TOP VI: Transparenz für Patienten/Rechtssicherheit für Ärzte – Modernisierung der GOÄ

3. Tag: Donnerstag, 5. Mai 2005 Vormittagssitzung

Dr. Möhrle, Referent:
Copyright el-zorro.de, 2005. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Professor Taupitz hat aus der Sicht des Juristen und des Medizinrechtlers die Bedeutung einer amtlichen Gebührentaxe für einen freien Beruf und vor allem für die Patienten, die zur Zahlung der Entgelte verpflichtet sind, dargelegt. Er hat gerade in seinen letzten Worten den Weg aufgezeigt, den wir zu gehen bereit sind, auch wenn dieser sehr mühsam ist. Wir wollen mit der Behandlung dieses Themas auf dem Deutschen Ärztetag den Druck auf den Gesetzgeber erhöhen, nun endlich tätig zu werden.

Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen den konkreten Zustand und die Erwartungen, die wir an eine Gebührenordnung haben, zusammenfassend darstelle.

Die vom Staat verantwortete amtliche Gebührenordnung muss ein verlässlicher Maßstab für die leistungsgerechte Honorierung der ärztlichen Arbeit sein. Klare, eindeutige Abrechnungsregeln und ein ausgewogenes Bewertungsgefüge reduzieren Fehlanreize und garantieren Honorargerechtigkeit. Eine regelmäßige Anpassung des Leistungsverzeichnisses an den Stand der medizinischen Wissenschaft sorgt für Klarheit und sichert dem Patienten den unmittelbaren Zugang zum medizinischen Fortschritt. Eine vereinfachte und von bürokratischem Ballast befreite und damit auch für juristische Laien verständliche Gebührenordnung schützt den Arzt vor Fehlinterpretationen und Falschabrechnung und den Patienten vor Überforderung.

Eine leistungsgerechte Vergütung sichert die Qualität der Leistungen des Arztes. Sie sichert aber auch seine Existenzgrundlage und macht damit seine ärztlichen Entscheidungen unabhängig von materiellen Erwägungen. Das individuelle Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Arzt wird geschützt und nicht durch Abrechnungskonflikte belastet.

Fazit: Patient und Arzt haben Anspruch auf eine medizinisch aktuelle, leistungsgerechte, in sich schlüssige Gebührentaxe, die Transparenz und Verbraucherschutz, Qualität und Innovation schafft und damit Rechtssicherheit für Patient und Arzt garantiert.

Wie sieht aber nun die Realität aus? Die letztmalige Generalüberholung der GOÄ datiert vom November 1982. Das damals neu gefasste Gebührenverzeichnis basiert auf der Ersatzkassengebührenordnung, der E-Adgo, von 1978. Von den insgesamt 32 Abschnitten des Leistungsverzeichnisses der GOÄ sind seitdem 22 Kapitel nicht mehr grundlegend aktualisiert worden. Sie sind inzwischen also 27 Jahre alt. Die restlichen zehn Kapitel des Verzeichnisses sind 1996 neu gefasst worden und somit inzwischen auch schon fast zehn Jahre alt. Der rasante Fortschritt der Medizin der letzten drei Jahrzehnte ist damit an der GOÄ weitgehend spurlos vorübergegangen.

Es fehlen darin beispielsweise

        Methoden der Mikrochirurgie

        moderne, verbesserte invasive und diagnostische Verfahren

        pädaudiologische und phoniatrische Leistungen, die für eine frühe Erkennung der Behandlungsbedürftigkeit kommunikativer Störungen bei Kindern notwendig sind

        die moderne Netzhautchirurgie

        für die moderne Glaskörperchirurgie ist ihre veraltete Methodik Abrechnungsvorgabe in der GOÄ

