Henke, Referent: Lieber Herr Präsident! Verehrte
Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich bedanke auch ich
mich sehr herzlich bei Herrn Professor Siegrist für sein Referat. Ich darf
hinzufügen, dass dies das erste Mal ist, dass sich ein bundesweites Gremium in
Deutschland die Ergebnisse der European Science Foundation hat vorstellen
lassen. Aus den Einblicken, die wir gewonnen haben, folgt nun natürlich die
Frage nach den Konsequenzen. Die Ergebnisse des europäischen Forschungsprojekts
haben zweierlei verdeutlicht: Zum einen gibt es offensichtlich einen direkten
Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht
und dem individuellen Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko.
Zudem kumulieren die Risiken über den Lebenslauf hinweg. Eine
schlechte soziale Ausgangslage zur Geburt und im Kleinkindalter erhöht
offensichtlich auch das Risiko, in den späteren Lebensphasen eher zu erkranken
und früher zu versterben.
Deshalb stelle ich fest – diese Sicht finden Sie auch im
Antrag des Vorstands zu diesem Tagesordnungspunkt wieder –: Arbeitslosigkeit
und Armut lassen Menschen früher altern, rascher krank werden, sie rauben
Initiative zur eigenen Gesundheitsförderung, zerstören die Motivation zur
Prävention, mindern gesundheitliche Potenziale und verbreiten gesundheitsbelastende
Verhaltensweisen.
Arbeitslosigkeit macht arm und Armut und Arbeitslosigkeit
machen krank, und zwar beides bis hinein in die folgende Generation.
Bitte gestatten Sie mir, diesen Aspekt noch durch einige
Hinweise zu unterstreichen, die ich einer persönlichen Mitteilung von Herrn
Professor Harvey Brenner, Professor für Epidemiologie an der Technischen
Universität Berlin, verdanke. Herr Professor Brenner hat für zahlreiche Staaten
die Korrelation zwischen Lebenserwartung und Arbeitslosigkeit geprüft. Für
Deutschland ist die Datenlage noch nicht sehr ausführlich. Aber die Korrelation
lässt sich für die männliche Bevölkerung sowohl auf der aggregierten Ebene der
Bundesländer zeigen als auch auf der Ebene der Raumordnungsregionen und der
Kreise. Es wird die Arbeitslosenquote aus 2002 zu der vom Bundesbauministerium
zur Verfügung gestellten Prognose der Lebenserwartung in den jeweiligen
Raumordnungsregionen in Beziehung gesetzt. Die Aussage ist keine kausale
Aussage, sondern nur eine Korrelation. Sie besagt lediglich, dass sich aus der
Arbeitslosenquote Differenzen in der Lebenserwartung mit einer
Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent prognostizieren lassen und diese
Prognosewahrscheinlichkeit hochsignifikant ist.
Es gibt einen ähnlichen Gradienten, wenn die Untersuchung auf der
Ebene der Kreise und der kreisfreien Städte erfolgt. Wenn man eine Aufteilung
zwischen Kreisen und kreisfreien Städten einerseits im Westen und andererseits
im Osten vornimmt, sieht man, dass der Gradient im Westen stärker und im Osten
schwächer ist. Eine spekulative These hinsichtlich der Gründe könnte lauten,
dass die Arbeitslosigkeit kumulativ zur Risikoausbildung beiträgt und die Daten
für die östlichen Bundesländer denjenigen Zeitraum mit beinhalten, zu dem jedenfalls
formal eine Arbeitslosigkeit nicht möglich war, also vor der Änderung des
Wirtschaftssystems.
Bei Frauen ist der Gradient schwächer ausgeprägt, aber auch
vorhanden. Hier ist die Erklärungswahrscheinlichkeit 40 Prozent.
Ich halte diese Daten für hochinteressant. Noch interessanter
wären sie, wenn sie sich auch einzelnen Krankheitsbildern widmen würden. Dazu
wäre allerdings ein Forschungsprojekt nötig, das natürlich finanziert werden
muss.
