TOP II: Arbeitssituation der niedergelassenen Ärzte

2. Tag: Mittwoch, 4. Mai 2005 Vormittagssitzung

Zimmer, Nordrhein:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf das Thema dieses Tagesordnungspunktes zurückkommen: Arbeitssituation der niedergelassenen Ärzte. Ich habe bisher von niemandem gehört, dass etwas zu einem Faktum gesagt wurde, das ich in meiner Praxis mit großer Besorgnis feststellen muss: Etwa ein Drittel meiner Patienten, von denen ich glaube, dass sie unweigerlich krankgeschrieben gehören, weil sie wirklich krank sind – ich bringe es in meinem KV-Schnitt gerade auf 50 Prozent der Krankmeldestatistik –, weigern sich, versuchen vehement, mit mir darüber zu verhandeln, nicht krankgeschrieben zu werden, denn sie haben Furcht um ihren Arbeitsplatz. Diese Furcht um den Arbeitsplatz schränkt meine ärztliche Behandlungsfreiheit gewaltig ein, mit dem durchaus gewaltigen Risiko, dass, wenn sie arbeiten gehen und Komplikationen auftreten, sich die Frage stellt, wer das zu verantworten hat.

Die Menschen in diesem Land haben Angst, von uns nicht mehr das Notwendige bekommen zu können. Sie fragen: Kann ich nicht selber noch etwas tun? Wir haben den Verdacht: Sie dürfen ja nicht mehr alles tun, sagen Sie uns bitte, wenn darüber hinaus mehr erforderlich sein sollte.

Diese Ängste in der Bevölkerung sind für unseren Beruf gefährlich, weil wir die Schutzfunktion für die Patienten in den Situationen übernehmen müssen, in denen sie besonders hilflos sind, nämlich wenn sie krank sind.

Ich habe in meiner Arbeit folgendes Phänomen erlebt: Ein Patient, der zur Rezidiv-OP einer Leistenhernie eingewiesen war, bekam sein Routine-EKG. Dieses war nicht in Ordnung. Der verantwortungsbewusste Kardiologe schaute sich das EKG vom Vorjahr an und stellte fest: Es ist wirklich nicht in Ordnung. Er rief mich an und sagte mir: Ich muss den Patienten entlassen, Sie können ihn draußen ambulant behandeln, er muss wahrscheinlich einen Katheter bekommen, mindestens aber muss er ein Stressecho bekommen – aber unser Controller hat mir gesagt: Das können wir bei dieser Einweisungsdiagnose nicht unterbringen.

Dieser Patient steht demnächst wieder zur OP an. Ist das eine vernünftige Situation für die Patienten?

Nebenfrage: Wie ist es eigentlich mit unserer Kommunikation untereinander? Wir führen einen neuen EBM ein, der festlegt, dass das Gespräch zwischen zwei Ärzten – das ist die Ziffer 42 – untergeht. Das fließt irgendwo in das Budget mit ein. Das ist eine Katastrophe,

(Beifall)

und zwar deswegen, weil wir auf der anderen Seite die Berichtspflicht einführen. Das ist aber eine gerichtete Geschichte ohne Kommunikation mit Rückmeldemöglichkeit. Wir führen mit noch höheren Kosten die eCard ein. Wir reduzieren die Kommunikation zwischen den Ärzten auf ein absolutes Minimum und ersetzen sie durch eine elektronische Kommunikation.

Mein Vorschlag ist ein kleiner Modellversuch des blauen Punktes: Bei jedem Patienten, bei dem Sie möchten, dass ein Rückruf des Kollegen in der Klinik oder in der Praxis erfolgt, machen Sie hinter die Unterschrift einen solchen Punkt. Ich rufe auf jeden Fall an. Ich würde mich freuen, wenn ich Kollegen hätte, die mich in meinem Umfeld auffordern, sie anzurufen, damit sie mir auch das sagen, was sie sich schon lange nicht mehr trauen, in einen Brief hineinzuschreiben: Der Patient passt nicht mehr in das DRG-Programm, kümmern wir uns ambulant gemeinsam um ihn.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe:
Schönen Dank, Herr Zimmer. Nunmehr Herr Dr. Handrock aus Berlin.

 

© 2005, Bundesärztekammer.