        die Strahlenchirurgie und moderne patientenschonende Bestrahlungstechniken

Die zur Sicherung ärztlicher Entscheidungen unentbehrlichen Methoden der modernen Immunhistochemie, der Zytologie und der Labormedizin und neue diagnostische Technologien wie die Positronenemissionstomographie oder die Duplexsonographie sind entweder gar nicht vorhanden oder in einer alten, unzulänglichen Anwendungsmethode und Bewertung vorgegeben. Patientenschonende, kostengünstige und die Verweildauer verkürzende operative Verfahren sind benachteiligt, weil sie – im Verzeichnis mit ihrer konventionellen veralteten Methodik aufgeführt – mit einer modernen Leistungserbringung nicht vereinbar sind. Der Katalog von Zuschlägen für ambulante Operationen und Anästhesien ist zehn Jahre alt. Seither hat sich die Zahl der ambulant erbringbaren Operationen vervielfacht. Dies wird gebührenrechtlich durch die Begrenzung der Zuschlagsregelung bestraft; Einsparmöglichkeiten durch die ambulante Erbringung von Leistungen werden vertan.

Das Fazit ist, dass mit der seit 1982 gesetzlich vorgeschriebenen strikten Bindung der Abrechnung an das Gebührenverzeichnis der GOÄ – denn Abweichungen sind ja nur noch bei der Höhe der Gebühr zulässig – dem Arzt zugemutet wird, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der modernen Medizin des Jahres 2005 auf der Grundlage eines Verzeichnisses des Jahres 1978 abzurechnen. Analogbewertungen, die fehlende ärztliche Leistungen ersetzen sollen, sind nicht auf alle Neuerungen anwendbar und können somit nur eine Zwischenlösung bis zu einer Novellierung sein.

Erschwert wird die Situation durch die fehlende Systematik der gebührenrechtlichen Anforderungen und die für einzelne ärztliche Fachgebiete unzumutbaren Bewertungsdisparitäten. Die Teilnovellierungen in den Jahren 1988 und 1996 brachten zwar eine bescheidene Anhebung des Vergütungsniveaus um real 7,4 Prozent; sie verbanden aber auch einschneidende Änderungen des Gebührenrechts im Paragraphenteil, der sich ja auf alle Leistungen des Gebührenverzeichnisses auswirkt, mit einer nur teilweisen Aktualisierung dieses Verzeichnisses. Eine inhaltliche Abstimmung des gesamten Leistungsverzeichnisses mit den Änderungen des Gebührenrechts unterblieb.

Die dadurch entstandene Kluft zwischen gebührenrechtlichen Vorgaben und der Gestaltung des Leistungsverzeichnisses hat zu systemischen Brüchen und in sich widersprüchlichen Regelungen geführt. Diese verursachen immer wieder gravierende Abrechnungsprobleme. So wurde 1996 beispielsweise das so genannte „Zielleistungsprinzip“ verschärft. Dieses fordert, dass eine Leistung, die Bestandteil einer anderen Leistung ist, nicht gesondert berechnet werden darf. Die zur Erfüllung dieser gebührenrechtlichen Vorschrift notwendige Neustrukturierung und zusammenfassende Bündelung der Leistungen, beispielsweise bei operativen Eingriffen, unterblieb jedoch; ein Großteil der Auseinandersetzungen zwischen Arzt bzw. Patient und privater Krankenversicherung beruht auf diesem Mangel.

Die Übernahme der E-Adgo des Jahres 1978, deren Verzeichnis – wie eben dargelegt – beispielsweise für die operativen Eingriffe noch heute gilt, ist Ursache eines bis heute fortbestehenden Geburtsfehlers der GOÄ: der in Beschreibung und Bewertung unzulänglichen Berücksichtigung krankenhausspezifischer Leistungen. Die E-Adgo war auf kassenärztliche und damit ambulante und belegärztliche Versorgung ausgerichtet. Spezifische Krankenhausleistungen wurden nur der Vollständigkeit halber aufgenommen. Dieses bis heute nicht korrigierte Ungleichgewicht im Vergütungsgefüge führt immer wieder zu Unverständnis bei den betroffenen Ärzten und zu Fehlinterpretationen.

Ich könnte diese Aufzählung noch beliebig lange fortsetzen, lasse es aus Zeitgründen jedoch dabei bewenden und stelle fest: Die amtliche Gebührenordnung für Ärzte ist in einem desolaten, um nicht zu sagen: katastrophalen Zustand!