Die wichtigste Kausaltherapie für das Problem besteht
selbstverständlich darin, die Arbeitslosigkeit und damit den derzeit
wichtigsten Grund für die Ausbreitung von Armut zu beseitigen. Das wichtigste
Gegenmittel sind also neue Arbeitsplätze. Neue Arbeitsplätze entstehen nicht
von selbst, sie entstehen vielmehr, wenn jemand überzeugt ist oder doch zumindest
das Vertrauen hat, dass die Investitionen in neue Arbeitsplätze sich lohnt und
dass man diese Investition riskieren kann. Eine mangelhafte Bereitschaft zu
Investitionen und ein hohes Maß an Arbeitslosigkeit gehen Hand in Hand.
Es ist die Aufgabe der Wirtschafts-, Steuer-, Sozial-,
Finanz-, Tarif- und Arbeitsmarktpolitik, die Bedingungen für das Entstehen
neuer Arbeit in Deutschland zu verbessern. Zur Abwehr der gesundheitlich
katastrophalen Folgen von Arbeitslosigkeit und Armut muss das Prinzip „Arbeit zuerst“
zu einem Leitmotiv der politischen Gestaltung werden. Es ist doch kein
Naturgesetz, dass die durchschnittliche Arbeitslosenquote der 21 bedeutendsten
Industrieländer im Internationalen Standort-Ranking der Bertelsmann Stiftung
seit 1993 von damals 9,2 Prozent auf inzwischen 6,6 Prozent gefallen ist,
Deutschland jedoch bei grundsätzlich gleichen weltwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen inzwischen das Schlusslicht in Wachstum und Beschäftigung
darstellt. Wir brauchen also andere Antworten als bisher. Die Reaktion auf den
Zusammenhang von Krankheit und Armut muss im Sinne kausaler Therapie als auch
vor allem auf der politischen Ebene ankommen. Wir sind als Ärztinnen und Ärzte
nicht in der Lage, mit dem Rezeptblock die Globalisierung rückgängig zu machen,
noch können wir die Bedeutung des neuen hochmobilen Produktionsfaktors Wissen
wegoperieren noch können wir – mit welcher Technologie auch immer – die
niedrige Geburtenrate seit 1974 rückgängig machen, jedenfalls nicht für die
Zeit bis jetzt. Wir können Deutschland nicht in eine Insel der Glückseligen
verwandeln noch können wir das Gesundheitswesen zu einer Insel der Glückseligen
in Deutschland machen.
Ich denke, deswegen müssen wir auch in der öffentlichen
Debatte klar machen, was wir leisten können und was andere leisten müssen. Wir
können nicht die Ausfallbürgschaft dafür übernehmen, dass wir im
internationalen Vergleich das Thema Arbeitslosigkeit noch schlechter bewältigen
als andere. Deswegen ist es für unser eigenes Handeln wichtig, dass wir die
Kausalzusammenhänge zwischen sozialer Lage und Gesundheit besser verstehen,
deswegen ist es so wichtig, dass wir uns heute damit befassen.
Ich will versuchen, die vier möglichen Lösungsansätze, die
Herr Professor Siegrist aufgezeigt hat, auf die Möglichkeit gesundheitspolitischer
Konsequenzen hin abzuklopfen.
Die erste mögliche Hypothese ist die Drift-Hypothese. Sicher
war noch im 19. Jahrhundert Krankheit einer der zentralen Risikofaktoren
für einen sozialen Abstieg und für Verelendung. Herr Professor Siegrist hat
jedoch aufgezeigt, dass nach allen bisherigen wissenschaftlichen Ergebnissen
davon ausgegangen werden muss, dass der Faktor Krankheit nur 5 bis 10 Prozent
der Gesamtvarianz der Faktoren, die Armut verursachen, ausmacht. Die Krankheit
ist also kein vordringlicher Faktor mehr.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es mindestens zwei
Gruppen von Menschen gibt, bei denen die Folgen von Krankheit tatsächlich in
den Ruin führen. Dabei handelt es sich zum einen um junge Menschen, die in
frühen Lebensjahren ohne auskömmliche Rentenversicherung eine chronische Behinderung
erwerben, die sie berufsunfähig macht. Ich habe neulich bei der Einweihung
einer Mukoviszidose-Ambulanz mit mehreren dieser Patienten gesprochen. Sie
schaffen es einfach nicht, arbeiten zu gehen. Sie sind in einer ökonomisch
außerordentlich prekären Situation mit ihren 27 oder 29 Jahren.
