Dr. Thierse, Berlin: Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Frau Haus hat gestern vorgetragen, welches Einkommen sie zu Beginn
ihrer Praxiszeit hatte und welches sie heute hat. Im fachärztlichen Bereich ist
das überhaupt nicht anders. Ich habe mich 1992 als Orthopäde niedergelassen.
Damals habe ich meine Praxis pro Quartal nur für zwei Monate geöffnet und mein
Röntgengerät funktionierte noch nicht. Heute habe ich die doppelte Zahl an
Patienten, aber die Hälfte an Kassenumsatz. Das hängt unter anderem mit der
Tatsache zusammen, dass, je mehr Patienten zu mir kommen, ich umso weniger Geld
bekomme, denn es steht ja nur das Budget zur Verfügung, das vor zwei Jahren
festgelegt wurde.
Der gesamte medizinische Fortschritt wird von uns bezahlt:
nicht von den Kassen, nicht von den Patienten, sondern aus unserem Budget.
Alles, was an technischem Fortschritt zu bezahlen ist, soll mit dem Budget
abgedeckt sein. Das ist die eine Falle.
(Beifall)
Sie kennen ja den Ausspruch: Wir wollen sparen, koste es, was
es wolle. Das war ein bisschen mit der Grund, weshalb ich auf den Antrag 5
eingestiegen bin. Was geschieht, wenn ich einen Patienten mit einer chronischen
Entzündung, beispielsweise einer Fistel, habe? Ich lasse diesen Patienten mit
hohem finanziellen Aufwand zu mir in die Praxis fahren. Daran verdient zunächst
einmal das Krankentransportunternehmen. Für den Patienten ist es eine
Belastung, nur damit ich ihn in der Praxis verbinde. Wenn ich eine
Mitarbeiterin zu dem Patienten schicke, bekomme ich nicht einmal die
Arbeitszeit vergütet. Mit den 2,50 Euro kann ich noch nicht einmal die
Kosten der Fahrt zum Patienten abdecken. Es wird nicht finanziert, dass der
Arzt mit einer Mitarbeiterin zum Patienten fährt, um diesen zu Hause zu
versorgen. Geld aus einem Topf, aus dem wir unsere Mitarbeiter bezahlen
könnten, geht an ein Transportunternehmen oder sonstige Empfänger außerhalb des
medizinischen Bereichs! So kann es eigentlich nicht sein.
Kurz noch ein Wort zu einer anderen Perversion. Was macht man,
wenn immer mehr Patienten zu einem kommen? Man ist ja budgetiert. Man ist ja gedeckelt,
man dürfte eigentlich gar nicht mehr behandeln. Also holt man sich einen
Coach, einen Trainer in die Praxis, jemanden, der den Mitarbeitern nicht sagt,
wie sie mit den Patienten gut umgehen, sondern der ihnen erklärt, wie sie es
erreichen, dass die Patientenzahlen sinken. Das ist die endgültige Perversion
des Systems!
Danke.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Danke sehr,
Herr Thierse. Jetzt bitte Herr Lutz aus Bayern.
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