(Beifall)

Die Situation hätte durch eine verantwortungsvolle Politik der Weiterentwicklung und Aktualisierung der GOÄ längst bereinigt werden können. Aber die Gebührentaxe der Ärzte, die für 8,2 Millionen Privatversicherte und 7,9 Millionen Zusatzversicherte – das sind Zahlen des Jahres 2004 – gilt, hat offensichtlich keinen politischen Stellenwert. Die letzte Gesamtreform datiert, wie schon gesagt, aus dem Jahre 1982, die letzte Teilnovellierung aus dem Jahre 1996. Die erste und bislang einzige Änderung der GOÄ durch die jetzige Bundesregierung war die Einführung des Standardtarifs mit dem Gesundheitsreformgesetz 2000. Ärzte müssen seitdem bei Versicherten des Standardtarifs zu noch geringeren Sätzen liquidieren, obwohl sich dadurch das unausgewogene Vergütungsgefüge der GOÄ noch krasser auswirkt. Nur die Tatsache, dass der Standardtarif trotz seiner niedrigeren Prämien nur von wenigen Versicherten und Beamten gewählt wird, hat bisher schwerer wiegende negative Auswirkungen verhindert.

Die Selbstverwaltungslösung für eine Überarbeitung der GOÄ, die bei der Novelle 1996 der Bundesregierung als Prüfauftrag des Bundesrats aufgegeben worden war, scheiterte am EU-Recht. Die völlige Übertragung der Zuständigkeit auf die Vertragsparteien – Ärzteschaft und Kostenträger – stieß auf verfassungsrechtliche und kartellrechtliche Einsprüche der zuständigen Justiz- und Wirtschaftsressorts. Die Ersatzlösung, das so genannte Vorschlagsmodell, das von der damaligen Bundesministerin für Gesundheit, Andrea Fischer, in die Diskussion gebracht wurde, ist von der Ärzteschaft trotz anfänglicher Skepsis durch eindeutige Voten Deutscher Ärztetage – wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen – befürwortet worden. Dieses Modell soll die konzeptionellen Vorarbeiten einer GOÄ-Reform auf die Betroffenen verlagern, dann jedoch in das übliche Rechtsordnungsverfahren einmünden. Die Länderfinanzminister haben diese Reform bisher politisch blockiert. Sie befürchten negative Auswirkungen auf die Ausgaben der Beihilfe.

Statt einer Reform gab es in den letzten Jahren mehrere Initiativen von Ländern als Beihilfeträgern, beispielsweise von Nordrhein-Westfalen, von Schleswig-Holstein und von Niedersachsen, die eine Absenkung des Gebührenrahmens der GOÄ zum Ziel hatten. Es gelang uns zwar, diese Vorstöße abzuwehren, was recht mühsam war, die Gefahr droht jedoch weiterhin. Dieser Interessenkonflikt, die unselige Verquickung der Mitwirkung an einer Gebührentaxe mit den Sparzielen der Beihilfeträger, darf nicht länger die dringend notwendige Reform der GOÄ verhindern!

(Beifall)

Die Ärzteschaft hat ihren Sparbeitrag mit der Akzeptanz des Standardtarifs und der jahrelang unterbliebenen Anpassung des Punktwerts bereits geleistet!

Andere freie Berufe – wie zum Beispiel Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater – haben im Juli 2004 eine Reform ihrer Gebührenordnung mit einer Neustrukturierung, mit einer angemessenen Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung und mit einer Aufhebung des Ostabschlags in den neuen Bundesländern erhalten. Die Zahnärzte verhandeln im BMGS derzeit über eine Novelle der GOZ. Die Tierärzte haben eine Anhebung ihrer Gebühren erhalten, da eine solche als politisch dringlich bewertet wurde. Offenbar gilt auch in der Politik, dass der Hund des Menschen bester Freund ist; er ist den Politikern manchmal anscheinend wichtiger als der Mensch selbst.

