ENTSCHLIESSUNGSANTRAG VII – 01
ÄNDERUNGSANTRAG ZUM ENTSCHLIESSUNGSANTRAG VII – 01a
ÄNDERUNGSANTRAG ZUM ENTSCHLIESSUNGSANTRAG VII – 01b
Auf Antrag des Vorstandes der Bundesärztekammer
(Drucksache VII-01) unter Berücksichtigung der Anträge von Herrn Hesse
(Drucksache VII-01a) sowie Prof. Dr. Haupt, Dr. Jonitz und Dr. Crusius
(Drucksache VII-01b) fasst der 108. Deutsche Ärztetag einstimmig folgende
Entschließung:
Patientensicherheit ist für
die Ärzteschaft oberstes Gebot. Das ethische Gebot des "primum nil
nocere" – zuallererst keinen Schaden anrichten – ist so alt wie die
Medizin selbst. Aber das Thema ist nicht einfach. Es ist emotional besetzt und
mit psychologischen, juristischen und administrativen Schwierigkeiten
gepflastert. Missbrauch oder Dramatisierung war in der Vergangenheit bei diesem
Thema häufig. Gleichwohl bestehen Handlungsbedarf und neue
Handlungsmöglichkeiten.
Die Herausforderungen:
§
Die Medizin wird
leistungsfähiger, aber komplexer:
Während vor 20 Jahren
zahlreiche Krankheiten unheilbar waren oder nur wenige Therapieverfahren zur
Verfügung standen, gibt es jetzt eine große Auswahl unterschiedlicher Möglichkeiten,
kranken Menschen zu helfen. Dies gilt beispielsweise bei AIDS-Patienten, bei
Tumorkranken oder bei Patienten mit Zuckerkrankheit. Neue Medikamente
versprechen bessere Behandlung, Nebenwirkungen werden jedoch erst im Alltag entdeckt.
§
Unsere Patientinnen und
Patienten leben länger:
Der demographische Wandel
macht vor der Medizin nicht halt. Ältere Menschen sind zunehmend öfter
chronisch krank oder haben mehrere Krankheiten auf einmal. Dies macht sie
anfälliger für Risiken und Nebenwirkungen medizinischer Behandlungen.
Selbstverständlich möchten alle am medizinischen Fortschritt teilhaben.
§
Die Rahmenbedingungen,
gute Medizin zu gewährleisten, werden kontinuierlich schlechter:
Kostendruck und Wettbewerb
führen zu undifferenzierten Einsparungen mit der Konsequenz der Gefährdung der
Patientenversorgung. In immer kürzerer Zeit und mit weniger Personal müssen
immer mehr Patienten mit immer komplexer werdenden Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden betreut werden.
Die gewandelten
Rahmenbedingungen haben einen neuen Bedarf zur Entwicklung von
Fehlervermeidungsstrategien in Klinik und Praxis erzeugt. Zur klassischen
Aufarbeitung von Behandlungsfehlern unter haftungsrechtlichem Blickwinkel
treten Verfahren und Initiativen zur Erkennung von systembedingten
Gefährdungspotentialen und zur Fehlervermeidung hinzu.
Neue
Erkenntnisse und Möglichkeiten sind:
§
Besseres Wissen über Fehlerentstehung
und Fehlervermeidung:
Aus der Arbeits- und
Organisationspsychologie wissen wir, dass Organisations- und
Kommunikationsmängel führende Fehlerursachen überall dort sind, wo Menschen
arbeiten. An den Ursachen und der Beseitigung muss intensiv gearbeitet werden.
Noch wird in der
Patientenversorgung allzu oft nach dem "Sündenbock-Prinzip"
gearbeitet ("WER war schuld?"), anstelle zu fragen "WAS war
schuld?". So erscheint ein Systemfehler als individuelles Verschulden
eines Arztes. Dies ist ungerecht und sachlich falsch.
§
Neue Initiativen zur
Vermeidung von Fehlern und Erhöhung der Patientensicherheit
Neuere Fehlermeldesysteme wie CIRS (Critical Incident Reporting System)
basieren auf dem prozessorientierten Ansatz, dass Fehler in einer medizinischen
Behandlung weniger häufig auf dem schicksalhaften Versagen einer Einzelperson
als auf der Verkettung mehrerer Schwachstellen beruhen. Die Suche von
Beinahe-Fehler-Berichtssystemen wie CIRS konzentriert sich auf eben diese
Schwachstellen oder Zwischenfälle, die für sich betrachtet noch nicht zu einem
Schaden für die Patientinnen und Patienten geführt haben, aber in Kombination
mit einer anderen Schwachstelle zu einem Schaden hätten führen können.
Fortbildungsangebote der Ärztekammern in Fehler- und Risikomanagement
stoßen auf große Resonanz unter den Kammermitgliedern.Das Curriculum Ärztliches
Qualitätsmanagement wird dieser Entwicklung durch Neugewichtung und Ergänzung
der Lerngebiete Rechnung tragen.
Module zu Risikomanagement in
Klinik oder Praxis sind integraler Bestandteil von Zertifizierungsprogrammen
wie Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen (KTQ) oder
Qualitäts-Management-Systemen wie Qualität und Entwicklung in Praxen (QEP).
