unserem Budget. Alles, was an technischem Fortschritt zu bezahlen ist, soll mit dem Budget abgedeckt sein. Das ist die eine Falle.

(Beifall)

Sie kennen ja den Ausspruch: Wir wollen sparen, koste es, was es wolle. Das war ein bisschen mit der Grund, weshalb ich auf den Antrag 5 eingestiegen bin. Was geschieht, wenn ich einen Patienten mit einer chronischen Entzündung, beispielsweise einer Fistel, habe? Ich lasse diesen Patienten mit hohem finanziellen Aufwand zu mir in die Praxis fahren. Daran verdient zunächst einmal das Krankentransportunternehmen. Für den Patienten ist es eine Belastung, nur damit ich ihn in der Praxis verbinde. Wenn ich eine Mitarbeiterin zu dem Patienten schicke, bekomme ich nicht einmal die Arbeitszeit vergütet. Mit den 2,50 Euro kann ich noch nicht einmal die Kosten der Fahrt zum Patienten abdecken. Es wird nicht finanziert, dass der Arzt mit einer Mitarbeiterin zum Patienten fährt, um diesen zu Hause zu versorgen. Geld aus einem Topf, aus dem wir unsere Mitarbeiter bezahlen könnten, geht an ein Transportunternehmen oder sonstige Empfänger außerhalb des medizinischen Bereichs! So kann es eigentlich nicht sein.

Kurz noch ein Wort zu einer anderen Perversion. Was macht man, wenn immer mehr Patienten zu einem kommen? Man ist ja budgetiert. Man ist ja gedeckelt, man dürfte eigentlich gar nicht mehr behandeln. Also holt man sich einen
Coach, einen Trainer in die Praxis, jemanden, der den Mitarbeitern nicht sagt, wie sie mit den Patienten gut umgehen, sondern der ihnen erklärt, wie sie es erreichen, dass die Patientenzahlen sinken. Das ist die endgültige Perversion des Systems!

Danke.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe:
Danke sehr, Herr Thierse. Jetzt bitte Herr Lutz aus Bayern.

 

© 2005, Bundesärztekammer.