(Beifall)

Auch für Hebammen wurden neue Vergütungsregelungen getroffen. Die überfällige GOÄ-Reform wird indes weiter auf die lange Bank geschoben! Zwar hat Staatssekretär Theo Schröder in seiner Antwort auf die Bundestagsanfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – Drucksache 15/1477 vom 12. August 2003 – den Reformbedarf der GOÄ eingestanden, jedoch sind Konsequenzen bislang nicht gezogen worden.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Bundesregierung die notwendige GOÄ-Reform aussitzen will, weil sie eine radikale Systemveränderung plant. Im Zuge der favorisierten Bürgerversicherung wäre eine Angleichung der Vergütungssysteme für gesetzlich und für privat Versicherte eine entscheidende Weichenstellung. Insofern passen die Verlautbarungen aus dem Bundesministerium zur Beseitigung der GOÄ durch Übernahme des EBM 2000plus für den ambulanten Bereich und die Einführung eines pauschalen Zuschlags zur DRG anstelle der Wahlarztliquidation auf GOÄ-Basis in dieses politische Kalkül.

Fazit: Die Ärzteschaft hat erkannt, dass die politisch Verantwortlichen auf Zeit spielen und radikale Systemveränderungen planen. Daher muss jetzt die Zusage einer GOÄ-Reform nach den Vorstellungen der Ärzteschaft massiv eingefordert werden. Die Reformeckpunkte zur Weiterentwicklung der GOÄ liegen dem BMGS seit langem vor. Diese müssen jetzt ohne weiteren Zeitverzug verhandelt werden.

Alle Initiativen der Bundesärztekammer nach der GOÄ-Novelle 1996 liefen bisher ins Leere. Bereits für die GOÄ-Reform in der Verantwortung des Bundesgesundheitsministers Horst Seehofer im Jahre 1996 wurden inhaltliche Konzepte unter anderem für alle operativen Abschnitte des Gebührenverzeichnisses erarbeitet. Ursprünglich sollte nach der Zusage des damaligen Bundesgesundheitsministers dem so bezeichneten ersten Novellierungsschritt 1996 unverzüglich der zweite Schritt folgen. Die Bundestagswahl 1998 brachte eine neue Bundesregierung, die sich nicht an die frühere Zusage gebunden fühlte. Die Konzepte der Bundesärztekammer verschwanden in den Schubladen des Ministeriums. Auf den zweiten Novellierungsschritt warten wir bis heute.

Immer wieder wurde an die von Herrn Seehofer gegebene Zusage erinnert; zahlreiche Entschließungen Deutscher Ärztetage und wiederholte Verhandlungen und Eingaben belegen die unzähligen Bemühungen. Das von der Nachfolgerin im Amt, Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer, in die Diskussion gebrachte Vorschlagsmodell wurde seitens der Bundesärztekammer an Beispielen inhaltlich ausgearbeitet und als Eckpunkte im Juni 2001 vorgelegt, jedoch bisher nicht politisch aufgegriffen. Schließlich wurden im Februar 2003 nach weiteren Vorarbeiten der Gebührenordnungsgremien der Bundesärztekammer erneut Reformeckpunkte zur Weiterentwicklung der GOÄ vorgelegt.

Aus der Not geboren und um der um sich greifenden Verunsicherung der Ärzte bei der Abrechnung nach GOÄ entgegenzuwirken, hatte die Bundesärztekammer zwischenzeitlich im Jahre 1998 den Zentralen Konsultationsausschuss für Gebührenordnungsfragen bei der Bundesärztekammer gegründet. Auf dieser Plattform zur Abstimmung grundlegender Abrechnungsempfehlungen verhandeln Ärzte mit Vertretern des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesinnenministeriums für die Beihilfe, des Verbandes der privaten Krankenversicherung und – mit beratender Stimme – der Privatärztlichen Verrechnungsstellen über die Lösung der ständig zunehmenden Anwendungsprobleme der GOÄ, um mehr Ordnung und Rechtssicherheit in das Abrechnungsgeschehen zu bringen. Da die Abrechnungsempfehlungen sich jedoch nur im bestehenden Rechtsrahmen und im Rahmen der unzulänglichen Struktur bewegen können, bleiben alle Bemühungen um Aktualisierung und Klarstellung letztlich Flickschusterei. Zudem stellt diese Aufgabe wegen der widerstreitenden Interessen der Beteiligten eine permanente Herausforderung dar, die viel Zeit beansprucht.