Der zweite Fall ist jener, dass man über das Ausmaß der
Pflegebedürftigkeit in den Ruin getrieben wird, nämlich dann, wenn der
Pflegebedarf so hoch ist, dass er das Dienstleistungsniveau der
Pflegeversicherung übersteigt, sodass erst durch Zuzahlung eine menschenwürdige
Pflege erfolgen kann. Die Folge ist dann sehr häufig der Verbrauch aller bis
dahin erwirtschafteten Mittel.
Für das Gesundheitswesen ist mit der Drift-Hypothese die
Aufforderung verbunden, keine Anstrengungen unversucht zu lassen, Erkrankungen
möglichst früh zu erkennen und zu behandeln und bereits Erkrankten die beste
Heilung und Rehabilitation zu ermöglichen. Zudem müssen die Sozialversicherungen
in einen Zustand versetzt werden, der es verhindert, dass Krankheit und ihre Behandlung
sowie Behinderung und die notwendige Rehabilitation und übrigens auch
Pflegebedürftigkeit und menschenwürdige Pflege in materielle Verelendung
münden.
Die zweite Hypothese lautet: Arme haben einen schlechteren
Zugang zur medizinischen Versorgung. Das ist die These von den
Zugangsbarrieren. An den Daten des Bundesgesundheitssurveys sieht man deutlich,
dass die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen in der Unterschicht häufiger
vorkommt. Das sagt noch nichts über die Zusammenhänge und über die
Angemessenheit aus. Diese Daten haben wir von Frau Professor Kurth erhalten,
die an diesem Survey entscheidend mitgewirkt hat.
Die Einführung der Kassengebühr zum 1. Januar 2004 hat nach
Daten, welche die Kassenärztliche Vereinigung Berlin vorgelegt hat, dazu
geführt, dass in jenen Berliner Stadtteilen, in denen der prozentuale Anteil
der Bevölkerung, die vom Sozialhilfebezug leben, besonders hoch ist, der
Rückgang der Arztinanspruchnahme im ersten Quartal 2004 im Vergleich zum ersten
Quartal 2003 besonders ausgeprägt ist. Leider haben wir für das erste Quartal
2005 keine Zahlen.
Ich glaube, aus diesen Daten der Kassenärztlichen Vereinigung
Berlin kann man die Konsequenz ziehen, dass die Frage zu stellen ist, ob nicht
mit zunehmend mehr Selbstbehalten und Zuzahlungen die finanziell schwächsten
Bevölkerungsgruppen vermehrt von der Nutzung ärztlicher Leistungen abgehalten
werden. Eine weitere Verknappung der verfügbaren Geldmittel könnte tatsächlich
zum Aufbau zunehmender Zugangsbarrieren zur gesundheitlichen Versorgung führen.
Das ist zu dieser These, auch wenn sie ebenfalls nicht im Vordergrund der
Argumentation stehen wird, die gesundheitspolitische Konsequenz.
Die dritte Hypothese lautet: Die Lebensbedingungen machen Arme
krank. Es klingt schon fast trivial, dass das Leben unter den Bedingungen von
Arbeitslosigkeit und Armut härter ist als unter den Lebensbedingungen im
Wohlstand und somit zu erhöhten Krankheitsrisiken und Gefährdungen der
Gesundheit führt. Wer die Dreigroschenoper von Bert Brecht und Kurt Weill
kennt, kennt den Refrain: „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm.“
Für die Lebensbedingungen im 19. Jahrhundert hatte diese
Hypothese zweifellos eine riesige Plausibilität, denkt man nur an die damaligen
Arbeits- und Wohnverhältnisse und die damit verbundenen Unfallgefahren und
Gefahren ansteckender Erkrankungen wie beispielsweise Cholera, Tuberkulose oder
Typhus.
Die Frage ist nun: Bestehen solche Unterschiede in den
Lebensbedingungen und damit im Krankheitsgeschehen auch heute noch? Auch wenn
wir von den meisten Epidemien Gott sei Dank weitgehend verschont sind, weisen
auch heute noch die Ergebnisse verschiedener Studien deutliche
Morbiditätsunterschiede unter den verschiedenen sozialen Schichten auf. Zum
einen zeigen alle vorliegenden bevölkerungsbezogenen Befragungen, dass mit
abnehmendem sozialen Status auch die eigene Gesundheit subjektiv schlechter
eingeschätzt wird. Angehörige der obersten sozialen Schicht beantworten die
Frage nach ihrer Zufriedenheit mit ihrer Gesundheit im Vergleich zu den
Angehörigen der untersten sozialen Schicht mehr als doppelt so häufig positiv.