Die Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ist seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der
Medikationsfehlervermeidung tätig und hat anlässlich ihres Kongresses für
Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie im April 2005 in Saarbrücken
ein Sonderheft ihrer Zeitschrift "Arzneiverordnungen in der Praxis"
(AVP) zum Spontanmeldesystem für Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen
vorgelegt.
Die Gutachterkommissionen und
Schlichtungsstellen der Ärztekammern, die im Bereich der außergerichtlichen
Streitschlichtung tätig sind, haben eine neue bundeseinheitliche Statistik
entwickelt, die eine aussagekräftigere Verwertung der Daten ermöglicht.
Unter
Federführung des Ärztlichen Zentrums für Qualität (ÄZQ) sind ein Buch und ein
Glossar "Patientensicherheit" sowie das Internetforum (www.forum-patientensicherheit.de)
erstellt worden. Die Ärzteschaft unterstützt darüber hinaus die Einführung
anonymer Beinahe-Fehler-Bericht- und Lernsysteme wie (www.jeder-fehler-zaehlt.de)
für Hausärzte oder das Schweizer CIRS. Aktuell hat die Kassenärztliche
Bundesvereinigung am 12.04.2005 ein internetbasiertes CIRS-Angebot zur
freiwilligen Teilnahme für alle Ärzte kostenlos zur Verfügung gestellt (http://cirsmedical.kbv.de/).
§
Hoher berufspolitischer
Stellenwert von ärztlichem Fehlermanagement und Patientensicherheit
Die systematische Befassung
mit der Sicherheit der Patientenversorgung ist zentrale Aufgabe der ärztlichen
Selbstverwaltung und Ausdruck professionellen ärztlichen Selbstverständnisses.
Das Prinzip der Gemeinwohlbildung der Ärztekammern und die ärztliche Ethik sind
Grundlage für die Übernahme neuer Erkenntnisse und Möglichkeiten zur Förderung
der Patientensicherheit.
Mit Beschluss vom Oktober
2004 haben die Vorstände von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher
Bundesvereinigung die Bildung einer Netzwerkorganisation zur Förderung von
Patientensicherheit befürwortet. Hiermit sollen bereits auf Ebene der ärztlichen
Selbstverwaltung und der medizinischen Fachgesellschaften entwickelte
Initiativen gebündelt und neue Maßnahmen wie z. B.
Beinahe-Fehler-Berichtssysteme und Risikomanagement gefördert werden. Dies
gelingt jedoch nicht im Alleingang, sondern setzt berufsgruppenübergreifende
Zusammenarbeit und vertrauensvollen gegenseitigen Austausch der verschiedenen
Partner des Gesundheitswesens voraus. Das Prinzip der Netzwerkorganisation
gewährleistet gegenseitiges Vertrauen, Respekt und Kooperation.
Der Deutsche
Ärztetag stellt fest:
§
Maßnahmen zur Erhöhung von
Patientensicherheit basieren auf Vertrauen. Beinahe-Fehler-Berichtssysteme sind
keine Sanktionsinstrumente, sondern dienen der Fehlerprävention. Dass über
vermeidbare Zwischenfälle berichtet wird, setzt neben der Freiwilligkeit der
Teilnahme an einem Berichtssystem voraus, dass lückenlos anonymisiert und frei
von Schuldzuweisungen gearbeitet werden kann.
§
Im Zentrum der
Entwicklungsarbeit für neue Fehlervermeidungsstrategien steht die Suche nach
organisations- oder kommunikationsbedingten Verbesserungspotentialen und
Schnittstellenproblematiken in der Behandlungs- bzw. Versorgungskette; die
individuelle Verantwortung bleibt unberührt.
§
Plakative Schuldzuweisungen
und Skandalisierungen des Themas führen nicht zur Aufklärung, sondern zur
Verunsicherung der Patientinnen und Patienten, und schaden der Patientensicherheit.
§
Die Förderung einer sicheren
Patientenversorgung führt zu einer "win-win-win-Situation" durch eine
sicherere Versorgung, solidere Arbeitsbedingungen von Ärztinnen und Ärzten und
weniger Kosten.
Der Deutsche Ärztetag
begrüßt:
§
die Entwicklung und
Implementierung von Fehlervermeidungsstrategien in der medizinischen
Versorgung;
§
die Unterstützung von
Forschungsvorhaben zur Weiterentwicklung von Methoden und Instrumenten zur
kontinuierlichen Erhöhung der Patientensicherheit;
§
die Flankierung der
Initiativen zur Patientensicherheit durch Versorgungsforschung;
§
die Zusammenführung und
Koordination bestehender Aktivitäten zur Intensivierung des interdisziplinären
Erfahrungsaustauschs und Wissenstransfers in einer Netzwerkorganisation;
§
die Gründung des
Aktionsbündnisses Patientensicherheit e. V. als eine solche
Netzwerkorganisation. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. wurde
in einer konzertierten Aktion gemeinsam mit Vertretern der Patientinnen und
Patienten am 11.04.2005 in Düsseldorf gegründet und steht allen Ärztinnen und
Ärzten und anderen Partnern des Gesundheitswesens offen, die sich zur Thematik
Patientensicherheit engagieren wollen;
§
die Erarbeitung
eines Positionspapiers zur Bedeutung der Obduktion als Bestandteil
der Fehleranalyse und Qualitätsanalyse.
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