Deshalb erarbeitet der Gebührenordnungsausschuss der Bundesärztekammer parallel ebenfalls Abrechnungsempfehlungen, die einseitig von uns veröffentlicht werden, um die Landesärztekammern bei der Wahrnehmung ihrer Ordnungsfunktion zu unterstützen und zur Schadensbegrenzung im bestehenden Gebührendschungel beizutragen. Diese „Para“-Gebührenordnungen sind jedoch keine Lösungen für das grundsätzliche Problem.

Es bleibt festzuhalten: Die Maßnahmen der Selbstverwaltung ersetzen nicht die dringend notwendige GOÄ-Reform durch die Bundesregierung.

Die eben geschilderten Unzulänglichkeiten der GOÄ führen in zunehmendem Maße zu Konflikten, die das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt belasten. Durch die „flächendeckenden“ und klarstellenden Interpretationshilfen der genannten Ausschüsse bei der Bundesärztekammer ist die Zahl der Beanstandungen jetzt zwar leicht rückläufig; der schwerfällige und zeitaufwendige Abstimmungsprozess hält jedoch mit der zunehmenden Zahl von Anwendungsproblemen nicht Schritt. Die Landesärztekammern haben im Rahmen der
Überwachung der ärztlichen Berufspflichten auf der Grundlage der Berufsordnung die Aufgabe, auch auf die korrekte Liquidation der Ärzte zu achten. Durch die Intensivierung der Honorarprüfung durch Beihilfestellen und private Krankenversicherungsträger nimmt die Zahl der Begutachtungen von Arztliquidationen bei den Ärztekammern immer breiteren Raum ein. Die Zahl der Reklamationen belief sich in zehn Ärztekammern in Deutschland in den Jahren 1997 bis 2000 auf 11 090, von 2001 bis 2004 jedoch schon auf 12 467. Das entspricht einem Zuwachs von 12,42 Prozent.

Die GOÄ-Abteilungen müssen personell verstärkt werden. Die Kostenträger bauen ihr Leistungsmanagement aus und stocken ihre Prüfkapazitäten immer weiter auf, wobei die Frage erlaubt sein muss, ob sich dieser Aufwand überhaupt lohnt, denn die überwiegende Mehrzahl dieser Reklamationen wäre durch eine Aktualisierung und Weiterentwicklung der GOÄ zu vermeiden!

Die permanent wachsende Bürokratie belastet alle Betroffenen und verschlingt finanzielle Mittel, welche der Patientenversorgung verloren gehen. Der Alltag in der Arztpraxis ist zeitlich durch die Auseinandersetzungen mit der Abrechnung und durch andere bürokratische Aufgaben so stark belastet, dass für das Gespräch mit dem Patienten immer weniger Zeit bleibt.

Die Defizite der GOÄ führen auch zu vermehrten rechtlichen Auseinandersetzungen. Allein die Zahl von 189 Rechtsstreiten zu § 6 a – Honorarminderung bei stationärer Behandlung – spricht für sich. Der Bundesgerichtshof hat versucht, durch ein Urteil hier ein Ende herbeizuführen, das immerhin ein bisschen Ruhe bringt, auch wenn es die Ärzte nicht zufrieden stellen kann. Manche Staatsanwaltschaften gehen mit unverhältnismäßigen Mitteln gegen vermeintliche Abrechnungsbetrüger vor und müssen dann meist eingestehen, dass der Vorwurf der Falschabrechnung einer zunächst ungeheuren Zahl Beschuldigter nicht haltbar ist und sich in der Regel bei einigen Wenigen der Verdacht bestätigt.

(Beifall)

Schlimm ist allerdings, dass diese wenigen schwarzen Schafe den gesamten Berufsstand schädigen. Daher ist es unsere Aufgabe, echte Verfehlungen aufzudecken und einer Sanktionierung zuzuführen.

Wichtig ist dabei aber immer, klar zwischen Fehlinterpretationen, die in der Unzulänglichkeit der GOÄ begründet sind, und bewusstem Abrechnungsbetrug zu unterscheiden. Häufig ist es schlichte Ratlosigkeit des Arztes, der seine Leistung in der GOÄ nicht richtig abgebildet findet, anstelle gezielter Manipulation bei der Rechnungsstellung. Daher fallen in zunehmendem Maße Gerichtsurteile für den Arzt positiv aus, da der nicht mehr zeitgemäße Zustand der GOÄ erkannt und anerkannt wird.