Man könnte sagen, dies könnte auf eine größere „Klagsamkeit“ in den unteren
sozialen Schichten zurückgeführt werden. Das ist aber nicht so. Bei der
Deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie wurden die Teilnehmer befragt, ob
sie in ihrem Leben schon einmal einen Herzinfarkt bzw. Schlaganfall erlitten
haben bzw. ob sie an einem nicht insulinpflichtigen Diabetes leiden. Es hat
sich gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Angehörige der untersten
sozialen Schichten auf diese Fragen mit Ja antworten, um 50 bis 100 Prozent
größer ist als jene bei der
obersten Sozialschicht.
Auch hier ist mit der bloßen Deskription noch längst nichts
darüber ausgesagt, wie die dargestellten Zusammenhänge zwischen Krankheiten und
sozialer Schicht zustande kommen. Als abzuleitende Folge für das
Gesundheitswesen wird man feststellen können: Die Prozesse, die sich im
Arbeitsleben als gesundheitliche Risiken herausbilden, sind durch das
Gesundheitswesen – ich nehme die Betriebsärzte und die Arbeitsmedizin aus – nur
schwer zu beeinflussen. Hier kommt eher dem Arzt-Patient-Gespräch und
gegebenenfalls der Vermittlung an weitere Stellen, die Hilfestellungen bei der
Bewältigung und Verarbeitung von Stress leisten können, eine Bedeutung zu. Ich
glaube allerdings nicht, dass dies das Hauptmetier unseres Berufs sein wird.
Die vierte Hypothese lautet: Arme zeigen ein ungünstigeres
Gesundheitsverhalten. Hier bleibt die Frage, ob nicht ein großer Teil der
zwischen den Sozialschichten feststellbaren unterschiedlichen gesundheitlichen
Belastungen mit dem Gesundheitsverhalten zu tun hat. Verschiedene Studien haben
gezeigt, dass Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsarmut und Übergewicht mit
einer erheblichen sozialen Gradienz verbunden sind.
Gleiches gilt für die Teilnahme an Maßnahmen zur
Gesundheitsförderung. Es wurde gefragt, ob man während der letzten zwölf Monate
an einer Maßnahme zur Gesundheitsförderung teilgenommen hat. Auch hier zeigt
sich das schichtenspezifisch typische Verteilungsmuster.
Gleiches gilt für die Teilnahme an
Krebsvorsorgeuntersuchungen, für die Teilnahme an den
Kindervorsorgeuntersuchungen und die Zahnpflege, die sich anhand der Zahl
kariöser Zähne abbilden lässt.
Welches können die möglichen Schritte sein? Folge für das
Gesundheitswesen könnte eine verstärkte Aufklärung über Gesundheitsrisiken und
gesundheitsförderliches Verhalten sein, über Vorsorgemaßnahmen, über Prävention
und Unterstützungsangebote, vor allem für die drei von Herrn Siegrist beschriebenen
relevanten Lebensphasen: Neugeborene/Kleinkinder und ihre Eltern, Jugendliche,
mittleres Erwachsenenalter/Berufstätige. Solche Aufklärungsaktivitäten müssen
zielgruppengerecht erfolgen, sie sollten aber auch unterstützt werden durch den
einzelnen Arzt in Praxis und Klinik. Eine weitere Folge wäre mehr aktives
Kontaktieren randständiger Bevölkerungsgruppen zu Vorsorgeuntersuchungen und
zur Teilnahme an Impfungen. Hier sollte der öffentliche Gesundheitsdienst eine
entscheidende Rolle wahrnehmen, beispielsweise über Screeninguntersuchungen
schon im Kindergartenalter, eine umfassende, sozialschichtbezogene
Gesundheitsberichterstattung usw. Auch sollten erwachsene Versicherte zukünftig
anders zur Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen motiviert werden, wie dies nun
beispielsweise beim Mammographiescreening erfolgen wird. Über die
Zweckmäßigkeit des Mammographiescreenings könnte man lange diskutieren. Der Weg
vom opportunistischen hin zum organisierten Screening auf Einladungsbasis
scheint mir ein Weg zu sein, der auch in anderen Konditionen Erfolg verspricht.