Die häufig mit tatsächlichen oder vermeintlichen Falschabrechnungen verbundenen Vorwürfe des Abrechnungsmissbrauchs werden von den Medien natürlich gerne spektakulär aufgegriffen und verallgemeinert und bringen so den ganzen Berufsstand in Misskredit. Das gesamte System der privatärztlichen Versorgung wird durch die zunehmenden Konflikte gefährdet, geschwächt und damit unattraktiv gemacht. Es entsteht der Eindruck, als ob auch das politisch gewollt ist: Mängel aus einer unterbliebenen Reform sollen offensichtlich zur Systemveränderung genutzt werden.

(Beifall)

Ich möchte im Folgenden die Schwerpunkte des Reformkonzepts der Ärzteschaft vorstellen. Es ist selbstverständlich, dass bei der weiteren Ausarbeitung der Einzelheiten die ärztlichen Fachgesellschaften und die Berufsverbände einbezogen werden müssen. Das kann nur gemeinsam geschehen.

Die Eigenständigkeit einer Amtlichen Gebührentaxe für den privatärztlichen Bereich in Klinik und Praxis muss erhalten bleiben. Eine Amtliche Gebührentaxe, die ihre Funktion für Patient und Arzt erfüllen soll, erfordert ein eigenständiges Bewertungs- und Preissystem für ärztliche Leistungen. Sie hat – ganz anders als Gebührenregelungen im GKV-Bereich – nicht die Funktion, innerhalb eines vorgegebenen Budgets das Honorar zu verteilen. Sie hat vielmehr den Charakter einer Preisordnung für ärztliche Leistungen und soll einen jeweils leistungsgerechten Preis hierfür widerspiegeln. Die Gebührenregeln in der gesetzlichen Krankenversicherung – EBM 2000plus und DRGs – müssen soziale Aspekte berücksichtigen; sie sind durch Sozialrabatte künstlich verbilligt.

Die Gebührentaxe GOÄ regelt die Vergütung zwischen Arzt und Patient. Sie ist ein Element eines freien, wenn auch dem Gemeinwohl verpflichteten Marktes und ist ordnungspolitisch weder für Zwecke der Beihilfe noch für die Tarifgestaltung der privaten Krankenversicherung nutzbar. Die Ärzteschaft lehnt daher alle Pläne ab, die die Eigenständigkeit der GOÄ durch die Übernahme des EBM 2000plus für ambulante Leistungen und die Einführung eines pauschalen DRG-Zuschlags für stationäre Leistungen abschaffen.

(Beifall)

Einer der wenigen Vorteile der ansonsten veralteten und unsystematischen GOÄ besteht in ihrer durchgängigen Vergütungsstruktur für ambulante und stationäre Leistungen. Diese einheitliche Vergütung fördert eine durchgehende, integrierte Versorgung. Sie darf gerade in Zeiten einer zunehmenden Vernetzung von stationärer und ambulanter Versorgung nicht durch getrennte Vergütungsregelungen aufgegeben werden. Nur so werden Schnittstellenprobleme und Verwerfungen durch Leistungsverlagerung vermieden.

Der Bezug zum einzelnen Arzt und die persönliche Leistungserbringung als Ausdruck individueller ärztlicher Verantwortung müssen erhalten bleiben. Fachübergreifende Vergütungspauschalen sind damit nicht zu vereinbaren, da sie keine eindeutige Zuordnung der ärztlichen Leistung zum jeweils Verantwortlichen erlauben und damit das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt beeinträchtigen.

Die persönlichen ärztlichen Grundleistungen müssen besser bewertet werden, damit der Arzt mehr Zeit für Zuwendung gegenüber seinem Patienten hat.

(Beifall)

Ein ausgewogenes Vergütungsgefüge ist Voraussetzung für Honorargerechtigkeit. Eine Qualitätsorientierung sichert privatärztliches Profil; ein an Prozeduren orientiertes und nicht diagnosebezogenes Leistungsverzeichnis sichert Transparenz und Prozessqualität.

Die Privatliquidation im Krankenhaus sichert die Motivation der Liquidationsberechtigten, über die Mitarbeiterbeteiligung sogar aller Kolleginnen und Kollegen. Sie gewährleistet aber auch ständige Innovation und leistet einen Beitrag zur Finanzierung der Krankenhäuser. Eine Bereinigung um Kosten, die in DRGs und in der Privatliquidation nach GOÄ doppelt erfasst sind, muss durch Abschläge – DRG-Abschlag und GOÄ-Honorarminderung – vorgenommen werden. Die Privatliquidation auf der Basis der GOÄ ist auch im stationären Bereich unbedingt zu erhalten. Bei diesem Wunsch finden wir die Deutsche Krankenhausgesellschaft an unserer Seite.

Das moderne medizinische und ärztliche Leistungsspektrum muss in der GOÄ abgebildet werden; dies sichert den unmittelbaren Zugang des Versicherten zu medizinischen Innovationen. Die Anbindung des GOÄ-Leistungsverzeichnisses an ein international anerkanntes Klassifikationssystem wie den OPS sichert die Einbeziehung des medizinischen Fortschritts und erleichtert die fortlaufende Aktualisierung. Darüber hinaus müssen weitere Mechanismen zur verzögerungsfreien Anpassung des Leistungsverzeichnisses an neue Entwicklungen vereinbart werden.

Die wissenschaftlich fundierte, klare und eindeutige Definition der einzelnen Leistungen reduziert Anwendungsprobleme und Bürokratie. Die Gestaltung der Struktur des Leistungsverzeichnisses muss sowohl in Einzelleistungen als auch dort, wo ärztliche Leistungen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erbracht werden, in ablaufbezogenen Leistungskomplexen erfolgen. Eine eindeutige Festlegung der Inhalte von Leistungskomplexen durch die allgemein anerkannte Prozedurenklassifikation vermeidet Konflikte und wirkt mengenbegrenzend.

Die Vergütungsreform muss, genauso wie bei Rechtsanwälten, Notaren, Steuerberatern, Ingenieuren, Architekten und anderen, den Ostabschlag für ärztliche Leistungen in den neuen Bundesländern abschaffen.

(Beifall)

Es ist höchste Zeit, 15 Jahre nach der Wiedervereinigung diese Ungleichbehandlung der Ärzte in Ost und West endlich zu beenden. Die Ärzteschaft fordert eine unverzügliche Angleichung der Vergütungen in Ost und West! Gerade in einer Stadt wie Berlin treibt dieser Unsinn ganz sonderbare Blüten. Je nachdem, wo man wohnt, ob im ehemaligen Ostberlin oder im ehemaligen Westberlin, bekommt man unterschiedlich hohe Arztrechnungen.

Ich habe Ihnen einige Eckpunkte der Reformvorstellungen der Ärzteschaft vorgestellt. Auf dieser Basis müssen inhaltliche Konzepte erarbeitet werden, gemeinsam mit Fachgesellschaften und Berufsverbänden. Die Politik muss sich noch vor der Bundestagswahl damit konkret auseinander setzen und darf nicht weiter auf Zeit spielen. Unter diesen Bedingungen ist die Ärzteschaft zur konstruktiven Mitarbeit bereit.

Ich darf zusammenfassend betonen, dass unsere Bemühungen um den Erhalt und die umgehende Reform der GOÄ unter anderem von unserer Schwesterkörperschaft, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Verband der privaten Krankenversicherung und von der Bundeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten unterstützt werden.

Ich schließe mit den Forderungen, die dieser 108. Deutsche Ärztetag an die Politik stellen muss:

Zur Vermeidung von Rechtsstreiten, zunehmender Bürokratie und Rechtsunsicherheit bei Patient und Arzt muss die GOÄ-Reform jetzt unverzüglich eingeleitet werden.

(Beifall)

Unabdingbar wichtig für die Ärzteschaft ist der Erhalt der Eigenständigkeit der Amtlichen Gebührentaxe GOÄ.