Schließlich ist auch zu überlegen, ob und in welcher Weise
niedergelassene Ärzte ihre Angebote an die veränderte Bedarfslage anpassen
müssen und können. Ich bin sicher, dass wir dazu gleich von Frau Dr. Goesmann
etwas hören werden.
Mehr Gesundheitsaufklärung beispielsweise an Schulen ist
notwendig. Auch hierbei können Ärzte einen aktiven Beitrag leisten.
Auch sollten wir auf eine stärkere Vernetzung der
Einrichtungen des Gesundheitswesens mit anderen Bereichen und Einrichtungen der
sozialen Versorgung hinwirken. Einen guten Ansatz hierfür bietet das Projekt
regionaler Knoten des Betriebskrankenkassen-Bundesverbands und der Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung, das sich die Förderung sozial benachteiligter
Bevölkerungsgruppen zur Aufgabe gemacht hat und an dem vielerorts bereits auch
die Landesärztekammern und die Gesundheitsämter mitwirken. Vielleicht können
auch kommunale Gesundheitskonferenzen zu einer intensiveren Bündelung der
lokalen Kräfte beitragen, mit denen die Ärztekammern und die Gesundheitsämter
in Nordrhein-Westfalen seit einigen Jahren Erfahrung gesammelt haben.
Natürlich sind die genannten Handlungsansätze und weitere, die
Ihnen im Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer vorliegen, eingerahmt in
das große Bild des Arbeitsmarktes und der Entwicklungen dort. Denn ein
ausreichendes Arbeitsplatzangebot ist schließlich ein Garant dafür, dass der
Einzelne berufliche Perspektiven hat und Möglichkeiten innerhalb der
Gesellschaft findet, die ihn auch in seinen übrigen Ressourcen stärken.
Ich will auf ein Problem aufmerksam machen, das ebenso
grundsätzlicher wie politischer Natur ist. Mit hoher Arbeitslosigkeit schrumpfen
auch die Ressourcen des Gesundheitswesens. Wenn diese Entwicklung nicht
umgekehrt wird, wird das zwingend dazu führen, dass immer mehr Menschen von
Leistungen ausgeschlossen werden, also die Rationierung immer mehr um sich
greift. In einem Gesundheitswesen, das seine Finanzierung fast ausschließlich
an das Arbeitseinkommen bindet, schrumpfen die verfügbaren Ressourcen paradoxerweise
gerade dann, wenn Arbeitslosigkeit und Armut die Morbidität zunehmen lassen und
damit der Bedarf an gesundheitlicher Versorgung steigt.
Viele Beiträge kann sicherlich auch jeder Einzelne im
täglichen ärztlichen Tun leisten. Es ist wichtig, dass wir die
unterschiedlichen Verantwortungszuordnungen im Gedächtnis behalten und
diesbezüglich keine Unklarheit aufkommen lassen. Wir können mit den Mitteln der
einzelnen Praxis nicht alles reparieren. Wir können auch mit den Mitteln des
Gesundheitswesens und mit den Einsatzmöglichkeiten, die eine vielleicht bessere
Koordinierung im Gesundheitswesen bietet, nicht alles lösen. Dennoch ist es das
Schicksal der Menschen, mit den Möglichkeiten und an den Stellen, an denen man
sich einsetzen kann, dafür zu sorgen, dass die Situation verbessert wird.
Weil ich dazu sonst keine Gelegenheit mehr habe, möchte ich
mich bei Herrn Professor Siegrist und bei Frau Dr. Goesmann, aber auch bei
allen anderen, die an der Vorbereitung dieses Tagesordnungspunkts mitgewirkt
haben, herzlich bedanken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Rudolf Henke, für diese konkrete Darstellung, auch des Antrags, den wir als
Vorstand eingebracht haben.
Jetzt hat Frau Goesmann das Wort, um die Problematik aus der
Erfahrung des Alltags zu beleuchten. Bitte schön.
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