Vordringlich ist die Aktualisierung des Gebührenverzeichnisses und damit die Anpassung an den Stand des medizinischen Fortschritts.

Unverzichtbar ist ein für alle Versorgungsbereiche durchgängiges und dynamisches Vergütungssystem mit offenem Leistungsverzeichnis, das den medizinischen Fortschritt integriert.

Das Konzept der Ärzteschaft muss Grundlage der GOÄ-Reform sein. Auf seiner Grundlage sind wir zur Kooperation bereit. Eine weitere Verzögerung verschärft Konflikte, vergrößert die Rechtsunsicherheit, belastet Patienten und Ärzte. Eine Verschiebung in die nächste Legislaturperiode ist nicht hinnehmbar. Auch in der Vergütung spiegelt sich die Wertschätzung der Gesellschaft für den Arztberuf wider. Die jetzige GOÄ trägt dem nicht mehr Rechnung.

Der Ostabschlag von 10 Prozent für privatärztliche Leistungen in den neuen Bundesländern und in Ostberlin ist 15 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands endlich zu beseitigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass das Votum des 108. Deutschen Ärztetages die politisch Verantwortlichen dazu bewegt, nun endlich zu handeln! Daher bitte ich Sie, dem Entschließungsantrag des Vorstands Ihre Zustimmung zu geben.

Ich möchte meine Ausführungen nicht beenden, ohne mich bei Frau Hess, der Dezernentin des Dezernats IV, und bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur für die umfassenden Vorarbeiten zu diesem Tagesordnungspunkt, sondern auch für die permanente gute Zusammenarbeit bei dem Versuch, in dieser Frage endlich weiterzukommen, zu bedanken.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe:
Vielen Dank, Alfred Möhrle, für diese klare Darstellung der misslichen Situation, in der wir uns befinden, und für die ebenso klaren Vorstellungen, wie man aus dieser Situation herauskommen könnte. Ich bedanke mich auch nochmals bei Herrn Professor Taupitz für seine analytischen Ausführungen, die uns, wie ich finde, auch viel Neues vor Augen geführt haben. Ich wusste beispielsweise nicht, dass eine Rechtsverordnung nicht bis zum Bundesverfassungsgericht gelangen kann. Ich glaube, diese Ausführungen waren für den Alltag im Hinblick auf diese Auseinandersetzungen sehr wichtig.

Ich bedanke mich nochmals für die didaktisch sehr klare Darstellung der Rechtssituation durch Herrn Professor Taupitz und für die klare politische Darstellung der Situation durch Herrn Dr. Möhrle. Ich bedanke mich bei Frau Hess für die Zuarbeit, die enorm wichtig ist, damit ein solch schwieriger Tagesordnungspunkt angemessen vorbereitet werden kann.

Es liegen zwei Anträge und auch Wortmeldungen vor. Es sieht so aus, als könnten wir diese Thematik ganz würdig über die Bühne bringen, ohne der Öffentlichkeit die Chance zu bieten, die Vermutung anzustellen, es ginge uns nicht um die Diffusität und um die mangelnde Aktivität derer, die für die GOÄ zuständig sind, sondern nur ums Geld. Das ist eindeutig aus den Anträgen zu erkennen. Insofern sind wir auf dem richtigen Weg.

Ich begrüße jetzt die Ehrenpräsidentin dieses 108. Deutschen Ärztetages, Frau Dr. Kielhorn-Haas, die zugegen ist.

(Beifall)

Ich begrüße ferner den Ehrenpräsidenten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Herrn Professor Vilmar, der seit Beginn dieses Ärztetages an unseren Beratungen teilnimmt.

(Beifall)

Ich heiße beide herzlich willkommen.

Ich begrüße Frau Dr. Duhme, die uns in den nächsten zehn Minuten ein bisschen in Bewegung bringt, was für die nachfolgende Diskussion sehr gut sein wird, weil die Durchblutung des Gehirns von besonderer Bedeutung ist.

Vielen herzlichen Dank, Frau Dr. Duhme, für diese erfrischende Einlage. Das war vielleicht schon das Training für heute Abend.

Als erster Diskussionsredner bitte Herr Mayer aus Bayern.

 

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